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Materialien zur Vorbereitung auf den 31. August 2007

Zehn Jahre nach dem Tod der Diana Spencer, geschiedene Windsor, und der selbstmitleidigen Massen-Betroffenheit in der Woche danach

Heinz Steinert

I. Rape of a Queen

The Queen, 2006, Regie: Stephen Frears, nach einem Buch von Peter Morgan

Thema des Films ist der Wandel von Formen der Herrschaft, genauer: der Herrschaftsdarstellung, der seit den 1980ern nicht mehr zu übersehen war: die Durchsetzung von „autoritärem Populismus“ als Politikform. Margaret Thatcher hatte diese Politikform meisterlich beherrscht, Blair hat ihr seine sozialdemokratische Variante hinzugefügt. (In Deutschland war schon die Kohlsche Spielform recht gemildert, dafür hat die Schröder-Fischersche erst so richtig abgehoben. Aber Deutschland ist hier nicht Thema.) Am Beispiel der Staatskrise, an deren Rand England in der Woche nach dem Unfalltod der Diana Spencer geriet, lässt sich anschaulich zeigen, wie eine ältere, „royale“ Form der Herrschaft, verkörpert von der Queen, sich davon unterschied und wie sie von der neuen, populistischen überrollt wurde.

In The Queen von Stephen Frears werden als Doku-Drama die Tage zwischen dem 31. August und dem 6. September 1997, zwischen dem Unfalltod und dem Begräbnis der Diana Spencer dargestellt. Der Film spielt an zwei Orten: auf den Hinterbühnen von Buckingham Palace, zu jener Sommerfrischen-Zeit verlegt nach Balmoral Castle in Schottland, und von Downing Street. Die beiden Herrschaftsdarsteller, um die es geht, sind die Königin, Elizabeth II, seit einem halben Jahrhundert im Amt, und der Premierminister, Tony Blair, damals gerade und triumphal in die Position gewählt. Das Ereignis, mit dem die beiden in jener Woche fertig werden mussten, war die Massen-Trauer um die „Princess of the Hearts“, die sich in wenigen Tagen zu einem Höhepunkt steigerte, den man heute kaum mehr richtig erinnern, geschweige denn nachvollziehen kann, und die zunehmend aggressiv keine Ausnahmen von dieser weltumspannenden demonstrativen Betroffenheit zuließ – besonders nicht bei den beiden genannten Herrschaftsdarstellern.

Die beiden gegensätzlichen Formen der Darstellung von Herrschaft, die von der Queen und ihrem Prime Minister verkörpert wurden und gerade noch werden (bevor Blair diesen Herbst abtritt), konnten mit diesem erstaunlichen Fall von Massenhysterie unterschiedlich leicht und gut umgehen: Für Blairs Populismus war sie eine Gelegenheit, die er geschickt nutzte, für die distanzierte Repräsentation von Britanniens einstigem Imperium, auf die das entmachtete Königshaus sich zurückgezogen hat, war sie nicht zu bewältigen. Die Queen wurde vielmehr dazu gezwungen, sich der populistischen Form anzupassen und sich ihren Ansprüchen zu unterwerfen. Persönlich war das für sie eine tiefe Demütigung, für die royale Art von Herrschaftsdarstellung war es das Ende.

Der Film von Stephen Frears führt rechtzeitig zum unvermeidlichen medialen Wiederaufwärmen jener Hysterie, das wir in diesem Sommer, zehn Jahre danach, zu erwarten haben, anschaulich Material vor, mit dessen Hilfe alle, die sich damals so aggressiv selbstmitleidig gehen ließen, wenigstens jetzt rückblickend überlegen können, was ihnen damals zugestoßen ist und was sie damit angerichtet haben: Sie haben nämlich selbst eingefordert und erzwungen, populistisch regiert zu werden und nicht anders. Anschaulich gemacht werden die politischen Implikationen des Gefühlsdurchbruchs mit denselben personalisierenden Mitteln, die ihm selbst zugrunde lagen: an den Personen Elizabeth Windsor und Tony Blair. Die Vergewaltigung der Queen, die man sich damals nach ihrer TV-Ansprache gut ausmalen konnte, wird jetzt ausführlich und in den Einzelheiten der Entwicklung in Szene gesetzt. Es ist kein schöner Anblick. Wer damals im öffentlichen Gefühlsstrom schwamm und heute in dem Film nicht völlige Verständnisverweigerung pflegt, wird nicht umhin können, sich wenigstens ansatzweise zu schämen.

