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Schwerpunktthema: Ende der Demokratie?

 

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Kulturindustrielle Politik mit dem Großen & Ganzen:

Populismus, Politik-Darsteller, ihr Publikum und seine Mobilisierung1

Heinz Steinert

Ein Kampfbegriff entzieht sich der Definition

Vielleicht war „Populismus“ einmal ein analytischer Begriff, mit dem sich eine Form von Politik beschreiben ließ. Ich habe meine Zweifel. Wenn überhaupt, dann war das nur kurz der Fall und das ist lang her. Die üblichen Hinweise auf verschiedene „Volkstümler“ in Amerika und Rußland haben selbst eher folkloristischen Charakter, indem sie genauso stereotyp wiederholt werden wie die Floskeln der „volkstümlichen Musik“. Da wird regelmäßig auf die ursprüngliche „People‘s Party“ verwiesen, die US-amerikanische Bewegung der Landwirte gegen Banken, Eisenbahnen, Monopolisten aller Art, von denen sie in ihrer Existenz bedroht wurden, am Ende des 19. Jahrhunderts, und auf die Narodniki, die Volkstümler in Rußland. Zeitgenössischer gibt es die Poujadisten in Frankreich und die Autofahrer-Partei in der Schweiz. Konservative sehen die Studenten- und die Alternativbewegung der 70er Jahre als populistisch, Linke bezeichnen Thatcher, Haider, LePen als Populisten.2 Die auch in solchen Schriften betriebenen Anstrengungen, aus den verschiedenen Verwendungen von „Populismus“ einen gereinigten und abstrakten und daher den wissenschaftlichen Begriff zu schöpfen, gelingen nicht.

Das ist auch kein Wunder, denn dieses Bemühen nach altehrwürdiger Subsumtionslogik geht einfach an den Phänomenen vorbei: „Populismus“ ist keine Beschreibung, sondern ein politischer Kampfbegriff, mit dem ein Anspruch erhoben oder eine Entlegitimation versucht wird. Es ist sinnlos, eine „populistische“ Gruppe im Volk ausmachen zu wollen: Weder die „friedensbewegten Lehrer, die Sozialarbeiter, die permissiv erzogene junge Intelligenz“ der 60er und 70er Jahre, noch die unzufriedenen „abstiegsbedrohten Teile der unteren Mittelschicht, gelernte und ungelernte Arbeiter, kleine Selbständige“ der 80er sind „populistisch“.3 Das Volk kann nicht populistisch sein, nur Berufspolitiker können das. Es wird von Politikern beansprucht, für „das Volk“, die „einfachen Leute“, die „Ehrlichen und Anständigen“ zu sprechen, gewöhnlich gegen den konkurrierenden Anspruch einer politischen und intellektuellen Elite, die nur an ihren eigenen Vorteil und Machterhalt denke. Es wird anderen Politikern vorgeworfen, opportunistisch „dem Volk nach dem Maul“ zu reden und damit unredlich dieses zu betrügen (indem man nur so redet) und einen unsachlichen Ton in die Auseinandersetzungen der politischen Eliten zu bringen, der insgesamt der Qualität der Politik schade.

Die Begriffsverwirrung hat also, ein wenig sortiert, folgende Ursachen:

1/ „Populismus“ wird als Schimpfwort verwendet und bezeichnet dann den Vorwurf, der andere / die andere Partei betreibe nicht sachliche Politik, sondern bloßen Stimmenfang und mediale Schaumschlägerei mit billigen Versprechungen, die doch nicht einzulösen seien, oder mit eitler Selbstdarstellung;

2/ „Populismus“ wird doch positiv in Anspruch genommen, besonders auch als „linker Populismus“, und meint dann einfach die Orientierung der Politik an den Lebensbedingungen der „kleinen Leute“, an den Bedürfnissen der vielen - mit dem zusätzlichen Anspruch, dabei deren „wahre“ Interessen zu kennen und zu beachten;4

3/ „Populismus“ wird heute auch von rechts positiv in Anspruch genommen, hier eher mit der Behauptung, die Leute wüßten selbst am besten, was sie wollen, und wenn sie eben mehr Autobahnen und billigeres Benzin wollen oder behaupten, sich besonders über Ausländer-Kriminalität zu sorgen, dann habe man das ernst zu nehmen.

Politik mit dem Populismus-Vorwurf

Eine analytisch brauchbare und einheitliche Bestimmung des Begriffs muß die genannten politischen Verwendungen mit enthalten, muß von ihnen ausgehen: „Populismus“ meint damit in erster Linie das Problem, daß Politik offenbar auch gegen die Interessen der Bevölkerung betrieben werden kann, daß zumindest diese Befürchtung besteht, „die Politiker“ würden nur in die eigene Tasche arbeiten, und das auf Kosten der von ihnen angeblich Vertretenen. „Populismus“ meint damit zweitens die Vorstellung, Politik solle den von ihr Vertretenen nicht einfach nach dem Mund reden, sie solle nicht opportunistisch jeden Unfug machen, der gut klingt und gut ankommt, sie habe vielmehr eine spezialistische Aufgabe zu erfüllen, die auch gelegentlich Unpopuläres einschließe.

In der politischen Verwendung des Begriffs „Populismus“ als Schimpfwort und als positive Bezugsgröße wird also das Problem der Berufspolitik benannt, daß ihr Verhältnis zum Alltag und zu den Interessen der von ihr Vertretenen schwer genau zu bestimmen und richtig zu treffen ist. Damit ist aber auch der Rahmen von populistischer Politik bestimmt: Das Problem stellt sich nur dort, wo solche Stellvertretung in der Politik stattfindet. „Populismus“ ist ein Problem der politischen Klasse, eine Denk- und Droh-Figur in den Auseinandersetzungen, die dort stattfinden. „Populistisch“ kann man nur sein, wenn man einem damit konzipierten „Volk“ gegenübersteht, nicht zu ihm gehört. Das Volk ist nicht tümlich.

In einer zweiten Bedeutung wird als Problem benannt, daß man als solcher Berufspolitiker gerne möglichst „das ganze Volk“ vertreten möchte, daß man dem Großen und Ganzen dienen will und nicht irgendwelchen Partikularinteressen, seien es die eigenen oder die einer speziellen Gruppe in der Bevölkerung. Der Berufspolitiker beansprucht, einem größeren Ziel verpflichtet zu sein als den bornierten und vorübergehenden Wünschen irgendeiner lautstarken oder mächtigen Gruppe. Das ist einerseits ein Rest der abgehoben monarchischen, von Gott eingesetzten und inspirierten Position, in der man den weiteren Horizont und also den Überblick hat, mit dem sich erst sagen läßt, was jenseits der widersprechenden Wünsche und Forderungen einzelner das langfristig Richtige und für die Entwicklung des Gemeinwesens insgesamt Gute ist. Das ist andererseits der Anspruch von Intellektuellen, das Universalisierbare und Verallgemeinerbare erkennen zu können, sei es aus einer Konzeption der Geschichte, sei es aus der klugen Analyse dessen, was so alltäglich auf den Politiker einstürmt, und der schlauen Erfindung von Kompromiß- und Ausgleichs-Möglichkeiten. Es ist immer die Denkfigur, mit der sich eine gewisse Unabhängigkeit des (intellektuellen) Politikers von seiner Wählerschaft herstellen und zugleich argumentieren läßt, daß man doch den Wünschen und Bedürfnissen dieser Wählerschaft entspreche, auch wenn nicht ganz wörtlich, so doch in deren wohlverstandenem und langfristigen Interesse und jedenfalls im Interesse von innerem Frieden und Interessenausgleich.5

Man kann es auch von der anderen Seite her ansehen: Das Problem mit Berufspolitik und Berufspolitikern ist grundsätzlich, warum man ihnen eigentlich die Vertretung seiner Interessen anvertrauen können soll: Wie wird es, da sie gewöhnlich nicht einmal aus meiner Klasse stammen, sondern Honoratioren sind, oder wenn sie doch von unten kommen, zu den Honoratioren aufgestiegen sind, plausibel und akzeptabel, daß sie die Interessen meiner Position vertreten werden, in der sie nie waren und jedenfalls jetzt nicht sind? Wie wird es mir glaubwürdig, daß sie sich mir, mit dem sie nichts zu tun haben, mehr verpflichtet fühlen werden als den anderen Berufspolitikern, auch denen der anderen Parteien, und sonst wichtigen und einflußreichen Leuten, mit denen sie alle Tage Umgang haben und von denen sie vielfältig abhängig sind?

