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Die Lohnsubventionierung als trojanisches Pferd

Die soziale Sicherung wird zum Hindernis

Christa Sonnenfeld

"Wir müssen begreifen, dass minderbezahlte Jobs nicht ein Abstieg sind, sondern der Anfang für eine neue Karriere".
Handwerkspräsident Dieter Philipp im Südwestfunk zur Kombilohn-Debatte (FR, 15.8.1998)

Kombilohn – ein Flop wird zum Programm

Es ist so weit: seit März 2002 ist die Lohnsubventionierung in Gestalt des Kombilohns bundesweit eingeführt. Arbeitsverhältnisse im Einkommensbereich zwischen 325 ? und 897 ? erhalten gestaffelte Zuschüsse sowohl zu den Sozialversicherungsbeiträgen als auch zum Kindergeld. Zielgruppen sind jetzt nicht mehr nur BezieherInnen von Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe, sondern alle, die einen schlecht bezahlten Job annehmen bzw. dazu gezwungen werden. Die Dauer der Subventionierung ist generell befristet und beträgt drei Jahre.

Dabei waren die Zwischenberichte der noch laufenden Modellprojekte von den wissenschaftlichen Begleitungen alles andere als hoffnungsvoll: das "Handelsblatt" resümierte schon im April 2001: "Die Pilotprojekte sind ein Flop", und zwar nicht deshalb, weil man keine Erwerbslosen zu subventionierten Niedriglöhnen finde, sondern weil die Arbeitgeber kaum Interesse zeigten. Auch das Arbeitsministerium musste im September 2001 feststellen:

  • Es fehlt der Bedarf an gering entlohnten Arbeitskräften
  • Den Unternehmen sind die Förderbeiträge zu gering, es gibt Förderprogramme der Bundesanstalt für Arbeit, die höhere Subventionen bieten.
Im Dezember 2001 kam das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) zu dem Ergebnis, dass die "auf Deutschland hochgerechnete Inanspruchnahme der Kombilohnmodelle eher gering" ist. Es zeigen sich "keine größeren Beschäftigungseffekte". Bis zu diesem Stichtag kam es in den Modellprojekten zu 1.112 Vermittlungen, – gehofft hatte man auf 30.000 (Kaltenborn 2001). Und dies, obwohl man die Dauer der Subventionierung im Mai von 18 auf 36 Monate erhöht hatte. Man musste feststellen, dass es zu wenig Arbeitsplätze gibt, selbst im Niedriglohnbereich nicht (Frankfurter Rundschau, 11.9.2001).

Der Vater des Kombilohnmodells und ab 1. April neuer Geschäftsführer der zum Abschuss freigegeben Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster (SPD), erhofft sich bundesweit 100.000 Arbeitsplätze, die Wirtschaftsweisen wünschen sich 15-20.000; realistisch sind nach Gerhard Bäcker (WSI der Hans-Böckler-Stiftung) allenfalls 3.000 Stellen, – und zwar neue. Denn es hatte sich bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass die Arbeitgeber mit den Subventionen üblicherweise bereits vorhandene Stellen besetzen (man nennt es "Mitnahmeeffekt").

Zunächst einmal: die Subventionierung von Löhnen ist beileibe nicht neu. Schon seit vielen Jahren wird sie z.B. durch das Bundessozialhilfegesetz ermöglicht, aber kaum genutzt. Seit Jahren beklagt dies der Deutsche Städtetag bei seinen Maßnahmen im Rahmen der "Hilfe zur Arbeit". Den zentralen Grund, dafür, dass der entsprechende Paragraf kaum genutzt wird, sieht er darin, dass "es in erster Linie an geeigneten Arbeitsplätzen fehlt" (Deutscher Städtetag 2001).

Interessant bleibt demnach die Frage: weshalb ist das politische und unternehmerische Interesse an der bundesweiten Ausdehnung des Kombilohns so stark, dass man die Ergebnisse der selbst veranlassten wissenschaftlichen Begleitungen beiseite wischt?

