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Die Chancen der Krise

Heinz Steinert

Die krisenfreudige Linke ...

Die Linke hat – je orthodoxer, umso offener – ein gutes Verhältnis zu Krisen des Kapitalismus. Jede Krise zeige, dass man mit dem „Chaos der Märkte“ keine Wirtschaft und keinen Staat machen könne. Besonders haltlose Optimisten sahen jede Krise schon als die abschließende – oder wenigstens die vorletzte –, nach der aus den Trümmern des zusammengebrochenen Kapitalismus der Phönix des Sozialismus, wenn nicht Kommunismus aufsteigen würde. Beides sind eminent bürgerliche Phantasien:

Das Bild vom „Chaos der Märkte“ hat als Kontrast-Hintergrund die autoritäre Vorstellung von einer wohlgeordneten Wirtschaft und Gesellschaft – wohlgeordnet nach dem Muster eines Kasernenhofs mit seiner strikt geregelten Befehlshierarchie. Verwirklicht sahen das die Anhänger solcher „Ordnung“ in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs. Der Realsozialismus des 20. Jahrhunderts ist aus verschiedenen Gründen über dieses Modell der Kriegswirtschaft nie lange hinausgekommen. Für die ihm unterworfene Bevölkerung hat es Einschränkung des Konsums und jeweils nationale Anstrengung, um die industrielle Produktion möglichst hochzutreiben, bedeutet. Für Linke sollte es eigentlich seit 1927, dem Ende der NEP und dem Beginn der stalinistischen Kollektivierungen in der Sowjetunion diskreditiert sein, und nicht erst seit 1989 wie für die Kalten Krieger, die den Realsozialismus respektierten und fürchteten, so lange militärische Macht dahinter stand.

Das andere Bild, das vom Zusammenbruch, lässt sich auf Sintflut, Sodom und Gomorrha und die Apokalypse zurückverfolgen, seine bürgerliche Ausprägung aber hat Richard Wagner, der gescheiterte Revolutionär von 1848, in der „Götterdämmerung“ auf die Bühne gebracht: Nicht mehr der Zorn des Herrn über die verderbte Menschheit setzt das Ende, nach dem erst ein Neu-Anfang möglich wird, sondern die Herrschenden, die mit ihren eigenen Gesetzen nicht zurecht kommen, führen es selbst herbei. Jedenfalls besteht es in allgemeiner und gründlicher Vernichtung, möglichst in einem Weltenbrand. Danach kann eine andere, „reine“ Rasse, die ohne Schuld ist, eine neue Welt aufbauen. Kein Wunder, dass die Nazis mit Wagner, vom „Rienzi“ bis zum „Ring“, so viel anfangen konnten.

Muss man es extra ausbuchstabieren?: Bei Marx findet sich keine dieser Phantasien. Die „freie Assoziation der Produzenten“ verträgt sich nicht besonders gut mit zentral-bürokratischer Planung. Noch weniger verträgt sich das Bild von der „Revolutionierung“, also der langsamen Umwälzung der Gesellschaft, die allmählich die Elemente einer neuen Produktionsweise hervorbringt, mit Apokalypse und Götterdämmerung. An den Krisen war für Marx vor allem interessant, wie sie – von den Herrschenden – in neuen Kapitalstrategien, deren Elemente er als (dem tendenziellen Fall der Profitrate) „entgegenwirkende Ursachen“ beschrieb, bearbeitet und bewältigt wurden: grundsätzlich auf Kosten der Arbeiterschaft, aber in der Konkurrenz der Einzelkapitale auch mit dem Effekt der Kapitalvernichtung. (Das ist die realistische Reduktion der „Götterdämmerung“ auf das, was auch bürgerliche Ökonomen als die „reinigende Wirkung“ von Krisen sehen: Die – meist kleineren – Einzelkapitale, die zu spät gekommen und sonst nur im allgemeinen Pilotenspiel mitgeschwommen sind, gehen unter.)

Und um auch das noch explizit zu sagen: Krisen sind nach Marx (wie nach der bürgerlichen Ökonomie) ein normaler Bestandteil des Funktionierens von Kapitalismus, nicht sein Ende. Seit der großen Depression im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde das Instrumentarium zum Umgang mit Krisen immer weiter entwickelt: Hauptsächlich besteht es aus der Vergrößerung und internen Diversifizierung der wirtschaftlichen Einheiten (von der Aktiengesellschaft bis zu Trusts, Holdings und Investment-Gesellschaften) einerseits, andererseits in staatlichen Eingriffen zur „Glättung“ der Krisen und zur Verkürzung der Zeit bis zum Neu-Abheben des nächsten Zyklus.

