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Invictus: Populismus à la Clint Eastwood

Christine Resch

„Invictus“ (2009, Regie: Clint Eastwood) ein, wie man zunächst jedenfalls erwartet, „Biopic“ über Nelson Mandela (gespielt von Morgan Freeman), erzählt die Geschichte von der Entlassung Nelson Mandelas nach beinahe 30 Jahren Haft aus dem Gefängnis, seiner Wahl zum Präsidenten und insbesondere seiner „populistischen“ Politik am Beispiel des Rugby World Cup 1995, der in Südafrika ausgetragen wurde. Am Ende feiern Schwarze und Weiße gemeinsam den überraschenden Sieg der südafrikanischen „Springboks“. Als Biopic freilich lässt sich der Film nicht angemessen verstehen. Das Buch Playing the Enemy: Nelson Mandela and the Game That Made a Nation (John Carlin, 2008) wird als Vorlage für ein Doku-Drama verwendet, das in verschiedener Hinsicht als politische Intervention zu analysieren ist.

Aber zunächst zum Film: Bei jedem historischen Film, besonders jedoch wenn ein zeitgeschichtliches Ereignis der Gegenstand ist, wird der Plot durch bekannte Fakten vorstrukturiert. Der Film wurde in Südafrika und so weit wie möglich an Originalschauplätzen gedreht. Glaubt man den Darstellungen zu „The Making of ...“, wurden allerlei Anstrengungen unternommen exakt nachzustellen, wie etwa das Büro von Mandela oder das Stadion seinerzeit ausgesehen haben. Den „Kampftanz“ („Maori War Dance“), den die neuseeländische Mannschaft („All Blacks“), der Gegner im Finale, vor dem Spiel aufführten, haben die Darsteller einstudiert.1 Matt Damon wurde beim seinerzeitigen Kapitän der Mannschaft, Francois Pienaar, vorstellig und soll verunsichert gewesen sein, ob es ihm gelingen würde, einen (körperlich) so großen Mann zu spielen. Die Trikots, wie sie die Mannschaften 1995 getragen haben, wurden extra angefertigt. Mandelas Wohnhaus steht für Außenaufnahmen zur Verfügung, seine frühere Gefängniszelle sogar für Innenaufnahmen.

Die „Springboks“, das wird den Zuschauern erklärt, sind ein Überrest aus dem Apartheid-Regime, eine weiße Mannschaft in einer weißen Sportart, der die Schwarzen jede Niederlage wünschen – Mandela hat mit dieser Haltung die Aufseher im Gefängnis geärgert. Nur die Intervention von Mandela verhindert, dass ANC und Sportministerium ihren Beschluss durchsetzen, den Namen und die Farben von Trikot sowie Vereinsfahne zu verbieten. Mandela hat längst andere Pläne. Ihm bietet das Sportereignis die Gelegenheit, in einer rassistisch gespaltenen Gesellschaft seine Politik der Versöhnung öffentlich zu propagieren. Dass es um „Nation-Building“ geht, daraus wird kein Hehl gemacht. Dazu weiß er ganz genau, was es heißen würde, den Weißen ihren Sport zu nehmen. Eindrucksvoll schildert er, wie er im Knast und in einer Position der Ohnmacht gezwungen war, sich in die Aufseher hineinzudenken. Umgekehrt ist ein solches Kennenlernen nicht notwendig. In dieser Situation der Schwäche lernt man zu verstehen, wie die Herrschenden funktionieren. Dieses Wissen ist Mandela jetzt nützlich. Zum Endspiel wird Mandela in diesem grün-goldenen T-Shirt mit einem applizierten Springbock und der dazugehörigen Baseball-Mütze erscheinen und schließlich Pienaar den Pokal überreichen – auch das historisch verbürgt. Unter den Zuschauern schwenken viele die Anti-Apartheid-Regenbogen-Fahne des „neuen“ Südafrika, einige Weiße allerdings auch noch die Fahne der „Springboks“ – sie werden die neue südafrikanische Nationalhymne nicht mitsingen können, die die Mannschaft auf Initiative von Pienaar, wenn auch nach zunächst heftigem Protest schließlich doch intoniert. Das Spektakel endet mit einer großen gemeinsamen Siegesfeier in den Straßen der Stadt: Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, Polizisten und Straßenjungs fallen sich in die Arme.