Diese Personalisierung ist zugleich die Stärke und die Schwäche des Films: Stärke, weil mit denselben emotionalen Mitteln dieselben Leute angesprochen werden können, die damals wie heute sich gern Gefühle machen lassen – Schwäche, weil sich damit der Effekt darauf begrenzt, dass (Gefühls-)Inhalte gegeneinander gesetzt werden, die kulturindustrielle Form aber beibehalten wird. Kulturindustrie-Kritik kann eben selbst nur innerhalb der Formen von Kulturindustrie wirksam werden.

Die Personalisierung setzt zugleich einen Schwerpunkt bei den Politikern und ihren Medienberatern, spart aber die Medien aus. Anders als etwa Wag the Dog (Barry Levinson, 1997; mit Robert De Niro und Dustin Hoffman) ist das kein Film über Journalisten und Spin Doctors, sondern über die Politikformen, die deren Tätigkeit den Politikern anbietet oder aufzwingt. Er ist auch keine Groteske. Vielmehr überwiegt freundliche Ironie gegenüber der Queen, weniger freundliche Distanz zu ihrer absurden Familie und zu Blair und seiner Entourage, inklusive Ehefrau. Die englische Boulevard-Presse erscheint nur in Schlagzeilen, das Fernsehen als technischer Apparat, das Volk vor allem in den vor dem Buckingham Palace und an anderen Orten abgelegten Blumenbergen. In einer versöhnenden Geste überreicht ein Kind den Blumenstrauß der Queen, statt ihn dem vorwurfsvollen Trauer-Blumenhaufen hinzuzufügen.

Der Populist Blair, so zeigt Frears’ Doku-Drama, erkennt sofort, welche Politik der Gefühle notwendig und möglich ist: Er reagiert wendig auf das Ausmaß an medial geschürter Betroffenheit und spricht daher auf dem Heimweg vom Kirchenbesuch warme Worte. Mit der von seinem Presse-Referenten geistesgegenwärtig erfundenen „Princess of the People“ spielt er auf die „Queen of the Hearts“ an, zu der sich Diana Spencer selbst in ihrem großen Rache-TV-Auftritt aus Anlass der Scheidung erklärt hatte. Dabei profitiert seine Beliebtheit nicht wenig vom Kontrast zur Queen, die erst schon das Flugzeug der königlichen Flotte für den Transport der Leiche von Paris nach London verweigern will (hier wird sie von ihrem Sohn Charles umgestimmt), dann ein Staatsbegräbnis ablehnt und überhaupt in Schottland bleibt, statt sofort nach London (zum Sarg und zu „ihrem Volk“ als Trauergemeinde) zu eilen. Nach ihrem Verständnis ist die geschiedene Lady Diana kein Mitglied der königlichen Familie mehr, daher ist ihr Begräbnis eine Privatangelegenheit der Familie Spencer. Ihre Sorge gilt den beiden Söhnen, den Thronfolgern, deren geschiedene Mutter hat keinen protokollarischen Stellenwert.

Die Queen, so stellt der Film es dar, kann ohnehin mit ihrer missratenen Familie, vom Ehemann (der die Presse hasst) bis zum (ängstlich angepasst modernisierenden) Sohn – der skandalösere Teil der Familie wird gar nicht gezeigt –, wenig anfangen. Und die Pressearbeit lässt sie von einem Kammerdiener-Typ erledigen, der dabei noch unbeholfener ist, als sie selbst es wäre. Auf die Nachrichten von der sich ausbreitenden öffentlichen Trauer reagiert sie mit besonders betonter „Haltung“: Wir Briten sind ohnehin nicht so demonstrativ mit den Gefühlen und ihre Queen hat die nationale Aufgabe zu verhindern, dass Emotionen die Politik bestimmen. Dazu hat sie strikt protokollarisch recht mit ihrer Definition des Begräbnisses als „Privatsache“. Dass sie Diana Spencer nicht besonders schätzt – was nach der Vorgeschichte mehr als verständlich ist –, mag hinzukommen, ist aber nicht der Punkt: Sie hat vielmehr ein anderes, „royales“ Verständnis von ihrer Aufgabe als Herrschaftsdarstellerin.