Eine Lösung dafür war die Verbindung von Interessenvertretung und Weltanschauung in einer Partei, in der die Intellektuellen an der Spitze beanspruchen, die Interessen der von ihnen Vertretenen in elaborierter Form, bis hin zur Einbettung in eine Gesellschafts- und Geschichts-Theorie, zu artikulieren. Damit stehen sie auch in ihrem eigenen Bereich, dem der Theorie-Produktion, anderen Intellektuellen, die eine andere Vorstellung von Welt und Geschichte vertreten, polar und feindlich gegenüber. Meine Interessen sind bei ihnen gut aufgehoben, weil sie in ein ganzes Denksystem eingebaut wurden, das von diesen Intellektuellen formuliert und vertreten wird und dem sie daher auch aus Eigeninteresse verpflichtet sind.6

„Populismus“ als Politikform hat damit einen Stellenwert

1/ in den Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Klasse als Drohung, mit der man einen Machtanspruch ankündigt, der sich aus der besonderen Verbindung zum „Volk“ ableitet, und als Zurückweisen dieser Drohung und als der Appell, sich doch nicht dieser Mittel zu bedienen, sondern innerhalb der Spielregeln von zivilisierter und „sachlicher“ Politik zu verbleiben;

2/ im Verhältnis dieser Berufspolitiker zu ihrer Klientel, von der sie unterschiedlich abhängig sind und der gegenüber sie sich einen Spielraum verschaffen wollen und müssen, wenn sie verhandlungs- und kompromißfähig bleiben wollen.

Vier Dimensionen von Populismus als Politikform

Daraus lassen sich im folgenden die Dimensionen bestimmen, von denen populistische Politik charakterisiert ist:

1/ „Populismus“ ist Identitäts- im Gegensatz zu Interessenpolitik

Politik als Interessenvertretung setzt voraus, daß sich gesellschaftlich ein Bedarf so bemerkbar macht, daß eine bestimmbare Gruppe der Bevölkerung unter seiner Nichterfüllung leidet und ihn daher auch subjektiv bemerkt und zu artikulieren versteht. Damit das so erkannte Interesse politisch wirksam werden kann, muß es sich als Interessengruppe organisieren können, die wiederum konfliktfähig genug ist, um es auch ernsthaft anmelden zu können. Der Berufspolitiker tut nicht mehr, als diese Organisations- und Konfliktfähigkeit zu erkennen und aufzunehmen und das Interesse damit in den politischen Prozeß einzuschleusen. Er kann im nächsten Schritt das Seine dazu tun, um diese Organisations- und Konfliktfähigkeit bestimmter Interessen und der Gruppe, die diese Interessen trägt, zu entwickeln und zu verbessern: durch die Organisation von Interessenverbänden, durch Bewußtmachen des Interesses, durch Herstellen von Machtpositionen für die entsprechenden Gruppen, durch Verstetigen der Interessenvertretung. Primär ist aber jedenfalls das gesellschaftlich entstandene Interesse, der Berufspolitiker ist nur sein Erfüllungsgehilfe. Primär ist die soziale Bewegung, die ein Interesse artikuliert und es in den politischen Prozeß einbringen will.

Es ist bekannt (und leicht zu zeigen), daß ein Interesse umso organisations- und konfliktfähiger sein wird, je spezifischer und umschriebener die Gruppe ist, die es trägt. Die Interessen aller Facharbeiter eines bestimmten Betriebs sind leichter zu artikulieren und zu organisieren als die Interessen aller Einwohner einer Stadt, und ein spezifisch benennbares Interesse nach z.B. einer bestimmten Arbeitsschutzbestimmung ist leichter zu vertreten als ein allgemeines z.B. nach sauberer Luft in einer Gegend. Interessenpolitik stößt daher an Grenzen, wo es um allgemeine, schwer in Gruppeninteressen umsetzbare Interessen geht.7 Interessenpolitik hat ferner das Problem, daß Interessen gewöhnlich oder doch oft im Gegensatz zu denen anderer Gruppen stehen, daß sie daher nur auf Kosten anderer und konflikthaft durchzusetzen sind. Es stellt sich die Machtfrage und damit die des (zeitweiligen oder teilweisen) Verzichts auf Interessendurchsetzung und des Kompromisses. In beiden Fällen hat der Berufspolitiker das Problem, daß er seiner Klientel den Verzicht plausibel machen muß. Um verhandeln zu können, muß er diese Fähigkeit haben und glaubhaft machen können - er braucht eine disziplinierte Klientel, die auch warten kann. Ein Argument, das dabei leicht aufkommt, ist das des Großen & Ganzen und der Rücksicht auf ein solches übergreifendes Interesse, von dem man selbst immerhin auch noch etwas haben kann, wenn man schon auf den ganz egoistischen Vorteil verzichtet.

2/ „Populismus“ ist kulturindustrielle Politik

Populistische Politik ist typischerweise Organisation nach Köpfen statt nach Interessen, mit anderen Worten: nach Einschaltziffern. Es geht hier darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen, möglichst große Mengen von Zuhörern, Anhängern, Wählern, Mitbegeisterten zu gewinnen - und das unabhängig von deren Interessen. Es müssen ihnen also andere Attraktionen geboten werden als der Appell an ihr vernünftiges Eigeninteresse. Daher wird das gesamte Repertoire an Erregungen eingesetzt: Sensation, Unterhaltung, Aktion, Gefahr, Erotik, Größe und Einmaligkeit, Spannung, gute Auseinandersetzungen, richtiges timing, Persönlichkeiten mit dem passenden „image“, wirksame Bilder, einprägsame Sprüche - alles, was aus Werbung, Agitation und Propaganda bewährt und verfügbar ist.8

Politik muß immer nicht nur gemacht, sondern auch dargestellt werden. Die Darstellung des Politikers als Interessenvertreter ist aber unspektakulär, auf Solidität, Verläßlichkeit, Klugheit und Gelassenheit gerichtet - etwa so wie die eines guten Vermögensverwalters oder Anwalts. Er muß kompetent und verläßlich sein. Wenn er sich flamboyant und großsprecherisch, oder aber empört und aufgeregt gibt, werde ich beginnen, mir Sorgen zu machen, ob meine Sache bei ihm noch gut aufgehoben ist. Der Politiker als Interessenvertreter wird auch in seinem persönlichen Lebensstil darüber hinaus signalisieren, daß er von meiner Position jedenfalls nicht unüberbrückbar weit entfernt ist.