Dazu muss man sich zunächst in die Geschichte der Debatte um Lohnsubventionen vertiefen. Sie begann allmählich und vereinzelt bereits Mitte der 90er Jahre und erfuhr einen vorläufigen Höhepunkt während des Wahlkampfes 1998. Während die CDU ein klares Votum für eine Einführung eines Kombilohns abgab, verhielten sich andere Parteien und gesellschaftliche Gruppen zunächst ablehnend. Innerhalb der Gewerkschaften waren die Positionen zunächst konträr. Der DGB gab zwar bereits im September 1997 seinen anfänglichen Widerstand ("In vielen Fällen nutzen die Unternehmen die vorhandenen untersten Lohngruppen gar nicht") schnell auf und plädierte für Modellversuche. Dagegen lehnte der IG-Metall-Vizevorsitzende Riester den Kombilohn rundweg ab, weil er nur zu einer Dauersubventionierung führe; auch andere Einzelgewerkschaften stellten sich den Plänen entgegen. So erklärte z.B. der Chef der IG Bau Wiesenhügel im August 1998, dass es bereits Wiedereingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose gebe, die aber die Industrie nicht nutze; mit dem Kombilohn werde kein einziger Arbeitsplatz geschaffen (Frankfurter Rundschau 13.8.1998). Im April 1999 war es dann so weit: die DGB-Grundsatzabteilung sprach sich für Lohnsubventionen aus, die Diskussion war beendet.

Während die Sozialdemokraten seit 1998 diese Form der Subventionierung befürworteten, lehnten die Grünen sie strikt ab, weil sie "eine Abwärtsspirale bei Löhnen und Gehältern in Gang" setzten, so Trittin im August 1998. Diese Position wurde aber gerade bis kurz nach der Bundestagswahl durchgehalten.

Die Arbeitgeber stellten in dieser Frage eher strategische Überlegungen an. So lehnte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt den Kombilohn ab, denn: "Ein Niedriglohnbereich braucht keine Lohnsubventionen sondern echte Niedriglöhne". Auch in NRW entschieden sich im Aug. 99 die Arbeitgeber aus diesen Gründen dagegen, wollten aber den Modellen keine Steine in den Weg legen. Hintergrund dieser Haltung war die Befürchtung, dass die erwünschten "neuen" Niedriglöhne – mit 20 bis 30% unter den bisher existierenden Niedriglöhnen – gesellschaftlich nicht ohne Schwierigkeiten durchsetzbar sein würden. Ganz deutlich brachte dies der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Herr Stihl im Oktober 1997 auf den Punkt. In einem Interview mit der "Wirtschaftswoche" entspann sich folgender Dialog:

"Frage: Wenn wir Sie richtig verstehen, sind Sie von dem Kombilohn aber nicht voll überzeugt?

Stihl: Wir können nicht auf einen Schlag das gesamte Sozialniveau absenken, ohne dass die Sozialpolitiker aller Couleur aufschreien. Deshalb halte ich den Weg für sinnvoll, über den Kombilohn diesen tabuisierten Bereich aufzubrechen.

Frage: Der Kombilohn also als Einstiegshilfe, um die Strukturprobleme bei den Sozialkosten schrittweise anzugehen?

Stihl: Ja, er eröffnet die Diskussion über Niedrigtarife. Aber ganz klar: Er ist keine marktwirtschaftliche Lösung, sondern eine Krücke, um die Probleme schrittweise anzupacken, für uns eine Art trojanisches Pferd, das wir bei den Gewerkschaften und Sozialpolitikern aufstellen."

Und noch ein anderer Auszug:

"Frage: Wie tief muss denn die niedrigste Lohngruppe fallen, um wirkliche Beschäftigungseffekte zu entfalten. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat eine Absenkung um 30% gefordert.

Stihl: Generell stütze ich diesen Vorschlag. Es muss für Unternehmen wieder möglich werden, geringer bezahlte Beschäftigung anzubieten." (Wirtschaftswoche, 2.10.1997)

Damit war bereits zum damaligen Zeitpunkt klar geworden, was mit der Einführung des Kombilohns beabsichtigt ist:

  • Die Einführung neuer Niedriglöhne und damit die Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus, weil nach Ablauf der Befristung die Subvention wegfällt und der neue Niedriglohn übrigbleiben wird und, weil Tariflöhne unter Druck gesetzt werden.
  • Damit einhergehend ist es dann möglich, über das Lohnabstandsgebot auch die Sozialhilfe zu senken.
  • Offenbar wollen die Unternehmen ihre Praxis ausweiten, mittels subventionierter Stellen bereits vorhandene Arbeitsplätze zu besetzen.
  • Über die Form der Subventionierung der Sozialversicherungsbeiträge soll die Tür für die längerfristige Reduzierung und Abschaffung der Sozialversicherungsbeiträge geöffnet werden.
Wichtig scheint mir darüber hinaus, wovon nicht gesprochen wird. Weder wird in Augenschein genommen, ob der Lohn existenzsichernd ist, noch, ob sich Erwerbslose für oder gegen ein solche Stelle entscheiden können. Denn klar ist, dass sämtliche Formen der Lohnsubventionierung mit Zwang durchgesetzt werden. Verweigern die Erwerbslosen den Arbeitsantritt, werden sie für drei Monate gesperrt, verweigern sie bei nochmaliger Aufforderung wieder, erhalten sie überhaupt keine Leistungen mehr. Autoritäre Strategien gehören zu den wesentlichen Mitteln, um Kosten zu sparen und die Arbeitslosenstatistik herunter zu fahren.

Parallele Entwicklungen zur Senkung des allgemeinen Lebensstandards

Diese Entwicklung hin zur flächendeckenden Ausweitung der Lohnsubventionierung darf nicht isoliert betrachtet werden, da es in den letzten Jahren ohnehin beträchtliche Bewegungen gibt, dem Druck der Arbeitgeber und dem der EU-Kommission auf die "Hochlohnländer" nachzugeben. Eine der ersten Ansätze bildete die Abschaffung des Berufsschutzes für Erwerbslose im Jahr 1997 (für SozialhilfebezieherInnen hat es diesen Schutz noch nie gegeben) und damit der Ausbau des Arbeitszwangs sowie das Ermöglichen der Vermittlung in befristete Beschäftigungen und in Zeit- bzw. Leiharbeit. Ergänzend steht eine Fülle von sog. Eingliederungshilfen und Zuschüssen für Arbeitgeber bereit.

Die Forderung nach einem Ausbau der Lohnsubventionen wurde immer von dem Argument begleitet, dass die überwiegende Zahl der erwerbsfähigen SozialhilfebezieherInnen und Langzeitarbeitslosen gering oder nicht qualifiziert seien; für diesen Personenkreis bedürfe es "neuer" Niedriglöhne. Diese Konstruktion stimmt nicht mit vorliegenden Untersuchungen überein:

  • Der DGB stellte 1999 in einer Untersuchung fest, dass im Westen 52% der Erwerbslosen eine Berufsausbildung hatten, im Osten waren es sogar 76%. Trotz dieser hohen Qualifikationsrate im Osten ist dort die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Als sog. Vermittlungshemmnis gilt real auch vielmehr nicht die fehlende Qualifikation, sondern Alter und gesundheitliche Verfassung (Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB), 7.5.1999). Bestätigt wird das Ergebnis durch eine Untersuchung des WSI im Jahr 2000: nur 40% hatten eine geringe Qualifikation, aber zu 55% ein Alter von über 45 J. und zu fast 40% gesundheitliche Probleme (Schäfer 2000, S. 11).
  • Trotz hoher Qualifikation ist die Zahl der prekär Beschäftigten im Osten Deutschlands höher.
  • Eine weitere Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt darüber hinaus für das gesamte Bundesgebiet die "vergleichsweise hohe Betroffenheit" von AkademikerInnen "durch unsichere Erwerbsformen" (Informationsdienst des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, 3/2000).
  • Niedrig qualifizierte Jobs werden durch die wieder zunehmende Taylorisierung der Arbeitsabläufe von den Unternehmen geschaffen, indem komplexe Arbeitsprozesse – und dies auch bei Banken und Versicherungen – zerlegt und so für niedrig qualifizierte Arbeit – und damit: schlechter Bezahlung – zugänglich gemacht werden (Die Welt der Arbeit, 38/2001).
Man erinnere sich an die denkwürdigen Ausführungen von Meinhard Miegel, u.a. Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, aus dem Jahr 1998: "Es gibt nur drei Wege zur raschen Senkung der Arbeitslosigkeit, die jedoch letztlich in einem münden: die Verminderung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten", und er hält u.a. einen Weg für unumgänglich, nämlich "die Erschließung oft niedrig produktiver und folglich schlecht bezahlter kleiner Dienste" (Meinhard Miegel in: Das Höchst Magazin, 2/98, S. 29). Angesichts täglicher Meldungen von Massenentlassungen (insb. im Bankengewerbe) wird klar: Es geht zukünftig darum, dass die Beschäftigten und diejenigen, die eine Arbeit suchen, sich auf eine weit schlechtere Bezahlung einstellen müssen, ob qualifiziert oder unqualifiziert, – wenn es denn überhaupt Arbeitsplätze gibt.

