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Die Diktatur des schlechten Geschmacks

Christine Resch und Heinz Steinert

Hinreichend distanzierte Beobachter der zeitgenössischen Kultur können sich des Eindrucks von schrill, laut. hektisch, aufgedreht übermütig bis besoffen und grob, aggressiv, bösartig, hemmungslos exhibitionistisch bis ordinär nicht erwehren. Der ausgezeichnete Ort für solche Eindrücke ist das Fernsehen, besonders dessen dominanter Privatsender-Anteil. Andere öffentliche wie private Kultur-Veranstaltungen passen sich dem an. Von manchen wird das als „Proletarisierung“ verstanden. Wahr ist aber vielmehr, dass die weiland „gebildete Schicht“ verwahrlost. Das ist freilich nicht, wie die besorgten Kulturkritiker, bestärkt von den PISA-Technokraten beklagen, das Versagen des deutschen Gymnasiums. Vielmehr ist es die Folge der (Weg-)Rationalisierung von Wissensarbeit in der „Wissensgesellschaft“.

Intellektualität in der „Wissensgesellschaft“: abgewertet

Die sozialwissenschaftlichen Protagonisten der „Wissensgesellschaft“ haben Intellektuelle zugunsten von „Wissensarbeitern“ in ihren Theorien längst abgeschafft. Analysten und Berater, Werber und Models, Wissenschaftler und TV-Moderatoren, Popmusiker und Informatiker, gelegentlich auch Sportler werden gemeinsam mit Künstlern zu einer „kreativen Klasse“ zwangsvereinigt. Der Unterschied zwischen Apologeten / Betreibern / Profiteuren und Kritikern / Analytikern von Kulturindustrie wird damit theoretisch eingeebnet. Mehr noch: Künstler, die in der bürgerlichen Ideologie als Antipoden von Kapitalismus und Marktvergesellschaftung galten, werden zum Modell für die gegenwärtige Arbeitsmoral erkoren. Sie dienen als Prototyp von (Arbeitskraft-) Unternehmertum. Kunst wird nicht länger als gesellschaftlicher Widerspruch konzipiert, sondern als Vorreiter für die Entwicklung einer kapitalistischen „Wissensgesellschaft“, die sich durch die positiv bewertete Verallgemeinerung von Warenförmigkeit aller kulturellen und intellektuellen Produkte auszeichnet.

Dass „Widerständigkeit der Kunst“ immer auch Ideologie war, ändert nichts daran, dass intellektuelle Produktionen, in denen Reflexion der gesellschaftlichen Widersprüche und Kritik der Kulturindustrie geleistet werden, sich sinnvoll von „Machwerken“ unterscheiden lassen, die ausschließlich an Verkaufsziffern orientiert sind. Inzwischen ist es durchaus üblich, „gelungene“ Kunst einzig an Verkaufserfolgen zu messen. Das tun Produzenten und Verlage, wenn „Blockbuster“ und „Bestseller“ statt Filmen und Romanen eines bestimmten Inhalts, einer ungewöhnlichen Erzähltechnik oder Kameraführung oder was es sonst an ästhetischen Errungenschaften gibt, angekündigt werden. Das tun Kritiker, wenn sie anhand verkaufter CDs belegen, wer und was gerade die „Avantgarde“ des Jazz darstellt, und sich so jede musikalische Analyse sparen. Das tun die Künstler selbst, wenn sie einen erfolgreichen Einfall in endlosen Variationen reproduzieren und zu ihrer „Masche“ machen. Das tun selbstverständlich Kulturmanager und -verwalter, wenn sie sensationelle bis skandalöse Ausstellungen anpreisen, die zwar der Kunst nicht gerecht werden, aber als vermeintlicher Publikumsmagnet taugen. Das tun vielleicht auch Rezipienten, wenn als „cool“ gilt, wer Geld macht – und sei es auch Dieter Bohlen oder Paris Hilton. Wir haben es, kurz gesagt, mit einer Verwirtschaftlichung von Kunst zu tun.

