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Postscriptum:
Kein Oscar für Gangs of New York

Christine Resch

Dass man Scorseses Epos Gangs of New York in Hollywood nicht mögen würde, war nicht schwer zu erraten (vgl. die Besprechung in links-netz, auf die sich dieses Postscriptum bezieht). Den Film bei der Oscar-Verleihung ganz zu übergehen, ist aber doch ungehörig und erklärungsbedürftig. Trotz der Oscar-Nomierung in vielen Kategorien, unter ihnen die „Königsdisziplinen“ „bester Film“ und „Regie“, erhielt Gangs of New York nicht einmal einen Trostpreis: „Kamera“ wäre naheliegend gewesen, die Konkurrenz als „bester männlicher Hauptdarsteller“ hätte Daniel Day-Lewis gegen Adrien Brody, den Hauptdarsteller in Der Pianist, durchaus gewinnen können. Es ist andererseits auch niemand verwundert, dass Chicago bei dreizehn Nominierungen sechs Oscars erhalten hat, unter ihnen völlig zurecht Martin Walsh für den „Schnitt“, Catherine Zeta-Jones war für die „beste weibliche Nebenrolle“ nominiert und hat gewonnen. Auch die Auszeichnung „bester Film“ ging erwartungsgemäß an Chicago, die „beste Regie“ dagegen an Roman Polanski für Der Pianist. Als besten ausländischen Film zeichnete die Academy Nirgendwo in Afrika aus: ein Holocaust-, vor allen Dingen aber ein Flüchtlings-Drama, Made in Germany. Caroline Link hat den autobiographischen Roman von Stefanie Zweig verfilmt. Dass Michael Moore für seinen Dokumentarfilm Bowling for Columbine geehrt wird, war nicht ganz leicht vorsehbar und ist auch widersprüchlich. Dazu später.

Mit Chicago, der Verfilmung eines am Broadway erfolgreichen Musicals, feiert sich Hollywood und die gesamte Kulturindustrie selbst: perfekte Technik, aufwendige Ausstattung, swingende Musik und schöne, halbnackte Frauen, die ein aufregendes Prominenten-Leben führen. Das Ganze spielt in den 20er Jahren in Chicago und wie immer, wenn die 20er Jahre erinnert werden, wird auch hier die Zeit als verruchte, unterkühlt erotische verklärt.

Gegen den Film ist nicht viel einzuwenden: das ist ehrliche Unterhaltung. Selbst Richard Gere, der einen schmierigen Star-Anwalt spielt, ist keine Fehlbesetzung (nur singen und tanzen hätte er vielleicht nicht selbst müssen). Die Kritik an Kulturindustrie, die der Film durchaus auch enthält, wird freundlich, nämlich singend und tanzend präsentiert: In der Schluss-Szene richten die beiden Damen Gewehre auf das Publikum, das Lied handelt von den Morden an den Männern, die sie begangen haben. Indem einen Moment lang auf uns gezielt wird, werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Inhalt gleichgültig ist, wenn die Show gut ist, das wir auf die angebotenen Interaktionen reagieren: Der Film macht „gute Stimmung“.

Es wird uns vorgeführt, welche Tricks die Stars einsetzen, um prominent zu werden. Hollywood ist nicht naiv und Kulturindustrie längst selbstreflexiv. Chicago ist ein Film über Hollywood, über das aufregende, schöne, frivole Hollywood. Der Film suggeriert nicht, darüber hinaus irgendeinen Sinn zu haben. Wer auf die Tricks ganz reinfällt, wird lächerlich gemacht, wie der naive und gutgläubige Ehemann von Roxie Hart. Es ist somit auch kein Film über Mörderinnen, die ungestraft davonkommen. Es ist einfach nur Promi-Klatsch, ein Film über Stars, die ihr Bestes zu unserer Unterhaltung geben – Hollywoods Lieblingsthema und damit eine von zwei möglichen Voraussetzungen, die viele Oscars wahrscheinlich machen.

Die zweite Möglichkeit, das zu erreichen, ist es, einen sehr sinnhaften, hochmoralischen, einen politisch völlig korrekten Film zu machen: Der Pianist ist das diesjährige Beispiel dafür. Dieser Film ist so prädestiniert dafür, dass er den Oscar für die „beste Regie“ bekommen hat, obwohl Polanski in den USA wegen angeblicher „Vergewaltigung einer 13jährigen“ verfolgt wird und klugerweise auch nicht eingereist ist.