Die dem entgegengesetzte Form von Politikdarstellung ist die Demonstration von persönlicher Macht, wie das der Adel und die Monarchie durch spektakuläre Prachtentfaltung tat (wie es manche Religionen bis heute tun). Demokratische Politiker dürfen das nur in einem Ausmaß, das noch funktional zu rechtfertigen ist, also etwa schnelle Dienstautos, sogar Hubschrauber zur Erledigung ihres Programms von Treffen und Besprechungen, aber persönlichen Luxus sehen wir mit Neid und Verdacht. Auch in der persönlichen Selbstdarstellung muß schon repräsentiert werden können, aber es sollte nicht ins persönlich Eitle gehen: Die Mutation des Turnschuh-Politikers Joschka Fischer zum gediegen aussehenden Außenminister Joseph Fischer wurde mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, mit den vielen Auftritten in Unterhaltungssendungen des Fernsehens und dann gar den Fotos als Dressman in einem Lifestyle-Magazin hat sich der Kanzler Schröder eher lächerlich gemacht.

Populistische Selbstdarstellung hat paradoxe Möglichkeiten: Populisten wie Ross Perot in den USA oder Haider in Österreich setzen genau ihren privaten Reichtum als Nachweis dafür ein, daß sie unabhängig sind - Populisten können reich sein und sogar einen extravaganten Lebensstil zeigen, weil sie genau nicht Interessenvertretung versprechen, weil sie sich „herablassen“ und sich zur Identifikation anbieten. Man identifiziert sich mit einer großartigen Person, während man die Vertretung seiner Interessen lieber einer seriösen Person anvertraut. Populismus kehrt damit in Aspekten zu vordemokratischen Formen der Politikdarstellung zurück: Der Monarch - wie übrigens der Diktator - beansprucht, den Staat, das Gemeinwesen zu repräsentieren und verlangt vom Volk, daß es sich mit ihm in dieser Funktion identifiziert. Das tut der populistische Politiker in abgeschwächter Form ebenfalls.

Die Medien, die dabei eingesetzt werden (können), sind nicht unwichtig. Das klassische Medium des Populisten ist die Volksrede, historisch die Predigt und die Versammlung auf dem Marktplatz, im Faschismus und Nationalsozialismus durchstilisiert und als Massenversammlungen inszeniert, durch das Radio hatten sie dazu die Möglichkeit, die Agitation „flächendeckend“ zu verbreiten. Das Fernsehen hat diese mediale Form verändert: Die klassisch agitatorische Rede ist in ihm durch zu große Nähe zum Redner und die private Rezeptionssituation nicht mehr möglich. Hitler und Goebbels würden in der Nahaufnahme lächerlich wirken und in meinem eigenen Wohnzimmer lasse ich mich kaum zu blinden Begeisterungsstürmen hinreißen. Im Fernsehen ist der Populist in der Hauptsache der bessere Unterhalter: Er ist frech und schlagfertig und provokant und damit medial attraktiv - attraktiver jedenfalls als der seriöse Politiker, besonders für die Journalisten. Die zeitgenössischen Populisten sind daneben zur Massenversammlung zurückgekehrt, auf der die Unmittelbarkeit der Begegnung inszeniert werden kann und wo sich die Erhitzung der Massenversammlung (ähnlich wie im Fußballstadion oder bei der Karnevalssitzung) ausgelassen erfahren läßt. Politik und das populistisch angedrehte Wir-Gefühl werden damit sinnlich unmittelbar.

Diese Begeisterung ist defensiv („wir“ werden ausgeschlossen, verfolgt, benachteiligt) und aggressiv („wir“ lassen uns das nicht gefallen) angeheizt. Zur populistischen Darstellung und Agitation gehört besonders die Präsentation von Feindbildern, die mehrfach günstig ist: Sie ist eines der besten Mittel, um Aufmerksamkeit und Begeisterung zu erregen, um den Zusammenschluß und die gemeinsame Gefühlsaufwallung zu bewerkstelligen. Sie ist aber auch das probate Mittel der „negativen Koalition“, des Zusammenfügens von sonst unvereinbaren Positionen im Namen der gemeinsamen Bedrohung und Ablehnung eines Dritten: des Feindes.

Diese Herrschaftsform beruht daher notwendig auf sozialer Ausschließung, gerade durch die sehr universalistisch klingende Bezugsgröße „Volk“ (universalistisch verglichen mit einer umschriebenen Interessengruppe). „Volk“ wird doppelt abgegrenzt: „Volk“ ist relativ zu einer internen herrschenden Gruppe bestimmt, die nicht dazugehört, und „Volk“ grenzt sich nach außen ab, häufig nationalstaatlich, oft kulturell, meistens auch moralisch: die ehrlichen, hart arbeitenden, kleinen Leute einerseits, die hier „Zugehörigen“ andererseits, zugehörig nach einem Mythos von „zuerst dagewesen“, „immer schon dagewesen“, „Urbevölkerung“, gelegentlich auch rassistisch.9

Konstitutiv ist damit eine Abgrenzung nach oben wie nach unten/nach außen.

Zwischen den beiden wird eine Beziehung hergestellt: Die Konkurrenten sozial unten und die Herrschenden arbeiten zusammen gegen das „Volk“. Die beiden Positionen sind eine Bedrohung für die „breite Masse“ der „kleinen Leute“ dazwischen, die sich in redlicher Arbeit zu Hause abmühen, ihre Familien erhalten und ihre einfachen Vergnügungen genießen. Sie haben keine Zeit und keine Geduld für ausgefallene „Schmarotzer“, als Ausländer und Ausländer-Freunde, als Juden und Juden-Freunde, als Unterwanderer.

Es ist daher häufig auch eine Politik der Paranoia: Es gibt eine allgegenwärtige Verschwörung, die niemand bemerkt. Die wenigen Aufrechten sind in einer verzweifelten Lage, kämpfen mit dem Rücken an der Wand gegen eine „Flut“, eine „Welle“, gegen „heranbrandende Horden“. In solchen Metaphern rächt sich das ent-individualisierende Denken in (zu) großen Kategorien durch die Erregung von Ängsten vor dem Untergang in einem nun feindseligen Großen & Ganzen.

3/ Populismus als Politikform ist organisiert im Vertretungs-Typus „Volkspartei“

Populismus besteht in der Beschwörung von Gemeinsamkeiten einer Kategorie, die jedenfalls keine Interessen mehr gemeinsam hat, sondern der eine gemeinsame Identität als Basis für Politik und politisches Vertretenwerden angedient wird. Am häufigsten war das historisch die nationale Kategorie, die beschworene Gemeinschaft aller Staatsbürger, die für diesen Zweck allerdings nicht neutral als Staatsangehörige, als Leute, die in einen gemeinsamen Steuertopf zahlen und eine gemeinsame Verwaltung und Regierung bestimmen und zu kontrollieren versuchen, sondern überhöht und hochtrabend als „Schicksalsgemeinschaft“, Angehörige einer gemeinsamen Kultur, wenn nicht gar einer Rasse angesprochen wurden. Es können aber auch kleinere Kategorien sein, etwa „die Frauen“, oder „die Farbigen“, bei denen das Problem auch ist, daß man das gemeinsame Interesse schwer feststellen kann oder nur, indem man von internen Schichtungen (arme gegen reiche Frauen, Hausfrauen gegen Karrierefrauen; arme gegen reiche, gebildete gegen schlecht ausgebildete Farbige usw.) absieht und entsprechend ablenken muß.

