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Unintelligent Design

Heinz Steinert

Fast alle wissen, dass die ägyptische Königin Kleopatra wie Elisabeth Taylor in ihrer besten Zeit aussah und dass daher ihre Darstellung durch Monica Bellucci in Asterix und Obelix: Mission Kleopatra (2002) trotz Ähnlichkeit in einigen Merkmalen nicht ganz stimmen kann. Es könnte Anlass für heiße Glaubenskriege sein, ob eher König Salomo oder aber der Ägypter Ramses wie Yul Brynner ausgesehen hat. Geklärt ist jedenfalls, dass die Königin von Saba wie die junge Gina Lollobrigida aussah, denn die verschiedenen Models, die sie sonst in drittklassigen Sandalenfilmen gaben, konnten diese Erscheinung nicht verdrängen.

Über die römische Antike wissen wir, dass sie sich hauptsächlich im Kolosseum abspielte und von Gladiatoren betrieben wurde. Diese metzelten einander brutal, retteten aber auch manchmal christliche Jungfrauen vor den Löwen oder zettelten einen Sklavenaufstand an und wurden dann gekreuzigt. Sie sahen wie Russel Crowe aus oder wie Kirk Douglas in jungen Jahren; wer noch weiß, dass sie auch wie Victor Mature aussehen konnten, verrät damit ein ziemlich reifes Alter. Das tut auch, wer weiß, dass Caesar wie Marlon Brando ausgesehen hat. Sonst weiß man über die römische Antike vielleicht noch, dass der wahnsinnige Peter Ustinov die Stadt Rom anzünden ließ und dass es Galeeren-Sklaven und Wagenrennen gab, beides unter Beteiligung von Charlton Heston.

Mit unserem Wissen über die Urgeschichte sieht es viel schlechter aus. Am Anfang war das Feuer (Annaud 1981) haben damals nicht viele gesehen und er kommt auch praktisch nie im Fernsehen. (Dabei zeigt dieser lehrreiche Film nicht nur als Mammuts verkleidete Elefanten, sondern auch zwei wichtige zivilisatorische Fortschritte der Menschheit: den Übergang von der Hunde- zur Missionars-Stellung und die Geburt des Gelächters aus dem Geist der Schadenfreude.) Hilfreich ist am ehesten die Familie Feuerstein, die aus den 1960ern stammt, aber öfter wiederholt wird. Von Fred und Wilma, Barney und Betty wissen wir, dass sich das Leben in der Steinzeit so abspielte wie irgendwo in der Eigenheim-Wüste von Los Angeles, mit Auto und Fernsehen, nur mit einem kleinen Dino als Haus- und Kuscheltier für die Kinder. Dass Urmenschen und Dinos (im Guten wie im Bösen) zusammengehören, ist schon seit damals klar, nicht erst seit 1993. (In Jurassic Park konnte man zugleich etwas über Wissenschaft lernen: Sie bringt im glücklichen Fall kommerziell, etwa in einem „theme park“ zur Unterhaltung verwertbare Ergebnisse. Aber es gibt auch immer wieder und noch den „mad scientist“, der die ganze Welt gefährdet. Sein Gegenspieler ist der beherzte Familienvater mit höchstens praktischen Kenntnissen, der Frau und Kinder retten muss.)

Sonst hilft uns allenfalls noch der Spiegel, der in Übereinstimmung mit einer Sparte von Lebensratgebern immer wieder in angeblich (populär)wissenschaftlichen Darstellungen heutiges Benehmen auf das Erbe zurückführt, das wir vom Urmenschen in uns tragen. Vor allem der Urmensch-Mann als Jäger und die Urmensch-Frau als Kinderbetreuerin haben tiefe Spuren in dem hinterlassen, wie sich heute die Geschlechter unterscheiden (sollten). Fast alle wissen, dass die Frau eine breite Aufmerksamkeit hat und mehrere Dinge gleichzeitig tun kann, weil die Urmensch-Frau das Kinder-Rudel zusammenhalten musste, während der Mann bis heute den Tunnelblick und die enge Aufmerksamkeit des Jägers hat, der hinter dem Wild herhetzt. Von der Urzeit wissen wir also, dass sie praktisch so war wie heute, nur etwas mehr wie ein Abenteuer-Urlaub.