Wenn man unter der „kreativen Klasse“ nicht, wie das die Verfechter und Propagandisten der „Wissensgesellschaft“ behaupten, die Träger der zukunftsweisenden Produktivkraft Wissen versteht, sondern die Kopfarbeiter, die sich den Herrschaftsformen anpassen und versuchen, das Beste für sich daraus zu machen, dann enthält diese Gesellschaftsdiagnose durchaus einen empirischen Befund: „Wissensgesellschaft“ ist die Verallgemeinerung von Warenförmigkeit. Bei der Produktion von Künsten setzt das eine hohe Kompetenz im Umgang mit Kulturindustrie voraus. Diese hohe Kompetenz besteht aber nicht mehr im selbstreflexiven Umgang mit kulturindustriellen Mechanismen, sondern im selbstreferentiellen Aufnehmen von Moden.

Wer das gekonnt anstellt, dem kann immer noch eine ironische Darbietung dessen glücken, was da gerade stattfindet. Harald Schmidt ist ein Beispiel dafür, zuletzt mit seinem Buch Sex ist dem Jakobsweg sein Genitiv. Eine Vermessung (2007), von dem er selbst sagt: „Der neue Schmidt ist ein Meisterwerk der Verschenkliteratur. Kaufen – schenken – wegstellen: der Dreiklang des modernen Zeitalters. ... Bei Verschenkliteratur geht es einzig und allein darum, dass sie gekauft wird. ... Ein Fernsehgesicht auf dem Buchdeckel ist nahezu unerlässlich. Außerdem sollten im Titel Begriffe vorkommen, die dem schnellen Käufer irgendwie geläufig sind. Ein nicht geringer Teil der Kunden wird das Buch dann für den eigentlichen Bestseller halten.“ Kulturindustrielle Intellektualität besteht, selbst auf dem höchsten Niveau, das derzeit geboten wird, in der humoristischen Vorführung von kulturindustrieller Intellektualität. Irgendeine (subkulturelle) Erfahrung, die in den Künsten verarbeitet wird, ist nicht vorausgesetzt. Damit ist die Aneignung von Künsten auch nicht geeignet, eine Lebensweise zu markieren. Vielmehr gerät alles gleichermaßen zu mehr oder weniger schlechter Unterhaltung. Vom ehemals ernsten Anspruch, den Weltenlauf verstehbar zu machen, gar nicht zu reden, mit dem das Privileg zu rechtfertigen war, bezahlte oder zumindest überhaupt (Lebens-)Zeit mit Nachdenken verbringen zu können. Öffentliche Intellektuelle, die ernst meinen, was sie sagen, sind lächerliche Figuren, die die kulturindustrielle Logik nicht begriffen haben. Schmidt würde es niemals passieren, über was auch immer besorgt oder empört zu sein, es erklärungsbedürftig oder gar unverständlich zu finden. Schnellschüsse sind gefragt, Nachdenklichkeit wird wirksam verhindert. Die Logik besteht darin, Überlegenheit herzustellen, indem verächtlich gemacht wird, womit sich die anderen ihre 15minütige Prominenz erkaufen – und das, bevor alle vergessen haben, was genau es war, das den Spott auf sich zieht.

Erfindung und Niedergang des „guten Geschmacks“

Damit werden zwei Dynamiken wirksam, die sich gegenseitig verstärken: Unter dem Imperativ der Einschaltquote muss möglichst allgemein bekannt und provokant-banal sein, womit Anspruch auf Aufmerksamkeit erhoben wird. Und genau diese Banalitäten sind dann das Material für die „affirmative Reflexivität“, die die um sich selbst kreisende erweiterte Kulturindustrie kennzeichnet. Das Ergebnis ist Trash in der Hoch- ebenso wie in der Populärkultur und die Möglichkeit für alle, sich besser / klüger / kultivierter zu fühlen.

Hochkultur, die, zur Erinnerung, erst im 18. Jahrhundert erfunden wurde und sich im 19. als bürgerliche Kultur, die besondere Achtung verdient, behaupten konnte, wird damit wieder als die Nischenkultur sichtbar, die sie faktisch immer war. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die kulturellen Praktiken „oben“ und „unten“ zumindest zum Teil identisch: Das gilt für Feste aller Art, für Kirchenmusik und besonders offensichtlich für das Theater – Comedia del Arte, Shakespeare und noch Molière waren Vergnügungen für Elite und Volk. Erst das Bildungsbürgertum und die Distinktion gegen Adel und Wirtschaftsbürgertum haben mit der Erfindung von Hochkultur diese Unterhaltungen der Herrschenden und damit zugleich die Praktiken des „Volks“ entwertet. Die entscheidende Abgrenzung aber war die gegen den „schlechten“ Geschmack „derer da oben“, kulturelle Distinktion „nach unten“ war nicht notwendig, das verstand sich von selbst, dass man dem ungebildeten, rohen Volk überlegen war und es an die notwendige Bildung erst heranführen musste.

