Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

  Text in eigenem Fenster anzeigen    rtf-Datei herunterladen 

WIR WOLLEN ALLES!

Versuch, die Spontis der 70er Jahre vor ihrer staatstragenden Nachhut zu schützen

von Thomas Seibert

Ein Gespenst geht um in der Berliner Republik – das Gespenst des Spontaneismus. Alle Mächte des jungen Staatswesens haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, die christdemokratische Reaktion und die Zaren der Medienindustrie, Ex-Radikale, die zwar nicht an die Macht, doch wenigstens an die Regierung gelangt sind ebenso wie deren biedere Konkurrenten, die nicht verwinden können, von früheren Straßenkämpfern abgelöst worden zu sein.

Ihre Popularität verdankt die "68er-Debatte" zwei Täuschungsmanövern. Erstens handelt es sich nicht um eine Debatte, sondern um ein inszeniertes Ritual, in dem die Infamie professioneller Desinformanten und der Distanzierungszwang von Überläufern sich gegenseitig verstärken. Zweitens geht es nur vordergründig um die 68er. Denn, Hand aufs Herz: "68" gehört längst zu den positiven Gründungsmythen der Berliner Republik. Die Berufung auf die "Studentenrevolte" legitimiert geradezu das in seinem "Ernstfall" zuletzt im Kosovo exekutierte Recht dieses Staates, sich nach innen und außen frei der Macht zu bedienen, die er anzuwenden vermag. Bestätigt wird dies von den 68ern selbst, sind es doch die Fischer, Vollmer und Trittin, die die "Zivilität" des deutschen Staates repräsentieren und garantieren. Um den Preis allerdings, die Revolten der 60er und 70er Jahre darauf zu reduzieren, die Verkrustungen des Adenauerstaates gesprengt und die Bundesrepublik in die westliche "Wertegemeinschaft" geführt zu haben. Mag das auch viele 68er lebensgeschichtlich überzeugen: die Bewegung der 70er Jahre geht darin nicht auf, und deshalb kreist der Streit in Wirklichkeit um sie. Konsens aller Beteiligten ist, dass der "Extremismus" der 70er ein folgenschwerer Irrtum war, der sich nicht wiederholen dürfe. Erstens wegen seiner – rinks wie lechts – "totalitären" Grundhaltung, und zweitens wegen der Gewalt, die aus dieser Grundhaltung resultiere. Deshalb besteht das Ziel der Debatte nicht im sowieso erfolglosen "Fischer-bashing", sondern im Ausschluss der außerparlamentarischen Linken der 70er Jahre aus dem Bereich legitimer politischer Praxis.

Von der "Studentenrevolte" zur Systemopposition

Wenn es richtig ist, die Entstehung der Neuen Linken auf die 60er Jahre zu datieren, so darf sie doch nicht mit den DemonstrantInnen der "Studentenbewegung" verwechselt werden. Diese waren in ihrer Mehrzahl tatsächlich von den Motiven bestimmt, die Fischer und die Seinen heute als einzige gelten lassen wollen: das Erschrecken über die gar nicht klammheimlichen Kontinuitäten zwischen dem nationalsozialistischen und dem Adenauerstaat und die Empörung über den Vietnamkrieg. Hinzu trat eine auch in der proletarischen Jugend verbreitete subkulturelle Dissidenz, die sich nicht nur gegen die Elterngeneration, sondern auch gegen die Alltagskultur der "Fabrik- und Konsumgesellschaft" richtete. Deswegen verstanden sich die AktivistInnen der Revolte aber nicht als ;Linke'. Im Gegenteil: der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), die Splittergruppen der Nachkriegslinken wie der Verband Unabhängiger Sozialisten (VUS) oder aber die illegale KPD waren 68 nicht tonangebend; selbst der SDS folgte nur bedingt der von Rudi Dutschke oder Hans-Jürgen Krahl vertretenen Linie.

Erst mit der brutalen Zerschlagung der Schahdemonstration, der Ermordung Benno Ohnesorgs, dem Attentat auf Rudi Dutschke und der mörderischen Hetzkampagne der Springerpresse radikalisierte sich die Bewegung. Als der Höhepunkt des spontanen Protests überschritten war, stellten sich qualitativ neue Fragen: Wenn wir mehr sind als eine studentische Opposition mit beschränkter demokratischer Zielsetzung, was ist dann eigentlich der Horizont unserer politischen Praxis? Und: wenn diese politische Praxis im Protest gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg nicht aufgeht, sondern die grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse anstrebt, in welcher Geschichte, welcher Tradition stehen wir dann? In welchem Verhältnis stehen wir – als "Studentenbewegung", als Jugendrevolte, als ‚Neue Linke' - zur Geschichte der Arbeiterbewegung und ihrer sozialistischen und kommunistischen Parteien, zur ‚Alten Linken'?

