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In die Tiefe des feindlichen Raums

Einige Vorüberlegungen zum Einsatz von Bundeswehr und Polizei gegen Arbeitslose

Christa Sonnenfeld

Ausgangslage

Armut und Arbeitslosigkeit sind in der Bundesrepublik weitaus verbreiteter als öffentlich wahrgenommen. Es wird dem überwiegenden Teil der Presse auf längere Sicht nicht mehr gelingen, das reale Ausmaß der Ungleichheit zu deckeln. Zunehmende Verarmung und deren Kontrolle bedeuten für die „Strategische Gemeinschaft“ die größte Herausforderung der kommenden Jahre, denn Ungleichheit kann zu Radikalisierung, Militanz und zur Bereitschaft zur Anwendung terroristischer Mittel führen.1 Der Staat muss sich rüsten. Unter diesem Blickwinkel erscheint der geplante Einsatz der Bundeswehr im Inneren und im Team mit Polizeikräften nur folgerichtig. Er wird noch einige parlamentarische Hürden nehmen müssen, aber die Vorarbeiten sind zu weit gediehen, als dass man noch umsteuern könnte. Und es gibt genug zu tun.

Wie aber ließe sich die zivil-militärische Zusammenarbeit für spezifische Bevölkerungsgruppen so organisieren, dass

  • die Leistungsträger nicht tangiert werden, und
  • der Angriff gegen die ausgewählten Zielgruppen als Schutzmaßnahme begriffen wird?

Konfliktfelder – und damit: Zielgruppen – gibt es genug: Hooligans, eskalierende Straßenschlachten und Plünderungen oder nach einem vorübergehenden Zusammenbruch der Ordnungsmaßnahmen. Dabei ist der Einsatz von scharfen Waffen ungeheuer problematisch und Wegschauen keine Alternative.

Derartige Abwägungen gelten auch für Bevölkerungsteile, die durch das Absenken des Existenzminimums zunehmend in Kriminalität und Militanz abgleiten können. Die Arbeit der Sozialämter und Jobcenter stößt an ihre Grenzen, weil es den Mitarbeitern dort bislang nicht erlaubt ist, Waffen zu tragen. Schon jetzt sichern Security-Einheiten die Flure, aber sie sind zum einen konventionell ausgerüstet; zum anderen sind sie bislang nicht in strategische Planungen von Bundeswehr und Polizei eingebunden. Ein anderer Versuch einiger Jobcenter besteht darin, nur geladenen Erwerbslosen in ihre Gebäude Zutritt zu gewähren; man will keine ungebetenen Kunden. Aber auch dieser Filter ist löchrig, weil auch geladene Arbeitslose potenzielle Unruhestifter sein könnten.

Das Konzept

Seit einigen Jahren bereitet sich die Bundeswehr auf Einsätze im Inneren vor. Im Mittelpunkt steht dabei die vernetzte Sicherheit. In Zusammenarbeit mit Polizeibehörden wird sowohl die Transformation der Bundeswehr als auch der veränderte Einsatz von Kampfmitteln beschleunigt: Der Stadtkampf ist dabei das vordringlichste Projekt der nächsten Jahre; die Stadt ist das wahrscheinlichste Einsatzfeld der Streitkräfte der Zukunft und muss deshalb ernst genommen werden. Nicht-tödliche Wirkmittel (NLW)2 sind dabei das Herzstück einer umsichtigen Einsatzplanung: sie reichen vom Einsatz von Klebeschaum und Laserinstrumenten bis zu Luftdruckwellen, Beschallung und chemischen Reizmitteln. All diese Kampfmittel sollen dazu dienen, potentielle Unruhestifter im Vorfeld bewegungsunfähig zu machen, um sie danach ruhig und zügig festsetzen zu können. Opfer unter der Zivilbevölkerung oder unbeteiligten Gruppen sind ungeheuer problematisch und deshalb bieten die NLW eine Alternative, denn sie wirken nicht tödlich und sind in der Lage, einen akuten Konflikt einzudämmen, ohne bei den betroffenen Parteien bleibende Schäden zu hinterlassen.

Hier geht es um Kampfeinsätze von hoher Intensität und meist kurzer Dauer, um in die Tiefe des feindlichen Raums vordringen zu können.

Sozio-humanitäre Aspekte der Einsätze

Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT), das seit 2001 zu diesem Einsatzinstrument internationale Konferenzen abhält, fasst das Anliegen vor dem Hintergrund wachsender neuer – auch innerer – Bedrohungen kurz und prägnant zusammen: „Nie mehr ohnmächtig zuschauen – Frieden sichern mit Nachdruck, aber ohne tödliche Konsequenzen“. Die europäische Arbeitsgruppe für NLW (EWG-NLW), die von Mitgliedern aus Österreich, Tschechien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Russland, Schweden, Großbritannien und Deutschland getragen wird, hat sich die Förderung der Entwicklung und der Einsatzmöglichkeiten von nicht-tödlichen Wirkmitteln zum Ziel gesetzt. Es werden auch Wissenschaftler und Strategen aus anderen Ländern eingeladen, die bereits praktische Erfahrungen vorweisen können. Auf besonderes Interesse werden dabei sicher auch die Berichte von amerikanischen und russischen Wissenschaftlern stoßen, so eine Tagungsankündigung. Denkbar wäre deshalb zukünftig, auch Zimbabwe oder Haiti um Erfahrungsberichte zu bitten. Hier gibt es sicher viele Schnittmengen.