Ob Kultur für die Selbstkonstitution des Bürgertums insgesamt eine wichtige Rolle gespielt hat, sei dahingestellt. Jedenfalls war es hinreichend, wenn die Töchter und Gemahlinnen die schönen Künste pflegten. Der Kitt, der das Bürgertum wirklich zusammengehalten hat, war nicht Kunst, sondern Reichtum. Und auch wenn es gelungen ist, Hochkultur als Norm zu setzen, so ist der „schlechte“ Geschmack der Herrschenden damit nicht verschwunden – bis heute, wie an noblen Warenhäusern, etwa Harrods in London leicht zu sehen ist. Und sehr lange gedauert hat die Hegemonie der Kunst auch nicht – schon seit mehr als 100 Jahren ist das Bürgertum zumindest seiner Avantgarde entfremdet. Das fing in der Malerei schon mit den Impressionisten an und gilt für die Musik spätestens ab Schönberg. Die Vereinnahmung in den Kanon wurde für die Impressionisten verspätet und kulturindustriell geleistet, und ob Schönberg inzwischen wirklich dazugehört, ist zumindest fraglich, wenn man von Praxen des Hörens ausgeht. Hochkultur, so kann man festhalten, war immer die Praxis eines nur kleinen Teils des Bürgertums, der Söhne und Töchter, die durch die unternehmerischen Erfolge der Väter finanziell unabhängig waren. Die schönen Künste waren, um es zugespitzt zu formulieren, die Angelegenheit der Bohème und seit Ende des 19. Jahrhundert zu einem guten Teil Kritik des Bürgertums, formuliert von der jungen Generation desselben. Anders als bei den vorbürgerlichen kulturellen Praktiken – dem feudalen und kirchlichen Kunstbesitz und -genuss – lässt sich bürgerliche Kunst somit nicht ganz leicht auf die Formel „die herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden“ bringen.

Im 20. Jahrhundert ist dann interessant, dass es die Bildungsaufsteiger sind, die Kunst ernstnehmen. Raymond Williams hat eine ganze Forschungstradition, die Cultural Studies gegründet, in der es anfangs darum ging, genau herauszufinden, welche Bedeutungen welche Künste für welche sozialen Gruppierungen haben. (Später wurde kulturpopulistisch argumentiert, wie McGuigan das treffend beschrieben hat. Allen, auch jedem Thatcher-Wähler wurde im Umgang mit Kultur Widerständigkeit bescheinigt. Irgendwelche Bildungs-Ansprüche an Produkte und Rezeption gab es nicht mehr.) Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands (1975-81) hat zum Gegenstand, ob und wie Kunst und Literatur politischen Widerstand gegen totalitäre Systeme (den Faschismus und Nationalsozialismus) anleiten kann. Die Hauptfigur dieses Romans ist ein Arbeiter – das sei angemerkt, weil es diese Helden, im Unterschied zu den 1960-70iger Jahren, in der schöngeistigen Literatur inzwischen kaum noch gibt. Eine Implikation solcher Literatur, der Idee von Arbeiterbildung insgesamt, inklusive Agitprop, ist der „proletarische Held“, dem die bürgerliche Bildung im Widerstand gegen Herrschaft und im Kampf um Befreiung nützlich sein würde. Darin drückt sich zugleich Wertschätzung von bürgerlicher Kultur und proletarischem Leben aus. (Dass das nicht die dominante Vorstellung war, ist inzwischen auch bekannt: Bürgerliche Bildung wurde von den Sozialisten auch und vor allem zur „Veredelung“ = Disziplinierung des Proletariats propagiert.)