Die wichtigste dieser Erfindungen war auf der Wirtschaftsseite Fordismus: die Strategie der Massenproduktion von Konsumgütern und des Einsatzes der Bevölkerung als „Konsumkraft“. Auf der Staatsseite war es die zugehörige Wirtschaftspolitik des Keynesianismus: durch Sozialpolitik, Erleichterung von Schuldenmachen und die staatliche Erzeugung von Löhnen in anderen Bereichen als der Konsumgüterindustrie (Rüstungsindustrie oder Infrastruktur) diese Konsumkraft zu verstetigen und sie zum tatsächlichen Konsum (also Kauf von Waren) zu veranlassen. Diese beiden Strategien haben Kapitalismus zwar nicht grundsätzlich, aber doch folgenreich verändert: Die Stützung der Wirtschaft mit Mitteln der Allgemeinheit geschieht jetzt „durch die Bevölkerung hindurch“ und mit ihrer doppelten Beteiligung: nicht nur beim Aufbringen der (Sozialversicherungs- und Steuer-)Mittel, sondern auch beim Verteilen durch Konsum. Und dass wir Geld ausgeben können, gibt uns die Illusion von Wohlstand. Geld ausgeben zu können, gilt seither als das entscheidende Merkmal für „gutes Leben“ – obwohl immer wieder die Einsicht dämmert, dass Zeit zu haben oder selbstbestimmt arbeiten oder sich auf einen Kreis von Freunden, in dem Konkurrenz aufgehoben ist, verlassen zu können, vielleicht mehr wert wäre.

Immerhin: Die traditionelle Form der Krisenbewältigung durch Lohndrücken war damit zumindest gesamtwirtschaftlich ungünstig geworden. Dass sie zurückkehrte, dass auch staatliche, also dem Interesse von Gesamt-Kapital verpflichtete Politik sich auf Drücken von Sozialleistungen und von Lohnkosten und auf Arbeitszeitverlängerung einließ, war das am unmittelbarsten für die Bevölkerung erfahrbare Symptom einer neuen Produktionsweise als Variante von Kapitalismus: Neoliberalismus. Einerseits kam Fordismus an seine Grenzen: Es wurde schwieriger, profitable Investitionsmöglichkeiten zu finden; die Gewinne im Finanzsektor wurden höher als die in der „Realwirtschaft“. Andererseits eröffneten sich die Chancen der „Globalisierung“: Vor allem ließ sich durch Globalisierung der Arbeitsmärkte der schier unerträgliche Zustand der Arbeitskräfte-Knappheit (und damit Macht der Lohnarbeit und ihrer Funktionäre) beenden, der in den 1960ern geherrscht hatte und erst mühsam mit dem Anwerben von „Gastarbeitern“ bekämpft wurde. Jetzt ließ sich sicherstellen, dass dieses Problem nicht mehr auftreten würde.

Nicht so leicht lösen ließ sich das Problem der Investitionsmöglichkeiten, anders gesagt, des Geld-Überschusses. Die Privatisierungen von Infrastruktur (Transport, Gesundheit, Wasser, Bildung), die versucht wurden, waren nicht so erfolgreich, auch nicht so ganz leicht durchzusetzen. Wo sich neue Möglichkeiten andeuteten, stürzte sich Kapital geballt darauf und erzeugte „Blasen“ von unrealistischen Hoffnungen: Risikokapital wurde in Internet-Phantasien gesteckt und mit ihnen vernichtet. Betriebe und Firmen mit ihren Aktien wurden selbst zum Gegenstand von Spekulation, Rohstoffe und Nahrungsmittel ohnehin. Schließlich wurden aggressiv verkaufte Kredite kompliziert verschachtelt und verkleidet und zu Waren gemacht, mit denen sich weiter spekulieren ließ. So lange sich die Religion der Bereicherung hielt und verbreiten ließ, wurde damit das Problem des Mangels an Investitionsmöglichkeiten (also des Geld-Überschusses) nur verstärkt. Die „Lösung“ besteht in einem „Platzen der Blase“, also im Verlust des Glaubens an die ewige Steigerung des Reichtums durch Gewinnen von immer neuen Anhängern. Das Ergebnis ist Kapital-Vernichtung. Danach kann das Spiel von vorne beginnen – wie nach jedem Konkurs, in dem die Konkursmasse billig aufgekauft und so wieder profitabel gemacht werden kann.

