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Der Zwang heiligt die Mittel

Ein-Euro-Jobs und ihre Profiteure am Beispiel Frankfurt/M.

Christa Sonnenfeld

Ein-Euro-Jobs sind inzwischen längst zu einem festen Bestandteil hiesiger Vorstellungen von einer gelungenen Beschäftigungspolitik geworden und in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert. Gleichwohl häuft sich die Kritik an der praktischen Umsetzung und der Effizienz dieser Jobs. So wurde vom Bundesrechnungshof schon frühzeitig gerügt, dass bei fast einem Viertel der Maßnahmen die Förderungsvoraussetzungen nicht vorlagen;1 ein Richter des Bundessozialgerichts bemängelte, dass die Wochenarbeitszeit viel zu hoch sei und resümiert, dass das Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt verfehlt worden ist,2 das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kritisierte u.a., dass diese Jobs zum Personalabbau genutzt werden bzw. die Jobber müssen reguläre Arbeiten erledigen; überdies weise der Ein-Euro-Job im Vergleich zu anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten die schlechteste Eingliederungsquote auf.3 Bemerkenswert ist, dass all die kritischen Stimmen, selbst von etablierter Seite, an der Bundesregierung spurlos vorbeigehen. Es gibt schließlich auch keinen Druck von unten, der dazu veranlassen könnte, an dieser z.T. illegalen Praxis etwas zu ändern.

Der Zwang, mit dem die Ein-Euro-Jobs durchgesetzt werden, die grundrechtliche Dimension dieser Maßnahmen, die historischen Bezüge zu staatlich organisierten Arbeitseinsätzen, bleiben auch in den kritischen Äußerungen unerwähnt. Dennoch lassen sich dazu immer wieder Informationen beziehen, wenn auch nicht in den großen Tageszeitungen, so z.B. über labournet oder in Zeitungen wie „junge Welt“, „Neues Deutschland“, „express“ oder „Freitag“.

Nach einigen Erläuterungen zur bundesweiten Praxis soll es im folgenden um die besondere Situation in Frankfurt, und hier um die Aktivitäten der „Werkstatt Frankfurt“, einem kommunalen Beschäftigungsträger, gehen. Dazu liegt eine tabellarische Übersicht über die verschiedenen Einsatzgebiete und die Zahl der eingesetzten Ein-Euro-Jobber vor, auf die weiter unten noch ausführlicher eingegangen wird.

Rechtliche Grundlage der Ein-Euro-Jobs

Auf der Grundlage des § 16 (3) SGB II unterliegt eine Arbeitsgelegenheit nach der Mehraufwandsvariante nicht dem Arbeitsrecht, es werden keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, es besteht ausschließlich ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis, in dem die allgemeinen Regelungen des Arbeitsschutzes Anwendung finden; Herr-Knecht-Verhältnisse halten auf diese Weise Einzug. Die Betroffenen erhalten ihr Arbeitslosengeld II und zusätzlich pro Stunde zwischen 1 und 1,50 Euro und arbeiten dafür 25-40 Wochenstunden. Da die Arbeitslosen über 15 Stunden in der Woche beschäftigt sind, fallen sie aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Die Maßnahmen dauern 6 bis 9, in Ausnahmefällen auch bis 12 Monate, wobei es immer wieder Stimmen gibt, die eine längere Laufzeit fordern.

Wer das „Angebot“ ablehnt, riskiert eine dreimonatige Kürzung seines/ihres Arbeitslosengeldes um 30% des Regelsatzes von 345 Euro (rund 100 €). Nach nochmaliger Verweigerung werden 60% des Satzes gestrichen, in einer dritten Stufe gibt das Gesetz die Möglichkeit, die gesamte Zahlung (inklusive der Miete und eines Großteils der Heizungskosten) einzustellen; Lebensmittelgutscheine können dann gewährt werden. Personen unter 25 Jahren können bereits bei der ersten Verweigerung sämtliche Bezüge verlieren; auch ihnen können Lebensmittelgutscheine angeboten werden. Der Zwang, den Arbeitseinsatz anzutreten, ist deshalb enorm, zum einen, weil der Regelsatz ohnehin nicht zum Leben reicht, zum anderen, weil nach der dritten Verweigerung nicht nur Obdachlosigkeit sondern auch Verhungern droht.