Obwohl notwendig um „Authentizität“ bemüht, ist „Invictus“ ein Spielfilm und lässt daher in Einzelheiten Platz für dramaturgische Einfälle. Für Pienaar wird das Entgegenkommen des Präsidenten zum Bildungsroman: Ein wortkarger und politisch nicht sonderlich interessierter junger Mann wird mit den Erfahrungen eines Schwarzen konfrontiert. Mandela schenkt ihm das Gedicht eines britischen Poeten, das trotzig erklärt, wie das lyrische Ich selbst unter widrigen Umständen unbesiegbar und unerschrocken blieb. Es erzählt davon, man dürfe sich nicht unterwerfen und sei „Herr seiner Seele“ („Captain of my soul“). Der Titel dieses Gedichts von William Ernest Henley aus dem Jahr 1875 wird für den Film übernommen: „Invictus – Unbezwungen“. Mit der großen Geste, vor der Weltmeisterschaft dieses Gedicht dem Captain der Mannschaft als Geschenk zu überreichen, wird das Überleben im Gefängnis und der Wunsch, einen Sport-Wettbewerb zu gewinnen, analogisiert. (Man muss das Gedicht deshalb noch nicht mögen.)

Pienaar besucht mit seinem Team das Gefängnis, in dem Mandela eingesperrt war. Seine Kumpels schätzen das als Alternative zum harten Training, auch weil ihre Frauen zu diesem „Ausflug“ eingeladen sind, und konsumieren ihn touristisch. Pienaar begibt sich in die Zelle, erforscht mit seinem Körper die Ausmaße dieses „Lochs“ und stellt sich Mandelas Leben dort vor. Und er verteilt den Text der neuen, südafrikanischen Hymne an seine Mannschaft mit der Bitte, nicht nur diffuse Lippenbewegungen zu machen, sondern sie tatsächlich zu singen. Sie zerknüllen die Zettel, werden aber schließlich beim Endspiel den Text beherrschen und lautstark singen. Pienaar ist die Figur, an der gezeigt wird, dass Anti-Rassismus ein Lernprozess ist.

Zu den interessanteren dramaturgischen Einfällen gehört auch die Dynamik, die sich zwischen den weißen und schwarzen Bodyguards des Präsidenten entwickelt. Mandela zwingt sie zunächst zusammen. Als die vier weißen Polizisten das erste Mal auftreten, vermutet der schwarze Chef der Sicherheitsleute den, so wird es dargestellt, einzig denkbaren Grund für ihr Erscheinen und reagiert mit der Frage, ob sie gekommen wären, ihn zu verhaften. Das ist eine der wenigen Szenen, die vorführen, wie präsent die Erfahrungen aus der Zeit der Apartheid sind und wie selbstverständlich sie daher auch soziale Beziehungen prägen, genauer: die zwischen Weißen und Farbigen verhindern. Dass sie trotz gegenseitigem Misstrauen dann doch zusammenarbeiten können, ist allein der Loyalität geschuldet, die beide Gruppen dem Präsidenten entgegenbringen. Aus ihren anfangs bösartigen und verächtlichen Kommentaren, mit denen sie sich gegenseitig ärgern, werden freundschaftliche, fast liebevolle Sticheleien.

Was sich an diesem Beispiel als gelungene Inszenierung herausstellt, könnte man insgesamt auch als „Schwäche“ des Films einordnen. Es werden einige Vorbehalte gegen die Politik von Mandela angedeutet. Der rassistische Vater von Pienaar fürchtet um die Positionen der Weißen, kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass die vierte Eintrittskarte für das Endspiel, die der Sohn seiner Familie schenkt, für die schwarze Haushälterin sein soll, geht dann aber doch so selbstverständlich mit ihr ins Stadion, als hätte es nie einen Rassismus gegeben. Brenda Mazibuko (Adjoa Andoh), die engste Mitarbeiterin von Mandela, hält Rugby für unbedeutend und schätzt den Einsatz Mandelas für die „Springboks“ als Provokation der Schwarzen ein. Sie wird beim Endspiel mitfiebern. Die kleinen Jungen in den Townships bewundern zwar vor allem den einzigen schwarzen Rugby-Spieler in der Mannschaft, lassen sich aber vom Team die Grundregeln beibringen und spielen ausgelassen mit ihnen. Die weißen Polizisten vor dem Stadion versuchen zuerst noch einen schwarzen Jungen, der sich in ihrer Nähe herumtreibt, zu verscheuchen, dulden dann aber doch, dass er das Spiel an ihrem Autoradio mithört und heben ihn nach dem Abpfiff aus lauter Freude hoch. Es gibt im ganzen Film keine Rückblicke auf das Apartheid-Regime2 und keine rassistischen Ausbrüche – weder solche der Weißen noch gar der Schwarzen. Was als Politik der Versöhnung angetragen wird, schlägt umgehend auf gesellschaftliche Praxis durch. Das kann einem ein bisschen dick aufgetragen vorkommen.