Der Film wird uns als die authentische Geschichte des jüdischen Musikers Wladyslaw Szpilman verkauft, der den Holocaust überlebt hat – ein deutscher Offizier hat ihm das Leben gerettet. Das mag auch alles so gewesen sein, aber wie bei allen Geschichten über Überlebende wird das zur Verharmlosung, wenn sie zur exemplarischen Erzählung stilisiert werden. Es gibt nur eine Geschichte, die exemplarisch für die Shoah erzählt werden kann, die des zuerst Entmenschlicht- und dann Umgebracht-Werdens. Auch Szpilman wird entmenschlicht, aber er wird nicht zur „Kreatur“, er wird zum „Heiligen“ gemacht: Auf der Flucht, im Versteck, schon fast verhungert, durchgefroren und verwahrlost, beeindruckt er den Nazi durch sein virtuoses Klavierspiel, das durch das Fenster einfallende Licht umgibt seinen Kopf mit einem Heiligenschein. Diesen begabten Künstler muss der Nazi einfach retten.

In diesem Film werden alle bekannten Film-Bilder über die Schrecken der Nazi-Zeit reproduziert, ganz so als wäre es der allererste Film zu diesem Thema. Selbst die Peinlichkeit, dass Szpilman bei der Befreiung den Mantel des Nazi-Offiziers trägt und beinahe verwechselt und erschossen wird, wird uns nicht erspart. Der polnische Anti-Semitismus wird (in einer der wenigen Szenen, die emotional bedeutsam sind und nachdenklich machen) nur kurz angedeutet, in einem politisch korrekten Holocaust-Drama darf er nicht thematisiert werden. Nach der Befreiung trifft Szpilman die meisten seiner Freunde wieder und spielt Klavier, wie zu Anfang auch – ganz so als wäre nichts gewesen. Ein großer Künstler hat mit Hilfe eines deutschen Offiziers überlebt und alle sollen traurig sein, dass es Spzilman nicht gelingt, diesem großherzigen Deutschen mit Kunstverstand zu helfen und ihm die Gefangennahme durch die Russen zu ersparen.

In diesem Film stimmt alles: Spzilman ist moralisch integer, lässt sich in der Not nicht dazu korrumpieren, für die jüdische Polizei und als Handlanger der Nazis zu arbeiten, und er ist ein Genie – mit einem Wort, er ist ein „unschuldiges Opfer“, noch dazu ein talentiertes und verdient es daher wirklich, gerettet zu werden. Die Nazis sind furchterregend und bösartig, aber in Gestalt des Offiziers dann doch vor allem große, stolze, faszinierende Männer mit dem Herz am rechten Fleck. Und die ganze Nazi-Zeit war ein großer Spuk, der dann aber auch wieder vorbei ist. Im politisch korrekten Film wird alles entpolitisiert und in persönliche Schicksale verwandelt.

In Nirgendwo in Afrika ist das auch so: eine Familiengeschichte über die Widrigkeiten des Lebens jenseits der Heimat. Besonders die Frau muss mühsam lernen, dass sie keine Kolonialherrin ist. Going native ist die angemessene Haltung, die von der kleinen Tochter repräsentiert wird. Am Ende kehren sie glücklich nach Deutschland zurück, mit kleinen Ängsten vor den Mördern ihrer Eltern und großen Ambitionen, beim Aufbau der Demokratie behilflich zu sein – das alles mit Druck auf die Tränendrüse inszeniert.

Aber Hollywood will sich nicht vorwerfen lassen müssen, politisch unbedarft zu sein, nur dem Glamour zu huldigen. Selbstverständlich wurde diskutiert, ob die Oscar-Verleihung wegen des Krieges ausfallen soll. Man hat darauf verzichtet, auf dem roten Teppich zu defilieren, wie es hieß, und viele Preisträger haben die Gelegenheit genutzt, in ihrer Rede zu betonen, dass Krieg keine Lösung sei. Das war die eindeutige politische Norm: Künstler gegen den Krieg.

In diese Situation passt es, dass Michael Moore die Auszeichnung für Bowling for Columbine erhält. Man konnte wissen, dass Moore Bush jr. beschimpfen würde und das hat er auch getan. Unter anderen Bedingungen wäre man über diesen beachtlichen Dokumentarfilm vermutlich weniger erfreut. Ganz bemerkenswert die Vorstellung des Films: Moore habe einen Dokumentarfilm gemacht, in dem er selbst Teil der Geschichte sei. Das ist eine Umschreibung für Selbstreflexivität. Auch wenn wir darauf trainiert sind, einen Dokumentarfilm an verwackelten mit der Handkamera aufgenommenen Bildern, abfotografierten Dokumenten, die in schwarzweiß gezeigt werden, zu erkennen, so ist doch Selbstreflexivität (als Rekonstruktion der Situation, die diese Perspektive auf „Wirklichkeit“ hervorbringt) und nicht ein pseudo-objektiver Bezug auf die wirkliche Wirklichkeit das Bestimmungsstück, das eine Dokumentation auszeichnet. Das war sicherlich nicht das Kriterium für die Oscar-Verleihung, aber strenggenommen war Bowling for Columbine vermutlich konkurrenzlos, hat als einziger Film dieses anspruchsvolle Kriterium einer Dokumentation erfüllt.