Generell müssen diese Arbeitsgelegenheiten gemeinnützig, zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein. Und sie sollen eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein.

Einsatzgebiete bundesweit:

Generell ist die Regelung so, dass gemeinnützige Organisationen die Arbeitsgelegenheiten einrichten. Sie erhalten von den Arbeitsagenturen pro Erwerbslosem monatlich zwischen 300 und 500 Euro, wobei sie einen Teil an die Jobber abführen. Bei einer Arbeitszeit von z.B. 25 Wochenstunden und einer Bezahlung von 1,50 Euro erhält der/die Erwerbslose danach 150 Euro im Monat; in der Regel erhalten sie zusätzlich Geld für eine ermäßigte Monatskarte für den Öffentlichen Nahverkehr. Bezahlt werden nur tatsächlich geleistete Stunden (also kein Geld bei Krankheit und Urlaub). Den Differenzbetrag streicht der gemeinnützige Träger ein („Verwaltungsaufwand“). Nach Ablauf der Frist von max. 12 Monaten werden die Arbeitslosen ausgewechselt.

In den Jahren 2005 und 2006 mussten 1.386.200 Erwerbslose ihren Dienst antreten.4 Die gemeinnützigen Organisationen selbst können eine derart große Anzahl von Jobbern nicht bei sich unterbringen. Sie gingen deshalb schnell dazu über, ein Verleihsystem zu entwickeln: sie verleihen die Erwerblosen an Organisationen, die nicht gemeinnützig sind und behalten das „Kopfgeld“ ein. Somit sind zwei Gewinner auszumachen: der gemeinnützige Träger, der Monat für Monat eine bestimmte Summe pro Kopf einstreicht, und die Nehmer-Organisation, die Personalkosten einspart und keine neuen Leute einstellen muss.

Bundesweit hat sich große Phantasie entfaltet, Einsatzbereiche dafür zu finden – hier nur einige Beispiele: Jobs in der Altenhilfe, im Grünflächenbereich, in Schulen, Universitäten (als Lehrende oder zur Bewachung der Uni-Garderobe), bei Umweltverbänden, in Zeitungen (mittels eines Trägervereins „Medien-Pool“), Museen, Schwimmbädern, Sportvereinen u.a. Für Truppenübungen vor Auslandseinsätzen bei der Bundeswehr schlug Verteidigungsminister Struck 2005 etwa vor, nicht Soldaten sondern Ein-Euro-Jobber als Darsteller bei gespielten Kampfhandlungen einzusetzen (Spiegel online, 29.6.2005). Es ist nicht bekannt, ob dieser Vorschlag sich durchsetzen konnte. Aber man sieht: Erwerbslose sind für jeden Dreck zu haben.

Der zentrale Profiteur ist bundesweit schnell ausgemacht, denn alle Jobber sind während der Laufzeit aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen. Berücksichtigt man dabei noch die Verweigerer und diejenigen, die sich gezwungenermaßen in Kursen, „vertieften Profilings“, Workshops oder Trainingsmaßnahmen befinden und ebenso nicht gezählt werden, dann relativiert sich das zarte Pflänzchen Aufschwung mit seiner Wohlfühl-Arbeitslosenstatistik.

Die Situation in Frankfurt

In Frankfurt gibt es einige große Akteure, die beim Einsatz der Jobber erstaunlich umtriebig sind, allen voran die kommunale Beschäftigungsgesellschaft „Werkstatt Frankfurt“, der „Internationale Bund für Sozialarbeit“ (IB) und der Caritasverband. Hinzu kommen die „Gemeinnützige Frankfurter Frauenbeschäftigungsgesellschaft (GFFB)“, die Arbeiterwohlfahrt und das Diakonisches Werk als die großen Profiteure. In einem Artikel in der „jungen Welt“ wird für die bundesweite Praxis gerätselt, wie die eingenommenen „Aufwandsentschädigungen“ verbucht werden, da gemeinnützige Organisationen keine Gewinne machen dürfen. Es wurde vermutet, dass die zum Teil hohen monatlichen Summen die Gehälter der jeweiligen Geschäftsführer aufpolstern (01.03.2007). Letztlich ist die Frage nicht geklärt, sollte aber zu Nachforschungen anregen.

