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Work Hard – Play Hard: keine Dokumentation der schönen neuen Arbeitswelt

Christine Resch

Der in Kritiken viel und hoch gelobte Dokumentarfilm „Work Hard – Play Hard“ (2011) von Carmen Losmann ist ein durchaus beachtliches Produkt der hiesigen Filmindustrie. Eine dokumentarische Darstellung der „schönen neuen Arbeitswelt“, wie es in Kritiken und der PR für den Film heißt, ist es aber nicht. Vielmehr gehört der Film zum Genre „Selbstdarstellung“, dieses Mal der Manager und Beraterinnen.

Der Film zeigt die Planung eines Bürogebäudes unter der Prämisse, dass die Mitarbeiter auf keinen Fall daran erinnert werden sollen, dass sie arbeiten. Die Stechuhr ist abgeschafft, das eigene Büro, das mit persönlichen Gegenständen bewohnbar gemacht wird, auch: nonterritoriales Arbeitsplatzkonzept nennt sich das. Den Laptop kann man schließlich überall aufklappen und gemütliche in orange gehaltene Meeting Points (braun erinnere ans eigene Wohnzimmer und wird daher vermieden), die Kreativität fördern sollen, sind ohnehin im ganzen Gebäude vorhanden. Der Film zeigt ein Outdoor-Training für junge Manager (Spiele im Wald und Stollen), mit dem ihre Teamfähigkeit optimiert werden soll. Wir sehen ein Assessment-Center, das von zwei Managern und einer Beraterin durchgeführt wird, und drei Nachwuchskräfte einer Potenzialanalyse unterzieht, die daher brav und artig abspulen, was in Bewerbungsgesprächen erwartet wird. Wir erfahren in Interviews, wie sich Analystinnen die Firmenphilosophie vorstellen: Die Kultur des Unternehmens müsse in die DNA jedes Mitarbeiters eingepflanzt werden. SAP-Software wird implementiert, die dazu geeignet ist, Mitarbeiter in Form eines Diagramms zu beurteilen. Das Datenschutzproblem, das damit gegebenenfalls verbunden ist, wird sich bewältigen lassen. In einer Mitarbeiter-Schulung (genauer: Change Management Meeting) verstehen die Untergebenen nicht so recht, was von ihnen erwartet wird, aber das sind halt langfristige Prozesse. In einer Postfiliale fragt der Leiter die Mitarbeiter wie der heutige und gestrige Tag verlaufen sei. Eine junge Frau antwortet, gestern sei besser gewesen. Auf die Nachfrage „warum?“ sagt sie, weil sie da frei gehabt hätte. Als Filmzuschauerin bangt man einen Moment, ob sie diese freimütige Äußerung wohl ihren Job kosten wird. Zugleich ist das die einzige Sequenz, die an Arbeitsalltag erinnert. Allenfalls der Alltag von Beraterinnen, die von Unternehmen zu Konzern reisen und dort für Ausnahme-Situationen sorgen, wird noch repräsentiert. Für alle anderen sind die dargestellten Episoden ein ungewöhnliches Ereignis. Filme können Alltag nicht einfach abbilden: Andy Warhols mehrstündiger Film „Sleep“ (1963), in dem die Kamera auf eine schlafende Person gehalten wird, führt vor, was dabei entsteht – gähnende Langeweile. Das heißt aber zugleich, dass „Dokumentationen“ kunstvoll inszeniert sind und daher nicht naturalistisch interpretiert werden können.

Wenn es in der Frankfurter Rundschau (online-Ausgabe 25.10.2011) heißt, der Film „seziert die schöne neue Arbeitswelt“, im „weltgewandten Kauderwelsch“ stecke „der totale Zugriff der Ökonomie aufs Individuum“ und es „erfasst einen zugleich Kälte und Angst“, wenn Druck wie Systemzwänge des New Management optisch transparent gemacht werden, dann wird unterstellt, dass wir eine bisher unbekannte („sezieren“) Realität sehen. Komplizierter wird in der Süddeutschen Zeitung (online-Ausgabe 13.4.2012) argumentiert. Zwar stellt die Autorin auch hier fest, dass es um die „Zukunft der Arbeit in der postindustriellen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft, in der der Mensch zum wettbewerbsentscheidenden Faktor geworden ist“ geht, aber es wird auch betont, dass der Film „künstlich aussehen und den Zuschauer auf Distanz halten“ will. Über die Protagonisten wird gesagt: „Fast scheinen es Karikaturen zu sein – aber man muss sie ernst nehmen, denn es ist unsere eigene Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die ihre lächerlichen Anstrengungen spiegeln, und unser Ehrgeiz.“ Es ist nicht leicht auszumachen, ob sich die Autorin ähnlichen Zwängen wie die Darsteller ausgeliefert sieht oder fürchtet zum Opfer der dargestellten Ideologie zu werden. Jedenfalls wird auf die eigene Arbeitsweise bezogen, was der Film vorführt. Das Resümee in Die Zeit (online-Ausgabe 10.04.2012) lautet: „Losmann hat mit klugem nüchternem Blick einen Gruselfilm erster Güte geschaffen. Die grauen Herren sind längst da. Sie tragen bunte Designerbrillen und stellen überall Polstermöbel auf.“ In der FAZ (online-Ausgabe 12.04.2012) ist zu lesen, dass Carmen Losmann in ihrem Langfilmdebüt „großartige Einblicke in bislang ungesehene Welten“ und „eine beunruhigende Bestandsaufnahme des ‚Kapitalismus als Religion’ gelingen“. Die „abgründigen Innenansichten zeigen, wie die Betriebswirtschaft unser Leben zerstört und am Ende vielleicht auch den klassischen Kapitalismus“. Was mit „klassischer Kapitalismus“ gemeint sein mag, wird das Geheimnis des Autors bleiben, aber klar ist, dass er „Abgründe“ hervorgebracht hat, die Schrecklichkeiten ahnen lassen.

