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Ein-Euro-Jobs als humanitäres Projekt

Christa Sonnenfeld

Das schlechte Gewissen nagt: war mein Austritt aus ver.di am Ende doch übereilt? Hätte ich mehr Geduld aufbringen müssen, wobei zu bedenken ist, dass 30 Jahre Mitgliedschaft kein Pappenstiel sind?

Den Facharbeiter im Blick, haben sich traditionell die Gewerkschaften nie sonderlich für Erwerbslose interessiert. Hie und da haben sie aber für uns gekämpft: Für verliehene Arbeitslose wurde ein Tariflohn von 6,85 € brutto die Stunde ausgehandelt. Und es gibt Erwerbslosenausschüsse bei ver.di, bei denen man das Thema ablegt, malträtiert, vergisst.

Wie aber steht ver.di zu den Ein-Euro-Jobs? Immerhin handelt es sich um rechtlose, informelle Arbeitsverhältnisse: 1 bis 1,50 € die Stunde, kein Arbeitsvertrag, keine Sozialversicherungsbeiträge, kein Geld bei Krankheit oder Urlaub, – und dies alles unter Zwang. Eine alte – allseits tolerierte – Tradition für SozialhilfebezieherInnen wurde aufgegriffen und jetzt flächendeckend ausgeweitet. Die Assoziation mit dem Reichsarbeitsdienst drängt sich zunehmend auf. Für 1 bis 2 Reichsmark am Tag, mitunter mit einem warmen Mittagessen oder Fahrtkosten; die Kommunen regelten das unterschiedlich. Wer drei Tage hintereinander nicht zur Arbeit erschien, verlor alle Bezüge. Es ging nicht allein um deren Unterbringung in Lagern oder Kasernen. Man wohnte zu Hause und vollzog den Befehl der Arbeitsämter. Das Motto lautete: „Keine Leistung ohne Gegenleistung“.

Rechtlose Arbeitsverhältnisse unter Zwang müssten die Gewerkschaften auf den Plan rufen, wegen der Angriffe auf Arbeitnehmerrechte, auch auf die der noch vermeintlich fest Angestellten. Dafür sind sie da. Und tatsächlich: ver.di drückt sich nicht vor einer Positionsbestimmung. Auf ihrer Internetseite verweisen sie zuallererst auf die Ombudsstelle der Bundesregierung (u.a. getragen von Kurt Biedenkopf), an die man sich bei Problemen wenden solle. Und dann die Stellungnahme zu den Ein-Euro-Jobs, in der es unter anderem heißt: „Eine Verurteilung des Instruments kann bei ihnen (den Ein-Euro-Jobbern) schnell als Verurteilung ihrer Entscheidung ankommen und könnte sie davon abhalten, bei uns Rat und Unterstützung zu suchen ... Ver.di ist Schutzmacht im Wandel“. Der Atem stockt. Dabei ist der Vorsitzende Bsirske durchaus rebellisch. In der Ausgabe der hauseigenen Schrift „Publik“ spricht er sich für Proteste gegen den Hartz IV-Komplex aus, die er für berechtigt hält. Weiter führt er aus: „Das ist nicht gegen die rot-grüne Regierung gerichtet. Die Opposition hat die Verschlechterung mitbeschlossen, einige sogar aktiv in die Gesetzgebung hineingedrückt“. Die „schlimmsten Auswüchse“ will die Gewerkschaft aber „abfangen“.

Rational sind diese Eiertänze zunächst nicht vollständig zugänglich. Um ihre Akzeptanz dieser Arbeitsverhältnisse zu vernebeln, werden erhebliche Anstrengungen und Windungen unternommen, um das Humane obsiegen zu lassen, die Schutzmacht lässt uns nicht allein.

Weder wird über Rechtlosigkeit geredet, noch über Zwang, – ganz im Gegenteil: Man sorgt sich um unser Selbstwertgefühl, – nicht um das der gedemütigten Erwerbstätigen, sondern um das der Erwerbslosen. So will z.B. der Dresdner Bürgermeister uns „das Gefühl geben, etwas wert zu sein“, und plant den Arbeitseinsatz für 5.000 Personen. Auch die DIHK ist überzeugt, dass Langzeitarbeitslose durch die Ein-Euro-Jobs „ein höheres Selbstwertgefühl und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ erhalten; Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut schließt sich dieser konstruktiven Sicht an und spricht von einem „gestärkten Selbstwertgefühl“, aber auch über den Vorzug „sozialer Kontakte“.