Der Populist Blair und seine Presse- und PR-Berater erkennen schnell und feinfühlig, dass die öffentliche Stimmung ein Staatsbegräbnis verlangt, öffentliche Auftritte der obersten Repräsentanten mit Trauerreden und Teilnahme an der allgemeinen Betroffenheit. Die Queen wird – und zwar für alle sichtbar von Blair, der sich damit auf ihre Kosten als Populist und der bessere Royalist zugleich profiliert – Schritt für Schritt in alle diese Gesten hineingezwungen: bis hin zu der geforderten Fahne auf Halbmast auf dem Buckingham Palace, die ihr besonders absurd erscheint, weil die Fahne nichts tut, als die Anwesenheit der Queen anzuzeigen, und daher für Trauer-Symbolisierungen nicht geeignet ist. Schließlich wird statt des Banners der Queen die Staatsflagge, die dort gar nichts zu suchen hat, auf Halbmast aufgezogen – eine reine und dazu sinnentleerte Unterwerfungsgeste. Auch die Rede im Fernsehen ist eine Geste der Unterwerfung: Sie sagt sie auf wie ein braves Mädchen, das sein Gedicht auswendiggelernt hat, und muss dabei noch Souveränität mimen.

Der Film handelt von dem Preis, den die populistische Politikform denen abverlangt, die sich ihr, wie die Queen, nicht unterwerfen wollen. Er handelt nur angedeutet von dem Preis, den ihre Nutznießer zahlen: Die Queen warnt Tony Blair, dass er eines Tages auch von der Zuneigung des Boulevards und des Volks fallengelassen werden wird. Er handelt gar nicht von dem Preis, den die zu entrichten haben, die der populistischen Politik unterworfen sind und sie noch aggressiv einklagen: Das Volk wird von den Populisten wie Blair genauso skrupellos belogen wie umschmeichelt. Wenn ohnehin alles nur Politik der Gefühle ist, die uns gemacht werden, dann spielt die Realität nur als marginaler Widerstand gegen ihre Manipulierbarkeit in der Herrschaftsdarstellung eine Rolle – und Wahrheit ist eine Kategorie, die der Politiker und seine Zuarbeiter gar nicht verstehen können.

P.S.: Es ist zu hoffen, dass den seinerzeit hingerissenen VerehrerInnen der Diana Spencer heute, wenn schon nicht die eigene Gefühls-Hemmungslosigkeit damals, zumindest die im Rückblick nach zehn Jahren ziemlich altmodisch wirkende Frisur, Schminke, Kleidung und Haltung ihres Idols peinlich sein wird.

II. Warum der Tod der Diana Spencer so anrührend war1

Cynics would diagnose a bad case of mass hysteria, but right now there are no cynics; for a decent interval they have all gone to ground.

(Anthony Lane, Last Rites, The New Yorker, Sept. 15, 1997, p. 4)

Der für drei Personen tödliche Unfall der Princess of Wales, ihres ägyptischen Playboy-Liebhabers und ihres Leibwächters mit Hilfe des betrunkenen Ritz-Chauffeurs im Blitzlicht-Gewitter der Promi-Foto-Jäger wurde in England mit massenhaft demonstrativer öffentlicher Trauer und einem bemerkenswerten Zwang zum Mittrauern beantwortet: Die Queen wurde von der Boulevard-Presse zu Bekundungen von emotionaler Betroffenheit gedrängt und schließlich auch veranlasst. Der herkömmliche britisch-aristokratische Stil der Zurückhaltung, den die Queen immer vorbildlich verkörpert hat, wurde mit populistischem Druck aufgebrochen: Die ganze Nation zeigt sich erschüttert und wir können nicht zulassen, dass sich jemand davon ausschließt. Schon gar nicht die Familie ihres geschiedenen Mannes, gegen die sie seit der Scheidung einen Öffentlichkeits-Kampf mit den Mitteln der Boulevard-Presse geführt hatte: durch Demonstrationen der Zugehörigkeit zu uns, den einfachen Leuten und Voyeuren.

