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Murray Bookchin ist gestorben

Karl-Ludwig Schibel

Ihr Lieben, am Sonntag, 30. Juli ist Murray Bookchin im Alter von 85 Jahren in seinem Heim in Burlington verstorben. Zusammen mit seinen beiden Kindern und ihrer Mutter, seiner Lebensgefährtin und der großen Gemeinde von Freunden, Kollegen und Mitkämpfern trauern wir um einen wunderbaren Menschen und großen Theoretiker.

Es mutet ironisch an, dass in seinem Todesmonat eine wichtige Ökologie Zeitschrift erscheint mit dem Thema „Nachdenken über ökologische Vordenker” und alle alle vertreten sind, von Albert Schweitzer und Rachel Carson bis zu Jared Diamond und Christopher Stone; der Begründer der sozialen Ökologie aber in dem ganzen Heft nicht ein einziges Mal auftaucht.

Das war schon immer so. Blättert man durch die Literatur zur Theorie des ökologischen Denkens der letzten vier Jahrzehnte, zitieren ihn nur wenige. Ein Grund ist sicherlich der polemische Stil, in dem er Herbert Marcuse und Jürgen Habermas, Paul Ehrlich und E.O. Wilson, Arne Naess, die Deep Ecology und sowieso die ganze Postmoderne kritisiert hat. Für ihn hieß ökologisch zu denken, den Zusammenhang aufzuzeigen zwischen der falschen Idee, die Natur beherrschen zu können und der realen Herrschaft des Menschen über den Menschen. Ökologisch zu handeln hieß, in einer rationalen Gesellschaft Hierarchie und Herrschaft unter den Menschen ebenso abzubauen wie den Wahn, die Natur beherrschen zu können. Für ökologischen Spiritualismus, elitären Misanthropismus und das Lauschen darauf, was uns die Bäume sagen, blieb da ebenso wenig Platz wie für das systemkonforme Herumdoktern an den Symptomen.

Den Gestus des Polemikers und Agitators trug Murray aus der kommunistischen Arbeiterbewegung in den ökologischen Diskurs. Breites Aufsehen erregte er mit dem Pamphlet „Listen Marxist” auf der neunten Delegiertenkonferenz des amerikanischen SDS im Juni 1969 in Chicago. Es beginnt mit dem denkwürdigen Satz „Die ganze alte Scheiße der Dreißiger Jahre kocht wieder hoch, der Mist von der ‚Klassenlinie’, den „Kadern”, der ‚Avantgardepartei’, und der ‚proletarischen Diktatur’”. In seinem erster Beitrag in Buchform (sein erster Aufsatz, „Chemie in Lebensmitteln” ist von 1952) zum ökologischen Diskurs, „Our Synthetic Environment”, der 1962 zusammen mit Rachel Carsons „Schweigender Frühling” erscheint, analysiert er den Angriff der synthetischen Chemie auf die biophysikalischen Grundlagen menschlichen Lebens. Sein wichtigstes Werk bis heute ist sicherlich „Oekologie der Freiheit” das 1985 (dem Beltz Verlag sei Dank) auch auf deutsch erschien.

Nicht die ökologischen Katastrophen sind das Problem kapitalistischer Industriegesellschaften, sondern ihr alltägliches Funktionieren, die Dimensionen der Materialflüsse, der Abfallmengen, der Klimaveränderungen. „The planet conceived as a lump of minerals, can support these mindless increases in the output of trash. The earth, conceived as a complex web of life, certainly cannot. The only question is whether the earth can survive its looting long enough for man to replace the current destructive social system with a humanistic, ecologically oriented society” schreibt er 1965 in „Ecology and Revolutionary Thought”.

Murray musste nicht ökologische mit gesellschaftlichen Fragen „verbinden”, für ihn war der Machbarkeitswahn mit dem die kapitalistischen Industriegesellschaften die Natur als Ressource plündern, Ausfluss ihres ökonomischen Zwangs „to grow or die”. Und die einzige Chance, die ökologischen Krise zu lösen und der Zerstörung der Naturbasis menschlichen Lebens Einhalt zu gebieten war für ihn eine rationale Gesellschaft, dezentral, in überschaubaren Einheiten – er sprach von „confederal municipalism” („From urbanization to cities”).

Diese katastrophische Sicht der Dinge von der drohenden Selbstausrottung der Gattung, die er mit dem von ihm geschätzten Hans Jonas teilt, war mir nie plausibel. Gegen das Bild des Schiffes, auf dem die zu großen Lasten immer besser verteilt werden, bis es sauber im Gleichgewicht untergeht, wehrte ich mich in unseren Diskussionen mit der störrischen Gegenrede: Und wenn das Schiff nicht untergehen sollte? Heute bin ich mir angesichts der nicht mehr zu leugnenden Anfänge tiefgreifender menschengemachter Klimaveränderungen nicht mehr so sicher.

So polemisch Murray in seinen Schriften sein konnte, so warm, herzlich, großzügig und gütig war er gegenüber Freunden und Unbekannten. Mit unermüdlicher Geduld und großer Wortgewalt diskutierte er auf seinen vielen Vortragsreisen in überfüllten Sälen seine revolutionären Thesen einer sozialen Ökologie und bis in die letzten Monate seines Lebens kamen junge Menschen nach Vermont gereist, um sich von ihm Mut zusprechen zu lassen, dass ihre Engagement für eine andere, eine rationale, ökologische Gesellschaft sinnvoll und notwendig ist.

Die Stimme meines geliebten Freunds und Lehrers fehlt mir, die Stimme des großen radikalen Denkers und Begründers der sozialen Ökologie wird in den kommenden Jahren zunehmend Resonanz finden mit ihrer Analyse der existentiellen ökologischen Bedrohung der Menschheit und seinen mutigen und irgendwann nicht mehr zu umgehenden Forderung nach einer radikalen Umwälzung unserer kapitalistischen Gesellschaft.

© links-netz August 2006