Nicht erst aus historischer Distanz wird man aufmerksam, dass die Idee einer „kulturellen Verbürgerlichung“ der Arbeiterschaft immer schon widersprüchlich war. Brecht hat das schon seinerzeit, etwa in den Flüchtlingsgesprächen (1940) kritisiert. Erziehung in der Schule wird dort als Vorbereitung auf Konkurrenz reflektiert. Über die bürgerliche Bildung erzählt der Proletarier Kalle dem Wissenschaftler Ziffel: „Ich hab Walther von der Vogelweide genommen und Anfang ists auch gegangen, aber dann bin ich arbeitslos geworden und da war ich abends zu müd und habs aufgesteckt. Die Vorträg waren frei, sie haben nichts gekostet und nichts eingebracht, aber ein Reklambändchen hat soviel gekostet wie ein Dutzend Zigaretten. ... Wozu meinen Schönheitssinn ausbilden, indem ich die Bilder von dem Rubens anschau, und die Mädchen, die in Betracht kommen, haben alle die Gesichtsfarb, die sie in der Fabrik kriegen?“ Die Anstrengungen der Arbeiterbildung galten nicht der einer proletarischen Kultur, die etabliert werden sollte, sondern der Verallgemeinerung der bürgerlichen. Die Erfahrungen, die man damit macht, sind entweder herrschaftliche oder „zweckfreie“, was dazu führt, dass die Beschäftigung mit der bürgerlichen Bildung notwendig „aufgesteckt“ wird, weil es die Lebensumstände gar nicht zulassen, dafür Zeit und Geld aufzubringen. „Die Vorträg“, die nichts einbringen, weisen darauf hin, dass wir es ohnehin mit der pädagogisierten Form der Vermittlung von bürgerlicher Kultur zu tun haben. An anderer Stelle fordert Kalle Ziffel auf, ihm über Hegel zu erzählen, denn: „Ich bin nicht gebildet genug, daß ich ihn selber les.“ Dass die Prolis sich mit den Originalen und Primärtexten befassen, wurde ihnen eh nicht zugetraut. Aber wie widersprüchlich das auch immer war: Die arbeitende Klasse sollte sich mit den intellektuellen Spitzenprodukten auskennen.

Trash-Kultur und die Abschaffung von Bildung

Wenn dieser Tage eine „Dominanz der Unterschichtkultur“ in der großen Öffentlichkeit beobachtet wird, wenn von „fürsorglicher Verwahrlosung“ (Paul Nolte) der Unterschicht die Rede ist, dann zeigt das zunächst nur ein vorherrschendes gesellschaftliches Verständnis, dass die Arbeiterklasse mit billigen Spielen abgefertigt werden kann. Sie wird nicht mehr heroisch, sondern verächtlich gemacht. Wenn man einbezieht, was die Nazis und Stalinisten aus dem „heroischen Arbeiter“ gemacht haben, ist das auch nicht unbedingt ein Grund zur Trauer. Und so überraschend ist es auch nicht: Die Allgegenwart der „Wissensgesellschaft“ im öffentlichen Diskurs teilt mit, dass von Handarbeit und denen, die sie leisten, nichts mehr zu halten und zu erwarten ist. Wenn aber auch den Kopfarbeitern und damit denjenigen, auf deren Schultern die Zukunft und der Fortschritt angeblich lasten, permanent der kulturelle Trash vorgeführt und zugemutet wird, dann ist das erklärungsbedürftig.

In Analogie zum Ende der Idee von „Arbeiterbildung“ bekommen wir jetzt das Ende der Bildung der Kopfarbeiter vorgeführt. Mit der fordistischen Arbeitsorganisation und Rationalisierung wurden die Arbeiter ihren Produkten endgültig entfremdet. Wenn Sich-im-Werkstück-Wiedererkennen für die Beschäftigung mit ästhetischen „Werken“ eine hilfreiche Erfahrung ist, dann bedeutet die Enteignung des Werkstücks auch, dass kultureller Konsum die Fortsetzung der Arbeit(steilung) mit anderen Mitteln ist. So wie im Fordismus die Wissenskomponente der Handarbeit wegrationalisiert und in die Maschinen und die Arbeitsorganisation verlegt wurde, so geschieht das gegenwärtig mit der Wissenskomponente von Wissensarbeit. Die „Wissensökonomie“ ist in erster Linie (Weg-)Rationalisierung von Intellektualität: Die Instrumente dazu sind der Computer und das Internet und die Arbeitsorganisation als Arbeitskraft-Unternehmertum.

Die Kopfarbeiter sind zunehmend damit beschäftigt, dem PC die richtigen „Befehle“ zu erteilen, weil sonst gar nichts geht. Diese Befehle müssen sie vor allen Dingen beherrschen, um verschiedene Bürokratien mit Berichten und Evaluationen über ihre eigentliche Arbeit, für die immer weniger Zeit bleibt, zu versorgen. Es ist repetitive Teilarbeit, die ihnen von Verwaltungen abverlangt wird. Zugleich wirkt das auf die inhaltliche Arbeit zurück, die von vornherein der Verwaltungslogik angepasst werden muss.

