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Politik als Aufputschmittel oder: Wir machen aus Ihnen eine ICH AG!

Christine Resch

Mit der hochkarätig besetzten Hartz-Kommission macht der Kanzler Gerhard Schröder Wahlkampf-Politik – ohne großen Erfolg wie die Umfragen zeigen. Der VW Personalvorstand Peter Hartz hat der Kommission ihren Namen gegeben, bekannt wurde er durch sein Krisenmanagement bei VW: eine Arbeitszeitverkürzung um 20 % bei 15%igem Lohnverzicht war seine Antwort auf die Krise 1993, keiner der Beschäftigten wurde entlassen. Ein durchaus achtenswertes Programm der Arbeitszeitverkürzung, das, so kann man hinzufügen, viel freie Kapazität für Schwarzarbeit geschaffen hat.

Für Schröders Krisenmanagement ist jetzt die ICH AG populär geworden: Arbeitslose, die nicht mehr als 15.000 Euro als Selbständige verdienen, müssen nur eine Pauschalsteuer von 10% zahlen. Schwarzarbeit bekämpfen und Anreize für Selbständigkeit schaffen, ist das Programm. (Dass die "Bekämpfung" der Schwarzarbeit Unfug ist, sei hier nur angemerkt. Die einzige Lösung wäre, sowohl Besteuerung als auch Soziale Sicherung von der angemeldeten Arbeit zu lösen, denn selbstverständlich wird die notwendige Arbeitszeitverkürzung dazu führen, dass die Leute in der Freizeit arbeiten, das ist auch das Vernünftigste, das sie tun können.) Aus Schwarzarbeit (plus Stütze) soll gegen einen Tribut von 10% legale Selbständigkeit werden – kein richtig überzeugendes Angebot, besonders so lange an die wirklichen Unternehmer (ebenfalls durch Hinterziehung und kreative Buchhaltung, aber auch durch Subventionen aller Art) richtig großzügige Steuergeschenke gemacht werden. (Wenigstens ein zinsenloser Gründungskredit hätte schon drin sein können.) Mit einer ordentlichen Steuererklärung zahlt ein Selbständiger bei 15.000 Jahreseinkommen (oder selbst dem Fünffachen) durch die möglichen Abschreibungen wenigstens in den ersten Jahren wahrscheinlich gar keine Steuer.

Insofern handelt es sich bei dem Programm nicht nur um eine großangelegte Aktion zur Um-Etikettierung der Arbeitslosen (aus denen entweder Time-sharing-Beschäftigte der JobCenters oder selbständige Ich AGs gemacht werden), sondern auch noch um ein ziemlich kleinliches Angebot – man könnte es auch Pflanzerei nennen.

Eine Erfindung dieser Kommission (sie ist dominiert durch Vorstände und Manager von Großkonzernen und namhafte Unternehmensberater, daneben gibt es auch noch ein paar Gewerkschafter, Politiker und Wissenschaftler) ist die ICH AG freilich nicht. Vielmehr wurde diese unstimmige Wortschöpfung in der (Fehl-) Übersetzung eines populären Ratgebers von Tom Peters, einer der Gurus in der Management-Beratung, verwendet: Selbstmanagement. Machen Sie aus sich die ICH AG (2001). In der englischen Originalausgabe von 1999 heißt es noch: Reinventing Work: The Brand You. Es handelt sich also nicht um eine Rechtsform der Firma, sondern eher um ein "Markenzeichen ICH" oder um "Sie als Logo".

Das Büchlein gehört ins Subgenre "Trainingsprogramm”. Es ist eines von der langwierigen und aufwendigen Sorte: In 50 Schritten soll man sich selbst in eine Marke verwandeln. 50 Schritte, das ist eigentlich schon zu viel. Entsprechende Zeitschriften-Artikel versprechen schon bei Einhaltung und -übung von 3-10 Punkten Erfolg. Dieses arbeitsaufwendige Programm rechtfertigt Peters mit einer dramatischen Zeitdiagnose und Zukunftsvision. Informationssysteme, Wissensmanagement, Globalisierung, weltweite Deregulierung etc. etc. führen "zu einer revolutionären Umwälzung in einer Großenordnung, wie sie – keine Übertreibung – vielleicht alle 100, 200, 500 (?) Jahre stattfindet” (S. 10). "Entlassen wurden nicht mehr die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, sondern der jährlich 100 000 US-Dollar verdienende, 27jährige IBM-Veteran von nebenan” (S. 18). "Und ja, ich glaube, dass mindestens 90 Prozent der Büroarbeitsplätze verschwinden oder sich bis zur Unkenntlichkeit verändern werden” (S. 18).

Auf diese "neue Weltordnung” gibt es nur eine Antwort: Machen Sie aus sich die ICH AG. "Es ist Ihr Leben”, heißt es dauernd in direkter Ansprache. Dann folgen die Anleitungen zur gekonnten Selbstinstrumentalisierung, -verwaltung und -planung, mit besonderem Augenmerk auf Selbstvermarktung. Eine ICH AG muss alle Bestimmungstücke der Waren-Ästhetik erfüllen. Wem Selbstanpreisung peinlich oder zuwider ist, der hat keine Chance. Oder wie es Peters ausdrückt: "Falls Sie abgeschreckt oder genervt sind von diesem Wort (‚verkaufen'), ... dann haben Sie ... ein Problem. Will heißen: Sehen Sie zu, wo Sie bleiben ... im neuen Jahrtausend. (Entschuldigen Sie diese deutlichen Worte, aber es ist Zeit für die Wahrheit.)” (S. 209) Das gleiche gilt für die diejenigen, die nicht bereit sind, jeden immer für seine Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Situation ist bedrohlich, aber nur, wenn man an überkommenen Arbeitsverhältnissen und Lebensweisen festhält. Für die ICH AG-Macher bedeutet sie Befreiung. Arbeit ist "cool”, wie eines der häufig vorkommenden Wörter lautet. Aus jedem Job lässt sich ein "WOW!-Projekt” machen. Man muss nur wollen und positiv denken und zwar sofort. Die Herstellung der ICH AG ist einerseits ein langwieriger Prozess, andererseits erfordert sie die sofortige Aktion. Fragenkataloge zur Selbst-Überprüfung sind häufig zugleich Aufforderungen: "Hat Ihre ICH AG ein ‚Mission Statement'? Wenn nicht ... warum nicht? (???!!!) Fangen Sie an, ein solches zu skizzieren ... jetzt. Überstürzen Sie es nicht. Machen Sie sich umfassende Gedanken dazu. Aber fangen Sie an. ... JETZT.” (S. 192)