... und ihre Enttäuschungen

Die gegenwärtige Krise geht insofern tiefer als frühere, als erstens Banken, zweitens große Banken, drittens durch die betriebsegoistischen, konkurrenten Reaktionen der Banken das Funktionieren des Kreditsystems insgesamt gefährdet sind. Plötzlich ist zwar die zumindest klammheimliche Freude über diesen Offenbarungseid von Marktkapitalismus verbreitet, aber nur die Extrem-Konservativen (in den USA) fänden nichts dabei, wenn auch auf diesem Gebiet nur die Starken überleben (lassen sich dann aber gern überstimmen). Die Linke hingegen geht sofort in ihre traditionelle Rolle als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus und ist gern bereit, Steuergelder in einem Ausmaß (und in einer Sichtbarkeit) zur „Rettung“ des Kapitalismus auszugeben, die man noch vor wenigen Monaten nicht für möglich gehalten hätte. Selbst zu Ford, Chrysler und GM traut man sich eher auf der konservativen Rechten als auf der Linken auch nur zu denken, dass ein Rückgang der Autoproduktion ein Gewinn für die Menschheit wäre.

Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, zeigt sich jetzt überdeutlich, dass die parlamentarische Linke nichts erreichen kann (zum Teil auch will) als einen moralischen und national verpflichteten, staatlich regulierten Kapitalismus. Die Manager sollen sich in ihrer persönlichen Bereicherung ein wenig zurückhalten, die Firmen auch für Arbeitsplätze im Land, nicht nur für ihre Aktienkurse arbeiten. Besser wäre es, sie täten das von sich aus, aber man kann in der neuen Situation auch mit staatlichen Regulierungen drohen. Der Hebel sind die Arbeitsplätze, jetzt auch die Sparguthaben, in den USA das Haus und die Alterssicherung der „kleinen Leute“, die „gerettet“ werden müssten. Und das geht offenbar nur über den Umweg der „Rettung“ von maroden Banken, Autofirmen und durch Staatsaufträge an „die Wirtschaft“. Inwiefern dadurch in den USA die Häuser für ihre überschuldeten Eigentümer gerettet werden, kann ohnehin niemand sagen und man hört auch nicht, dass etwas von der Art geschehen würde. Und über Maßnahmen, die direkt bei den Schuldnern ansetzen (etwa ein Moratorium der Kündigung von Hypotheken oder sogar eine staatliche Übernahme der Kredite oder wenigstens der Zinsen) und nicht bei den Bilanzen von Banken (deren „giftige“, also wertlos gewordenen Kredit-Spekulations-Papiere die Zentralbank aufkauft), wird nicht einmal phantasiert.

Auch in Europa überschlagen sich die Regierungen mit Milliarden-Zusagen an diverse marode Industrien, voran die Kredit- und Spekulations-Industrie der Banken. Nach der „Rettung“ des Finanzsystems geht es um ein Konjunktur-Programm zur Glättung der vorhergesagten umfassenden Rezession. Wichtigste Begründung sind die Arbeitsplätze, die erhalten werden müssten. Daran ist nichts neu: Die Tätigkeit des kapitalistischen Staates besteht routinemäßig darin, Steuergeld durch Staatsaufträge, Subventionen, Abschreibungen und Garantien in „die Wirtschaft“ zu pumpen, also von unten nach oben umzuverteilen. Ein wichtiger Teil der unternehmerischen Tätigkeit besteht darin, diese Staatsgelder zu akquirieren. In vielen Industrien sind die staatlichen Aufträge bis Subventionen wichtiger als die Nachfrage nach dem Produkt auf irgendwelchen „Märkten“. Klassisch waren und sind das die „Heereslieferanten“ der verschiedenen Arten; neuerdings ist in Deutschland die Chip-Erzeugung in der Gegend von Dresden – PR-mäßig als „Silicon Saxonia“ (an wen wohl?) vermarktet – auffällig geworden. Selbst Die Zeit (23.12.08, S. 28) wird dabei sarkastisch: „Weltwirtschaftskrisen sind gute Zeiten. So würden es die Chefs von Banken, Autoherstellern oder eben Chipproduzenten freilich nie sagen. Aber wann sonst lässt sich so einfach Steuergeld in Firmenvermögen verwandeln?“