In der politischen Organisation ist diese Über-Ausweitung festgeschrieben in den „Volks-Parteien“, zu denen spätestens in den 60er Jahren alle Großparteien, besonders die Sozialdemokraten und die Christlich-Konservativen, in den europäischen Demokratien geworden sind.10 Ihre Hypertrophie wurde durch- und vorgeführt in den faschistischen „Volksgemeinschaften“ und in den kommunistischen „Volksdemokratien“, die beide keine Klassen mehr kannten (genauer: den Anspruch hatten, solche vereinheitlichten Gesellschaften ohne Spaltungen und Konflikte entstehen zu lassen - wozu „Störer“ ausgeschlossen werden mußten). Hier wird deutlich, daß Populismus nur in einem Fall umstandslos das ganze Volk ansprechen kann: im Kriegsfall, wenn er es gegen den äußeren oder inneren Feind abgrenzen kann. (Selbst dann kennt man noch Vaterlandsverräter.) „Das Volk“ muß immer erst hergestellt werden, indem verderbliche Anteile aus ihm ausgeschieden werden: Die innenpolitischen Feinde können natürlich nicht zu dem so beschworenen „Volk“ gehören - wenn sie noch nicht Fremde sind, müssen sie dazu gemacht werden. Populismus ist notwendig mit sozialer Ausschließung verbunden.11

Der Ausgangspunkt von demokratischer Parteienpolitik war ein Modell von Politik als Interessen-Artikulation und -Durchsetzung, letztere vielleicht bis gewöhnlich nur in kompromißhafter Abschwächung. Aber der zentrale Vorgang war die Artikulation von Interessen: Die Partei nimmt die Interessen ihrer Mitglieder und Wähler auf, klärt sie in theoretischer Verarbeitung (indem das Verhältnis dieser Interessen zu gesellschaftlichen Konflikten und Widersprüchen und zu größeren gesellschaftlichen Entwicklungen untersucht wird) und stellt damit vor allem auch eine Beziehung zwischen kurzfristigen, bornierten und langfristigen Interessen her, bringt sie dann, zu Forderungen konkretisiert, in die politische Arena und versucht, sie in den notwendigen Koalitionen und Kompromissen nicht allzusehr verfälschen zu lassen. (Eher muß sie mit der Verwirklichung warten, bis die Situation günstiger geworden ist, oder erst einmal daran arbeiten, eine solche günstige Situation herzustellen.) Dieses Modell läßt es auch möglich erscheinen, daß die unmittelbaren Interessen der Klientel von der Partei zunächst zurückgehalten werden, die Partei ist nicht einfach Ausführungsorgan, sie mutet sich eine selbständige Rolle den Interessen gegenüber zu: Sie klärt sie und bringt sie in einen größeren Zusammenhang. Sie braucht sie als Motor, geht mit ihnen aber taktisch um. Das muß denen, die akut auf ihre Erfüllung angewiesen sind und darauf drängen, auch wieder klug plausibel gemacht werden: Daher ist die Verbreitung politischer Analysen (noch Kreisky hielt gern Reden mit dem einfachen Titel „Zur Lage“) eine ihrer wichtigsten Aufgaben.

Das hat sich mit der Entstehung von Volksparteien geändert, also mit dem Versuch, offensichtlich inkompatible Interessen in einer Partei zu vereinigen. Bei uns war der historisch erste Versuch dieser Art die christliche Zusammenfassung von Unternehmern und Arbeitern im „Zentrum“ (in Deutschland) oder in den „Christlich-Socialen“ (in Österreich). Die daraus entstandenen Volksparteien haben oft noch die Bünde-Struktur, in der sichtbar wird, daß sich die Interessenpositionen doch durchsetzen: in der österreichischen ÖVP sind das Wirtschaftsbund, Bauernbund und Arbeiter- und Angestelltenbund, die beiden ersten die starken und relativ einheitlichen Interessenvertretungen, letzterer die Massenorganisation (und daher wahlentscheidend). Die Sozialdemokratie hat lange dazu geneigt, Unterorganisationen außer nach räumlichen nach Merkmalen wie Frauen, Jugend, Alte zu bilden und also nach dem, was sie als Nebenwidersprüche verstanden hat, die dem Hauptwiderspruch von Kapital und Arbeit zugeordnet werden müssen.12 Erst die „Modernisierung“ der Arbeiterparteien seit den 60er Jahren (in der BRD ist das markante Ereignis das Godesberger Programm von 1959), die sie zunehmend zu Volksparteien erweitert hat, nahm zunächst die Angestellten auf und damit die „neue Klasse“ der Gebildeten - die dann in der BRD ihre Organisation bei den Grünen fand (die man so gesehen auch als die Gebildeten-Fraktion der Sozialdemokratie verstehen kann).

Die damit verbundenen Organisationsreformen der Parteien haben sie von Mitgliederparteien zu „medialisierten“ Dienstleistungs-Organisationen gewandelt. Es wurden in erster Linie die traditionellen Instrumente der Unterrichtung von Mitgliedern aufgegeben (was wiederum bei den Arbeiterparteien, die sich, wie die österreichische Sozialdemokratie, stark als Bildungsbewegungen verstanden, am deutlichsten ist): der Kassier, der nicht nur den finanziellen Beitrag abholte, sondern das politische Gespräch führte, die Sektion, in der Vortäge gehalten und diskutiert wurden, die Partei-Presse, deren Chefredakteure herkömmlich ideologisch tonangebend waren. Dementsprechend ist auch das theoretische Gerüst der Sozialdemokratien ins Beliebige abgerutscht - die „zweite Moderne“ ist der noch artikulierteste Ausdruck solcher Beliebigkeit, in anderen Formen ist es nur mehr der - allenfalls gehobene - Boulevard, von dem die Begriffe geliefert werden. Statt durch kluge Analysen, die in eigenen Kommunikations- und Diskussionsforen der Mitglieder erarbeitet und verbreitet werden, wird versucht, über Präsenz in „den Medien“ die Mitglieder zugleich mit einem breiten Wähler-Publikum zu erreichen und zu umwerben.

Es ist kein Wahlkampf mehr vorstellbar, in dem nicht alle wahlwerbenden Parteien sich um „die (neue) Mitte“, „die arbeitenden Menschen in diesem, unserem Lande“, „alle Demokraten“, gelegentlich „alle Wohlmeinenden“ und - am anderen Ende des Spektrums - „alle ordentlichen Deutschen“ bemühen. Die Wahlkämpfer versuchen nicht mehr, allen etwas zu bieten und also die verschiedenen Interessengruppen mit je spezifischen Versprechungen zur erwünschten Stimmabgabe zu bewegen, sie versuchen vielmehr, eines für möglichst viele, unabhängig von ihren Interessen, attraktiv zu machen: den Spitzenkandidaten. Und sie definieren dazu notfalls diese ersehnte Mehrheit als einheitlich, z.B. als „neue Mitte“, die nichts gemeinsam hat und an der nichts neu ist als daß sie den Kandidaten Schröder wählen soll.