Dieser Aktionismus wird als Aufputschmittel eingesetzt. Das gesamte Buch ist eine Predigt im Befehlston, das Ausrufezeichen ist das Logo der Tom-Peters-ICH AG. Wie in jeder Befehlsausgabe muss nicht argumentiert, sondern befolgt werden. Peters formuliert Gebote, die bei Strafe des Untergangs eingehalten werden müssen. Viele davon sind, wie in allen Ratgebern, paradoxe Anforderungen: "Erkennen Sie die Notwendigkeit” (S. 183), ist eine der schönsten davon.

Genug der "inhaltlichen” Darstellung.

Die Form bestimmt das Arbeitsbündnis dieses Ratgebers. Es handelt sich um eine verschriftete Erweckungs-Veranstaltung. Bei Gurus dieser Größenordnung sind das volle Stadt-Hallen mit großer Bühne, von der aus Begeisterung und Größenwahn erzeugt wird. Die wenigen Zitate geben davon schon einen Eindruck. Das ist kein Lesetext, sondern eine Aneinanderreihung von verschiedenen Bühnen-Sprecharten: von ganz leise bis schreiend, vieles ganz langsam gesprochen, mit wohl placierten Pausen und beschwörerischen Wiederholungen. Der Text enthält eine Fülle von Hervorhebungen: rot, fett, gesperrt, Großbuchstaben, verschiedene Schriftgrößen, Pünktchen, Ausrufezeichen, rhetorische Fragezeichen. Kein noch so kompliziertes Vortragsmanuskript erfordert eine solche Bearbeitung, nur ein Drehbuch für eine große Show.

Beim Lesen entsteht noch ein schwacher Eindruck dieser großartigen Gesten. Als Fließtext mit vollständigen Sätzen wäre es nicht mehr als eine Aneinanderreihung von pubertären Allmachtsphantasien. Phantasien von jungen, "coolen” Männern, die sich einbilden, die Welt gehöre ihnen und sie seien ihr Nabel. Damit ist auch der Adressatenkreis benannt. Der Ratgeber gehört in die Hoch-Zeit der New Economy und spiegelt den sprichwörtlichen Hochmut vor dem Fall. Den jungen, dynamischen, mobilen Leuten, deren Karriere noch ganz am Anfang steht, wird der ganz große und ganz schnelle Erfolg durch Selbständigkeit versprochen. Dazu gehört die Erfindung einer Dienstleistung und Verkaufsqualitäten, Frechheit ist die entscheidende Ressource. Die deutsche Übersetzung (2001) kam schon ein bisschen spät. Der Traum vom schnellen Reichtum durch das Internet war ausgeträumt. Die Wortmarke "ICH AG" wurde zudem von einer Frankfurter PR-Beraterin vor einem Jahr beim Patentamt eingetragen. Auch sie arbeitet, so heißt es im Spiegel (33/2002), an einer Geschäftsidee zum Eigen-Marketing.

Noch später haben nur noch Schröder und seine Hartz-Kommission eine gescheiterte Idee aufgegriffen (und Patentanwälte klären erst jetzt, ob die Hartz-Kommission das Label überhaupt verwenden darf). Dafür verallgemeinern sie die ICH AG auf die Arbeitslosen. Und man erspart ihnen die Mühsal, aus sich selbst eine ICH AG zu machen. Das übernimmt in diesem Fall das gründlich auf Vordermann gebrachte Arbeitsamt. Aber schließlich bedarf es auch einiger Anstrengungen und ausgewiesener Wirtschafts-Experten, um aus kurzfristiger Massen-Begeisterung, wie sie auf solchen Peters-Veranstaltungen entsteht, ein politisches Programm zu entwickeln. Nur, dass diesmal schon die kurzfristige Begeisterung der Wähler sich nicht so verlängern ließ, wie man es für den Wahlsieg bräuchte.

Tom Peter, auch das sei noch angemerkt, war, bevor er zum Guru avancierte, Consultant bei McKinsey und wurde aus dieser Unternehmensberatung, wie er selbst sagt, entlassen. Ein Mitglied der Hartz-Kommission ist Direktor von McKinsey (Deutschland), der jetzt offenbar doch an Peters ICH AG Gefallen findet. Jedenfalls: Die herrschende wirtschaftliche und politische Klasse bezieht ihr Wissen und ihre Programme von erstklassigen Showmastern, die aus aufgeschäumtem Unsinn autoritäre Unterhaltung machen. Aber im Polit-Zirkus reicht das nur zum kurzfristigen Aufputschen. Wenn die Teilnehmer aus dem angedrehten Größenwahn der Veranstaltung erwachen, merken sie den Schwindel und sind verkatert und grantig. Sollten die sehr geehrten Wählerinnen und Wähler doch nicht alle spät-pubertäre Jünglinge und zukünftige "masters of the universe" sein?

© links-netz August 2002