Neu ist nur die Größenordnung (in kurzer Zeit) und die Sichtbarkeit des Transfers, nicht die Tatsache, dass er stattfindet. Neu ist nicht, dass die Wirtschaft diese Gelder nimmt und um sie konkurriert, neu ist allenfalls, dass sie es so öffentlich sichtbar tun muss. Die Doppelstrategie des Neoliberalismus, öffentlich – wg. verzweifelter Suche nach Investitionsmöglichkeiten – für Entstaatlichung zu agitieren und hinter den Kulissen mehr denn je von Steuergeldern und Staatsgarantien zu leben, ist in der Krise sichtbar geworden. Aber an der staatsvermittelten Substanz dieser Produktionsweise hat sich dadurch nichts geändert. Statt von einer „Verstaatlichung der Banken“ könnte man mindestens ebenso gut von einer Kaperung von öffentlichen Mitteln durch die Wirtschaft sprechen. Das bleibt alles ebenso staats- wie kapitalismus-tragend.

Zugleich ist die Enttäuschung groß, dass nach den Umfragen die Anhängerschaft der parlamentarischen „Linken“ in der Krise nicht gewachsen ist. Wenn die Leute Angst um ihr Gespartes und um den Arbeitsplatz haben, halten sie sich an die Parteien und Politiker, die im Staat etwas zu sagen haben, nicht an die Opposition. In der Krise werden die Leute nicht rebellisch, sondern noch ängstlicher, defensiv und sicherheitsorientiert. Natürlich mosern und stänkern sie und sind generell undankbar, aber sie wollen das Personal nicht gerade jetzt austauschen – zumal sich die angebotene Alternative so grundsätzlich auch wieder nicht von dem unterscheidet, was man schon hat.

Sich den Kopf des Kapitals zerbrechen

Die Teilnehmerinnen von „linken“ Diskussion haben in der Situation die Neigung, in den Stammtisch abzurutschen, also die bessere Regierung sein und mit den jetzt quasi verstaatlichten Banken eine bessere Politik erfinden zu wollen. Das sind, wie es der Stammtisch so an sich hat, mehr oder weniger autoritäre Größenphantasien. Jahrzehnte lang wurde für den fordistischen Korporatismus, in dem die Organisationen der Arbeiterschaft noch integriert werden mussten, die Begrenztheit der Möglichkeiten von staatlicher Regulation analysiert. Dann konnten wir beobachten, wie im neoliberalen Staat des strukturellen Populismus die Wirtschaft durch Entsenden von eigenem Personal und durch perfektionierten Lobbyismus die staatlichen Dinge selbst in die Hand nahm. Und jetzt, mit nachhaltig geschwächten Gewerkschaften und der populistischen Identitäts- statt Interessenpolitik, träumen wir davon, Staatseingriffe könnten den Kapitalismus auch nur zähmen?

Tatsächlich können wir beobachten, wie die Kapitalisten und ihre staatlichen Helfershelfer sich in eine wirtschaftliche Situation gebracht haben, die auch der herrschenden Klasse selbst unangenehm ist. Wir könnten uns zurücklehnen und beobachten, wie sie gemeinsam daran arbeiten, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Wir können es leider auch jetzt nicht und jetzt schon gar nicht verhindern, dass sie das – wie immer – durch Umverteilung der Verluste auf alle tun, wie es die Funktion des Steuerstaates ist. Als Zugeständnis wird es zuletzt vielleicht eine Reduktion einiger Manager-Einkommen vom 30- auf das 20-fache des Arbeiter-Einkommens geben. Das ist wirklich die leichteste Übung in Populismus.