4/ Populistische Politik konstituiert ein politisches Subjekt eigener Art

Die Art, wie Politik von Berufspolitikern oder selbsternannten Prätendenten betrieben wird, beruht auch auf einem Verständnis ihres Verhältnisses zur „Basis“. Indem dieses Verständnis in politisches Handeln umgesetzt wird, erhält jenes gesellschaftliche Subjekt von Politik Bedingungen seiner Repräsentation vorgegeben, wird es definiert und real geformt. Das von populistischer Politik unterstellte und hergestellte Subjekt ist passiv, ohne starke, geklärte Interessen, ressentimentgeladen, von oben mobilisierbar und dann folgebereit, eine „Masse“, die gewonnen und verführt, eventuell auch organisiert, beauftragt und angeleitet - „geführt“ werden muß. Zentrum von Politik ist in diesem Verständnis der Berufspolitiker, der ein Ziel hat und dafür die nötigen Machtmittel gewinnen muß, darunter eine Anhängerschaft. Natürlich verspricht er diesen Leuten, daß er das alles nur für sie auf sich nehme, daß er der einzige sei, der wirklich wisse, was sie wollen und brauchen, und auch bereit und imstande, sich genau dafür einzusetzen, daß er also nur ihr Bestes wolle (genau in der Doppelbedeutung der Redewendung). Populistische Politik zeichnet sich in ihrer Rhetorik dadurch aus, daß sie nicht in erster Linie bestimmte inhaltliche Versprechungen macht, sondern das formale Versprechen, sich an den Wünschen und Bedürfnissen der „großen Masse“ orientieren zu wollen.13 Daher kann die inhaltliche Position auch gewechselt werden, wenn sie sich damit einer (wie immer bestimmten) „Mehrheit“ anpaßt.

Man kann zwei Arten des Angebots unterscheiden, das dabei gemacht wird: die „bequeme Dienstleistung“ und die „heroische Kraftanstrengung“.

Im ersten Fall wird uns versprochen, es werde alles komplett für uns erledigt, wir bräuchten nur auf dieser Linie hier unterschreiben oder in dieses Kästchen unser Kreuz setzen: Um mehr brauchen Sie sich nicht zu kümmern, unsere seriösen und erfahrenen Fachleute erledigen alles weitere in Ihrem Sinne, zuverlässig und diskret.

Im zweiten Fall werden wir wachgerüttelt und ermutigt, unseren lang aufgestauten Unmut endlich einmal zu äußern, „denen da“ (oben) zu zeigen, daß sie „mit uns nicht alles machen“ können, bis hin zu „diese korrupte Bande hinwegfegen“. Die „heroische Anstrengung“ besteht bei den hier und heute gängigen Populisten zuletzt auch nur darin, das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen, das wird jetzt aber mit der Bedeutung aufgeladen, man schlage dadurch mit der Faust auf den Tisch. Das kann in historischen wie zeitgenössischen Beispielen aber auch heißen, kurz einmal an einem Vernichtungsfeldzug gegen die teilzunehmen, die als innere und äußere Feinde ausgemacht wurden.

In dieser Variante kann Populismus im Gegensatz zu Interessenpolitik genau dazu führen, daß uns kurzfristig Leistungen und Opfer abverlangt werden, zu denen wir mit Apellen an noch so langfristige Interessen nie gebracht werden könnten. Interessenpolitik muß immer kurz- und langfristige Verzichtleistungen und Wunscherfüllungen balancieren und bilanzieren, populistische Politik bringt uns in ihrer „Schweiß- und Tränen“-Variante dazu, heroisch auf beides als schal und kleinkrämerisch herunterzuschauen: Langfristig geht es populistisch eher um etwas wie Erlösung und nicht um schlichte Erfüllung von Interessen - eine „Endlösung“.

Auch wenn sie extrem entgegengesetzt erscheinen, haben beide Varianten des „populistischen Subjekts“ doch gemeinsam, daß es aus einer formbaren und wenig strukturierten Masse besteht, die von den Profis der Politik einmal passiv gehalten, einmal zu Aktionen aufgestachelt, jedenfalls aber beherrscht wird. In beiden Fällen geht es um Disziplin - den ungeordneten Gefühlsausbruch kann auch der Agitator nur kurz brauchen, dann müssen die so geweckten Emotionen kanalisiert und formiert - oder wieder abgekühlt werden.

Im Kontrast wird diese Gemeinsamkeit noch deutlicher:

Das politische Subjekt von Interessenpolitik entwickelt vor allem seine eigenen Ziele, es braucht dazu keinen Berufspolitiker. In einer bestimmten gesellschaftlichen Position entstehen aus den Erfahrungen der Lebensweise Einsichten in das, was einem abgeht, was einem das Leben leichter machen würde, was nützlich und freudvoll wäre, was man dazu von sich selbst und anderen verlangen sollte. Solche Wünsche und Forderungen mögen borniert, egoistisch, kurzfristig sein, sie entstehen und artikulieren sich aber jedenfalls im gesellschaftlichen Leben und aus seiner Struktur und Verfaßbarkeit. Politiker kommen erst ins Spiel, um in einem spezialisierten Apparat, Staat, Verwaltung, für eine besondere Art der Umsetzung solcher Interessen zu sorgen: durch Umverteilungen, allgemeine Verpflichtungen und Infrastrukturleistungen.

Dabei kann sich im einzelnen zeigen, daß ein bestimmtes Interesse gerade nicht umsetzbar ist, daß sich zu einem Interesse keine genügend machtvolle Interessengruppe findet, daß sich partikulare Interessen auf Kosten anderer zu gründlich durchsetzen, aber immer ist die Politik von der gesellschaftlichen Grundlage abhängig - auf die sie zurückzuwirken vermag. Politik kann - selten kurz-, aber doch mittelfristig - die Lebenslagen so verändern, daß sich auch die Interessenkonstellation verschiebt; Politik kann also ihre eigenen Randbedingungen politisch gestalten. Aber sie ist immer damit beschäftigt, die vorhandenen Interessen zu kombinieren oder gegeneinander auszuspielen, sie (meist kompromißhaft) zu erfüllen oder sie zu unterdrücken. Der Politiker ist Erfüllungs- und Verhinderungsgehilfe in einem vorstrukturierten Kräftefeld. Er kann gute Kompromiß-Ideen und schlaue Durchsetzungstaktiken erfinden (genau das ist seine Aufgabe), aber er bleibt das spezialistische Anhängsel eines politischen Subjekts aus gesellschaftlichen Strukturen und Bewegungen. Und er steht diesen nicht gegenüber, sondern gehört ihnen selbst an.

Wie man sieht, ist damit auch ein Unterschied im Verständnis von Staat verbunden: Der populistische Staat ist ein relativ abgehobenes, autonomes Gebilde von Machtverhältnissen und Machtstrukturen, in denen sich dafür lizensierte Spezialisten bewegen und einander ihre Kämpfe liefern. Ihre Legitimation beziehen sie einerseits aus dieser Zugehörigkeit (als Elite- oder Spezialistenposition) und andererseits aus der Beziehung zu den von ihnen Vertretenen: Sie können sie ruhighalten oder (unterschiedlich) mobilisieren, sie also, so ist wohl die Annahme dahinter, zufriedenstellen (wenn das nicht, dann einschüchtern) oder ihre Energien richtig kanalisieren (wenn das nicht, dann sie zum erforderlichen Handeln zwingen).

Der Staat der Interessenpolitik ist hingegen eine gesellschaftliche Sondereinrichtung zu Interessenausgleich und für Infrastruktur-Leistungen, ein notwendiges Übel mit seinem Eigen-Aufwand und seinem riskanten Gewaltmonopol, besonders riskant auch, weil dieser machtvolle Apparat in den Dienst von Partikularinteressen genommen werden kann, weil er statt als Interessenausgleich als Verstärker von Einzelinteressen wirken kann. Nur in diesem Verständnis findet sich eine Interessen-Grundlage für Demokratie und Demokratisierung. Der populistische Staat hingegen impliziert einen „starken Staat“ und Elitenherrschaft, also Oligarchie bis Diktatur.

