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Das Volk als Belastung für den Staat oder: Wer lebt hier eigentlich auf wessen Kosten?

Christine Resch

Üblicherweise haben politische Moraldiskurse in den Medien eine kurze Halbwertszeit und ihre Konjunkturzyklen: Erst nach fünf bis zehn Jahren sind sie wieder tau-frisch und können wiederholt werden. Gegenwärtig, und das heißt in der „Wissensgesellschaft“, können sie kumuliert werden. Die Formen von Tugendterror, die sich gegen die „Unterschicht“, gegen das Prekariat richten, sind langlebig und addierbar.

Ob der staatliche und EU-Tugendterror mit dem gesetzlichen Rauchverbot in öffentlichen Räumen wenigstens für dieses Thema beendet ist, ist mehr als fraglich. Wie in der New York Times (May 11, 2007) zu lesen ist, sorgen Anti-Raucher-Gruppen in den USA dafür, dass Filme, in denen geraucht wird, ähnlich wie die, die Sex und Gewalt zeigen, für Jugendliche unter 17 Jahren verboten werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass das auch hierzulande die Diskussion neu entfachen wird.

Wir sollen aber nicht nur vom Rauchen ablassen, sondern auch nicht zu viel fressen. Nicht alles soll freilich verboten werden. Kinderkriegen sollen wir nämlich schon.1 Ursula von der Leyen macht schon seit geraumer Zeit mit dem „Bündnis für Erziehung“ Öffentlichkeitsarbeit, jetzt folgen Ulla Schmidt und Horst Seehofer mit einem „Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlerernährung, Bewegungsmangel und damit zusammenhängenden Krankheiten“. Das „Bündnis für Erziehung“ ist Politik für beruflich erfolgreiche Frauen mit Kindern, inklusive der dazugehörigen Verachtung für die – politisch korrekt gesprochen – negativ Privilegierten; der „Aktionsplan Ernährung“ ist ganz offen Tugendterror gegen Leute, von Journalisten gerne „Kaloriat“ genannt, denen das Leben auch sonst schwer gemacht wird.

Der politische Zynismus besteht darin, dass in allen diesen Kampagnen die Bevölkerung ausschließlich als „Kostenfaktoren“ wahrgenommen wird. Von den schlanken Journalist/inn/en wird der Zynismus gerne aufgegriffen und für Politik in eigener Sache verwendet. Und auch Professoren lassen sich gerne als Politikberater einkaufen und legitimieren – mit wissenschaftlicher Autorität versehen – die moralischen Standpunkte. Der Staat, dessen Aufgabe es eigentlich wäre, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die allen ein gutes Leben ermöglicht, spielt sich stattdessen mit Tugendlehren auf.

Staatlicher Tugendterror

Mit der Kampagne gegen Fettsucht, sollen „schwache Gesellschaftsschichten“ erreicht werden, in denen „Übergewicht besonders verbreitet ist“. (Die Zeit, 10. Mai 2007) Aber wie wissenschaftliche Studien zeigten, erreichten die „Gesundheitsapostel“ eher das Gegenteil: „Allenfalls in der gebildeten Oberschicht können Erziehung und Aufklärung eine bewusste Veränderung bewirken, doch sie bergen die Gefahr einer weiteren Stigmatisierung dicker Menschen.“ Wenn moralische Appelle bei der gegen Aufklärung immunen Unterschicht nicht ankommen, braucht es (schwarzumrandete?) Warnungen: „Wer daran etwas ändern will, der müsste zunächst die meiste Werbung für Lebensmittel verbieten, Snickers und Co. mit Warnhinweisen versehen und mit erhöhten Steuern belegen.“ Das sind schon die progressivsten Einfälle zur Prävention von Übergewicht, die davon ausgehen, dass nicht der Mensch, sondern die Umgebung geändert werden müsste.

