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Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

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Die Petition – eine Bitte als Protest?

Christa Sonnenfeld

Im Jahr 2009 gingen im Bundestag mehr als 18.000 Petitionen ein, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 11%. Nach offiziellen Angaben geht es im wesentlichen geht um die Themen Arbeit und Soziales (DIE ZEIT, 21.2.2010); in jüngster Zeit kann die Petition für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), unterstützt vom „Netzwerk Grundeinkommen“ noch unterschrieben werden. Eine Zunahme stellt man selbst fest, wenn man in verschiedenen E-mail-Verteilern registriert ist.

Seit dem Jahr 2005 gibt es das System „ePetition“, wo via Internet Petitionen eingereicht werden können, ein Mausklick genügt. Trotz vereinfachter Zugänge bleiben die Hürden, um überhaupt gehört zu werden, beachtlich. So bedarf es mindestens 50.000 Unterschriften, damit der Petitionsausschuss eine öffentliche Anhörung anberaumt. Wie viele Petitionen letztlich zu einer Änderung geführt haben, ist nicht einsehbar (de.wikipedia.org).

Das Petitionsrecht gehört zu den wenigen Partizipationsmöglichkeiten, die im Grundgesetz verankert sind. Neben diesem Recht gehören Wahlen, Versammlungsfreiheit und Demonstrationsrecht dazu, Bürgerbeteiligung ist deshalb konstitutiv stark eingeschränkt. „Unbedingte Teilhaberechte“, wie sie etwa die Allgemeine Erklärung für Menschenrechte fordert, ist bei uns nicht zu haben. Sie wären mehr als die Abwehr staatlicher Übergriffe, nämlich die aktive Teilnahme, die auf Mitverantwortung und Mitgestaltung ausgerichtet ist (Narr/Vogelskamp, 2010).1 Die Petition ist also ein Instrument, das das Grundgesetz bereit hält, aber eben nicht mehr.

Grundsätzlich wird natürlich dieser Weg nicht erst in den letzten Jahren genutzt. Er wurde immer auch – ähnlich wie Unterschriftenlisten – als Protestform in Betracht gezogen. Das zeigt sich auf anrührende Weise in einer Schrift („Sozialkundebrief“) der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung vom Juli 1969, die sich dem Thema: „Parlamentarische und außerparlamentarische Opposition“ widmet. Dabei werden verschiedene „Kampfmittel“ der als legitim erachteten außerparlamentarischen Opposition, etwa die Massenversammlung, Sit-ins, öffentliche Diskussionsgruppen, Streiks, Demonstrationen, ziviler Ungehorsam – und eben auch die Petition erläutert. Die Wahl der Mittel, so wird ausgeführt, hängt davon ab, wie man sich auf den Gegner einstellt, welche Verbündete man wählt und welches Ziel – „das für jedermann erkennbar sein muß“ – man konkret verfolgt. „Ob man sich mit Petitionen begnügen kann oder ob man Massendemonstrationen durchführen muß, hängt davon ab, ob der Adressat von dem milderen Mittel hinreichend beeindruckt wird“ (42).2

Die Darlegungen sind unverhohlen wollwollend und werfen damit auch ein Licht auf die praktizierten Protestformen in der Gegenwart. Es weitet sich eine Haltung aus, die weder Provokation noch Widerstand will. In der zitierten Schrift wird noch ein anderer Aspekt deutlich: in einem kollektiven Prozess werden Formen und gegebenenfalls Steigerungen des Protests abgewogen und entschieden; es sitzen mehrere Menschen zusammen und überlegen die Angemessenheit der verschiedenen Mittel und das heißt, dass Mittel und Ziel miteinander verbunden sind.

Das Verfahren der Petition beinhaltet zunächst zwei Besonderheiten:

  • Es ist eine Form des Protests, man bekundet Unmut. Gleichzeitig ist sie staatstragend und legalistisch: man zeigt Vertrauen in die staatlichen Institutionen. Man bewegt sich auf der Ebene der erlaubten Protestformen, will keinen Ungehorsam, – man will nicht über die Stränge schlagen. Sie bestätigt und festigt den Staat.
  • Es ist eine Bitte an eine staatliche Instanz, gehört zu werden. Gegen alle Erfahrung mit politischen Entscheidungsprozessen gilt der Glaube an die Kraft des Arguments.

Berücksichtigt man nun die gehäufte Verbreitung von Petitionen über das Internet, kommt zwangsläufig die Frage nach der Kollektivität derartiger Entscheidungsprozesse ins Blickfeld.

Beschleunigung durch das Internet

Dieses Instrument hat aller Wahrscheinlichkeit nach zur Zunahme der Petitionen beigetragen. Wie einfach ist es, seine Meinung (die sich u.U. sehr spontan herausbilden kann) in die Welt zu tragen, ohne sich um weitere Schritte oder Aktionsformen kümmern zu müssen.

Thematisch sind die Anlässe, eine Petition abzugeben bzw. zu unterstützen, breit gefächert und berühren zahlreiche Politikfelder, wie die gegenwärtig im Netz stehenden deutlich machen. Hier einige Beispiele:

  • Abschaffung der kassenärztlichen Vereinigung
  • Asylrecht
  • Erbrecht
  • Arbeitslosengeld II
  • Tierschutz (chinesische Pelztiere)
  • Haft für Xavier Naidoo (ein Beispiel unter www.petitionen.com)
  • Volksabstimmung jetzt
  • Abschaffung der GEZ-Gebühren
  • Abschaffung des Branntweinmonopols
  • Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)
  • Gegen die Privatisierung von Gewässern
  • Gegen das Killerspielverbot

u.a. (Weitere Beispiele unter: epetitionen.bundestag.de)

Durch bloßes Anklicken kann man mitzeichnen. Es ist die Beliebigkeit der Themen, die auffällt, wobei das Mittel nicht Bezug zu ihnen steht.

