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Robert Brenner: The Boom and the Bubble. The US in the World Economy. Verso, London 2002 (303 S., geb., £ 15). Deutsche Ausgabe: Boom und Bubble. Die USA in der Weltwirtschaft. VSA, Hamburg 2002 (300 S., br., 19,- €).*

1998 entschlossen sich die Hg. von New Left Review zu einem ungewöhnlichen Schritt: Als Nummer 229 wurde eine einzige, über 260 Seiten lange Abhandlung des marxistischen Wirtschaftshistorikers Robert Brenner publiziert – The Economics of Global Turbulence. Brenners Versuch einer Gesamtdarstellung der Entwicklung der kapitalistischen Zentren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland wenig beachtet, erregte aber im englischen Sprachraum großes Aufsehen. Die an der London School of Economics erscheinende Zeitschrift Historical Materialism publizierte 1999 zwei umfangreiche Ausgaben mit Beiträgen, die sich kritisch damit auseinandersetzen. Das Interesse war zwei Umständen geschuldet. Zum einen sind große Würfe auch in der marxistischen Literatur relativ selten. Empirisch und theoretisch gehaltvolle Darstellungen der neueren Entwicklung des globalen Kapitalismus lassen sich an den Fingern abzählen. Zum anderen provozierte Brenner durch einen originellen krisentheoretischen Ansatz. Ähnlich wie die Regulationstheorie diagnostizierte er einen langanhaltenden Niedergang der Kapitalakkumulation in den 70er und 80er Jahren, der auf die außergewöhnliche Prosperitätsphase der 50er und 60er Jahre folgte. Gleichzeitig verwarf Brenner, der 1991 zusammen mit Mark Glick auch eine ausführliche Kritik an der Regulationstheorie vorgelegt hatte (vgl. New Left Review 188), jedoch alle „angebotsseitigen“ Krisenerklärungen, die auf sinkende Produktivitätszuwächse, einen Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals oder eine Profitklemme aufgrund relativ steigender Löhne abstellten, ebenso wie die keynesianische Unterkonsumtionstheorie.

Ins Zentrum seiner Erklärung der weltwirtschaftlichen Dynamik stellte Brenner – sehr verkürzt gesagt – die Verschärfung der globalen Konkurrenz durch die nachholende Industrialisierung zunächst Japans und Westeuropas, dann der ostasiatischen „Schwellenländer“, die zum Aufbau von Überkapazitäten in der verarbeitenden Industrie und damit zum Sinken der Profitraten geführt habe. Die anhaltende Stagnationstendenz führte er darauf zurück, dass die Entwertung von Kapital und damit der Abbau der Überkapazitäten blockiert sei. In dem Maße, in dem die Produzenten fixes Kapital besitzen, sei es für sie rational, auch mit veralteten, weniger produktiven Produktionsmethoden weiterzuproduzieren und ihren Marktanteil zu verteidigen, solange sie noch den Durchschnittsprofit auf ihr zirkulierendes Kapital erwirtschaften. Eine Verdrängung und Marktbereinigung könne nur um den Preis einer sinkenden Durchschnittsprofitrate stattfinden. Die großen Verschiebungen der Währungsrelationen nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems erscheinen jeweils als Wendepunkte, an denen die Export- und Wachstumschancen neu verteilt werden, so dass eine Volkswirtschaft oder Triadenregion auf Kosten der anderen das Problem der Überkapazitäten temporär für sich entschärfen kann.

Nach den zahlreichen Kritiken, die Brenners Analyse provozierte, durfte man auf die Aktualisierung seiner Arbeit gespannt sein. Im nun vorliegenden Buch sucht man jedoch eine Auseinandersetzung mit den Kritikern oder eine genauere Ausführung seines auf die Rolle des fixen Kapitals abstellenden überproduktionstheoretischen Ansatzes leider vergebens. Auch empirisch ist das Buch wesentlich enger gefasst, da nun die Erklärung des konjunkturellen Booms der 90er Jahre in den USA und der spekulativen Blase an den Aktienmärkten im Zentrum steht. Ansonsten liegt es auf der Linie der früheren Analyse. Den Ausgangspunkt für den US-amerikanischen Boom der 90er Jahre sieht Verf. in der Wiederherstellung der Profitabilität des Industriekapitals. Durch den monetaristischen Schock, die Hochzinspolitik unter Volcker und Reagan wurde zunächst die Restrukturierung des Industriekapitals auf Kosten der Lohnabhängigen erzwungen. Mit dem Plaza-Abkommen von 1985 und der darauf folgenden zehnjährigen Phase der Dollarabwertung wurde dann die internationale Wettbewerbsfähigkeit des US-amerikanischen Kapitals wieder hergestellt. Der exportgeleitete Boom, der dadurch ermöglicht wurde, ging jedoch insbesondere auf Kosten Japans, so wie sich der japanische Exporterfolg in den 80er Jahren auf Kosten der US-amerikanischen Produzenten entwickelt hatte. 1995 sahen sich die USA – die mexikanische Pesokrise vor Augen – zu einer Rettungsaktion zugunsten Japans gezwungen. Mit dem „umgekehrten Plaza-Abkommen“ wurde nun eine höherer Dollarkurs durchgesetzt, der die japanische und die deutsche Exportwirtschaft begünstigte.