Hier wird eine relativ neue Argumentationsebene beschritten, nämlich – ähnlich wie bei ver.di – der fürsorgliche Staat, die menschlich beunruhigten Unternehmerverbände. Alle sind im Grunde willens, Gutes zu tun, und dies wird ihnen von einem Großteil der Bevölkerung offenbar abgekauft.

In der Realität dominiert dagegen eher die Raffgier. Überhaupt fällt auf, wie wohlgesonnen Wohlfahrtsverbände, feministische oder grün-alternative Vereine und kommunale Einrichtungen auf die Ein-Euro-Jobs reagieren, können sie doch weiter Arbeitsplätze abbauen und eine „Entschädigung“ für ihren Verwaltungsaufwand von bis zu 350 € pro Kopf und Monat abkassieren. Aber auch viele Erwerbslose greifen erfreut zu, zum einen, weil die Grundsicherung in der Tat nicht zum Leben reicht, zum anderen aber auch, weil man einem Marschbefehl eben gehorchen muss. Ein Frankfurter Beispiel: Die „Gemeinnützigen Frankfurter Frauenbetriebe“ (GFFB) orderten im September 2004 sage und schreibe 360 Ein-Euro-Jobber, – Dolmetscher, EDV-Fachleute, Bibliothekare, Hausmeister, Seniorenbetreuer, Bürohilfen etc. Über entsprechende Einrichtungen verfügen sie nicht, aber egal, die Erwerbslosen werden eben an andere verliehen, die den Status der Gemeinnützigkeit innehaben oder „im öffentlichen Interesse“ arbeiten. Der Trick: sie kassieren die o.a. Aufwandsentschädigung (das Kopfgeld), zahlen davon die „Verdienste“ (Löhne sind es ja nicht) inklusive einer ermäßigten Monatskarte aus und sacken den Rest ein. Gemeinnützig? In öffentlichem Interesse? Viele bekümmert es nicht, da es offenbar inzwischen ein öffentliches Interesse gibt, mit Erwerbslosen Handel zu treiben.

Die Wohlfahrtsverbände stehen hinter solchen Vereinen nicht zurück. Der Markt ist einfach zu attraktiv, um nicht mitzumischen. Die Caritas Frankfurt hat gegenwärtig in der Universität plakatiert, um für Ein-Euro-Jobber unter den Hochschulabsolventen zu werben und zu einer Veranstaltung einzuladen. Man möchte „mit interessierten AkademikerInnen zusammen ... neue Ideen und Projekte für bedarfsgerechte Arbeitsgelegenheiten entwickeln“, um Arbeitserfahrungen zu ermöglichen und die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. Man will helfen, – mit Chancen, Brücken und Angeboten. Vermutlich hängt diese Euphorie im Ausbau der Zwangsdienste bei der Caritas mit einem Projekt zusammen: Gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium soll bundesweit jetzt mit 15 Agenturen zur Tat geschritten werden (Laufzeit bis 2007); man will untersuchen, „wo weitere Ein-Euro-Jobs geschaffen werden können“, meldete der „Tagesspiegel“ Anfang April 2005. In dieser Funktion der „Arbeitgeberberatung“ soll im Gesundheits- und Sozialbereich, aber auch in Privatunternehmen ausgelotet werden, welche „Einfachsttätigkeiten“ es gibt. Finanziert wird das Projekt mit Fördergeldern der EU. Das Gute ist unerbittlich.

Man sieht, Lohndumping, entrechtete Arbeitsverhältnisse, Entwürdigung und Zwang sind hinnehmbar angesichts der Ausbeute. Man hat den Lebensstandard der Erwerbslosen so weit heruntergefahren, dass sie nahezu geräuschlos mitspielen. Und ein Bewusstsein bürgerlicher Freiheitsrechte war ohnehin nie so ganz unsere Sache.

Die Akzeptanz ist also mehrdimensional zu sehen: das Kooperationsprojekt zwischen Bundesregierung und Gewerkschaften, die Raffgier der Träger sowie die materielle Not und der Gehorsam vieler unter den Betroffenen.

Einen Aspekt habe ich noch nicht genannt, und dies kommt erschwerend hinzu: laut Umfrage ist Bundespräsident Horst Köhler derzeit der beliebteste Politiker. Gibt es eine Tendenz zum Masochismus, sind die Propagandisten endlich am Ziel oder haben wir die Bevölkerung in weiten Teilen falsch eingeschätzt?

© links-netz Mai 2005