Wenn man nicht gerade zum Präsidenten gewählt worden ist und aus unterschiedlichen Gründen, nicht zuletzt aus politischer Klugheit weiß, dass Politik nicht darin bestehen kann, den Spieß umzudrehen, ist eine andere Haltung als die der Versöhnung naheliegend: „Jenseits von Schuld und Sühne“ unversöhnlich zu bleiben. Damit muss nicht Rache gemeint sein, es muss nicht einmal ausgeschlossen sein, dass man einer Versöhnungs-Politik auch zustimmt, jedenfalls nichts dagegen unternimmt, aber doch individuell darauf besteht, niemals zu vergessen oder gar zu verzeihen. Eine solche Figur als Kontrast zu Mandela zu erfinden, wäre leicht möglich gewesen: vom Zellennachbar, der Mandela nie kennengelernt hat, über die Tochter, die in „Invictus“ als ziemlich unpolitisch dargestellt wird (was kurios ist, weil Eastwood mit Vater/Tochter-Verhältnissen viel anfangen kann, und ist daher wohl historischer Genauigkeit geschuldet), bis zu einem Intellektuellen, der seine Autobiographie schreibt. Es kann hier nicht darum gehen, einen anderen Film zu entwerfen, aber es ist doch darauf hinzuweisen, dass an staatstragende Großpolitik sehr spezifische Anforderungen gestellt werden, wie Vergangenheit bearbeitet werden kann. Das Militär und die Wirtschaft, das wird im Film explizit gesagt, werden nach wie vor von weißen Eliten dominiert, eine Politik der Rache hätte einen Bürgerkrieg, wenn nicht einen Staatsstreich provoziert. Von den Weißen korrumpiert zu werden, ist die wahrscheinlichste Lösung in solchen Situationen. Mandelas Weg war ungewöhnlich genug, zum Vorbild für den „gemeinen Mann“ muss er deshalb nicht stilisiert werden. Weil alle Protagonisten im Kleinen einüben, was Mandela im Großen vormacht, wird „Versöhnung“ zur aufgedrängten Doktrin.3

Dazu wird unterstellt, Anti-Rassismus sei allein eine Frage des guten Willens. Apartheid heißt aber nicht zuletzt, die körperliche Abneigung, die Rassisten vor Zugehörigen einer anderen „Rasse“ verspüren, institutionell abzusichern: Ein Weißer muss sich nicht in einen Bus setzen, den vor ihm ein Schwarzer benutzt hat. Dass sich daher alle gleich umarmen, nur weil ein Präsident Versöhnung predigt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Selbst wenn ein Rassist intellektuell einsichtig ist, ist allenfalls von ganz vorsichtigen (körperlichen) Annäherungen auszugehen. Die Bodyguards reichen sich nach dem Sieg gerade mal die Hand, alle anderen haben keine Scheu vor großer körperlicher Nähe. Die Idealisierung, die der Film darstellt, macht, was tatsächlich eine Revolutionierung der Gesellschaft bedeutet, zur Frage eines humanistischen Präsidenten, dessen Freundlichkeit zur Nachahmung empfohlen wird. Dieses Thema der Körperlichkeit wird in dem Film aufdringlich in der Sportart Rugby dargestellt: Außer Ringen fällt einem nicht schnell eine Sportart ein, in der mehr an engstem Körperkontakt zwischen harten Männern stattfindet. Weil das Thema des Films Körperlichkeit ist, fällt besonders auf, wie leicht und schnell körperliche Distanz überwunden wird.