Absenkung der Lohnstandards

Der Druck auf die Löhne wird zunehmend durch Zeitarbeitsfirmen erzeugt, die kräftig boomen. In den hessischen Arbeitsämtern machen sie bereits 80% der potentiellen Arbeitgeber aus. Sie zahlen im Durchschnitt 40% weniger Lohn. Während in den meisten europäischen Ländern die Gleichbehandlung von ZeitarbeiterInnen gesetzlich geregelt ist, plant man bei uns sogar, über das neue Job-Aqtiv-Gesetz die Mindeststandards, also die Grenze nach unten, wegfallen zu lassen (Frankfurter Rundschau, 5.11.2001). Dass es sich hier vielfach um Wucherlöhne (= ein Drittel unter dem ortsüblichen Lohn) handeln könnte, ist offenkundig. Dazu liegt bislang nur ein Gerichtsurteil aus jüngster Zeit vor, das einen Stundenlohn von 11,50 DM brutto (= 5,87 Euro), selbst für eine ungelernte Kraft, als sittenwidrig und deshalb als Wucherlohn bezeichnete und ihn deshalb untersagte (Arbeitsgericht Bremen, Urteil vom 30.8.2000). Nach meiner Kenntnis trat bisher noch niemand gegen die Leihfirmen an, und von den Gewerkschaften ist eine (gerichtliche) Initiative nicht zu erwarten, denn sie haben mit Leihfirmen katastrophale Löhne tariflich abgesichert. So z.B. werden bei der Zeitarbeitsfirma Ranstad LeiharbeiterInnen mit 5,60 Euro brutto/Stunde entlohnt, während der angestellte Kollege 13,78 Euro/Stunde Tariflohn erhält; die verliehenen Kräfte im Osten erhielten noch weniger. Dieses System wurde vor kurzem auch von Siemens in großem Maßstab genutzt: 1.000 befristete Angestellte wurden entlassen und 800 mit 20% weniger Lohn über zwei Leiharbeitsfirmen wieder eingestellt (Handelsblatt, 17.12.2001). Generell erkennen Erwerbslose sehr schnell, dass, falls sie überhaupt noch einen Job in ihrer Qualifikation und gemäß ihrer Interessen finden, die Stellen überwiegend schlechter bezahlt sind als früher.

Derartige Praktiken üben massiven Druck auf die bestehenden Löhne aus; diese werden sich zukünftig auf niedrigerem Niveau einpendeln.

Pauschalierung der Sozialhilfe und Abschaffung der Arbeitslosenhilfe

Derzeit beteiligen sich etliche Kommunen an einem Modellprojekt, das erklärtermaßen der Selbständigkeit der SozialhilfebezieherInnen dienen und die Verwaltungswege vereinfachen soll. Sozialleistungen, die bislang auf Antrag bewilligt (oder verweigert) wurden, wie z.B. Beihilfen für Schulbedarf, Möbel u.a. sowie die Warmmiete werden monatlich pauschal ausbezahlt. Dies führt dann dazu, wie z.B. in Kassel, dass sie für eine Waschmaschine monatlich 2,66 Euro erhalten. Für Renovierung werden ihnen monatlich 3,20 Euro überwiesen, was bedeutet, dass sie 12 Jahre ansparen müssen, bis sie zur Tat schreiten können. Vor allem aber die Pauschalierung der Warmmiete wirkt sich verhängnisvoll aus. So zahlt z.B. das Sozialamt Kassel 268 Euro für eine alleinstehende Person. Ist die Miete tatsächlich höher (was der Regelfall sein dürfte), dann erfolgt die Aufforderung, sich eine billigere Wohnung zu suchen, – oder es droht Obdachlosigkeit (Wortmann 2002).