Obwohl die US-Exportindustrie durch die erneute Dollaraufwertung wieder in Schwierigkeiten geriet, hielt der Boom in den USA an. Der hohe Dollarkurs sorgte für einen enormen Kapitalzufluss, der ein kreditfinanziertes, binnenmarktzentriertes Wachstum ermöglichte. Die USA erwiesen sich außerdem als sicherer Hafen für das Kapital, das infolge der Krisen in Ostasien, Brasilien und Russland dort abgezogen wurde. Der Boom wurde begleitet von einer außergewöhnlichen Hausse der Aktienpreise, die noch anhielt, als die Profitrate in den USA schon wieder zu sinken begann. Dabei spielte die Geldpolitik der Federal Reserve unter Greenspan, die ein Übergreifen der Asienkrise auf die USA unterband, eine wichtige Rolle. Eine Bankenkrise infolge des Zusammenbruchs des Hedgefonds LTCM wurde entschlossen verhindert, indem die Fed in einer konzertierten Aktion als lender of last resort auftrat. Die aus den hohen Aktienkursen resultierenden Vermögensgewinne unterstützten zusätzlich den Boom.

Im Frühjahr 2000 platzte jedoch die spekulative Blase, die sich an den Aktienmärkten aufgebaut hatte. Es wurde deutlich, dass nicht zuletzt in dem zuvor gefeierten Internet- und Telekommunikationssektor erhebliche Überinvestitionen stattgefunden hatten. Eine abwärts gerichtete Bewegung wurde nun in Gang gesetzt, die bis heute nicht beendet ist. In historischer Perspektive zeigt sich, dass der Boom der 90er zwar ein höheres Wachstum mit sich brachte als in den 80ern, dass er jedoch im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren keineswegs außergewöhnlich war. Von einer Überwindung der Konjunkturzyklen und der Stagnationstendenz durch eine „New Economy“ kann jedenfalls nach Brenners Analyse keine Rede sein. Vielmehr droht in den USA erneut eine langanhaltende Krise ähnlich der in Japan. Das Problem der Überkapazitäten und der rückläufigen Profitabilität, das am Anfang des long downturn der 70er und 80er Jahre stand, ist wieder aktuell.

Das Verdienst dieser Analyse liegt darin, dass Verf. empirisch konkret und plausibel – insbesondere bezogen auf das Verhältnis zwischen den USA, Japan und Deutschland – die internationalen Verflechtungen darstellt, die ein wesentliches Moment der heutigen Weltwirtschaft sind. Letztere erscheint als ein Ensemble interagierender Räume, deren Geschicke nicht zuletzt von den Währungsrelationen abhängen. Brenners Darstellung dieser Interdependenzen unterscheidet sich wohltuend von Beiträgen, die in undifferenzierter Weise über Globalisierung philosophieren, ebenso wie von der Debatte über die varieties of capitalism, in der immer nur einzelne, scheinbar unabhängig voneinander existierende nationalstaatliche Kapitalismen miteinander verglichen werden.

Allerdings liegen auch die Grenzen von Brenners Ansatz klar zutage. Er beschränkt sich weitgehend auf eine Analyse der makroökonomischen Zusammenhänge. Die sozialen Verhältnisse, die Akteure, die Institutionensysteme, die letztlich für die ökonomische Entwicklung ausschlaggebend sind, tauchen in seiner Analyse kaum auf. Auch die zu Grunde gelegte Krisentheorie, die im wesentlichen auf Überproduktion, andauernde Überkapazitäten und die Exportkonkurrenz in der verarbeitenden Industrie abstellt, erscheint mindestens einseitig. Eine Analyse der Entwicklung des Produktionsprozesses und der Arbeitsorganisation fehlt ganz und gar. Trotz dieser Mängel ist Brenners Buch unbedingt allen zu empfehlen, die eine bündige, empirisch konkrete Darstellung der weltwirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte suchen. Nachdem es nun auch in deutscher Sprache erscheint, ist zu hoffen, dass es auch hier zu einer Belebung der akkumulations- und krisentheoretischen Debatte beiträgt.

Thomas Sablowski (Berlin)

Anmerkungen

* Zuerst erschienen in: Das Argument 2002: Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Nr. 248, S.880–882.Zurück zur Textstelle
© links-netz Juli 2003