Das geläufigste Beispiel dafür ist gegenwärtig die Universitätsreform: In ihr wird die Wissensproduktion und -weitergabe der Wissenschaftsverwaltung unterworfen. Die Reformer tun ihr Bestes, um aus der Alma Mater eine Berufsakademie zu machen, die als oberstes Organisationsprinzip die „Employability“ ihrer Absolventen hat. Dort ist auch sehr sichtbar, dass wir es gegen jede Rede von „schlanken Verwaltungen“ mit einem monströsen Verwaltungs-Schub zu tun haben.

Den Journalismus hat es schon einige Jahrzehnte früher erwischt: Der altehrwürdige Beruf des „Setzers“ wurde ersatzlos gestrichen – die Vorschriften zur Formatierung werden gleich dem Autor übermittelt. Und wir haben es mit erhöhtem Konkurrenzdruck zu tun: Journalisten werden zu „freien“ Mitarbeitern, wenn auch festen-freien Mitarbeitern (also „Schein-Selbständigen“), die um das Honorar für jede Zeile zu kämpfen haben. Literaten werden durch Dichterlesungen, die ihnen Verlage aufdrängen, erst zu den erfolgreichen Literaten, als die wir sie kennen und zugleich vom Schreiben abgehalten.

Selbst Richter erscheinen mit dem Laptop in der Verhandlung und sind vor allem damit beschäftigt, das Protokoll zu erstellen; ähnlich wie Ärzte bei der Erhebung von Beschwerden und Anamnese vor allem ihr Anamnese-Programm auf dem PC zufriedenstellen müssen. Wie die Damen, die im Supermarkt die Kassen bedienen, sind sie alle dem Computer ausgeliefert: Das richtige Kürzel, die erforderliche „Eingabe“ zu finden, damit das Programm weiterläuft, ist viel wichtiger, als sich mit dem gegenüber sitzenden Menschen zu beschäftigen, dessen Hauptfunktion es wird, die nötigen Daten in einer maschinenlesbaren Form zu liefern.

Die Liste lässt sich leicht fortsetzen: Wir haben es mit einem Schub von Entqualifizierung der Wissensarbeit und mit einer Instrumentalisierung von Bildung zu tun. „Wissensgesellschaft“ ist faktisch ein Projekt von Verwaltern und Politikern, das geeignet ist, Bildung und Intellektualität abzuschaffen.

Dazu soll die Produktion von Wissen und Kunst / Künsten bewusst und gezielt nach Imperativen der Verkäuflichkeit geschehen. „Kulturpopulismus“ wird damit zur zentralen Haltung in der erweiterten Kulturindustrie. „Trash für alle“ ist die Formel dafür. Überlegen fühlen darf sich schon, wer Shakespeare nicht mit einer Bier-Sorte verwechselt – so ist zugleich die Klassenkultur gerettet.

Es hat nie eine „Dominanz der Unterschicht-Kultur“ gegeben. Es gibt auch derzeit keine, auch nicht in RTL und Sat1 und ihren öffentlich-rechtlichen Nachahmern. Es gibt eine Verlotterung und Verrohung der gebildeten Klasse, die diesen Trash herstellt und sich dabei über eine erfundene Unterschicht amüsiert, die als „Prekariat“ bis „Kaloriat“, wenn nicht „Sozialschmarotzer“ auch noch verhöhnt wird. Tatsächlich hat die gebildete Klasse selbst die Erinnerung an das verloren, was einmal „Bildung“ hieß – und im günstigen Fall Hochachtung für Handarbeit ebenso einschloss wie das Ernstnehmen von Kopfarbeit. Wo die Kopfarbeit zur Beherrschung von Gebrauchsanweisungen entwertet wird, verschwindet die Achtung vor Arbeit überhaupt und der Sinn für gute, sorgfältige und sachgerechte Arbeit schon gar – von den Erfahrungen gar nicht zu reden, die in der Auseinandersetzung mit der Natur (durch händisches Manipulieren und denkerisches Probehandeln) gemacht werden können.

Wenn die gebildete Klasse ihr eigenen Produkte immer weniger als eigene erkennen und sie entsprechend ernst nehmen kann, sieht sie überall nur deren Gegenbild: Trash (auf deutsch: Müll).

© links-netz Oktober 2007