Die GFFB stampfen mit viel Phantasie immer wieder neue Projekte – und damit: Einsatzgebiete – aus dem Boden: Büroservice-HelferInnen, Aufbau von Stadtteilbüros, Internationale Gästebetreuung, Erstellen einer Website für die Stadt, Ausbildungsplatzakquise, Dolmetscher u.a.5 Sie führen Arbeitsgelegenheiten in Eigenregie durch und fungieren parallel dazu als Verleihfirma. Die Kopfpauschale beträgt zwischen 300 und 500 Euro pro Person und Monat (die exakte Summe ist nicht bekannt). Darüber hinaus haben die Frauenbetriebe Filialen in Darmstadt, Langen und Rüsselsheim und kooperieren mit zahlreichen Organisationen, die selbst nicht gemeinnützig sind. Wie viele Jobber bereits eingesetzt waren bzw. über Verleih weitergereicht wurden, ist bislang nicht veröffentlicht. In einem standardisierten Anschreiben an unterschiedliche Vereine (z.B. auch an das Komitee für Grundrechte und Demokratie) suchen die Frauenbetriebe „Kooperationspartner für Arbeitsgelegenheiten“ und meinen damit ihren Verleih von Erwerbslosen: „Die Vorauswahl der Teilnehmer/innen und die gesamte Abwicklung des Einsatzes liegen in der Hand der GFFB mbH, es entstehen keine Kosten ... Sie erhalten eine zusätzliche Arbeitskraft“. Die „Abwicklung“ wird natürlich nicht aus der Hand gegeben, sie bedeutet bares Geld.

Ein ähnliches Schreiben vom März 2007 an verschiedene Vereine und Organisationen liegt auch vom „Diakonischen Werk für Frankfurt“ vor: „Wir möchten Sie gewinnen, über den Einsatz von ALG II Beziehern in Ihrem Arbeitsgebiet nachzudenken“ Und dann kommt es wieder: “Die persönliche Betreuung und die finanzielle Abrechnung mit den ALG II Beziehenden wird über das Diakonische Werk sichergestellt“. Auch dieser Träger kann offenbar nicht alle Erwerbslosen intern einsetzen und bietet deshalb den Verleih an. In diesem Schreiben werden auch Argumente genannt, die den Arbeitseinsatz menschlich wertvoll werden lassen: Dass es nicht nur um die finanzielle Absicherung der Jobber geht, „wissen wir aus zahlreichen Beratungsgesprächen und Kontakten mit Menschen, die ALG II Empfänger sind. Zu den Existenzängsten und Bedrohungen stellt sich die Frage nach dem eigenen Versagen, verbunden mit dem zunehmenden Mangel an Selbstbewusstsein“. Anders als bei den Geschäftsfrauen der GFFB wird hier das christliche Motiv zur Triebkraft, ja, man will sogar helfen, „Mut zu fassen und neue Perspektiven zu entwickeln“. Der Ein-Euro-Job als Quelle der Kraft und Menschenwürde.

Nach einer Anfrage der „Linke.WASG“ schlüsselte der Frankfurter Magistrat die Zahl der Arbeitsgelegenheiten für einzelne Träger auf, und zwar summarisch für die Jahre 2005 und 2006. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jeder „Platz“ im Zeitraum eines Jahres in der Regel mit mehr als einer Person besetzt ist. Hier einige ausgewählte Träger:

  • Werkstatt Frankfurt: 1.137 Plätze
  • Internationaler Bund für Sozialarbeit (IB): 695 Plätze
  • Caritasverband: 542 Plätze
  • GFFB: 455 Plätze
  • Diakonisches Werk: 180 Plätze
  • Arbeiterwohlfahrt: 167 Plätze.

Es folgen gemeinnützige Organisationen wie z.B. Drogenprojekte (insgesamt 108 Plätze) oder die „Lehrerkooperative“ (84 Plätze). Insgesamt gab es laut Magistrat für den Zeitraum von 2005 bis 2006 insgesamt 3.677 Einsatzstellen.

