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Hans Magnus Enzensberger: der organische Intellektuelle des Krieges gegen den Terrorismus

Heinz Steinert

Die Idee, die George W. Bush und seine protestantischen Fundamentalisten vom Terrorismus verbreiten, den sie besonders in Afghanistan und im Irak (hoffentlich nicht demnächst auch im Iran) bekämpfen, sieht etwa so aus:

Die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und die gesamte arabische und muslimische Kultur sind historische Versager und Verlierer. Die dortigen Fanatiker bekämpfen aus einer Verzweiflung, die sie sich nicht zugeben dürfen, unsere überlegene Zivilisation von Pepsi Cola (der Taliban-Häuptling Mullah Omar war süchtig danach), Internet (das sie zu benützen gelernt haben, um ihre Geiselnahmen, Enthauptungen und Kriegserklärungen zu veröffentlichen) und Casino Kapitalismus (besaß nicht Arafat ein Casino in der Wüste bei Jericho? übrigens finanziert von der österreichischen Bawag, der Gewerkschaftsbank, die kürzlich die Macht des ÖGB verspekuliert hat). Sie tun das aus tiefem Neid und Ressentiment, denn eigentlich möchten sie unbedingt daran teilhaben – so wie alle Welt die USA beneidet, das Neue Jerusalem, wie es schon in den Visionen der Pilgrim Fathers gesichtet wurde und wie es mit Gottes Hilfe sein Knecht George W. weltweit verwirklichen wird. (Die Begrenztheit der Amtszeit mag ihn daran hindern, aber der nächste aus dem Clan steht schon bereit.) Den Krieg gegen den Terrorismus weltweit zu führen, heißt die gewalttätigen Globalisierungs-Verlierer niederzuhalten und Amerikas Errungenschaften auf die ganze Welt auszubreiten.

Hans Magnus Enzensberger, den Journalisten immer noch als Parade-Intellektuellen führen, hat soeben (Mai 2006) ein schmales Büchlein Schreckens Männer: Versuch über den radikalen Verlierer, einen erweiterten Spiegel-Essay, veröffentlicht, in dem er den muslimisch-fundamentalistischen Terrorismus erklärt. Er erklärt ihn damit, dass die arabische und muslimische Kultur seit Jahrhunderten nichts mehr von Belang hervorgebracht habe (32-38), dass ihre Angehörigen sich daher zurecht als Versager und Verlierer verstünden und besonders die USA um ihre überlegene Zivilisation beneideten. Aus diesem Ressentiment entstünde der „radikale Verlierer“, der sich und seine Gewalt-Impulse heute im islamistischen Terrorismus auslebt.

Historisch waren ähnlich „radikale Verlierer“ die Nazis (20ff), in der jüngeren Vergangenheit die „selbsternannten Milizen und paramilitärischen Banden“, unter ihnen FNL, IRA, PKK – „’links’ oder ‚rechts’, Jacke wie Hose“ (23). Vorbilder sind der „linksradikale Terror aus den sechziger und siebziger Jahren“ und der „kommunistische Feind“: „Der Koran tritt an die Stelle von Marx, Lenin und Mao, und statt auf Gramsci beruft man sich auf Sayed Qutb“ (26).

Auf nicht einmal 50 großzügig gesetzten Seiten liefert Enzensberger nicht nur die lang ersehnte Erklärung des islamistischen Terrorismus, sondern gleich auch noch eine Theorie des Faschismus und aller militanten Bewegungen des letzten halben Jahrhunderts als Draufgabe: alles Versager, die ihre Wut über sich selbst spektakulär gewalttätig ausleben mussten, Amokläufer, die eine Ideologie gefunden haben.

Der deutsche Parade-Intellektuelle setzt uns das, was der deutsche Stammtisch in trauter Übereinstimmung mit George W. Bush über Terrorismus, Faschismus, Kommunismus, Islam und Orient ohnehin weiß, als originelle Theorie vor: alles dasselbe, alles Versager, alles in Hass und Selbsthass leider auch für uns gefährlich. Im Kontrast erstrahlt der Westen im Glanz eines neuen Herrenmenschentums: überlegen, fortschrittlich, Sieger eben.

Enzensberger tut das nicht zum ersten Mal. Er hat uns seinerzeit schon Saddam Hussein als „Hitlers Widergänger“ vorgeführt, eine Bestimmung, an der uns, seit dieser völlig ohne WMDs als jämmerlich verwirrte Figur aus seinem Erdloch gezogen wurde, die Bush-Glaubenskrieger (und im Glaubenskrieg ist jede noch so unverschämte Lüge nur eine Kriegslist) mit abnehmender Überzeugungskraft festzuhalten versuchen.

Schon davor hat Enzensberger uns vom „Welt-Bürgerkrieg“ überzeugen wollen, ein anderes Wort für einen „Kampf der Zivilisationen“, in dem auch alles Gewalt ist: „... jeder U-Bahn-Wagen ... [ein] ... Bosnien en miniature“.1 Und nicht nur, dass alles Gewalt ist, alle Gewalt ist auch Faschismus. Nachdem die „linke“ Unsitte, überall „Faschismus“ und einen „Holocaust“ zu sehen, endlich abgekommen zu sein scheint, wird sie von dem alt gewordenen Ex-Linken konserviert, der sie seinerzeit bekämpft hat. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen: Die Über-Verallgemeinerung ermöglicht eine Tautologie – und das ist immerhin das zweitbeste, wenn man zwar keine Erklärung hat, aber trotzdem schreiben muss. Gewalt ist Gewalt ist Gewalt – und am Ende dieser allumfassenden Gewalt bleibt nur der Amoklauf als Ziel der Geschichte: Von Hitler bis zu Bin Laden geht es nicht um Sieg, sondern um (Selbst-)Vernichtung.

Die religiöse Verengung des Denkens samt Lust an der Apokalypse findet derzeit im protestantischen Fundamentalismus der USA, der geschäftstüchtig von TV-Predigern und in Roman-Serien vermarktet wird, mindestens genauso statt wie vielleicht in muslimischen Fundamentalismen. Dazu gibt es aber offenbar auch eine säkulare, scheinbar aufgeklärte, jedenfalls geistreich tuende Variante: Diese intellektuelle Regression und Einengung, die dem Amoklauf des Denkens vorhergeht, kann man an „Schreckens Männer“ exemplarisch studieren.

Anmerkung

  1. Aussichten auf den Bürgerkrieg. Frankfurt: Suhrkamp. 1993. Ich habe dieses Produkt seinerzeit gewürdigt in Steinert (1995) ‚Wo der Faschismus anfängt’, in: links. Sozialistische Zeitung. 27, Nr. 296/297, Januar/ Februar 1995: 37-38. Zurück zur Textstelle
© links-netz Juni 2006