Als der SDS in dieser Auseinandersetzung zerbrach, stellte sich die vieldiskutierte "Organisationsfrage" auch ganz praktisch. Beantwortet wurde sie in zwei alternativen Optionen, der "reformistischen" bzw. "revisionistischen", und der "revolutionären" Option. Den ersten Weg schlugen die meisten der politisierten 68er ein, indem sie sich den Jungsozialisten oder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) anschlossen. Den zweiten Weg beschritten die maoistischen bzw. trotzkistischen "K-Gruppen", die Gruppen der Stadtguerilla und die sog. "undogmatische Linke", deren stärkste Strömung wiederum die "Spontaneisten" waren – kurz "Spontis" genannt.

Die Spontis verstanden sich als Erben der antiautoritären Oppositionen in der Linken und waren deshalb nie auf einen "Ansatz" zu vereinheitlichen. Deswegen besteht die erste Geschichtsklitterung der 68er-Debatte darin, Joseph Fischer und Daniel Cohn-Bendit den Alleinvertretungsanspruch für ‚die' Spontis zuzubilligen. De facto kam ihnen der nicht einmal im Rhein-Main-Gebiet zu, in dem sie zeitweilig ohne Zweifel hegemonialen Einfluss ausübten.

Was ist und zu welchem Zweck betreibt man "Spontaneismus"?

1970 erscheint im Rowohlt-Verlag unter dem Titel Schriften zur Theorie der Spontaneität eine Auswahl von Texten Rosa Luxemburgs aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts. Luxemburg versuchte damals, sowohl über die Strategie einer sozialdemokratischen Wahlpartei wie über die einer leninistischen Kaderpartei hinauszugelangen. Dabei setzte sie auf die spontane Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse – gegen die Sozialdemokraten, die die Spontaneität der Klassenkämpfe parlamentarisch repräsentieren (vertreten), und gegen die Leninisten, die die Autonomie der revoltierenden Subjekte durch die "führende Rolle" ihrer Kader substituieren (ersetzen) wollten. Luxemburgs Doppelkritik an Sozialdemokratie und Leninismus ist der gemeinsame Ausgangspunkt der spontaneistischen Gruppen, die nach ihrem zuerst im März 1973 erschienenen "Kampfblatt" Wir wollen alles auch "WWA-Gruppen" genannt wurden. Ihre Hauptstützpunkte waren Bremen, Frankfurt, Hamburg, Köln und München.

In der ersten Ausgabe der WWA wird der spontaneistische Eigensinn auf den Punkt gebracht: "Wenn Kämpfe entstehen, dann kommen alle ‚politischen' Gruppen und erklären den Leuten, was sie zu machen haben, was sie denken müssen: ‚Jetzt habt ihr nur eure beschränkten Interessen im Kopf. Damit ihr politisch handelt, müsst ihr euch in der Gewerkschaft organisieren oder eine Schulung machen oder überhaupt unserer Linie folgen.' Das wird nicht der Weg unserer Zeitung sein. Warum? Weil wir wissen, dass in jedem Kampf schon die radikalen Elemente, die eigentlich das ganze System in Frage stellen, liegen".

Wegen dieses Vertrauens in die Spontaneität der sozialen Kämpfe wurde den Spontis vorgeworfen, die Selbsttätigkeit der Klasse zu überschätzen, die Notwendigkeit sowohl einer organisierten Avantgarde wie einer formellen Repräsentation zu missachten und nicht zu begreifen, dass "Klassenbewusstsein" von außen in die stets tagespolitisch bornierte Arbeiterklasse "hineingetragen" werden müsse. Tatsächlich haben die Spontis die Notwendigkeit einer organisierten Avantgarde nicht bestritten. Organisation und Avantgarde sollten aber die Spontaneität der Kämpfe weder repräsentieren noch substituieren, sondern artikulieren, d.h. zum Ausdruck bringen: sie sollten der Klasse nicht von außen aufgepfropft, sondern aus den Klassenkämpfen als deren "organische Führung" hervorgehen. Darin folgten sie nicht nur Luxemburg und der links- bzw. rätekommunistischen Tradition der 20er Jahre, sondern auch der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und dem italienischen Operaismo, dem Wortsinn nach als ‚Arbeiterwissenschaft' zu übersetzen. Die Operaisten gingen Anfang der 60er Jahre aus einer antiautoritären Opposition im italienischen Parteikommunismus hervor. Die wesentliche methodische Voraussetzung ihrer Theorie und Praxis bestand darin, die Dynamik kapitalistischer Vergesellschaftung nicht aus vorgeblichen "Gesetzen" der Ökonomie und nicht aus der Politik der herrschenden Klassen, sondern aus den alltäglichen, scheinbar vor-politischen Attacken eines permanenten Klassenkampfs verstehen zu wollen. Deshalb interessierten sie sich vordringlich für die subjektive "Zusammensetzung" der Arbeiterklasse, d.h. für die historischen Subjekte der wirklichen sozialen Kämpfe und nicht für ein abstraktes weltrevolutionäres Subjekt.