Das Beispiel „Werkstatt Frankfurt“

Diese kommunale Beschäftigungsgesellschaft gehört zu den großen städtischen Gewinnern der Arbeitsmarktreformen. Mit knapp 600 Arbeitsgelegenheiten deckt sie ein breites Spektrum an Tätigkeiten bei der Kommune und in Vereinen, Schulen und anderen Institutionen ab. Nach Informationen des Arbeitskreises „Soziale Vereine“ zahlt die Agentur für Arbeit sogar 500 Euro pro Einsatz im Monat. Der Arbeitskreis macht die Rechnung auf:

  • Entgelt für den Jobber/ die Jobberin: 150 Euro
  • Fahrtkostenerstattung: 90 Euro
  • Regiekosten des Trägers: 50 Euro
  • Betreuungskosten:100 Euro
  • Qualifizierungsaufwendungen 110 Euro

Bei der Werkstatt verbleiben für jeden Jobber demnach 260 Euro monatlich – für eine gemeinnützige Gesellschaft doch ein ordentliches Sümmchen. Wie jetzt aus einer anderen Quelle zu erfahren war, gibt es hier noch eine besondere Regelung mit der Arbeitsagentur: Der Betrag wird jeweils für die gesamte Laufzeit der Maßnahme (also 6 bzw. 9 Monate) pauschal für jede Person überwiesen.

Gegenwärtig häufen sich die Beschwerden über die schlechte Behandlung der Jobber in der Werkstatt; die Arbeitsagentur war in den letzten Monaten deshalb etwas zurückhaltender bei der Vermittlung der Jobber. Dies muss nicht bedeuten, dass generell ein Umdenken innerhalb der Agentur erfolgt. Wenn z.B. die Caritas eine Betreuung praktiziert, die mehr auf menschenwürdigen Umgang oder Beratung setzt, dann werden ihr eben mehr Jobber zugewiesen. Das System selbst bleibt aufrecht erhalten.

Übersicht über die Einsatzstellen der „Werkstatt Frankfurt“

Die „Werkstatt“ als kommunaler Beschäftigungsträger hatte mit Stand vom April 2006 genau 599 Erwerbslose als Ein-Euro-Jobber. Die Übersicht zeigt all diejenigen Arbeitsgelegenheiten auf, die durch die „Werkstatt“ mit Erwerbslosen besetzt wurden, seien sie bei der Werkstatt selbst beschäftigt oder verliehen. Besonders auffällig ist dabei, dass es sich überwiegend um kommunale Arbeitsgelegenheiten handelt. Die Stadt ist neben den gemeinnützigen Organisationen ein weiterer großer Profiteur, da sie die Erwerbslosen ohne Kosten dort einsetzt, wo Arbeitskräfte benötigt werden. Die Zusätzlichkeit dieser Tätigkeiten darf bezweifelt werden, wie bereits der Bundesrechnungshof gerügt hatte. Gleichzeitig besteht nämlich seit einigen Jahren bei der Stadt eine sog. Wiederbesetzungssperre für Vollzeitarbeitsplätze. Man hat also die Chance genutzt, ohne jegliche Personalkosten notwendige Arbeiten erledigen zu lassen. In der Übersicht haben die Stellenbeschreibungen deshalb überwiegend die Bezeichnung „HelferIn“ (also z.B. „BibliothekshelferIn“, „HausmeisterhelferIn“), womit die Zusätzlichkeit der Arbeiten vorgegaukelt werden soll.

Insgesamt wird deutlich, dass es so viele Gewinner in diesem Spiel gibt, dass man den Arbeitszwang nicht mehr missen möchte. Es ist einfach zu reizvoll, mitzuspielen und die Notlage der ALG II-BezieherInnen auszunutzen.

(VerfasserInnen der Übersicht: AG Tatort Werkstatt Frankfurt sowie Teile des AK Soziale Vereine bei verdi, FALZ, CeBeeF-Betriebsrat, FAU Frankfurt)

Anmerkungen

  1. DIE ZEIT 1.6.2006Zurück zur Textstelle
  2. epd sozial Nr. 49 vom Dezember 2006Zurück zur Textstelle
  3. IAB Forschungsbericht 2/2007Zurück zur Textstelle
  4. Statistik der Bundesagentur für Arbeit „Leistungen zur Eingliederung an erwerbsfähige Hilfebedürftige“, 4/2006 sowie Statistik der Bundesagentur für Arbeit zu den Arbeitsgelegenheiten nach § 16 SGB II, 25.01.2007Zurück zur Textstelle
  5. Aus einem Vortrag von Harald Rein bei der Veranstaltung des ver.di-Arbeitskreises Soziale Vereine „Tatort Werkstatt Frankfurt“ in Frankfurt am 18.04.2007Zurück zur Textstelle
© links-netz Juni 2007