Aber tatsächlich lässt sich dieser Film nicht verstehen, wenn man ihn nicht als politisches Statement begreift. Unter kulturindustriellen Bedingungen und aus US-amerikanischer, besonders aber aus europäischer Perspektive liegt es nahe, den Film als Kommentar zur Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2010 zu interpretieren. Auch und weil es dieses Mal der Sport der Schwarzen ist, der im Mittelpunkt steht, soll es darum gehen, das Ereignis gemeinsam und freundlich miteinander zu begehen. Das kann man als Appell an die Weißen deuten, die Freude und Begeisterung ihrer farbigen Landsleute zumindest zu respektieren, noch besser: sich dafür einnehmen zu lassen und gemeinsam zu feiern. Auch in Südafrika, so wird den Sport- und Partybegeisterten in Europa nahegelegt, kann es möglich sein, ein soo schönes Fußballfest wie das „Sommermärchen 2006“ zu veranstalten.4 Die beiden gewonnenen Rugby-Turniere (der im Film dargestellte Erfolg von 1995 ließ sich schon 2007 wiederholen) haben schließlich gezeigt, dass eine Nation bei sportlichen Großspektakeln zusammenwächst und „freundlichen Nationalismus“ statt Rassenspaltung demonstriert.

Entscheidender ist, was diese Hommage an Nelson Mandela und dieser sehr optimistische Film als Kommentar zur gegenwärtigen Situation in Südafrika bedeutet. Seit der Präsidentschaft Mandelas sind mehr als zehn Jahre vergangen. Seine Politik der Versöhnung beruhte notwendig auch auf Zugeständnissen an die weiße Elite: Die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse wurden nicht „angetastet“, wie es so schön heißt. Das wird nicht allen gefallen haben. Ein Infrastrukturprogramm, das den Armen ein besseres Leben ermöglichen sollte – Hunger, Wohnungsnot, Gesundheit – macht aus Slums nicht in kurzer Zeit „blühende Landschaften“, um es euphemistisch mit einem deutschen Bonmot auszudrücken. Für die meisten hat sich ihr Leben kaum verändert. Der Fortschritt wird also vielen nicht unmittelbar evident gewesen sein. Gegen solche Einwände wird Mandelas Politik verteidigt. Das ist eine Verteidigung der Demokratie. Die Idee, „eine Person – eine Stimme“ wurde um den Preis durchgesetzt, auf eine Verstaatlichung der Industrie zu verzichten. Mandelas Politik mag die Hoffnungen der Schwarzen nicht erfüllt haben, sie wird im Film als besonnene Reaktion dargestellt, mit der es gelungen ist, einen Bürgerkrieg zu verhindern.

Für Wirtschaftsreformen waren die 1990er Jahre ohnehin ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. In den westlichen Industrienationen wurde Neoliberalismus installiert. Nach dem Ende der Apartheid und den damit verbundenen Embargos wollte man auf dem Weltmarkt „mitspielen“. Sofortkredite wurden gebraucht, die IWF und Weltbank an Bedingungen knüpften. Im Film wird angesprochen, dass Mandela bemüht war, ausländischen Investoren attraktive Gelegenheiten zu bieten. Dass Politiker das als Chance sehen, Wirtschaftswachstum und damit Arbeitsplätze zu schaffen, ist keine ungewöhnliche Position – auch wenn inzwischen bekannt ist, dass das Eine mit dem Anderen nichts zu tun haben muss. Insgesamt fällt auf, dass man über die wirtschaftliche Situation des Staats, aber auch die materielle Lebensweise der kleinen Leute, der armen Schwarzen im Film kaum etwas erfährt. Seit Adorno wissen wir, dass Kapitalismus in Filmen schwer darstellbar ist. Und Eastwood ist nicht Brecht, könnte man hinzufügen. Eastwoods Interesse gilt den politischen Veränderungen.

Die Erinnerung an Mandelas Politik ist aber auch an den inzwischen von Macht-, wie Anpassungskämpfen geschwächten ANC und den gegenwärtigen, einerseits populären und andererseits (auch und vor allem im ANC) umstrittenen Präsidenten Jacob Zuma adressiert. Zuma musste und konnte, obwohl es Stimmen gibt, die das für „italienische Verhältnisse“ halten, einen Korruptionsverdacht abwehren und gehört dem „radikaleren“ Flügel an. Er setzt auf personalisierte Macht und spielt zugleich auf der „Klaviatur der Afro-Tradition“. Auch sein „Marxismus“ muss daher als Teil dieser populistischen Politik gesehen werden.5 Zuma gilt als Gegenkandidat von Mbeki und damit jedenfalls als Bruch mit der Politik, die Mandela in Zusammenarbeit mit Bischof Desmond Tutu (der Vorsitzende der „Wahrheitskommission“) etablierte.