Auch die Europäische Union schläft nicht. Schon im Jahr 2000 listete sie „crowd control weapons“ auf, so z.B. mittels Gasattacken gegen Aufrührer (Chemical Irritant Riot Control Gases); die Gase lösen Augenbrennen, Atembeschwerden oder Schmerzen auf der Haut aus. Man plädiert dafür, diese Waffen demokratisch und verantwortungsvoll einzusetzen. Diese Haltung ist umsichtig, weil sich niemand die dunkle Zeit der Inquisition zurückwünscht.

Die Fachkräfte diskutieren international auch die rechtlichen Aspekte dieser Einsätze, und damit ihre humanitäre Bedeutung. Ein Ehrenpräsident der Internationalen Gesellschaft für Kriegsrecht zieht den Schluss, dass diese Instrumente sowohl den modernen Anforderungen zur Krisenbewältigung entsprächen als auch einer Grundforderung der Humanität. Und damit wird einsichtig, dass humanes Handeln heißt: nicht zu töten sondern Schmerzen zuzufügen; damit wird sich Menschenrechten untergeordnet.

Und darum geht es auch bei den Experimenten, in denen die Kampfmittel erprobt werden. Dabei ist man sich einig, dass hierzu nur sog. Dummies eingesetzt werden sollten. Damit wird sich eindeutig gegen amerikanische Experimente mit Menschen und Tieren (z.B. Tests mit Elektroschockern) positioniert; sie sind ethisch mehr als fragwürdig; für uns Europäer sind sie verwerflich. Denn wir haben eine andere Menschenrechtstradition und setzen nur nachhaltig getestete Waffen gegen Personen ein.

Hohe Anforderungen an die Einhaltung menschenrechtlicher Standards sind auch in einer anderen Richtung anzulegen. Bei den gemeinsamen Übungen von Bundeswehr und Polizeieinheiten geht es auch um die Sicherung von Datenschutz, Schutz der Privatsphäre und die Achtung der Menschenwürde der Einsatzkräfte.

Herstellen von Akzeptanz

Notwendig ist ein breiter, öffentlicher Diskurs, mit Ruhe und Augenmaß, in dem die Möglichkeiten dieser Einsätze ausdiskutiert werden, denn der Paradigmenwechsel der Bundeswehr von der Verteidigung zum Schutz muss von der Bevölkerung mitgetragen werden. Es geht um einen medienfreundlichen Krieg.

Mögliche Szenarien

Crowd Management, wie Einsätze z.B. gegen Menschenansammlungen und organisierte Unruhen, ist bei der Zielgruppe der Arbeitslosen und Armen gegenwärtig noch kein Mittel der Wahl, da bislang noch in hohem Maße individuell auf wachsende Ungleichheit reagiert wird. Dies könnte sich jedoch in absehbarer Zeit ändern. Schon jetzt werden individuelle Scharmützel in den Ämtern ausgetragen. Aber schon kleine Besetzungen, Aktionstage oder gar Sitzblockaden können dem öffentlichen Wunsch nach einem ruhigen sozialen Miteinander zuwider laufen.

Gefährdungspotentiale ergeben sich auch daraus, dass Arbeitslose und Arme plündernd durch Supermärkte oder Luxusrestaurants ziehen, wie es in einzelnen bundesdeutschen Städten bereits geschehen ist. Dabei kann es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit Angestellten und Sicherheitskräften kommen, die außerstande sind, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Mit dem Einsatz strategischer Wirkmittel können gezielt einzelne Unruhestifter kurzfristig außer Gefecht gesetzt werden. Der Zugriff erfolgt so, dass mit einer hohen Akzeptanz der Leistungsträger zu rechnen sein dürfte.

Das inzwischen zunehmend akzeptierte Water-Boarding wäre in einem weiteren Schritt dazu geeignet, Informationen über organisatorische Zusammenhänge und Drahtzieher einzuholen. Aber auch bei diesem Instrument dürfen Nachhaltigkeit und Humanität nicht aus dem Blick geraten.

Vernetzte Sicherheit gewährleistet so die Kontrolle des Raums, ohne zwischen Krieg oder Frieden zu unterscheiden. Diese Unterscheidung gilt in westlichen Zivilisationen inzwischen als überholt. Innerer Feind und äußerer Feind sind eins.

Ob Taliban oder Arbeitslose: Nicht-tödliche Wirkmittel sind neue Einsatzoptionen, wenn das friedliche Miteinander gefährdet ist.

Anmerkungen

  1. Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus folgenden Texten:
  2. NLW heißt non-lethal weapons. In der Übersetzung erscheint der Begriff der ‚Waffe’ wohl zu plump, deshalb ‚Wirkmittel’.Zurück zur Textstelle
© links-netz März 2008