Diese beliebten, gut verkäuflichen und zum Quietschen dummen Konstruktionen, die sich als Wissenschaft von der Evolution ausgeben, sind unmittelbar verwandt mit der Lehre des „Intelligent Design“. Danach sind die Ergebnisse der Evolution so unwahrscheinlich raffiniert, dass sie nicht aus einem Zufallsprozess von Mutationen und ihrer Selektion entstanden sein können. Da hat sich vielmehr einer was gedacht dabei. So wie die männlichen Jäger-Gene auch heute im Management noch ihre vorteilhafte Wirkung entfalten können. Wenn wir an beide Geschlechter verkaufen wollen, sind übrigens auch die dem entgegengesetzten ur-weiblichen Gene für das Management nützlich zu machen. Auch hier trifft es sich so glücklich, dass selbst hinter der Evolutions-Populärmythologie schon ein intelligenter Designer vermutet werden muss.

Ungelöst bleibt freilich auch hier das Problem der Theodizee, das die Religion plagt, seit sie einen allmächtigen, allwissenden und auch noch liebevollen Gott geschaffen hat: Wie sind die menschlichen Zähne als intelligentes Produkt zu erklären, wenn auch die Kieferleiste der Schildkröte zur Wahl stand, womit jeglicher Zahnschmerz aus der Welt wäre? Wie ist der Treibhauseffekt samt Zerstörung von New Orleans als Ergebnis von intelligenter Planung zu erklären – von den Nazis gar nicht zu reden? Präsident Bush hat die alte Lösung neu vorgegeben: Wir müssen auch ein Gegenprinzip einführen, ein Reich des Bösen, einen Manichäismus, der den Fundamentalisten ohnehin immer naheliegt und der viele Schwierigkeiten löst: Für das Unintelligent Design ist dann die Achse des Bösen verantwortlich.

Für alle praktischen Zwecke interessiert es uns wenig, ob der Mensch vor 6000 Jahren geschaffen wurde oder sich in irgendwelchen sonst unüberschaubaren Zeiten entwickelt hat. Wir sind höchstens erstaunt, wenn wir rekonstruierte Bilder vom frühesten bekannten Hominiden sehen und aus der Angabe, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde schuf, schließen müssten, er war klein, schwarz und eine nach heutigen westlichen Mode-Standards ziemlich hässliche Frau. Dabei wissen wir doch aus einer Unmenge von Bildern, dass Gott ein gütiger alter Herr mit langem weißem Bart war und dass Adam und Eva groß und weiß waren und wie die jeweiligen Ideal-Schönheiten vom Mittelalter bis heute aussahen. Von Darwin wissen wir ohnehin nur, dass der Mensch vom Affen abstammt, was ganz lustig ist, wenn man im Zoo den Affen zusieht, wie sie sich fast menschlich benehmen, und außerdem so eh nicht stimmt, weil das missing link immer noch fehlt.

Die Religion führt einen aussichtlosen Kampf gegen das Fernsehen und das Kino, die uns die Bilder liefern oder vorenthalten. Dass die protestantischen Fundamentalisten in den USA glauben, sie könnten das über den Schulunterricht ausgleichen, ist grobe Realitätsverkennung. Dabei sind diese Sekten und ihre Prediger sonst gut im Fernsehen zuhause, vertrauen aber selbst dort merkwürdig auf das enthusiastische Wort und die Gemeinschafts-Show. Den Kindern das Buch Genesis zum Prüfungsstoff im Bio-Unterricht zu machen, wird den akuten Mangel an interessanten Bildern nicht kompensieren können. Was fehlt, ist ein Kinofilm über die Erschaffung der Welt durch den einsamen Gott und die Ungehorsams- und Überheblichkeits-Geschichte im Paradies. Adam und Eva sind zwar heute, wo jedes Kind am Strand seine anatomischen Beobachtungen macht, nicht mehr so aufregend wie vor fünfzig Jahren, aber für das prüde Amerika ließe sich daraus schon noch was machen.