Das ironische Ergebnis dieser Analyse ist, daß gerade die lautstarke Berufung auf „das Volk“ und andere umfassende Kategorien höchst undemokratische Verständnisse von Politik und vom Verhältnis der Berufspolitik zu den von ihr Vertretenen enthält. Gerade der Verzicht auf die Analyse der Interessen und damit der Widersprüche und Konflikte erzeugt keineswegs die Einheit, auf die er sich beruft, sondern im Gegenteil unüberbrückbare Spaltungen, sozialen Ausschluß von inneren und äußeren Feinden.

Das politische Subjekt des Populismus wird zwar vom Agitator auf der bewußten Ebene umworben, implizit aber zutiefst verachtet und als „Knetmasse“ behandelt, es ist aber an dieser Zurichtung beteiligt. Es begibt sich auch freiwillig in diese Position und zieht daraus allerlei Gewinn.

Politik aus der Perspektive der Repräsentierten

Das politische Subjekt von Populismus tut etwas, das zunächst unsinnig aussieht: Es gibt sich als Individium auf. Die Berufung auf die eigene Zugehörigkeit zu einer übergroßen Kategorie (z.B. zur nationalen) bietet den Vorteil und die Entlastung, daß man diese Zugehörigkeit nicht erarbeiten und „verdienen“ muß (wie z.B. die zur gebildeten Klasse bis zu einem gewissen Ausmaß). Sie hat aber den damit verbundenen Nachteil, daß es entsprechend schwierig ist, sich persönlich damit großzutun. Indem man sich mit einem Großen & Ganzen identifiziert, erlangt man geborgte Größe, die einerseits „sicher“ ist - man muß sie persönlich nicht erwerben -, die man aber andererseits nur durch dieses Aufgehen in einer Kategorie, durch Selbstdurchstreichen erhält. Daher muß man zu persönlichem Verzicht und Aufopferung bereit sein, zu Selbstdisziplin und „Dienst am Volk“, am Staat, an der Partei.

Populismus, der uns verspricht, nur und genau das zu tun, was „wir“ (als Exemplare einer großen Kategorie) wollen und brauchen, ist genau dadurch imstande, uns zum Interessenverzicht zu veranlassen. In der Identifikation mit dem Großen & Ganzen lassen wir uns auf den Mechanismus ein, der psychologisch als „Identifikation mit dem Aggressor“ beschrieben wird: Ich werde groß, indem ich mich klein mache, indem ich Nachteile und Schmerzen ohne Klage auf mich nehme. In einer vernünftigen Interessenpolitik kann ich nur dazu gebracht werden, Unmittelbarkeit der Erfüllung aufzugeben, einen günstigeren Augenblick abzuwarten - Populismus kann uns sogar zur Selbstaufopferung veranlassen (noch mehr freilich zur Opferung anderer). Je mehr uns Größe versprochen wird, je mehr uns „Wir-Gefühle“ angetragen werden, umso weniger können wir erwarten, daß unsere Interessen erfüllt werden.

Die Möglichkeit der populistischen Manipulation hat allerdings ihre Grenzen und die ihr Ausgesetzten verlieren weder ihre politischen Handlungsmöglichkeiten noch entsprechend ihre Verantwortung. Weder die Entschuldigung oder Pathologisierung der Verführten mit der Unwiderstehlichkeit der Manipulation noch die Dämonisierung der „Führer“, die sie ausüben, ist angebracht. Die genauere Analyse zeigt, daß die Verführten sich der Situation des Verführtwerdens aussetzen, sie zu dem Zweck extra aufsuchen und dabei auch wissen, was sie tun. Situationen der Massenbegeisterung entstehen selten spontan, sondern sind (dazu) organisiert. Der Fußballfan geht ins Stadion, um sich dort gehenzulassen, selbst die kleinen Mädchen, die beim Auftreten ihrer Stars hysterisch kreischen, gar in Ohnmacht fallen, gehen genau deshalb dorthin, wo dergleichen geschieht. Das gilt umso mehr für den politischen Enthusiasten, der sich positiv oder negativ begeisternden Ansprachen (also politischen Gemeinschaftserlebnissen oder Hetzreden) aussetzt: Er geht hin, um sich so begeistern zu lassen. Das stößt ihm nicht zu. Und wenn aus einer solchen Situation ein Pogrom entsteht, kann das zwar bewußt von Provokateuren ausgelöst sein, wird aber dem nicht ganz politisch Unmündigen nicht völlig überraschend kommen.

Hinzu kommt - und auch das ist am Beispiel des Nationalsozialismus, auf den hier angespielt wurde, besonders deutlich - gewöhnlich das Absichern der Begeisterung durch ein Interesse. Die Verfolgung der Juden in Nazi-Deutschland war zwar durch antisemitische Hetze (auf der Grundlage von hergebracht rassistischem und Herrenmenschen-Denken) begründet und ausgelöst, sie brachte aber auch durch Arisierungen, eventuell sogar nur in der Schrumpfform von billig angebotenen Gütern, deren Herkunft klar war, durch frei werdende Posten (und damit entstehende Karrieremöglichkeiten) und Verschwinden von Konkurrenz aller Art vielen Leuten handfeste Vorteile kleinerer oder größerer Art.14 Pogrome waren immer auch Plünderungen, auch wenn man den Selbstlauf von Grausamkeit vor allem in soldatischen Horden nicht unterschätzen soll.

Das politische Problem für uns als Subjekte, denen von populistischer Politik dieser Status entzogen wird, ist nicht so sehr der heroische Widerstand gegen politische Verbrechen als vielmehr das Erkennen des Zeitpunkts, zu dem politische Einmischung nötig wird. Es gehört ja durchaus zu den Vorteilen der Berufs- und damit Stellvertreter-Politik, daß man sich nicht dauernd politisch engagieren muß. Man kann noch weiter gehen: Günstige politische Zustände sind für den einzelnen daran erkennbar, daß er sich nicht politisch engagieren muß. Je langweiliger die Politik, umso besser ist die Gesellschaft organisiert. Nichts Schlimmeres als „große Zeiten“.

Berufspolitik hat diese Rechtfertigung, daß man am liebsten seine Arbeit tun und das Große & Ganze voraussetzen können möchte. Als Wissenschaftler möchte ich wissenschaftlich arbeiten und nicht Universitätspolitik betreiben. Ich muß mich nur einmischen, wenn andere sie so betreiben, daß meine Arbeitsbedingungen keine gute Wissenschaft mehr zulassen. Dasselbe gilt für den Monteur auf der Baustelle15 und die Architektin in ihrem Büro. Die Bürgerinitiativ-Bewegung seit den 70er Jahren hat genau das getan: Einmischung dort organisiert, wo die konventionelle Politik Interessen zu eklatant und im Bewußtsein von Mehrheiten-Unterstützung zu zynisch übergangen hat. Man kann von den Bürgerinitiativen lernen, was die Bedingungen für die Notwendigkeit und Möglichkeit von Einmischung unter heutigen politischen Verhältnissen sind: eine Politik, die nicht imstande ist, zunächst nicht machtgestützte Interessen hinreichend zu beachten, sie zu vermitteln und in Kompromissen abgeschwächt einzubinden, eine Politik, die sich vielmehr auf die Organisationen von Partei- und Verbands-Disziplin und auf das staatliche Gewaltmonopol zur Durchsetzung verläßt, nachdem diese Disziplin ihre Grundlage verloren hat. Bürgerinitiativen sind genau in der Entwicklung der politischen Parteien zu Volksparteien, also im Aufgeben von Interessenpolitik entstanden. Die dem entsprechende „Politikmüdigkeit“16 war durchaus politisch aktiv und hatte ihre guten Gründe.