Tatsächlich wird auch diesmal wieder sichtbar, dass die Krise die Chancen für eine radikale Politik gerade nicht verbessert – im Gegenteil. In der Krise wird die Kapitalseite besonders aktiv und kennt ihre Interessen besonders genau. Und sie nimmt den Staat besonders gründlich in Dienst. (Wer hat denn die Banken-Rettungspakete entworfen? Wo bleibt denn auch nur die Tobin-Steuer, ein wirklich maßvoller Eingriff, für deren Durchsetzung sich weiland attac gegründet hat?) Das Beste, das wir erhoffen können, ist, dass das Gesamt-Kapital-Interesse auch ein paar Interessen der Arbeitsseite mit einschließt, mehr jedenfalls, als es der Fall ist, wenn sich eine Kapital-Fraktion einseitig durchsetzt. Aber das Grundproblem von Neoliberalismus, der Mangel an profitablen Einsatzmöglichkeiten für zu viel potentielles Kapital, wird durch die Kapitalvernichtung beim Platzen der Blase nur vorübergehend erleichtert, nicht gelöst.

Das Mindeste an linkem Stammtisch könnte daher weniger in der Sorge um Finanzmarkt-Kontrollen und Manager-Gehälter bestehen, als vielmehr im Hinweis auf die Bereiche von Gesellschaft, die dringend der Bearbeitung und daher auch der Investition bedürfen: Es ist bekannt genug, dass das der Hunger in der Welt und ein umweltverträgliches Leben und Wirtschaften sind. Nicht bekannt genug ist vielleicht, dass beides nur mit dezentralen Technologien und Organisationen erfolgreich anzugehen ist. Das heißt, diese Entwicklungen müssen den Konzernen aus der Hand genommen und (etwa nach dem Modell der Mikrokredite und anderer Infrastruktur-Leistungen) den Leuten selbst und an Ort und Stelle ermöglicht werden – in Bangladesh wie in Oberösterreich. Wenn die Linke schon unbedingt Ideen entwickeln will, wie man dem Kapital aus der Krise hilft, dann wären das die Bereiche, mit denen sie sich befassen, und die Orientierungen, in denen das geschehen sollte. Wenn schon eine Rückkehr von Keynesianismus, dann vielleicht eines weltweiten statt des üblichen national bornierten. Und wenn schon sich den Kopf des Kapital zerbrechen, dann den der richtigen Fraktionen: den der kleinen und mittleren, den der technisch und organisatorisch interessierten Unternehmen, denen es auch um eine Lebensweise geht.

Statt mit Machtillusionen zu phantasieren, wie man dem Kapital welche Restriktionen staatlich aufzwingt, könnte der linke Stammtisch Ideen entwickeln, wie eine parlamentarische Linke erst einmal die Bedingungen für eine emanzipatorische Politik im Staat und in der Gesellschaft herstellen kann. Die erste Voraussetzung wäre, sich dem Zwang zur Schaffung von Lohnarbeitsplätzen über Wirtschaftsförderung zu entziehen. Dazu braucht man eine andere Sicherung des Existenznotwendigen als über Einkommen aus Lohnarbeit, also eine Form von Grundeinkommen, die für die Leute, die sich ja nichts schenken lassen wollen, auch annehmbar ist. Man braucht also eine Erweiterung des Begriffs von „Arbeit“ um Hausarbeit und Gemeindearbeit, tatsächlich eine Abwertung von Lohnarbeit, damit man nicht nur nach ihrer Entlohnung, sondern auch nach der Nützlichkeit des Erzeugten fragen kann. Darüber hinaus gibt es viele staatlich aufhebbare Hindernisse für gesellschaftlich autonomes Handeln: Zum Beispiel wird die technisch längst mögliche dezentrale Energie-Selbstversorgung über Sonne, Wind, Wasserkraft und Bauweise der Häuser durch die Restriktionen der Netz-Einspeisung verhindert. Zum Beispiel werden durch das (staatlich organisierte) Schulsystem und seine instrumentelle Ausrichtung auf Berechtigungsscheine Neugierde und Bildung verhindert und Erfahrungswissen und Können abgewertet. Es gäbe viel an Bedingungen für eine linke Politik zu entwerfen und entsprechend für die parlamentarische Linke durchzusetzen.

Die radikale Strategie von „Revolutionierung“ der Gesellschaft besteht nicht in staatlicher Politik. Sie besteht in der autonomen Entwicklung von alten und neuen – zum Beispiel genossenschaftlichen, Realtausch-, solidarischen, (in der Energieversorgung) autarken – Formen, in denen schon jetzt versucht wird, anders zu leben und zu wirtschaften: freie Assoziation der Produzenten.

© links-netz Januar 2009