Klassenpolitik und Parteiaufbau

Im September 1970 lässt sich rund ein Dutzend AktivistInnen der Frankfurter Spontigruppe Revolutionärer Kampf (RK) in den Rüsselsheimer Opelwerken einstellen. Sie übersiedeln in die mittelgroße Industriestadt und leben dort in Wohngemeinschaften, die bald zum informellen Treffpunkt rebellischer Jugendlicher werden. Unterstützt werden sie durch Operaisten der italienischen Gruppe Lotta Continua (LC), die bei Opel arbeitende MigrantInnen organisiert. Die Arbeit im Betrieb wird auf Lehrlingswerkstätten und Schulen ausgeweitet, SchülerInnen und Lehrlinge in der Initiativgruppe Internationales Jugendzentrum zusammengeschlossen. Der RK entwickelt sich zum wichtigsten linken Organisationsansatz im Rhein-Main-Gebiet.

Eine ähnliche Bedeutung erlangt die Spontigruppe Proletarische Front (PF) in Hamburg und Bremen. Die von etwa 50 palästinensischen, griechischen, italienischen und deutschen StudentInnen gegründete PF konzentriert sich auf die Organisation migrantischer ArbeiterInnen. Weil sie davon ausging, dass der sich entwickelnde Klassenkampf vom "multinationalen Massenarbeiter" – ein den Operaisten entlehnter Begriff – getragen werden würde, intervenierte sie ausserhalb der Betriebe vor allem in den Lagern und Wohnheimen, in denen sog. "Gastarbeiter" untergebracht waren. Ziel war der Aufbau einer "nichtleninistischen kommunistischen Partei", die sich – quer zur Trennung von Partei und Gewerkschaft – aus einer basisdemokratischen "Parallelstruktur" entwickeln sollte: Jedes PF-Mitglied sollte zugleich in einer aus höchstens fünf Leuten bestehenden "Parteizelle" und in einer "proletarischen Basisorganisation" in Betrieb, Schule, Uni oder Stadtteil aktiv sein.

Obwohl den über das "Kampfblatt" WWA und die Theoriezeitschrift Autonomie verbundenen, am jeweiligen Ort aber autonom arbeitenden Spontigruppen der Aufbau einer "nichtleninistischen kommunistischen Partei" nicht gelang, kann ihre Bedeutung daran abgelesen werden, dass sich am "Plenum" des RK im legendären Hörsaal VI der Frankfurter Uni regelmäßig mehrere hundert, bei besonderen Anlässen sogar bis zu 3000 (!) Leute beteiligten. Leute, die eigenständig in den verschiedensten Projekten aktiv waren und sich gemeinsam auf ‚den' RK bezogen: eine Organisation, die keine formelle Mitgliedschaft, kein Funktionariat, kein ZK besaß. Auch wenn der RK unter der Hegemonie der Clique um Fischer und Cohn-Bendit stand, war die zu keiner Zeit unumstritten. Im Gegenteil: Oppositionelle Gruppen in Frankfurt und die Spontigruppen dies übrigen Rhein-Main-Gebiets formierten sich gerade im Widerspruch zu deren offener Machtpolitik und zweifelten schon früh auch an deren persönlicher Integrität.