Die Bewegungen und Initiativen waren freilich ihrerseits medial geprägt. Sie haben selbst die Formen übernommen - und zunächst einfallsreicher eingesetzt -, die von der strukturell populistischen Politik vorgegeben wurden: sensationelle, spektakuläre Aktionen, das Auftrumpfen der großen Zahl, Identitäts- statt Interessen-Politik. Bei einem „Bewegungs-Profi“ wie Greenpeace ist dieses Beherrschen der medial vermittelten Formen besonders offensichtlich - samt den gelegentlichen Einbrüchen wie in der Affäre „Brent Spar“.17

Dazu hat sich auch die strukturell populistische Politik weiterentwickelt und mit den aktiven und initiativen Bürgern umzugehen gelernt. Sie hat geschicktere Formen des gewaltmonopolistischen Zurückdrängens von Protest gefunden. Und sie ist selbst zu den Kampagnen-Formen übergegangen, die zunächst von den Bewegungen eingesetzt wurden. Nicht nur Rechts-Populisten wie Haider in Österreich18 inflationieren das Volksbegehren, auch Regierungsparteien wie CSU (Kruzifix) und CDU (gegen rechte Gewalt) veranstalten Demonstrationen.

Das wichtigste Thema von populistischer Politik war „Gewalt“, an ihm wurden in der BRD die Formen von strukturellem Populismus aufgebaut.19 Es ist spezifiziert worden zur Politik mit der Kriminalitätsangst und der Härte gegenüber dem Verbrechen. Hier ist der Ausschluß-Aspekt, der sich explizit oder implizit gegen „Fremde“ und „Ausländer“ richtet, besonders im Vordergrund. Es ist aber in Deutschland auch offensichtlich, eine wie große Bedeutung die Partei der Grünen für die Eindämmung der Bewegungspolitik hatte. Die Geschichte der Grünen könnte als die einer allmählichen Anpassung der Parteistrukturen, die zu verändern der „parlamentarische Arm der Alternativ-Bewegungen“ angetreten war, an die herrschenden Politikformen gelesen werden.20 Das Ende von Pazifismus und Friedensbewegung ist wohl das eklatanteste Beispiel dafür, wie eine Bewegung staatstragend gemacht und inhaltlich in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Die moralistische Menschenrechts-Argumentation, die jetzt zur Rechtfertigung von Krieg, fast zur Verpflichtung zum Krieg eingesetzt wird, ist eminent populistisch in dem Verständnis, das hier verwendet wird: nicht auf Interessen bezogen, sondern auf Identitäten, medial bestimmt (bis hin zur betretenen Suche der Politiker nach Bild-Belegen für Greueltaten), wie immer bei kriegerischer Politik in der Terminologie der „Volksgemeinschaft“ formuliert und an ein als manipulierbar (und manipulations-bedürftig) gesehenes Subjekt adressiert.

Der gekonnte Umgang mit den Zumutungen der populistischen Politik setzt Mündigkeit und Reflexivität in der Kulturindustrie voraus. Jenseits der Politik- und Politiker-Darstellungen lassen sich die Interessen untersuchen, besonders auch die Interessenunterschiede innerhalb der jeweiligen Organisationen und (zu großen) Kategorien. Der gewitzte Konsument beachtet auch in der Politik die Signale dafür, daß ihm etwas angedreht werden soll: Wer Qualität anzubieten hat, braucht weder Schaum vor dem Mund noch Hochglanz-Glamour. Wer damit umworben wird, daß er nicht zu denen gehört, die auszuschließen sind, hat in diesem Jahrhundert Grund zum Verdacht, daß das nur eine Frage der Zeit ist. Es gibt in der strukturell populistischen Politik nur, aber immerhin die Möglichkeit, hinter den Spektakeln die Interessen wahr- und ernstzunehmen.

Literatur

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Wolffsohn, Michael (1992): Wem gehört das Heilige Land? Die Wurzeln des Streits zwischen Juden und Arabern. München: C.Bertelsmann.