Der existentielle Druck wird dadurch für die Betroffenen immens. Über die Pauschalierung wird faktisch eine Absenkung des Sozialhilfeniveaus erreicht, ohne dass durch den Gesetzgeber – und damit: spektakulärer – eine Änderung festgeschrieben worden ist.

Hinzu kommt, dass die Zahl der SozialhilfebezieherInnen in nächster Zukunft massiv ansteigen wird. Die Bundesregierung plant nämlich nach einer Wiederwahl die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (Alhi). Nach dem Arbeitslosengeldbezug (die Arbeitgeber fordern schon seit langem eine Bezugsdauer von 12 Monaten für alle) werden dann alle Alhi-BezieherInnen nur noch Sozialhilfe beziehen. Bislang geht man von 1,6 Millionen Alhi-BezieherInnen aus, wobei man das hohe Maß an Datenmanipulation berücksichtigen muss. Vollzieht nämlich eine Langzeitarbeitslose z.B. eine Qualifizierungsmaßnahme, dann gilt sie anschließend als "Neuzugang". Es ist also von einer beachtlichen Gruppe auszugehen, die dann in die Sozialhilfe, und damit in die kommunalen Haushalte, wechseln würde.

Arbeitsplätze werden damit nicht geschaffen, aber dies ist auch gar nicht intendiert. Vielmehr geht es um die Zumutbarkeitsregelung für Alhi-BezieherInnen (die für alle gilt), die nur dann ein "Angebot" zurückweisen können, wenn die Bezahlung unter der Höhe ihrer Alhi liegt. Die Sozialhilfe dagegen ist schrankenlos: alles ist zumutbar, und sei es ein Job, der mit 50 cent bis 2 Euro die Stunde im Rahmen der sog. Gemeinnützigen Arbeit (BSHG) entlohnt wird; und die bisherigen Erfahrungen zeigen deutlich genug, dass den Beschäftigten häufig zentrale Arbeitnehmerrechte versagt werden (Spindler 2002, S. 5). Hier entsteht eine für die Unternehmen vollständig verfügbare Masse. Die materielle Notlage wird zum Motor, um Niedriglöhne auf breiter Ebene anzusiedeln und auf staatlicher Seite Kosten zu senken. Immerhin hat der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft jetzt "erbitterten Widerstand" gegen die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe angekündigt (Frankfurter Rundschau, 18.3.2002) und es bleibt zu hoffen, dass der Protest nicht, ähnlich wie bei der Frage des Kombilohns, in sich zusammenfällt.

Die Verschlechterung der materiellen Lage der von Sozialleistungen Abhängigen verfehlt nicht ihre Wirkung auf noch Erwerbstätige, denn diese werden angesichts der Probleme, die im Falle einer Kündigung auf sie zu kommt, umso mehr miserable Arbeitsverhältnisse, ungeliebte Jobs und schlechte Arbeitsbedingungen weiter ertragen.

Die Sozialbeiträge sind im Visier

Die Lohnsubventionierung geschieht über einen Zuschuss zu den Sozialversicherungsbeiträgen, sei es an den Arbeitgeber (das "Saar-Modell") oder an die ArbeitnehmerInnen ("Mainzer Modell"), um die Lohnnebenkosten zu senken. Die Absenkung der Bruttolöhne wird etwa vom Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung als dringend notwendig angesehen, und sie geben freimütig zu: "Die Subventionierung soll keine reinen Einkommenseffekte hervorrufen", auf der Unternehmer Seite allerdings schon: das Bruttoeinkommen wird reduziert, die Sozialversicherungsbeiträge werden subventioniert, wobei sich, nach einem Rechenbeispiel von Pohl/Wiedemuth, eine Personalkostenreduzierung von 23% pro Beschäftigten ergibt (Pohl/Wiedemuth, 2000 S. 89).

Die Subventionierung führt damit faktisch zu einem staatlich geförderten Lohndumping. Die Auswirkung auf die noch tariflich gesicherten Arbeitsplätze kann man sich unschwer vorstellen.