Jetzt sind Schmidt und Seehofer natürlich nicht einfach nur tiefbesorgt über den gesundheitlichen Zustand „ihres Volkes“. Auf der politischen Vorderbühne können es beide gebrauchen, ihr Image aufzupolieren. Nach einer gescheiterten Gesundheitsreform ist der Kampf gegen das Übergewicht eine Möglichkeit, doch noch auf diesem Feld zu punkten. Aber dazu muss gerechnet werden und zwar so lange, bis sich daraus ein Argument basteln lässt.2 Bei genauem Hinsehen ist das Argument dann zwar nicht haltbar, aber die Rechenbeispiele sind aufschlussreich, weil sich daran zeigen lässt, wie über die Adressaten des „Aktionsplan Ernährung“ nachgedacht und geredet wird. Da wird erwähnt, dass Übergewichtige die deutschen Gesundheitskassen angeblich mit 20 Milliarden Euro jährlich belasteten, dann wird von einer empirischen Studie berichtet,3 die belege, dass sich kein signifikanter Unterschied in der Höhe der medizinischen Kosten feststellen lasse, die Normalgewichtige im Unterschied zu moderat Übergewichtigen verursachten, erst bei starker Fettleibigkeit stiegen die Kosten sprunghaft an. Dieses Ergebnis ist wahrlich nicht besonders gut geeignet, um aus Dicken „Sozialschädlinge“ (als die sie vielen ihrer Mitmenschen gelten würden, wie in der Zeit behauptet wird) zu machen. Also braucht es eine Modellrechung als Kontrast:

„Man geht von den erhöhten Krankheitsrisiken aus, die Übergewichtige haben, und errechnet dann, wie viele Herzinfarkte es zum Beispiel weniger gäbe, wenn alle Menschen schlank wären. ... Nach der aktuellsten Studie liegen die Folgekosten durch erhöhten Blutdruck, Diabetes, Schlaganfall und Herzinfarkt in Deutschland zwischen 2,7 und 5,7 Milliarden Euro jährlich. Der tatsächliche Wert dürfte noch höher liegen, weil die Autoren nur jene Krankheiten berücksichtigt haben, für die es verlässliche Daten gibt.“

Auch wenn die Schätzungen nicht sehr präzise anmuten, reicht das offenbar aus, dass einzelne Krankenkassen, neuerdings Gesundheitskassen genannt, Bonuspunkte für diejenigen vergeben, die den richtigen BMI (Body-Mass-Index) vorweisen können. Aber auch dafür findet sich ein Gegenargument:

„Außerdem ist es nicht ausgemacht, dass bei einem Volk von Dünnen die Gesundheit insgesamt billiger würde. Auch schlanke Menschen fallen nicht eines Tages kostengünstig tot um. Wer keinen Herzinfakt oder Schlaganfall bekommt, der leidet im höheren Alter dafür vielleicht an Alzheimer oder Krebs und kostet die Gemeinschaft noch viel mehr.“

Das Problem, sofern man die Perspektive des Staates übernimmt, ist sonnenklar: Die Leute sterben einfach nicht gesund (und möglichst kurz vor dem Zeitpunkt, ab dem sie Rente beziehen würden). Stattdessen erdreisten sie sich – die Normalgewichtigen, die moderat Übergewichtigen, die Fettleibigen (und zu Zeiten auch die Magersüchtigen), die Krankenversicherung im Notfall auch in Anspruch zu nehmen. Dass die Alten „unsere Krankenkassen“ mit teuren Operationen und Therapien belasten, wurde uns durch einen „von oben“ initiierten Generationenkonflikt schon vor einigen Jahren beigebracht. Jetzt kommen die Fetten dazu. In Deutschland, so kann man als Resümee ziehen, wird, um die Zuschreibung aufzugreifen, mit der die Zeit-Autorin die Haltung vieler „Mitmenschen“ charakterisiert, ein Volk von „Sozialschädlingen“ regiert.

Nicht nur im Gesundheitsbereich haben wir es mit zynischer Verachtung zu tun, auch in der Arbeitsmarktpolitik wird das Interesse an hochqualifizierten berufstätigen Müttern ganz instrumentell begründet. Berufstätige qualifizierte und damit gut verdienende Frauen sind die Lösung für alle sozialpolitischen und regierungshausgemachten Desaster. Wenn man die „Menschen draußen im Lande“ ausschließlich als Träger von Arbeitskraft versteht, braucht es nur eine zündende sozialpolitische Idee, die sie befähigt, sich selbst durchzubringen. So jedenfalls argumentiert der Soziologe Esping-Andersen, der, wie in Die Zeit (2.10.2003) zu lesen war, Giddens als Professoren-Ratgeber der SPD abgelöst habe. „Ausbau der frühkindlichen Erziehung, Ganztagsbetreuung schon für sehr kleine Kinder, Förderung der Einstellung von Haushaltshilfen, damit Mütter leichter berufstätig sein können“ – Positionen, wie sie von Olaf Scholz, SPD-Generalsekretär, vertreten wurden, beschreibt Elisabeth Niejahr in Die Zeit zugleich als Zusammenfassung der Vorschläge von Esping-Andersen. In einem Interview (Der Standard, Wien, 10./11.3.2007) sagt Esping-Andersen:

„Es ist ein Mythos, der sich leider hartnäckig hält, dass es ein fixes Maß an Arbeitsangeboten in einer Gesellschaft gibt. Das ist nicht der Fall. Ein größeres Ausmaß an qualifizierten Arbeitskräften führt zu mehr Wachstum, Jobs und Chancen. Mit dem Ausbau der sozialen Dienstleistungen würde es aber auch mehr Jobs für niedrig qualifizierte Arbeitskräfte geben – für Pflegehelfer etwa.“

Robert Misik fragt für den Standard nach: „Mit einer solchen Investitionsoffensive ließe sich also jedes Problem lösen?“ Die Antwort ist so einfach wie bestechend:

„Nahezu: Bessere Qualifikation bedeutet mehr Jobs und mehr Beitragszahler für die Sozialversicherungen. Bessere Kinderbetreuungsstätten führen zu mehr Geburten und zu einem besseren Gleichgewicht zwischen Aktivbevölkerung und Rentnern. Und schließlich kann man nur dann, wenn man gut qualifizierte Arbeitnehmer hat, die am Arbeitsmarkt konkurrieren können, erwarten, dass das Pensionsantrittsalter steigt. Das würde wiederum die Rentenkassen entlasten.“

Ist „Sozialtechnokratie“ dafür noch die treffende Bezeichnung? Oder handelt es sich eher um Politikberatung nach dem Modell einer „Milchmädchenrechnung“ mit „Menschenmaterial“?

Ursula von der Leyen begründet ihr „Bündnis für Erziehung“ (Spiegel, 17/2006), und warum sie auf christliche Werte setzt, so:

„Unsere Kinder haben eine Welt mit großen Veränderungen vor sich, sie werden hart arbeiten müssen, sie werden viel Verantwortung für uns, die ältere Generation, übernehmen müssen. Das Rüstzeug dafür geben wir ihnen am Anfang in die Hand.“

Wir lernen: Gezeugt und geboren werden nicht Kinder, sondern zukünftige Arbeits- und Pflegekräfte. Dass sich junge Frauen und Männer angesichts derart zwingender Argumentationen nicht sofort entscheiden, viele Kinder in die Welt zu setzen, ist nicht leicht einzusehen, wird ihnen und der nächsten Generation doch ein so wunderbares Leben versprochen.

Aber nicht nur in der Politik wird öffentlich völlig ungeniert darüber geredet, dass „das Volk“, von dem so getan würde, als seien Politikerinnen dazu da, es möglichst effektiv zu verwalten, durch passende Manipulationen instrumentalisiert werden müsse. Dass die demografische Entwicklung von Journalist/inn/en als attraktives Thema zumindest angenommen, wenn nicht mit hervorgebracht wurde, hat einerseits damit zu tun, dass das PR-Arbeit für die Politik der Familienministerin ist. Das Elterngeld, wie es von der Leyen durchgesetzt hat, ist keine „Kinderprämie“, sondern ein „Lebensstandardsicherungsgeld“ für beruflich erfolgreiche Frauen mit Kindern und damit auch Politik für die Zunft, die darüber berichten soll. Fast allen Artikeln und Büchern zu diesem Thema ist gemeinsam, dass sie günstigere Bedingungen für die gebildete Mittelschicht fordern, deren Frauen es ja auch sind, die Kinder für die „Wissensgesellschaft“ kriegen sollen. Anders formuliert: Diejenigen, die sich lautstark und unermüdlich an diesem Moraldiskurs beteiligen, sind alle in derselben Situation: hochgebildet, im Bewusstsein der post-feministischen Selbstverständlichkeit, dass sich gut ausgebildete Frauen nicht mehr als Arbeitskraftreserve-Armee hin- und herschieben lassen,4 und sie verstehen sich selbstbewusst als „Trägerinnen“ der „Wissensgesellschaft“, auf deren Schultern die Verantwortung für den gesellschaftlichen Wohlstand lastet.

Steuerbegünstigtes Hausfrauen-Shoppen?

Journalistinnen stilisieren sich, um klarzumachen, wie schwer Beruf und Kinder zu vereinbaren sind, zu Opfern der Unterschicht, die auf ihre Kosten lebt.