Wie sich zeigt, leidet – von den protestantischen Fundamentalisten der USA inspiriert – auch die Hessische, mit Tendenz zur Bundes-CDU an diesem Bildermangel, ist aber phantasielos genug, sich eine Lösung auch nur in der Erweiterung des Prüfungsstoffs am Gymnasium vorstellen zu können. Am interessantesten ist, wie die Hessische Kultusministerin Wissenschaft missversteht: Sie hat in diversen Äußerungen sehr richtig betont, dass Wissenschaftlichkeit sich dadurch auszeichne, die eigenen Annahmen und Erkenntnisse skeptisch befragen und die Grenzen ihrer Gültigkeit angeben zu können. An diesen Grenzen, so ist das Erbe der Aufklärung, bleiben wir mit unserem Wissen des Nichtwissens stehen. Wissenschaftlich arbeiten wir daran, diese Grenze in sorgsamer Arbeit langsam hinauszuschieben. Die immerhin für die Schulen zuständige Ministerin – sie heißt Karin Wolff und war selbst im ersten Beruf Religionslehrerin – aber unterstellt, an diesem Punkt habe dann eine Weltanschauung einzuspringen, die solche Skrupel nicht hat. Warum das die christlichen Geschichten sein sollen und nicht die islamischen oder die einer Naturreligion, braucht und kann sie nicht begründen.

In einem säkularen Staat müsste eine Kultus-Ministerin, die ein so verkürztes Verständnis von Wissenschaftlichkeit öffentlich zu Protokoll gibt, auf der Stelle zurücktreten. Aber bekanntlich ist Deutschland kein säkularer Staat, zumindest nicht im Verständnis von CDU/CSU. Dazu sollte man vielleicht bedenken: Die Idee, Kreationismus und Intelligent Design im Bio-Unterricht zum Prüfungsstoff zu machen, kann auch der subversive Versuch sein, einen Teil des Religionsunterrichts den Bio-Lehrern zu übertragen. Anders als in den USA kann man hierzulande wg. Beamtenstatus nicht damit rechnen, sie in absehbarer Zeit durch gläubige Fundamentalisten ersetzen zu können. Die vorhandenen Bio-Lehrer aber werden eher mehr als der Durchschnitt der üblichen Religions-Gleichgültigkeit mit Sicherheitsnetz (man zahlt den Mitgliedsbeitrag, verschiebt aber den Gebrauch der Leistungen auf das hohe Alter), wenn nicht einem naturwissenschaftlichen Deismus bis gar Atheismus zuneigen. Man kann sich ausmalen, wie sie das Buch Genesis den jungen Leuten darstellen werden. Und Bischof Mixa aus Augsburg, ein großer Öffentlichkeitsarbeiter seiner Organisation, ist darauf hereingefallen und hat Wolff noch unterstützt.

Tatsächlich kann nur Hollywood das Problem lösen: Lasset uns um einen überzeugenden, bilderstarken Film über die Schaffung der Welt in sechs Tagen, Paradies und Sündenfall, Kain und Abel, Sintflut und Gottes Bund mit Noah beten. (Die Geschlechtertafeln in Kapitel 5 und 10 sind freilich so wenig zu verfilmen wie das Telefonbuch. Für das merchandizing bietet sich vor allem die Arche Noah mit ihren interessanten Paarungen an.) Bei der Menge an Stoff wäre ganz leicht auch eine Serie im Vorabendprogramm möglich. Was in der Schule gelehrt wird, kann man im Vergleich dazu vernachlässigen.

© links-netz August 2007