Eine andere Tendenz ist allerdings entscheidend für das sozialstaatliche Gefüge, wenn auch längerfristig angelegt, nämlich der sukzessive Ausstieg der Arbeitgeber aus der sozialen Sicherung. Seit vielen Jahren klagen Arbeitgeber über die angeblich zu hohen Lohnnebenkosten. Tatsächlich wurde aber z.B. 1997 in einer europäischen Vergleichsstudie festgestellt, dass Deutschland bei den Sozialleistungen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (Sozialleistungsquote) vor Italien den zweitniedrigsten Rang in Europa einnimmt; die Unternehmen waren seit 1990 zum Nachteil der deutschen Haushalte durch Abwälzung von Beitragsanteilen kräftig entlastet worden (Frankfurter Rundschau, 13.3.1997). Die ideologische Untermauerung dieser Entwicklung erfolgt stetig und monoton durch Appelle an die Selbstverantwortung der Individuen.

Die sog. Rentenreform war hier ein Dammbruch, denn erstmalig in der Geschichte der sozialen Sicherung zahlen Arbeitgeber prozentual weniger in die Rentenversicherung ein als ArbeitnehmerInnen. Im Februar kündigte Kanzler Schröder an, dass die Privatvorsorge weiter ausgebaut werde, und die sog. Rentenreform erst der Anfang sei. Auch bei der Krankenversicherung machen Unternehmen seit Jahren Druck dahingehend, nur noch eine "Basissicherung" zu schaffen (Hundt: "wirklich unverzichtbare Leistungen"). So plädieren inzwischen auch die Grünen für die Aufspaltung in Grund- und Wahlleistungen, wobei bei diesen Strategien zu vermuten ist, dass bei den Grundleistungen der Arbeitgeberanteil geringer ausfallen dürfte.

Ziel aber bleibt die Abschaffung des Sozialstaats und zwar über die drei Säulen der sozialen Sicherung (Renten-, Kranken und Arbeitslosenversicherung). Wolfgang Streeck, einer der Berater von Kanzler Schröder, hat dies kürzlich in einem Interview deutlich gemacht: "Wir müssen lernen, unsere soziale Sicherung nicht mehr durch Abgaben auf Arbeit zu finanzieren. Dies wäre ein teilweiser Abschied vom Bismarckschen Versicherungsprinzip, der unseren Sozialstaat beschäftigungsfreundlicher machen würde...Da die Entlastung auf beiden Seiten, bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern, stattfände, würden niedrigere Einkommen netto nicht sinken, sondern im Gegenteil steigen" (Frankfurter Rundschau, 10.2.2002). Damit wird nach meiner Kenntnis zum ersten Mal in parteipolitischen Kreisen öffentlich – und selbstbewusst – darüber räsoniert, dass der verbliebene Sozialstaat mit den genannten Säulen der sozialen Sicherung endgültig abgeschafft werden soll, sind doch selbst seine Rudimente noch ein Hindernis unternehmerischer Verwertungsinteressen. Ein erster Schritt dazu wird mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe getan werden.

Aktuell gehen diese Strategien bei der Arbeitslosenversicherung am weitesten. Die statistischen Manipulationen der Bundesanstalt für Arbeit (die noch viel weitergehender sind, als gegenwärtig beklagt wird) sind für einige Interessengruppen der willkommene Anlass, den Nutzen der Beitragszahlungen in Frage zu stellen und die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung zu fordern, und damit die Unternehmen ganz aus der sozialen Sicherung herauszunehmen. Meinhard Miegel unterstützt dieses Projekt und schlägt vor, dass dann diese private Versicherung obligatorisch für alle Erwerbstätige sein müsse (DIE WOCHE, 1.3.2002).

Die soziale Sicherung retten?

Die Abschaffung der paritätisch finanzierten Sicherung – und damit des Solidarprinzips – wird, wie jetzt schon bei der sog. Rentenreform zu erkennen, nicht nur im Versicherungsfall zu vermehrter Armut führen, da die private Absicherung monatlich zu Buche schlägt. Eine Armenfürsorge anstelle der bisherigen, wie auch immer defizitären, kontrollierenden sozialen Sicherung zeichnet sich ab, in einer langsamen Erosion.