Dazu kommt, dass schon unter Thabo Mbeki nicht mehr die Idee von „Ein besseres Leben für alle!“ dominierte. Vielmehr sollte mit „affirmative action“-Programmen eine einflussreiche schwarze Mittel- und Oberschicht aufgebaut werden. Das richtete sich einerseits gegen die Weißen, vor allen Dingen aber gegen die schwarze Unterschicht, die man bereit war „abzuhängen“. Und es wurde ihm vorgeworfen, sich zu sehr an den nördlichen Industriestaaten zu orientieren und die dringenden heimischen Probleme zu vernachlässigen.

„Invictus“, wollte man die beste Lesart des Films forcieren, hält ein Plädoyer für eine integrative Minderheitenpolitik. In einem Land, das von Kolonialismus und Apartheid geprägt ist, gibt es weniger Richtungs- als vielmehr Gruppenwahlen. Sicher hat die Gruppenzugehörigkeit auch eine Klassenkonnotation, aber die hierzulande etablierte repräsentative Demokratie kann dort nicht als Modell fungieren. Eine Regenbogen-Nation kann nur dann politisch stabil werden, wenn den Minderheiten Partizipation ermöglicht wird. Daher wäre umgekehrt zu fragen, was Einwanderungsländer wie die USA und besonders Deutschland von Mandelas Politik lernen können.

Clint Eastwood, dem häufig das merkwürdige Kunststück gelingt, Populismus aus der Perspektive des „kleinen Manns“ darzustellen, inszeniert auch in „Invictus“ Populismus als eine Politikform, die gelingen kann.6 Sport mag in Südafrika stärker politisch akzentuiert sein als hierzulande, zugleich wird aber betont, dass Mandela, indem er ein Sportereignis zur Chefsache macht, Nation-Building betreiben kann, ohne Feindbilder – weder „oben“ noch „unten“ – konstruieren zu müssen. Wenn man das mit der „klassischen“ populistischen Situation kontrastiert, das Herstellen von Nationalismus und Volksgemeinschaften als Mobilmachung für einen Krieg, dann bestand das große Geschick Mandelas darin, den Sport der weißen Minderheit und Oberschicht zu respektieren, ihnen aber abzuverlangen, sich als Repräsentanten des neuen Südafrika zu verstehen und also auch die schwarze Mehrheit und Unterschicht am Spektakel teilhaben zu lassen. Dieser Film ist an die Weißen adressiert, die an die Zugeständnisse erinnert werden, die ihnen gemacht wurden. Wenn man einbezieht, dass sich Südafrika nach dem Apartheid-Regime als Vielvölkerstaat konstituiert hat, ist das ein Populismus, der weniger die Einheit der Nation als die Vereinigung einer gespaltenen Gesellschaft intendiert. Das hat mit nachhaltiger Politik sicher nicht viel zu tun, stellt aber immerhin eine gemeinsame Erfahrung her.

P.S. Hollywood schätzt es, wenn in Biopics die Schauspieler den „Helden“, die sie darstellen, ähnlich sehen: dann wird es Oscar-verdächtig. Morgan Freeman hat keinerlei Anstrengungen unternommen, das auch nur zu versuchen. Er schauspielert, indem er den denkbar unwahrscheinlichen Typ eines Politikers in Szene setzt: einen freundlichen Humanisten, der machtpolitisch agiert. Abgesehen davon, dass in der Klatsch-Presse kolportiert wird, Mandela und Freeman seien befreundet und Mandela habe gutgeheißen, von Morgan Freeman gespielt zu werden, ist Eastwood damit die perfekte Besetzung der Hauptrolle gelungen. Für eine Nominierung hat das gereicht, nicht aber für einen Oscar.