Wen die „Karrieremütter“, und zwar neben ihrer Doppelbelastung, durchfüttern, dafür finden sich etwa im Buch von Iris Radisch (2007) Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden (München: DVA) einige Beispiele. Von Hausfrauen weiß sie, dass sie täglich im Durchschnitt nur eine Stunde und vierzig Minuten mehr Zeit für die Kinderbetreuung aufbringen als berufstätige Frauen. Sie fragt daher, was die Mamas eigentlich in den anderen sechs bis sieben Stunden so tun, in denen sie selbst, jobbedingt, von ihren Kindern getrennt sei. Diese Zeit werde nicht in eine noch perfektere Haushaltsführung investiert, so zitiert sie aus dem 7. Familienbericht der Bundesregierung, sondern in persönliche Freizeit, in Shoppen und Joggen. Und weiter:

„Ist es denkbar, dass es sich bei dieser in jeder Hinsicht gesellschaftlich unterstützten und (steuer)begünstigten Lebensform gar nicht um den persönlichen Beitrag zum Muttermythos, sondern um eine besonders beneidenswerte Variante der Kaffeehausexistenz handelt? ... Daran finde ich nichts auszusetzen, sollen sich andere um die wirtschaftlichen Folgen dieses aus Steuergeldern finanzierten Müßiggangs Sorgen machen. Besonders Frauen in wenig qualifizierten Berufen ist ein subventionierter Berufsausstieg zu gönnen.“ (108)

Das Risiko der Altersarmut sei zwar unter Hausfrauen besonders hoch, aber den höchsten Preis für das Glück zahlten die berufstätigen Mütter. Kann es sein, dass wir genauestens über durchschnittlich 1,3 Dezimalgespenster-Kinder pro Frau in Deutschland informiert werden, nicht aber über Korrelationen von „beneidenswerten Kaffeehausexistenzen“ (der Oberschicht-nicht-nur-Hausfrauen) und „Altersarmut“ (der Unterschicht-nicht-nur-Hausfrauen)? Dass Radisch unterstellt, dass sie es sein wird, die auch noch für die Unterstützung der von Altersarmut betroffenen Hausfrauen zur Kasse gebeten wird, kann man aufgrund eines zweiten Beispiels durchaus annehmen. Wenn es in einer Zwei-Karrieren-Ehe Kinder gibt, braucht es neben Hortplätzen auch eine Kinderfrau, die sie beide „aus versteuertem Einkommen teuer bezahlen“ müssen:

„So geraten die beiden (ein fiktives Paar, ChR) sehr schnell auf ganz reguläre Weise in die Illegalität. Sie werden eine nette Mittfünfzigerin aus der Nachbarschaft, die bereits Arbeitslosengeld aus ihren gezahlten Steuergeldern kassiert, schwarz für sich arbeiten lassen, für acht bis zehn Euro die Stunde.“ (111)

Aber ist es nicht vielmehr wahrscheinlich, dass die „nette Mittfünfzigerin“ gegen Arbeitslosigkeit versichert sein musste, also ein paar Jahrzehnte eingezahlt hat, um „kassieren“ zu können? Und warum erfahren wir nichts darüber, wie es diese nette Mittfünfzigerin geschafft hat, ihre eigenen Kinder (vermutlich ohne die finanziellen Ressourcen für eine Kinderfrau) großzukriegen? Sollte die „nette Mittfünfzigerin“ allerdings Hartz-IV-Bezieherin, ihr ALG II damit steuerfinanziert sein, dann hat sie es allerdings wirklich nicht nötig, sich auch noch ein paar Euro schwarz dazuzuverdienen! Abgesehen davon, dass dieses „Jammern auf hohem Niveau“ allmählich nervt, die Verstehens-Verweigerung, ja der Zynismus gegenüber der Lebensweise „derer da unten“ ist überhaupt nur möglich, wenn man die Bereitschaft diese Leute abzuhängen teilt und sie zumindest von der Leserschaft der Zeit ausgeschlossen weiß.

Dass Hausfrauen auf Kosten von Karrieremüttern lebten, ist freilich eine ungewöhnliche Argumentation. Konventionell gilt der Angriff den kinderlosen Singles und Paaren, charmant DINKs (douple income, no kids) genannt. Aber das beträfe nicht zuletzt die Kollegenschaft und die lässt sich nicht in die Defensive bringen, sondern zieht sich auf ihre „Lohnsteuerklasse I“ zurück. Mit Unterschicht-Verachtung dagegen wissen sich alle in guter Gesellschaft – Politiker, Wissenschaftler, Journalisten sind sich darin einig, dass die Unterschicht ein schwergewichtiger Klotz am Bein ist.