Alle Kritiken changieren zwischen der Beschreibung der Inszenierung und der Übertragung des Gesehenen auf eine „wirkliche Wirklichkeit“. Welche Wirklichkeit aber zeigt der Film?

Eine Dokumentation, die diesen Namen verdient, müsste die Zuschauer darüber informieren, wie die beteiligten Personen dazu gebracht wurden, vor der Kamera aufzutreten, in welcher Situation genau sie so agiert haben, wie wir sie zu sehen bekommen. Auf die Kunstfertigkeit, die jede Dokumentation notwendig erfordert, wird man etwa aufmerksam, wenn „zufällig“ eine zweite Kamera oder ein Mikrophon ins Bild gehalten werden oder wenn es Sequenzen gibt, in denen die Regieanweisungen für die nächsten Aufnahmen besprochen werden. Nichts davon geschieht hier. Die Filmemacherin kommt nicht vor, auch die Fragen nicht, die sie stellt, kritische Nachfragen, die die Leute aus der Fassung bringen und sie so vielleicht für Momente vergessen lassen, sich „kameragerecht“ zu benehmen, gibt es überhaupt keine. Auf alle typischen Stilmittel eines Dokumentarfilms wird verzichtet: kein Kommentar aus dem „off“; keine Gegenschnitte, mit denen gezeigt wird, was diese „Arbeitsmoral“ weiter unten anrichtet; keine Bilder des Privatlebens der Protagonisten mit ruinierten Familien, auch keine von Einsamkeit oder „burn-outs“. Vielmehr wird den Machern in den Interviews ein Forum geboten, in dem sie sich präsentieren können. In anderen Episoden – Planung eines Bürogebäudes, Assessment-Center, Führungskräfte-Training, Change Management Meeting, Implementierung von Software – wird so getan als habe man einfach die Kamera draufgehalten. In so heiklen Situationen ist das aber unmöglich. Die Beteiligten werden den Film, zumindest die Szenen, in denen sie selbst vorkommen, autorisiert haben. Sie stellen sich selbst so dar, wie sie von außen gerne gesehen werden möchten. Das Inhaltliche ließe sich Imagebroschüren aller Art auch leicht entnehmen. Das ist der Grundschaden dieses Films.

Dieser Grundschaden ist zugleich die Pointe des Films. Niemand fällt da naiv auf die Selbstdarstellung herein. Vielmehr wird das alles kunstvoll inszeniert. Dazu gehören die ästhetisierten Naturaufnahmen, die für eine Dokumentation ungewöhnlichen Kamerafahrten, dazu gehört, dass der Film ganz langsam geschnitten ist und daher die Form im Widerspruch zum Titel und Inhalt steht. Dazu gehört vor allen Dingen auch, dass sich die dargestellten Figuren mit ihren Anglizismen, aufgeschäumten Banalitäten und sonstigen Worthülsen, wenn auch unbeabsichtigt selbst vorführen. Die distanzierte Haltung der Rezipienten, die das Genre „Dokumentation“ auszeichnet und eine reflexive Aneignung ermöglicht, entsteht objektiv und ist wohl auch der sozialen Distanz geschuldet, die wir zu den Protagonisten haben. Ihr Gehabe wird bei genauer Betrachtung leicht lächerlich. Wir lernen: Nicht nur die Unterschicht in diversen TV-Reality-Shows, auch die herrschende Klasse blamiert sich selbst und mehr oder weniger freiwillig vor laufender Kamera.

Es ist kein Film über die gegenwärtige Arbeitswelt in der „Wissensgesellschaft“. Es ist ein Film über die Fantasien derer, die mit der Ideologie von Selbstoptimierung, der umfassenden Verwertung von „Humankapital“ und der Propaganda für eine permanente Evaluierung der Arbeitskraft in standardisierten Kennziffern gutes Geld verdienen. Und es ist ein Film über diejenigen, die diese Ideen als Ressource für ihre Karriere geschickt einsetzen. Damit soll nicht gesagt werden, dass diese von Beratern forcierten Management-Stile nicht auf die Arbeitsbedingungen von gemeinen Angestellten zurückwirken – es handelt sich schließlich um das Selbstverständnis der Wirtschaftselite, die entscheidet. (Dass es in der „modernen Arbeitswelt“ auch noch Arbeiter gibt, die vielleicht ganz andere Probleme haben, scheint fast niemand mehr zu wissen.) Aus dem Film erfahren wir aber „nur“, wie sich diese Macher selbst gerne sehen und wie schwer sie und vor allen diejenigen es haben, die gerne dahin aufsteigen wollen. Mit diesen „armen Würstchen“, wie sie in der Besprechung in der Süddeutschen Zeitung genannt werden, muss man nicht unbedingt Mitleid haben. Ihre Selbstdarstellung, die der Film gekonnt inszeniert, kann man auch komisch und lächerlich finden, statt sich von Angst und Ehrfurcht, Kälte und Ausweglosigkeit einschüchtern und überwältigen zu lassen. Weil auch diese Interpretation vom Film zumindest angeboten wenn schon nicht zwingend nahegelegt wird, kann ich mich der von den Kritikern ausgesprochenen Empfehlung anschließen: ein sehenswerter Film, wenn auch keine Dokumentation.

Ich widme diese Notiz einem Freund, der mit „Work Hard – Drink Hard“ viel anfangen kann – mehr als Selbstbeschreibung denn als Verfügung über andere.

© links-netz Juni 2012