Das Ereignis hatte von vornherein einen interessant reflexiven Charakter: Vertreter der Presse hätten den Unfall ihres prominenten Opfers herbeigeführt, über den die Presse nun berichten konnte, und das mit allen Zeichen des Abscheus gegenüber den Presse-Haien (Piranhas sind wahrscheinlich das bessere Bild). Erst als bekannt wurde, dass der Fahrer des Wagens schwer unter Alkohol stand, begannen sich die Gefühle zu wenden. Auch die zunächst in Haft genommenen Paparazzi wurden entlassen, die schnellen Rufe nach Gesetzen gegen die zudringlichen Journalisten (selbst Bundeskanzler Kohl nutzte die Gelegenheit) verstummten. In der Gegen-Offensive wurde die Frage gestellt, wie glaubwürdig die panische Flucht eigentlich war: Ist der gemeinsame Auftritt des Promi-Paares im August an der Côte d’Azure und in Paris nicht eine Einladung an die Reporter, so gut wie eine Pressekonferenz, um die Verbindung öffentlich zu verkünden, wie der Spiegel schrieb. Hätten sich die beiden wirklich verstecken wollen, wäre das in der Tat möglich gewesen, aber es in Nizza und Paris zu versuchen, hat etwas Kokettes. Die Photo-Scheu, so geht diese Interpretation, ist selbst Teil der Selbstdarstellung der Princess of Wales, die sich damit nur interessant macht und ihrerseits sehr kompetent die Presse einsetzt. Dazu käme ein Macho-Spiel zwischen den Paparazzi und den Bewachern der Prominenten: Wer trickst wen aus? Ihm ist der Ritz-Chauffeur erlegen.

Es ist leicht zu sehen: Hier werden Schuld-Zuschreibungen hin und her geschoben, etwas, das uns Zu- und Unfälle leichter verarbeitbar macht, aber sicher nicht die Bedeutung des Ereignisses erhellt. Was in den Schuld-Zuschreibungen unterstellt wird, ist allerdings ein guter Ausgangspunkt für die Interpretation. Sichtbar wird in den beiden Schuldzuweisungen ein Machtkampf: Ist der Promi imstande, seine Selbstdarstellung selbst zu bestimmen und zu kontrollieren, oder muss er das den Medien überlassen? Die Princess of Wales war offenbar eine begabte mediale Selbstdarstellerin. Sie ist in die Öffentlichkeit gegangen, um ihre Scheidungs-Angelegenheit in ihrem Sinn voranzubringen und hat nicht zuletzt damit ein ziemlich großzügiges Arrangement finanzieller Art durchgesetzt (von dem zur Zeit niemand spricht, das aber mit ein Grund sein mag, warum die Royals nicht nur freundliche Gefühle für Diana Spencer haben – sie lag ihnen gewaltig auf der Tasche). Sie hat seither geschickt das Bild einer vornehmen Dame ohne Berührungsängste, wohltätig engagiert und (wenn nicht gerade mit Shopping und Partys beschäftigt) vom Leid der Welt umgetrieben, aufgebaut – vor allem mit Hilfe von arrangierten Photos und also mit Hilfe von Presse-Photographen. Die Assoziation mit Mutter Teresa ist eine geniale Überhöhung dieses Bildes, die vom Zufall des Todes in derselben Woche noch in einer unerträglichen Weise unterstützt wird.

Dabei ist das Bild der Heiligen in beiden Fällen nur die Oberfläche und im Fall der Princess of Wales ohnehin ein lächerliches Missverständnis. Mit der Zuwendung zu den Elenden der Elenden, den Sterbenden gar, teilen beide aber mit, dass die staatliche, bürokratische Unterstützung ohnehin ausbleibt oder unzulänglich ist, dass pure, selbstlose Mitmenschlichkeit einzig hilft in diesem Jammertal, in dem die meisten von uns Voyeuren sozial schon so halbwegs abgesichert sind, aber – mit gutem Grund – um die menschliche Freundlichkeit bangen, die wir irgendwann auch brauchen werden. Beide – die model-mäßig schöne Millionärin aus dem britischen Hochadel ebenso wie die kleine, greise, mittellose albanische Nonne ohne Familiennamen – haben einen Vorwurf an den Sozialstaat bildlich dargestellt, einen Vorwurf auch an die bloße Professionalität der sozialen Hilfe. Alle Laien- und Ehrenamtlichen-Hilfe lebt von diesem behaupteten Kontrast zur kalten Professionalität, er ist alles, was sie in ihrer fachlichen Unbedarftheit aufzubieten hat. Was wir im Ernstfall brauchen, ist natürlich beides: fachliche Hilfe und Zuneigung. Deshalb sind Sterbende, jenseits der Fachlichkeit, ein geeignetes Objekt für Laien-Hilfe. Muss man extra daran erinnern, dass wir zur Zeit international eine staatliche Sparpolitik der Mobilisierung von Laien-Hilfe beobachten, für die solche Bilder Gratis-Werbung sind?