Moore ironisiert darin alle gängigen Erklärungen, wieso Leute und besonders Jugendliche gewalttätig werden. Der Aufhänger ist ein Amoklauf von Jugendlichen: an der Columbine Highschool 1999. Vor dem Massaker waren die Amokläufer beim Bowling. Nachdem er vorgeführt hat, dass weder Eltern noch Lehrer noch der Konsum von Videofilmen und -spielen „Schuld“ an den Schießereien haben, muss es am Bowling liegen, dass die Kinder mordlüstern gemacht hat. Das ist die satirische Bearbeitung aller kulturindustriellen Diskurse ohne ernsthaft eine andere Begründung anzubieten. Schon das haben wir nicht so gerne. Kulturindustrie verlangt nach dem Positiven, nach rechthaberischen Positionen, die sich gut eignen, um sie der Konkurrenz um die Ohren zu schlagen. Und obwohl er auch die These, dass Waffenbesitz dazu führe, dass Waffen auch benutzt würden, sofort wieder torpediert, klagt er doch die Waffenindustrie hart an. Hier ergreift Moore deutlich Partei und führt diejenigen, die Geschäfte damit machen, gnadenlos vor – unter ihnen Charlton Heston, der sich mit reaktionären Sprüchen hervortut. Aber damit nicht genug: Während Moore zwar nachdrücklich, aber sachlich nachfragt, kommt Heston deutlich in Argumentationsnotstände und wird als unterlegen, im Unrecht vorgeführt. Der große Hollywood-Schauspieler und Oscar-Preisträger (1959 für seine Rolle in Ben Hur) wird uns hier als „Schwein“ und Verlierer präsentiert. Das macht die Oscar-Auszeichnung erstaunlich, obwohl der Film und Michael Moore so gut geeignet waren, dem politischen Touch, den man haben wollte, Nachdruck zu verleihen.

Wenn man das zusammenfasst, gibt es zwei Geschichten, die Hollywood hochschätzt:

1) Geschichten über Hollywood – auch Adaption, die Geschichte eines Drehbuchautors, wurde mit einem Oscar bedacht. Woody Allens Hollywood Ending war freilich überhaupt nicht nominiert: Geschichten über Hollywood werden nur dann ausgezeichnet, wenn sie zur Selbstbeweihräucherung geeignet sind. (Kathy Laster und Heinz Steinert haben die Grenzen von Hollywoods Wertschätzung für diese Art von Erzählung am Beispiel von Robert Altmans Gosford Park herausgearbeitet. Vgl. dazu Wespennest 127)

2) Schicksals-Tragödien, gerne wahre Geschichten und gerne auch solche über die Nazi-Zeit, in denen der Glaube an das Gute im Menschen inszeniert wird. Man kennt das zwar von den USA, aber wie häufig und selbstverständlich in den Dankesreden „God bless America“ oder Aufrufe zum Gebet vorkamen, ist auf dieser Seite des Atlantik dann doch aufgefallen. Michael Moore hat dieses Jahr gepasst, weil erschwerend dazu kam, dass sich Hollywood zum Krieg positionieren und unbedingt dagegen sein wollte. Georg Seeßlen (Die Zeit, Nr. 13, S. 42) hat sich geirrt, wenn der als Beleg, dass der Oscar seine politische Unschuld verloren habe, behauptet, die Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich allzu eindeutig gegen Präsident Bushs Pläne für seinen Irak-Krieg ausgesprochen hätten, seien gar nicht eingeladen worden.

Hollywood legt Wert darauf, sich als selbstreflexiv und als politisch korrekt darzustellen. Ein politischer Film wie Scorseses Gangs of New York passt in keine der beiden Groß-Kategorien. Auch er bezieht sich selbstreflexiv auf Hollywood, aber bösartig. Vor allen Dingen aber führt er vor, dass es keine Helden gibt, und dass es nicht das Gute ist, das siegt. Im Gegenteil: Er lässt – das auch im Unterschied zu Michael Moore, der immerhin die Bösen mit Name, Anschrift, Telefonnummer und dieser Tage wohl auch mit e-mail-Adresse benennen kann (die die Herrschenden ja schon auch haben, das soll man nicht ganz vergessen) – die Moral ganz aus dem Spiel und macht uns darauf aufmerksam, wem die gegenwärtigen Politik-Strukturen und Patriotismus nützen: der herrschenden Klasse. Politik ist keine Frage von Moral, auch keine von „schwarzen Schafen“, sondern von Interessen und der dazugehörigen Macht, sie mit Gewalt durchzusetzen. In dieser Erzählung über die Ursprünge der Demokratie wird die strukturelle Herrschaft dieser Politikform analysiert. Für diese Art von politischem Film gibt es keinen goldenen Glatzkopf mit Schwert.

© links-netz April 2003