Am Beispiel des BGE (als bloße Geldforderung) zeigt sich aber noch ein anderes Moment: man sucht über diesen Weg Öffentlichkeit, ohne große Hoffnung zu hegen, dass die staatlichen Instanzen dem Anliegen zustimmen.

Die Initiatoren formulierten zunächst das Anliegen „Der Deutsche Bundestag möge beschließen ... das bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.“

Auf der Internetseite archiv-grundeinkommen.de wird u.a. darüber informiert, dass bereits ca. 53.000 Unterschriften zusammen gekommen sind und, dass es voraussichtlich im November 2010 zu einer öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss kommen wird. Es kann deshalb zur Zeit noch unterzeichnet werden.3

Es werden darüber hinaus Sammelstellen für handschriftliche Unterschriften angegeben, von denen aber offenbar wenig Gebrauch gemacht wird (Adresse s.o.). Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine Petition schnell unterzeichnet ist, dass es aber noch lange nicht bedeutet, dass ein großes Protestpotential vorhanden ist.

Die Initiatoren beabsichtigen damit vor allem, so bekräftigen sie, dass es durch diesen Antrag zu einer breiten Diskussion kommen soll. „Wenn das Grundeinkommen auch nicht per Petitions-Volksabstimmung eingeführt wird, so hat diese Petition bereits bewirken können, dass sich die Diskussion über das Thema sehr weit verbreitet und intensiviert hat. Weiteres Unterschriften-Sammeln führt nebenbei zu vielen einzelnen Gesprächen mit unterschiedlichsten Menschen über das Thema. Genau darauf, so meinen wir, kommt es in dieser Phase unserer Bewegung am meisten an!“

Kollektive Erfahrung?

Man glaubt selbst nicht an eine Zustimmung staatlicher Entscheidungsträger, hegt aber die Hoffnung, durch Rundschreiben per E-Mail oder die Präsenz im Internet Öffentlichkeit herzustellen. Welche Bedeutung hat dabei die Anzahl der Unterschriften: sind sie überhaupt Ausdruck eines Protestpotentials?

Wenn über das Internet gesammelte Unterschriften gegen die Kopfpauschale im Gesundheitswesen (die Aktion läuft noch) Herrn Rösler unter erhoffter medialer Öffentlichkeit übergeben werden, wird das für ihn wohl kaum handlungsrelevant, - und für diejenigen, die unterschrieben haben, wohl ebenso folgenlos, weil mit der Übergabe die Aktion abgeschlossen ist.

Welche politische Kraft steckt in einer unsichtbaren Öffentlichkeit, die aus unverbundenen Individuen besteht (wenn man die unmittelbaren Organisatoren außer Betracht lässt)? Dieses Phänomen scheint bedeutsam: der Austausch der Argumente, der Dialog über Strategien und die Kritik an staatlichen Entscheidungen wird nachrangig und damit verändert sich auch das Bedürfnis nach Öffentlichkeit als kollektive, gesellschaftliche Erfahrung.

Protest ausschließlich über diesen Weg zu artikulieren, ist in hohem Maße individualistisch: man sitzt alleine vor dem Computer, drückt mit wenigen Klicks seinen Protest aus und hat das Gefühl, sich zur Wehr gesetzt zu haben. U.U. hat man mit niemandem darüber diskutiert. Gleichzeitig fällt mit diesem Klick aber auch eine Entscheidung subjektiv leichter, da man keine Gegenargumente austauschen muss.

Die Frage bleibt, ob sich aus dem individuellen Mausklick auch gemeinsame Aktion ergibt, oder, ob Unterschriftensammlungen bzw. Petitionen nur dann als Protestform Bedeutung gewinnen, wenn sie in persönliche unmittelbare Kontakte und andere Protestformen eingebunden sind.

Erst einmal ist auf der Straße nicht viel davon zu sehen.

Anmerkungen

  1. Narr, Wolf-Dieter/Vogelskamp, Dirk, Das Existenzminimum, wie es die herrschend Besitzenden festlegen, Köln 2010Zurück zur Textstelle
  2. Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Parlamentarische und außerparlamentarische Opposition, Sozialkundebriefe für Jugend und Schule, Wiesbaden 1969Zurück zur Textstelle
  3. Begründung des Anliegens von Susanne Wiest, die stellvertretend den Antrag gestellt hat:„Unser Finanz- und Steuersystem ist sehr unübersichtlich geworden. Auch die Arbeitslosenquote scheint eine feste Größe geworden sein. Um nun allen Bürgern ein würdevolles Leben zu gewährleisten, erscheint mir die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als guter Lösungsweg. Ca. 1500€ für jeden Erwachsenen und 1000€ für jedes Kind.Alle bestehenden Transferleistungen, Subventionen und Steuern einstellen und als einzige(!) Steuer eine hohe Konsumsteuer einführen. Eine deutliche Vereinfachung unseres komplizierten Finanzsystems erscheint mir zwingend erforderlich. Auch ginge mit dieser Veränderung ein deutlicher Bürokratieabbau, und damit eine Verwaltungskostenreduzierung, einher“.Zurück zur Textstelle
© links-netz Mai 2010