Wenn es um Argumente und Strategien gegen diese Entwicklung geht, wird allzu schnell gegen den Sozialabbau protestiert und ein stärkeres Intervenieren des Staates gefordert. Auffällig ist, dass dabei mitunter die ökonomische Bedingtheit (der Sozialstaat als Sozialer Kapitalismus) als notwendige Voraussetzung unberührt bleibt. Diese Kritik wäre auch deshalb weiterführend, weil der fortgeschrittene Kapitalismus den sozialen Frieden der fordistischen Ära nicht mehr braucht. Inzwischen wird nicht einmal mehr von der "Krise des Sozialstaats" gesprochen, die einen Abbau notwendig mache. Die Legitimationen haben sich verschoben, indem zum einen die Argumente moralisch aufgeladen werden ("Mehr Eigenverantwortung"), zum anderen ausschließlich von Effizienzkriterien geprägt sind. Die Ökonomisierung des Sozialen wird hier konkret.

Die Frage bleibt, wie ein kritisches, produktives Verhältnis zu diesen Entwicklungen hergestellt werden kann. Eine Idealisierung des Sozialstaats der 70er und 80er Jahre ist eine Verkennung der Realität. Reanimierungsversuche vernachlässigen nämlich, dass weder soziale Rechte in Gestalt einer aktiven politischen Teilhabe noch eine menschenwürdige Existenzsicherung gegeben waren, da die Vergabe von Sozialleistungen immer mit Zwang und Disziplinierung verknüpft waren. Die Bürokratisierung der Daseinsvorsorge war ebenso virulent wie die Ungleichheit der Lebenschancen (Narr 1999). Bedürftigkeit bedeutete immer, bürokratischer Repression ausgesetzt zu sein.

Zum zweiten war das System der sozialen Sicherung Bismarckscher Prägung immer erwerbszentriert. Die Weigerung, eine Stelle anzutreten, war deshalb immer auch mit der Androhung und Durchsetzung des Leistungsentzugs gekoppelt, wenn auch im alten Arbeitsförderungsgesetz noch immerhin die Interessen der Erwerbslosen und ihr Schutz vor "unterwertiger" Beschäftigung zumindest Bestandteil der Gesetze war. Darüber hinaus wohnt dem erwerbszentrierten Sozialstaat ein Widerspruch inne, weil er dann am leistungsfähigsten ist, wenn er – z.B. in Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit – am wenigsten in Anspruch genommen wurde.

Weder die Rückkehr zum Sozialstaat der 70er und 80er Jahre, noch die Forderung nach dem Erhalt der sozialen Sicherung wird uns, angesichts des Umstands, dass es immer weniger existenzsichernde Arbeitsplätze gibt, einem menschenwürdigen Dasein näher bringen, das eine Sicherung auch ohne Lohnarbeit ermöglicht. Ein bedingungsloses, ausreichendes Grundeinkommen würde von daher auch nicht auf dem Beitragsmodell fußen, das der jetzigen sozialen Sicherung zugrunde liegt.

Die Formen der Lohnsubventionierung vor allem durch den Kombilohn und die damit assoziierten Folgeprobleme machen deutlich, dass es zukünftig zentral um die Frage der Existenzsicherung, ob mit oder ohne Arbeit, gehen wird.

Literatur:

Deutscher Städtetag (2001), Kommunale Beschäftigungsförderung. Ergebnisse einer Umfrage über Hilfen zur Arbeit nach dem BSHG und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach SGB III im Jahr 2000, Köln.

Kaltenborn, Bruno (2001), Kombilöhne in Deutschland. Eine systematische Übersicht, IAB Werkstattbericht 14/2001.

Narr, Wolf-Dieter (1999), Zukunft des Sozialstaats – als Zukunft einer Illusion?, Neu-Ulm.

Pohl, Gerd/Wiedemuth, Jörg (2000), Mehr Beschäftigung durch Lohnsubventionierung im Niedriglohnsektor?, in: Schäfer 2000.

Schäfer, Claus (Hg.) (2000), Geringe Löhne – mehr Beschäftigung? Niedriglohnpolitik, Hamburg.

Spindler, Helga (2002), Beschäftigungsprogramme entmündigen junge Arbeitslose, in: epd, 1/2002.

Wortmann, Martin (2002), Andere hätten mich schon vor die Tür gesetzt, in: epd sozial, 6/2002.

© links-netz März 2002