Ihren historischen Höhepunkt fanden die WWA-Gruppen in den wilden Streiks des Jahres 1973, vor allem im Streik bei Ford in Köln, und in den "Häuserkämpfen" derselben Zeit. Obwohl weder die Streikbewegung noch der Häuserkampf ihre Ziele erreichen konnten, bestätigten sie die strategischen Analysen des Spontaneismus: Sie entzündeten sich an der Alltagserfahrung und waren in der Radikalität ihrer Forderungen – kostenloser Wohnraum, Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr und, vor allem, "mehr Lohn - weniger Arbeit!" – tendenziell systemsprengenden Charakters. Dennoch zerbrachen die WWA-Gruppen gerade in diesem Augenblick. Während die PF im strikten Festhalten an einer "sozialrevolutionären Klassenpolitik" auf die Notwendigkeit schloss, die eigene Organisation zu festigen, setzte sich im RK eine prinzipielle Abkehr von der organisierten Betriebsarbeit durch. Beiden Optionen aber lag derselbe Irrtum zugrunde: wie die K-Gruppen und wie die Stadtguerilla hatten auch die Spontis geglaubt, unmittelbar vor einer "revolutionären Situation" zu stehen, in der die Arbeiterklasse über kurz oder lang den Kapitalismus infragestellen würde. Als die "Massenaktionen" scheiterten bzw. ausblieben, schienen sich nur zwei Möglichkeiten zu stellen: die sektiererische Abkapselung von der gesellschaftlichen Wirklichkeit oder die reuige Rückkehr in die "Mitte der Gesellschaft".

Jenseits der Klassenpolitik

Bis zum Ende der 70er Jahre aber suchten die Spontis nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Nach der Auflösung der WWA-Gruppen wandelten sie sich von einer nichtleninistischen "Avantgarde" zur politisch-subkulturellen "Szene". Deren organisatorische Kerne waren Wohngemeinschaften, Kinderläden, Kneipen, Kinos, Theater und Alternativbetriebe wie die Arbeitslosen-Selbsthilfe (ASH), in denen sich die politische Aktion mit subversiven kollektiven Überlebensstrategien verbinden sollte. Auf Initiative der "RK-Frauengruppe" wurde an der Frankfurter Uni ein "Frauen-Asta" gewählt, dessen Hauptziel die Kritik des patriarchalen Politikstils auch der radikalen Linken war. Aus autonomen Gruppen aller Fachbereiche entstand darauf hin die Sozialistische Hochschulinitiative (SHI), die bis in die 80er Jahre die Mehrheitsfraktion des Studentenparlaments stellte und zur eigenständigen politischen Kraft wurde. Dasselbe geschah im Häuserkampf, der zwar vom RK vorangetrieben, dann jedoch autonom durch den Rat der besetzten Häuser geführt wurde.

In diesen Veränderungen zeigte sich der strategische Wechsel von einer auf Betriebsarbeit gestützten "Klassenpolitik" zur Teilnahme an den ‚Neuen Sozialen Bewegungen'. Die Spontis verstanden sich jetzt als deren radikale Strömung und radikalisierten dabei auch ihr Konzept einer ‚Politik in Erster Person'. Allerdings wurde der Übergang vom linkskommunistischen Parteiaufbauprojekt zur subkulturellen Szenepolitik nicht kollektiv diskutiert und deshalb auch nicht theoretisch verarbeitet - ein Fehler, der historisch zwar kaum zu vermeiden war, zuletzt aber der schrittweisen und deshalb kaum merklichen Anpassung Vorschub leistete.

Der diffusen Ausbreitung der spontaneistischen Subversion, aber auch den Aktivitäten der anderen linksradikalen Strömungen begegnete die sozialliberal verwaltete Staatsmacht mit harter Repression. Dabei kann der nachhaltige Einfluss der Berufsverbote auf die spätere Entwicklung einer ganzen politischen Generation gar nicht unterschätzt werden: Wer damals zwischen zwanzig und dreißig und in der radikalen Linken aktiv war, sah sich einer ernsten existenziellen Gefährdung ausgesetzt. Dramatisiert wurde diese Form systematischer Repression durch die offene Gewalt der Polizei. Um erneut ein Frankfurter Beispiel zu bemühen, dass jedoch auch für Erfahrungen anderer Städte steht, sei an die Räumung des Häuserblocks Schumannstrasse/Bockenheimer Landstrasse am 21. 2. 1974 erinnert. Die Polizei reißt die BewohnerInnen zum wiederholten Mal durch eine Scheinräumung aus dem Schlaf. Gegen halb drei Uhr morgens ziehen die Einsatzwagen scheinbar erfolglos ab, um zwei Stunden später mit Wasserwerfern, Materialfahrzeugen mit Schweißgeräten, Motorsägen und Kompressoren sowie Spezialwagen mit Flutlichtmasten wiederzukehren. Die Häuser werden von helm- und schilderbewehrten Mannschaften vor herbeieilenden UnterstützerInnen abgesperrt, andere Beamte stürmen mit Leitern und Motorsägen die verbarrikadierten Wohnungen, zerschlagen das gesamte Mobiliar und nehmen alle BesetzerInnen fest. Am nächsten Morgen sind die Häuser in Trümmer gelegt. Die Stimmung der Szene ist so gedrückt, dass sich 6000 DemonstrantInnen zwei Tage später fast lautlos durch die Strassen bewegen. Beim Vorbeizug am Trümmergrundstück kommt es zu vereinzelten Steinwürfen, die bereitstehende Polizei antwortet mit bis dahin beispielloser Brutalität. Besonders auffällig wird ein in Zivilkleidung getarntes Einsatzkommando, dessen Beamte dem 25jährigen Günther Sare, der 11 Jahre später von einem Wasserwerfer überrollt und getötet wird, gezielt das Schienbein zerschmettern. Am Nachmittag werden bereits 200 verletzte DemonstrantInnen, 77 verletzte Polizisten und 192 Verhaftungen gemeldet. Mehrere Stunden später kreist die Polizei mit Hunderten von Mannschaften die Uni ein, Beamte durchkämmen mit gezückter Schusswaffe das gewaltsam gestürmte Studentenhaus. Alle BewohnerInnen – über 350 Leute – werden in die restlos überfüllten Zellen des Präsidiums verschleppt und brutal schikaniert. Ein 16jähriger Schüler wird gezwungen, sein eigenes Blut aufzulecken. Zu dieser Zeit finden sich noch Prominente zu einem "Folter-Tribunal" zusammen und machen wenige Tage später die unglaublichen Vorfälle öffentlich.