Die Presse hat aber auch ihre eigenen Interessen. Sie ist nicht nur PR-Agentur der Prominenten, die deren Selbstdarstellung übernimmt und transportiert. Auch wenn sie das meistens tut, weil es das einfachste, billigste, konfliktärmste und auf Dauer profitabelste Verhältnis zu den Promis ist, so gibt es doch Ausreißer: Die Selbstdarstellung wird langweilig, sie ist schwer exklusiv zu machen, sie ist oft auch zu laienhaft. Auch wir Voyeure lieben unsere Promis ja nicht nur, eher im Gegenteil, wir finden sie auch zu reich, ziemlich albern, völlig übertriebenermaßen so beachtet, kurz: Wir sehen sie auch ganz gern abstürzen. Hinter der chicen Fassade muss sich mehr und Alltäglicheres tun, müssen sie Probleme der allgemeinmenschlichen Art haben, Ängste, Misserfolge, Fehlschläge, Unsicherheiten, auch die Promis leben in einer Lindenstraße mit Verwicklungen und Aufs und Abs. Wie und wozu sollten wir uns sonst für sie interessieren?

So haben genau die jetzt trauernd Betroffenen natürlich die Romanze mit Dodi al Fayed und auch die indiskreten Photos dazu mit Interesse verfolgt. Sie waren vom Kampf und Rachefeldzug der Prinzessin gegen die gefühlskalten Royals beeindruckt, der sich auch in dieser Mesalliance wieder manifestiert. Vielleicht wäre daraus eine Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit geworden, vielleicht später auch wieder die Vorführung, wie schwer Verbindungen zwischen den Kulturen gelingen. Jedenfalls kennen wir die möglichen Fortsetzungen und finden beide interessant – und eine Ohrfeige für die Royals ist das allemal, besonders die pikanten Halbgeschwister-Verhältnisse, die da angestanden wären. Dass es sofort Gerüchte über eine Schwangerschaft der Prinzessin gab, passt ebenso dazu wie die peinliche Zurückhaltung, die Sache auch einmal aus der Perspektive der Familie Al Fayed zu betrachten.

Die Paparazzi sind die Photographen, die sich nicht unbedingt an die Selbstdarstellung ihrer Promis halten. Sie bedrohen damit nicht so sehr das Recht auf Privatheit, als vielmehr das Recht auf selbstgesteuerte öffentliche Selbstdarstellung (das es nicht gibt). Sie sind auf Bilder aus, die nicht zur Fassade passen. Insofern war an der Romanze mit Dodi al Fayed nichts aufzudecken, sie hat gut in das Image gepaßt und das Drama „Diana gegen die Royals“ apart fortgesetzt. Die Flucht mit ihren Tempo-Limit-Übertretungen war überflüssig und der tödliche Unfall eine besoffene Geschichte in besseren Kreisen.

Die Trauer aber setzt sich offenbar zusammen aus dem Bedauern über das etwas vorzeitige Ende dieser Soap-Opera und Rache-Geschichte „Schneewittchen gegen die kalte Stiefmutter und ihren wenig eindrucksvollen Tölpel von Sohn“ (diese Rache hat der Boulevard mit der Erpressung zur königlichen Emotionalität sehr befriedigend fortgesetzt); aus dem Wunsch nach Mitgefühl der Jungen, Schönen und Reichen mit uns anderen in diesen Zeiten der kalten Bürokraten, die noch dazu versagen – einem Wunsch, von dem wir wissen, dass nur Heilige ihn erfüllen; und aus dem Glücksgefühl der Zusammengehörigkeit, das sich an der Bahre einer teuren (dazu noch zu früh) Verblichenen immer einstellt und auf deren Herstellung der Erfolg von Boulevard-Zeitungen beruht: die große Gemeinsamkeit der geborgten Empörungen und Rührungen.