Anmerkungen

  1. Die neuseeländische Mannschaft gilt als Favorit. Mit dem „Kriegstanz“ wird ihre Stärke vorgeführt. Interessant ist die Interpretation von Amy Davidson: Die Neuseeländer seien auch deshalb ein so starkes Team, weil sie ihre indigenen Traditionen und ihre ethnische Vielfalt einbeziehen. Auch in der Besprechung in Die Presse wird erwähnt, dass Neuseeland „anders mit der Nationalkultur seines indigenen Volks umging“. Die TAZ weiß, dass die „All Blacks“ von einer seltsamen Lebensmittelvergiftung geschwächt gewesen seien, was im Film verschwiegen würde. Insgesamt fällt an den Kritiken auf, dass sie „Invictus“ als Verfilmung einer historischen Episode und als politisch korrekte Hommage an Mandela verstehen, aber mit der für die Gegenwart relevanten politischen Dimension des Films nichts anfangen können. Im Tagesspiegel heißt es explizit, dass sei „kein politischer Film“, die Neue Zürcher Zeitung akzentuiert „Eastwoods Faible für moralisch unanfechtbare Männertypen“, die TAZ weiß, dass „Komplexitätsreduktion und Schlichtheit“ Eastwoods Film auszeichnen. In der Besprechung in der FAZ wird ein Detail erwähnt: Mandela streicht seine Bettdecke glatt, die Erfahrung im Gefängnis sei ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Es sind solche kleinen Sequenzen, die den Figuren ihre Geschichte geben. In fast allen Besprechungen wird hervorgehoben, dass Freeman Mandela zum Verwechseln ähnlich sehe: Mimik, Gesten und Akzent würden perfekt nachgestellt. Man muss nicht soweit gehen zu sagen, dass für den weißen Rezensenten ein Schwarzer halt aussieht wie jeder andere Schwarze auch, aber Freeman, so meine Interpretation, hat sich zurecht nicht bemüht, Mandela ähnlich sehen zu wollen. Die erwähnten Kritiken sind nachlesbar unter www.film-zeit.de.Zurück zur Textstelle
  2. Allenfalls den Anfang könnte man so verstehen: Schwarze Buben rennen hinter einem Fetzenball her und spielen Fußball, die weißen spielen Rugby und wissen nicht, wer Mandela ist, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Der Trainer belehrt sie: Er sei ein Terrorist, Südafrika werde jetzt vor die Hunde gehen. Zurück zur Textstelle
  3. Institutionell abgesichert war diese Politik der Versöhnung durch die Truth and Reconciliation Commissions. Bei politisch motivierten Verbrechen während der Zeit der Apartheid war eine Amnestie möglich, wenn öffentlich gestanden wurde, die Opfer wurden entschädigt. Ziel war also nicht zuallererst Bestrafung, sondern Aufklärung und ein Dialog zwischen Opfern und Tätern. Dass Amnestie-Gesuche abgelehnt wurden, war aber wohl eher die Regel als die Ausnahme. Zurück zur Textstelle
  4. Die Fußball-Weltmeisterschaft, die 2006 in Deutschland ausgetragen wurde, hat diese Norm des „Sommermärchens“ gesetzt. Dass sich der mit solchen Sport-Ereignissen verbundene Nationalismus als „Partyotismus“ beschreiben ließ und das von ausländischen Beobachtern geduldet bis geschätzt wurde, kam sehr gelegen: Schließlich geht es hierzulande um eine Historisierung des Nationalsozialismus. (Vgl. dazu ausführlicher: Torsten Heinemann und Christine Resch, Hg., 2010, (K)ein Sommermärchen: kulturindustrielle Fußball-Spektakel. Münster) Aus deutscher und österreichischer Sicht ist dieser Film damit auch ein Kommentar zur Aufarbeitung ihrer Nazi-Vergangenheit: „Wahrheitskommissionen“ gab es hier nicht, aber umgebracht hat man die „Mitläufer“ auch nicht. Viele Ober-Nazis konnten ihre Positionen freilich sehr wohl behalten, und das hat man ihnen nicht gerade schwer gemacht. Zurück zur Textstelle
  5. Ich danke Uta Ruppert für Hinweise, wie kritische südafrikanische Intellektuelle Zumas Politik einschätzen.Zurück zur Textstelle
  6. Zur Analyse von Populismus als Politikform vgl. Heinz Steinert: Kulturindustrielle Politik mit dem Großen & Ganzen: Populismus, Politik-Darsteller, ihr Publikum und seine MobilisierungZurück zur Textstelle
© links-netz März 2010