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Ein linkes „Projekt Europa“ mit Chirac und Schröder?

Kleiner Kommentar zu dem Beitrag von Rudolf Walther

Heinz Steinert

Wahr ist: „Europa“ könnte ein linkes Projekt sein, ein Projekt der internationalen Solidarität und des gemeinsamen Lebens, samt gemeinsamer Verbesserung desselben, auch eines des Ausgangs aus der selbstverschuldeten Provinzialität. Aber was die Herrn Schröder und Chirac dazu tun, ist nur als Randbedingung (und oft genug Hindernis) dafür interessant. Und die Rolle des „europäischen Vasallenverhältnisses zu den USA“ für dieses linke Projekt wäre erst einmal zu klären. Historisch hat uns dieses Vasallenverhältnis immerhin geholfen, die Nazis und den verallgemeinerten Autoritarismus und Militarismus loszuwerden, auf dem sie aufbauen konnten. Antiautoritäre Bewegung und Alternativkultur hatten gute Vorbilder und Koalitionspartner im US-amerikanischen Anti-Vietnam-Protest und in der Hippie-Bewegung. (Was hier an Arbeiterbewegungs-Nostalgie hinzugefügt wurde, war eher die autoritäre Ruinierung des Antiautoritären.) Vielleicht ist die Ökologie-Bewegung in Europa stärker in die offizielle Politik eingewandert, aber wie europäisch ist eigentlich Greenpeace? Und der „globalisierte Neo-Liberalismus“, war sein erstes und militantes Exerzierfeld (bis an den Rand des Bürgerkriegs) nicht Großbritannien unter Thatcher, eher im Vorlauf zu den „Reaganomics“ der USA? Kurz und gut: In einem „linken Projekt Europa“ wäre ich vorsichtig damit, Europa gegen Amerika auszuspielen.

Ohnehin erscheint es mehr als zweifelhaft, dass der europäische Widerstand gegen den Irak-Krieg wirklich etwas mit einer Loslösung von der Hegemonie der USA und nicht eher mit europäischen Öl- und Finanzinteressen, ansonsten aber mit schlichtem Hineinschlittern zu tun hatte. Ich z.B. habe den Punkt nicht in Erinnerung, an dem sichtbar wurde, dass es Schröder mit der „Aufkündigung des europäischen Vasallenverhältnisses zu den USA richtig ernst“ gewesen sei. Ich erinnere mich eher an den Getriebenen, der von seiner opportunistisch gefundenen Wahlkampf-Position nicht mehr herunterkonnte, besonders nachdem Däubler-Gmelin das transatlantische Porzellan zerschlagen hatte. Ich erinnere mich an beginnende Rückzieher, bevor ihn der Konservative Chirac aus der Peinlichkeit rettete. Und jetzt, nach dem Ende des Feldzugs, wird ohnehin ganz offen darüber gesprochen, dass man die Ausbeutung des Irak nicht den Amerikanern allein überlassen will. Europa als Vorbild für gute internationale Politik?

Rudolf Walthers Gegenattacken auf die „Keule Anti-Amerikanismus“ schätze ich sehr, aber umso notwendiger ist eine andere, von diversen „Keulen“ unabhängige Position zu den USA. Vielleicht eine, die die verschiedenen Gesichter der USA ernst nimmt und auseinander hält. Die fundamentalistischen Gotteskrieger, die gerade die Regierung der USA in einem „demokratischen Staatsstreich“ usurpiert haben, müssen ja nicht immer in dieser Position bleiben und sind auch aktuell nicht die ganzen USA. Daneben gibt es (neben der „privaten Sozialpolitik“) immer noch z.B. die internationalistischen Basis-Bewegungen, die permanent damit beschäftigt sind, die Schäden vor Ort wieder gutzumachen, die von der offiziellen Außenpolitik der USA angerichtet werden. Ein europäisches Äquivalent zu so breitem praktischen grassroots-Internationalismus kann man sich nur wünschen. Was „die USA“ tun, ist – nach beiden Seiten – nicht mit dem identisch, was der Staat und gar die jeweilige Regierung tun. Ich halte das für einen guten Ansatz für linke Politik, auf dieser Ebene weit unterhalb des Staats einen linken Internationalismus herzustellen. Und dazu gibt es in den USA hervorragende Ansprechpartner, wenn nicht Vorbilder.

Das heißt übrigens nicht, dass alles, was an der „Basis“ passiert, gleich „links“ wäre. Was in den letzten Jahrzehnten auf dieser sub-staatlichen Ebene in den USA geschehen ist, macht zugleich deutlich, dass „Basis“ überhaupt nicht automatisch die „richtige“ Haltung garantiert: Die Basis-Strategie ist zuletzt mit Erfolg von den religiösen Rechtsradikalen gefahren worden. Aber deshalb sind die linken Bewegungen nicht verschwunden, wie zuletzt die US Friedensbewegung auch ganz eindrucksvoll zeigt. Es geht also darum, diese Bewegungen zur Kenntnis zu nehmen und auf dieser Ebene vielleicht doch wieder eine Verbindung zu finden, die was wert ist.

Europa hat nach wie vor keinen Grund, sich als Muster für gute, gar „linke“ internationale Politik aufzuspielen – dieses Muster muss erst noch erfunden werden.

© links-netz April 2003