Nun ist es üblich geworden zu beteuern, dass man natürlich die Ängste, Sorgen, Bekümmernisse, Rührungen, auch „Trauer und Zorn“, die beleidigbaren religiösen Weihestimmungen und Tabus, de facto auch die nationalistischen und rassistischen Zu- und Abneigungen samt zugehörigen Herrenmenschen- und Benachteiligungs-Aufwallungen, kurz: alle Arten von „Betroffenheiten“ akzeptiere, ernst nehme – und sonst populistisch zu benützen bereit sei. Die Ideologen der „Wir-Gefühle“ finden bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen von Kriegen bis Studentenstreiks, Fremdenfeindlichkeit bis Jugend-Szenen den Drang zum Wir-Erlebnis als Antrieb oder wenigstens das auftretende Wir-Gefühl als Trostpreis (nur auf Soziologie-Konferenzen herrscht Konkurrenz pur). Das will alles sehr ernst genommen werden – wahrscheinlich auch noch die seinerzeitige Begeisterung bei Führer-Reden. Alles echte Gefühle.

Solche Gefühle als „geborgt“ zu bezeichnen, wie oben geschehen, ist absolut „pi“ (politically incorrect). Aber was tun wir denn, wenn wir ins Kino gehen, um bei einem rührseligen Film zu weinen, oder zum Catchen, um uns macho-mäßig gehen zu lassen, oder zu einer politischen Feierstunde, um uns mit vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Helden der Befreiung erhebend zu vergeschwistern, oder wenn wir uns in der passenden Umgebung zu den dort gefragten Zu- und Abneigungen „bekennen“? Das sind alles ganz echte Gefühle, wir sind wirklich gerührt oder empört oder angewidert oder begeistert. Aber wir haben uns extra die Situation geschaffen oder ausgesucht, in der und damit sie auftreten können. Wir haben diese echten Gefühle selbst-manipulativ in gezielter Identifikation oder Negativ-Abgrenzung herbeigeführt. Es ist eine der Aufgaben von Kulturindustrie, solche lustvollen Gefühlsüberschwemmungen relativ folgen- und also gefahrlos zu ermöglichen. Die Frage ist, warum das – außer vielleicht als Sicherheitsproblem – von öffentlicher Relevanz sein soll.

Und was tun wir denn in dem anderen Fall, in dem eine Gefühls-Betroffenheit gleich als politisches Argument behauptet wird? Hier kommt es auf die „Echtheit“ oder „Tiefe“ des Gefühls nicht an, es ist egal, ob das Gefühl wirklich besteht oder warum und wie oft es auftritt. Zumindest sind wir imstande, es im Bedarfsfall tatsächlich herbeizuführen oder doch zu erinnern. Darum geht es nicht. Entscheidend ist die Instrumentalisierung, in der das Gefühl mehr sein soll als ein Signal für einen objektiven Sachverhalt, über den man, so aufmerksam gemacht, vernünftig reden könnte – nämlich selbst schon ein Argument dafür, dass es da ein objektives Problem gibt. Damit wird die Frage übersprungen, warum ein solches Gefühl (außer zwecks Stimmenfang durch populistische Stimmenmaximierer) als öffentlich und politisch relevant anerkannt werden sollte.

Herbeigeführte Gefühlsüberschwemmung wie behauptete Betroffenheit – in beiden Fällen sind es unabhängig von ihrer „Echtheit“ geborgte Gefühle, ausgewählt und eingesetzt nach Opportunität. Indem wir sie als öffentlich bedeutsam darstellen, machen wir uns selbst und freiwillig so kindisch, wie die Politiker (und die Journalisten) uns ohnehin sehen. Wenn Politiker sie „ernst zu nehmen“ versprechen, ist das tatsächlich eine Herablassung und Beleidigung.

Im Fall der Diana Spencer ist es verkürzt zu sagen, die Nation, wenn nicht die Welt sei von Rührung und Selbstmitleid überwältigt worden. Man muss dazu angeben, wer das getan hat: die Journalisten der Boulevard-Presse und die Öffentlichkeitsarbeiter von Elton John bis Tony Blair, die eine große Gelegenheit zu nutzen verstanden – und wir selbst, die wir uns über das medial Gebotene verständigen und uns eine so allseitig „schöne Leich“ nicht entgehen lassen werden.

Anmerkungen

  1. Diese Analyse wurde 1997 unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse geschrieben. Sie wurde in Heinz Steinert (1998) Kulturindustrie. Münster: Westfälisches Dampfboot, als Beispiel 13 veröffentlicht.

© links-netz Januar 2007