Was hier seinen bis dahin erschreckendsten Ausdruck fand, kulminiert schließlich im "Deutschen Herbst" des Jahres 1977, in dem staatliche Repression einerseits und die zunehmend militärisch verhärtete Aktivität der Stadtguerilla-Gruppen andererseits eine Situation provozierten, in der die formelle Demokratie unter ein autoritäres Notstandsregime geriet. In der Folge einer von den staatstragenden Parteien initiierten und den Massenmedien umgesetzten Hetzkampagne schottet sich die Mehrheitsgesellschaft gegen die gesamte Linke ab – gleichgültig, wie sie zur Militanz stand. Die Position der meisten Spontis artikulierte der RK schon 1972 in der StudentInnenzeitung Diskus (Nr. 3/4, S. 17). Darin werden die Kriminalisierung der Stadtguerilla und die geforderte Entsolidarisierung zurückgewiesen, zugleich aber eine deutliche Kritik an der Roten Armee-Fraktion (RAF) entwickelt: "Die Politik der Bomben der RAF klärt nicht die Frage nach einer langfristigen revolutionären Strategie, weil sie nicht fragt, wie die Massen lernen, sich selbst zu wehren. Nicht die Bomben bringen das kapitalistische System in Gefahr, es ist erst dann in Gefahr, wenn die Massen es nicht mehr wollen und eine praktische Alternative sehen, wie sie ihr Leben verändern können. Bomben ändern nichts am Elend des Kapitalismus, an der Isolation in den modernen Wohnsilos, an der Spaltung am Arbeitsplatz. (...) Wir haben die bürgerliche Gewalt nicht erfunden, sondern vorgefunden; die Gewalt, die wir dagegen anwenden, muss aber verbunden sein mit positiven Momenten: der Erfahrung der Solidarität, der Entwicklung neuer Verkehrsformen." Seine Eine solche autonome "Massenmilitanz" fasst der RK an drei Beispielen: an der gewaltsamen Besetzung und Verteidigung von Häusern, an der gewaltsamen Bekämpfung von Streikbrechern und an der organisierten Selbstverteidigung gegen Polizeigewalt. Dennoch haben auch die Spontis den Deutschen Herbst nicht überstanden. Viele resignierten, wieder andere engagierten sich individuell in der Frauen-, der Ökologie-, der Friedensbewegung, nicht wenige schlossen sich der 1980 gegründeten Grünen Partei an. Eine jüngere Generation übernimmt eine Reihe spontaneistischer Ideen und einiges vom politischen Stil der Spontis in der Bewegung der Autonomen. Einzelne machen im Staatsapparat Karriere und mühen sich heute damit ab, sich pflichtschuldigst für ihre Vergangenheit zu entschuldigen.
Als die Pariser Mai-Bewegung des Jahres 1968, politische Utopie auch und gerade der Spontis, verebbt war, fand sich vielerorts ein anonymes, handgeschriebenes Graffiti, in dem es hieß: "Lauf schneller, Genosse, die Alte Welt ist hinter dir her!"

© links-netz Juli 2001