Die neoliberalen Regierungen scheitern an einer vernünftigen Sozialpolitik und verlegen sich stattdessen auf moralische Appelle. Besonders die Unterschicht muss zu einer Lebensweise angehalten werden, die die Solidargemeinschaft davor schützt, von ihr ausgebeutet zu werden. Sie soll nicht rauchen, nicht trinken, nicht zuviel und ungesund essen und sie soll, auch das kann man inzwischen sagen, den deutschen Karrieremüttern nicht auf der Tasche liegen. Mit dem Umbau zum Neoliberalismus hat sich eine Form der politischen Argumentation verallgemeinert. Sie kristallisiert sich an der Frage, wer eigentlich auf wessen Kosten lebt.

Anmerkungen

  1. „Rauchen kann tödlich sein“ heißt es schon lange schwarzumrandet auf Zigarettenpackungen, aber auch vor sonstigen Nebenwirkungen wird staatlich verordnet gewarnt, etwa: „Rauchen kann die Spermatozoen schädigen und schränkt die Fruchtbarkeit ein.“ Das ist deshalb so dramatisch, weil die Deutschen zu wenig Kinder kriegen. Deshalb wird wohl auch nicht davor gewarnt, das Tabakrauchen des Liebhabers als hinreichendes Verhütungsmittel misszuverstehen. Im Zeitalter der allgegenwärtigen Gebrauchsanweisungen ist das nämlich ziemlich erstaunlich.Zurück zur Textstelle
  2. Die Studie, nach der die Deutschen die dicksten Menschen in ganz Europa seien, ist ebensowenig unumstritten wie der BMI als Indikator für Übergewicht. Finanziert wurde die Studie, wie im Spiegel (20/2007) nachzulesen ist, von vier „Pharmakonzernen von Weltrang“, die mit Diäten bekanntlich gute Geschäfte machen. Der Spiegel illustrierte den Artikel „Lust auf Larifari“ durchaus boshaft mit Fotos von Horst Seehofer, Ulla Schmidt, Angela Merkel und Sigmar Gabriel, die alle, um es vorsichtig auszudrücken, nicht unmittelbar gefährdet sind, an Magersucht zu erkranken. Zurück zur Textstelle
  3. „Jürgen John vom GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit ... hat in einer Studie die medizinischen Kosten von knapp tausend Erwachsenen in der Region Augsburg ermittelt und mit ihrem BMI verglichen.“Zurück zur Textstelle
  4. Die post-feministische Selbstverständlichkeit bedeutet für die gebildete Schicht, dass Frauen selbstverständlich mitkonkurrieren. Bezogen auf das Geschlechterverhältnis hat die Debatte allerdings trotzdem einen „backlash“ der besonderen Art hervorgebracht: Der Feminismus ist konservativ vereinnahmt worden. Die seinerzeitigen Konflikte zwischen Haus- und Karrierefrauen sind endgültig erledigt. (Tatsächlich sind sie das schon lange, und zwar aus dem schlichten Grund, dass die Karrierefrauen wortgewaltiger sind.) „Karrieremütter“ ist die neue Kategorie. Eva Herman und ihre Zurück-zum-Herd-Propaganda war als Bestseller kalkuliert, aber doch nur, weil er allen Gelegenheit gegeben hat, sich davon abzugrenzen. Was mit diesem Buch, genauer: mit derartigen Argumentationen (mit denen das konservativ-christliche „Familiennetzwerk“ die Medien „unterwandere“; vgl. Spiegel 20/2007) aber sehr wohl gelungen ist, ist eine Verschiebung in der Diskussion. Nach der Ära der radikalkonstruktivistischen „sex & gender“ Analysen (die freilich zugleich erst nach der Akademisierung der Frauenfrage und dem Ende der Neuen Frauenbewegung möglich waren), kann man sich jetzt wieder als feministisch darstellen, wenn man nur den biologistischen Unsinn einer natürlichen Geschlechterdifferenz ablehnt. Das ist wieder zu einem Argument geworden. Aber diesmal soll das Kind nicht gleich mit dem Bade ausgeschüttet werden: Der Bauch der Frauen gehört dem Staat. Die Kleinfamilie kritisiert niemand. Im Gegenteil. Sie wird hochgehalten. Zurück zur Textstelle
© links-netz Mai 2007