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Adorno zum 100.

Wie Professor A. einmal geehrt werden sollte

Heinz Steinert

Professor A. hatte die Absicht, nach seiner Emeritierung nach Wien zu ziehen und dort eine vierte oder fünfte Karriere – diesmal als Komponist – zu beginnen. Er beriet mit seinen Wiener Freundinnen und Freunden, wie man diesen Neu-Anfang auch öffentlich angemessen begehen könnte. Den Wienern fiel als erstes ein, ihm einen Orden verleihen zu lassen, das sei ganz leicht zu bewerkstelligen. Professor A. musste das ablehnen: Er habe erst kürzlich seinem Freund Max geraten, einen diesem angebotenen Orden nicht anzunehmen, da könne er jetzt nicht selbst ... Wie wäre es denn mit einem Ehrendoktorat in Musikwissenschaft? Auch das wurde nicht für ganz unmöglich gehalten, aber eine Gasse nach ihm zu benennen, das könnte man leichter hinkriegen, wenn sie klein und unbekannt sein und in einem der Außenbezirke liegen dürfe.

Professor A. kam doch etwas ins Grübeln: Würde das nicht einen unerfreulichen Wettbewerb zwischen Wien und seiner Heimatstadt Frankfurt auslösen? Auf einen Ehrendoktor in Wien würden die Frankfurter bestimmt mit einem nach ihm benannten Preis kontern, der dann sicher an Kritiker seiner Theorie wie Habermas, Elias oder Bourdieu vergeben würde. Auf einen Orden in Wien würden die Frankfurter mit einer Plakette an seinem Wohnhaus antworten, die ihn wie einen Frosch mit Tauchermaske aussehen ließe. Und die kleinste Sackgasse mit seinem Namen in Wien würden die Frankfurter mit einem ihm gewidmeten Platz übertrumpfen: Und wie er sie kannte, würden sie einen Platz auswählen, an dem es keine Häuser gab, so dass niemand die Adresse hätte, und auf dem wahrscheinlich ein Kriegerdenkmal steht.

Professor A. sah resigniert ein, dass es unter diesen Umständen nicht möglich war, seine Heimatstadt zu verlassen.

Diese Anekdote hat den Vorteil, dass sie frei erfunden ist.

Sie wurde frei erfunden, um zu verdeutlichen, was im „Adorno-Jahr“ mit Nachdruck geschieht: Biographische Episoden, Festakte, Ehrungen und Denkmäler machen die Lektüre der wissenschaftlichen Arbeiten Adornos überflüssig. Wie Kulturindustrie funktioniert, wird am Entdecker des Begriffs überzeugend vorgeführt. Biographisches ist dann interessant, wenn es zum Verständnis der Theorie beiträgt. Wo diese Verbindung fehlt, ist es Tratsch und dient dazu, die Theorie zu entschärfen.

Mit der Internetseite „Adorno zum 100. Briefe – Materialien – Kommentare“ stellen wir ein paar Arbeitsmaterialien und Kommentare für jene zur Verfügung, die Kritische Theorie nicht für ein Museumsstück halten und die selbst mit und an ihr weiterarbeiten wollen.

© links-netz August 2003