Anmerkungen

  1. Zuerst veröffentlicht in: Internationale Gesellschaft und Politik, 4/1999, S. 402-413. Nachdruck in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 259, 6./7.11.99, S. 57-58.
    Dieser Aufsatz ist die erweiterte Anwendung von Kulturindustrie-Theorie auf die Analyse von Politik - erweitert gegenüber dem, was ich in dem Kapitel „Kulturindustrielle Politik“ in meinem Buch „Kulturindustrie“ (1998) begonnen habe, erweitert auch gegenüber dem, was Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ und Horkheimer in „Egoismus und Freiheitsbewegung“ (1936) ausgeführt haben. Horkheimers historisch umfassende Theorie des Populismus (der damals noch nicht so hieß) ist in den aktuellen Bemühungen um das Thema zum eigenen Schaden völlig vernachlässigt worden. Die Diskussionen in einem Seminar zum Thema „Populismus“ und besonders mit Oliver Brüchert, Alex Demirovic, Joachim Hirsch und Christine Resch haben mir weitergeholfen.Zurück zur Textstelle
  2. Vergl. die Aufzählungen in den Aufsätzen von Puhle und Dubiel in Dubiel, 1986.Zurück zur Textstelle
  3. Dubiel, 1986: 43. Helmut Dubiel macht exemplarisch den Fehler, „Populismus“ inhaltlich bestimmen zu wollen. Er bezeichnet Bewegungen als populistisch, die in Reaktion auf plötzliche Verunsicherungen entstehen und (romantisch) zu den alten Zuständen zurückwollen, Bewegungen von „Modernisierungsverlierern“ also. Wenn er das durchhalten will, muß er den Nationalsozialismus, der bekanntlich auch eine Modernisierungsbewegung war, als rein rückwärtsgewandte Bewegung interpretieren; er muß zugleich vernachlässigen, daß es etwas anderes ist, ob sich Leute in Eigenaktivität und Selbsthilfe zusammentun und ihre Sache selbst organisieren wollen, wie etwa die Kommune-Bewegung (oft mit höchst utopischen Ansprüchen), oder ob politische Agitatoren Ressentiment zu schüren und in ihre Macht-Strategien zu lenken versuchen. Solcher Verlust an Differenzierung bedeutet zugleich eine Diffamierung der Alternativ-Bewegung der 70er Jahre und ihrer politischen Strategie des modellhaften Ausprobierens von neuen Vergesellschaftungsformen.Zurück zur Textstelle
  4. Viel der Unklarheit im Verständnis von Populismus verdankt sich diesem Bestreben, einen „guten“ linken Populismus vom agitatorischen bis faschistischen rechten Populismus abzugrenzen und damit zu retten. Der letzte umfangreiche Versuch dieser Art war Stuart Halls Unterscheidung von „demokratischem“ und „autoritärem“ Populismus (Hall, 1988). Der „demokratische Populismus“ bleibt aber auch hier (wie bei Gramsci oder Laclau) abstrakt, meint letztlich nicht mehr, als daß auch die Linke den Common sense, also die Erfahrungen des Alltags ernst nehmen, nicht elitär über die Probleme des Alltags hinweggehen, nicht abstrakte Werte predigen soll. Vergl. zur Kritik auch Jessop et al., 1984, 1985.Zurück zur Textstelle
  5. In der US-Verfassung ist dieses Prinzip besonders gut verankert: vergl. auch Bell, 1992; sowie als Geschichte des populistischen Motivs in der US-Politik Kazin, 1995.Zurück zur Textstelle
  6. Man kann es auch so sagen: Die Verklammerung geschah durch den Einsatz der Intellektuellen für das Wohl der arbeitenden Klassen per Klassenverrat und durch das Versprechen „Bildung ist Macht“. Beides hat aufgehört: In der heutigen Wirtschaftsphase vertreten auch die Sozialdemokraten keinen Wohlfahrts-Keynesianismus mehr, schnüren vielmehr selbst die Sparpakete. Bildung erfüllt nur mehr bedingt die Aufstiegsversprechen, ist aber zur notwendigen Voraussetzung für Chancen auf dem Arbeitsmarkt geworden. Dazu kommt die gesellschaftliche Abwertung von Handarbeit, die mit der Bildungspropaganda und mit der Hegemonie der Gebildeten einhergeht. Sie verbindet sich mit Fragen von Männlichkeit: Die Entwertung von Handarbeit ist auch die Entwertung einer traditionellen Form von Männlichkeit (rücksichtslos gegen sich selbst, Einsatz der eigenen körperlichen Integrität, gewaltbereit, wehrhaft). Daher tritt Populismus heute auch ausgesprochen machistisch auf, besonders feindlich gegen die Frauenbewegung und vor allem gegen gebildete Frauen.Zurück zur Textstelle
  7. Diese Terminologie gehört seit den Analysen zur Theorie der Gruppen und besonders der Überlegenheit kleiner Gruppen von Olson, 1965, zum politikwissenschaftlichen Standard. Eine knappe Zusammenfassung findet sich in dem alten Artikel von Offe, 1972: 145ff. Die vielfältige Weiterentwicklung hat in der Theorie der Clubs einen Zwischenstand erreicht, auf dem sich besonders Vorgänge der Schließung und damit der Ausschließung analysieren lassen - vergl. Jordan, 1996.Zurück zur Textstelle
  8. Man kann auch die Massenmedien selbst als „populistisch“ bezeichnen - und besonders Boulevard-Blätter sind es oft explizit: Sie schwingen sich zu Volkstribunen auf und beteuern das - genauso wie die entsprechenden Politiker - unausgesetzt. Ein schönes Beispiel ist der Kolumnist „Staberl“ in der österreichischen „Kronen-Zeitung“ - eine der gefürchteten langjährigen politischen Kräfte in Österreich und wirksamer Unterstützer des Populisten Haider. Er hat in einer Kolumne mit dem Titel „Populismus“ (Kronen-Zeitung, 20.10.1995) eine Art theoretische Zusammenfassung gegeben. Das Wort „Populismus“ wird hier selbst noch einmal in den Dienst der populistischen Politikform gestellt, indem der Kolumnist sich als Volkstribun aufspielt und andere denunziert, die elitär zum Schaden des Volks arbeiten würden. Darin sieht er sich Haider verwandt, sagt das auch so und setzt sich entsprechend für ihn ein.
    Vergl. als neuere Beispiele von Analysen der weiter fortgeschrittenen Medien-Szene in den USA Capella and Jamieson, 1997, oder Hart, 1999. Für die BRD Göhler, 1995, Müller-Ulrich, 1998, Daniel und Siemann, 1994, Beham, 1996.Zurück zur Textstelle
  9. Welche Denk-Akrobatik erforderlich ist, um die entsprechenden Mythen erstens glaubhaft und zweitens für die Gegenwart relevant zu machen, zeigen rassistische Konstruktionen meist besonders absurd; zeigt aber auch der religiös organisierte Rückgriff auf eine Jahrtausende zurückliegende biblische Vergangenheit, zu der sich eine Kontinuität naturgemäß nur mythisierend herstellen läßt, etwa am Beispiel Israels (Wolffsohn, 1992); zeigen ethnische Ansprüche und Verfolgungen und die zu ihrer Absicherung mobilisierten Symbole - wie die religionsähnlich überhöhte Schlacht auf dem Amselfeld, eine Schlacht, die vor mehr als 500 Jahren verloren wurde und über die man historisch wenig weiß - auch in der Gegenwart.Zurück zur Textstelle
  10. Vergl. dazu grundsätzlich Mintzel, 1984; Wildenmann, 1989; sowie die Arbeiten von Lösche und Walter, 1992, 1996, zu interessanten Fallbeispielen in der BRD. Die beiden US-amerikanischen Parteien hatten nie den ausgeprägten Richtungs- und Bewegungs-Charakter der europäischen und waren daher früh in dieser Position von - konkurrierenden und von außen schwer zu unterscheidenden - „political machines“ zur Organisation von Machterhalt für eine jeweilige politische Klasse.Zurück zur Textstelle
  11. Vergl. die Theorie der sozialen Ausschließung in Cremer-Schäfer und Steinert, 1998; dazu auch Benz, 1996.Zurück zur Textstelle
  12. Man könnte vermuten, daß solche Untergliederungen sich auch einfach aus Organisationsnotwendigkeiten wie der Rekrutierung neuer Mitglieder ergeben.Zurück zur Textstelle
  13. Regelmäßig wird gesagt, daß man die Interessen des Volkes vertrete. Es wird nicht mehr oder weniger heimlich und raffiniert herauszufinden versucht, was die Leute hören wollen, und das dann so gesagt, als sei man unabhängig von solchem Wissen auch dieser Meinung und daher gut als ihr Vertreter geeignet. Vielmehr wird lauthals behauptet, daß man genau das tue: dem Volk auf Maul schauen und dann entsprechend auch selbst reden. Es wird dem Volk mitgeteilt, daß man es ernst nehme, daß man ihm verpflichtet sei, daß man als sein Sprachrohr auftrete. Der Populist dient nicht dem Volk (wer das wie und wodurch tut, ist ohnehin schwer festzustellen), sondern er teilt mit, daß er das angeblich tue.Zurück zur Textstelle
  14. Vergl. dazu als neuere Dokumentation Dreßen, 1998.Zurück zur Textstelle
  15. In dem DDR-Film „Spur der Steine“ wurde das in der von Manfred Krug verkörperten Zimmermanns-Figur hervorragend dargestellt, auch in seiner systemsprengenden Kraft innerhalb eines Systems, das nicht solche Effizienz als erstes Ziel hatte, dafür aber politische Beteiligung erwartete.Zurück zur Textstelle
  16. Vergl. Herles und Husemann, 1993; zur kritischen Analyse dieser Denkfigur Galliwoda, 1995.Zurück zur Textstelle
  17. Vergl. Roth, 1994; Rucht, 1994; zur Struktur von Greenpeace Reis, 1988.Zurück zur Textstelle
  18. Vergl. Berghold und Neugebauer, 1995.Zurück zur Textstelle
  19. Vergl. dazu die Untersuchungen zur „Politik des Gewaltvorwurfs“ in Steinert, 1984, 1988.Zurück zur Textstelle
  20. Abgehen vom Rotationsprinzip, vom imperativen Mandat, Disziplinierung der Basis, Aufgeben der Politik zur Sicherung der Bewegungs-Milieus und ihrer Subkulturen.Zurück zur Textstelle
© links-netz März 2005