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Notizen zur Rationalisierung der Universität (II)

Die nächste Universitäts-Reform kommt bestimmt

Heinz Steinert

Die Universität hat das mit dem Gefängnis gemeinsam, dass die Reform in ihr kein krisenhafter Ausnahmezustand ist: Sie gehört vielmehr zu ihrem normalen Funktionieren. Ich bin jetzt etwa 25 Jahre in diesem Geschäft, und je nachdem, wie man zählt, ist das die dritte oder vierte Studienordnung, die ich geschrieben habe. Dauer der Reform jeweils etwa drei Jahre, Aufregung darum enorm, Ergebnis ambivalent. Auch die nächste Reform kommt also bestimmt. Unsere Aufgabe ist es, klug darauf zu achten, dass die Schäden in den kurzen Zwischenzeiten möglichst gering bleiben und reversibel sind.

Was sich als bleibendes Ergebnis der unter dem Namen „Bologna-Prozess“ derzeit laufenden Reform abzeichnet, wenn sich der Staub gesetzt haben wird, ist

a/ für die Studenten

  • ein neuer Hochschulabschluss (BA), der nicht einmal in der Verwaltung, geschweige denn in der Wirtschaft, noch gar international anerkannt wird, vielmehr nach dem treffenden Wort eines Universitäts-Präsidenten eine „Studienabbruch-Bescheinigung“ darstellt,
  • eine Verlängerung der durch Stundenpläne und Prüfungen infantilisierten Phase des Heranwachsens, und
  • eine Verteuerung des Studierens;

b/ durch die Verschulung des Studiums in der „Modularisierung“

  • eine Senkung der Aufnahme-Kapazitäten der Hochschulen,
  • in den bisher relativ frei gestaltbaren (geistes- und sozialwissenschaftlichen) Studienrichtungen wird das Training in Flexibilität und Selbständigkeit verspielt, das wahrscheinlich das Beste war, was ein Studium an Vorbereitung auf das Berufsleben vermitteln konnte, und
  • eine Erschwerung von Universitätswechsel und internationalem Austausch;

c/ für die ProfessorInnen

  • die Abschaffung der Selbstverwaltung der Wissenschaft zugunsten einer Präsidial-Diktatur, die „Management“ genannt wird, obwohl die Präsidien nach wie vor aus ProfessorInnen bestehen, die in die Hochschul-Politik wechseln wollen und sich durch keinerlei Fähigkeiten auszeichnen müssen, die sie zur Führung eines Großbetriebs qualifizieren würden,
  • eine Ausweitung der Verwaltung (inklusive der externalisierten neuen Bürokratien der Akkreditierungs- und Evaluations-Agenturen, die aus den Universitäts-Budgets finanziert werden müssen) und ihrer Macht, und
  • eine Senkung der Professorengehälter bei höherer Arbeitsbelastung in der Lehre.
  • Nicht vergessen sollte schließlich der in erster Linie professorale Arbeitsaufwand werden, den die „Reform“ verschlungen hat und den man an jedem einzelnen Fachbereich auf insgesamt etliche hundert Arbeitswochen veranschlagen kann. Diese Kapazität wurde natürlich der Lehre und der Forschung entzogen.

Als reines Sparprogramm betrachtet, ist die Reform durchaus ein Erfolg: Sie hat eine beachtliche „Rationalisierung“ der Universitäten gebracht – sie können mit weniger Lehrpersonal heute mehr als doppelt so viele Studenten „durchschleusen“ wie vor zehn bis fünfzehn Jahren. (Es ist bekannt, dass in der Dienstleistung Rationalisierungsgewinne nur möglich sind, indem die Beschäftigten intensiver arbeiten und die Leistungen reduziert – auf „Selbstbedienung“ umgestellt – werden.) Wie in anderen Bereichen auch wurden zudem Kosten von den staatlichen auf die privaten Ausgaben umgewälzt, ohne dass die Steuern – außer für die Konzerne – gesenkt wurden.

Soziologen neigen zu einem Denkmodell der verallgemeinerten Verelendungstheorie, nach dem sich solche Reduktionen von Arbeits- und sonstiger Qualität irgendwann als ungünstig oder sogar unerträglich erweisen werden. Tatsächlich ist damit in den meisten der genannten Bereiche nicht zu rechnen.

Um bei c/ zu beginnen:

Die ProfessorInnen haben sich als umfassend anpassungs- und hinnahmebereit erwiesen. Dienstleistungsbetriebe haben es an sich, dass Arbeitsverweigerung ziemlich unmöglich ist, weil die Leistung von den Klienten unmittelbar eingefordert wird. Im Beamtenrecht wäre die einzig legale Leistungsverweigerung Dienst nach Vorschrift und der ginge auf Kosten all der nicht im Lehrdeputat enthaltenen Besprechungen und Beratungen, die besonders Studierende der höheren Semester in der Betreuung ihrer Abschlussarbeiten bekommen – also der wenigen erfreulichen Kontakte zu ihnen. Im übrigen ist die einzige Leistung, die ProfessorInnen folgenreich verweigern könnten, die Verweigerung von Prüfungen und den zugehörigen Bestätigungen und Berechtigungsscheinen. Das aber würde umgehend von der Verwaltung disziplinarisch und den Klienten gerichtlich eingeklagt und somit erzwungen. Und schließlich haben sich die einzelkämpferischen, hoch konkurrenten und narzisstischen Persönlichkeiten, die ProfessorInnen sein müssen, um in ihrer Tätigkeit zu reüssieren, noch nie durch besondere Fähigkeiten zu solidarischem Handeln ausgezeichnet. Dazu traf sich der Zeitpunkt dieser „Reform“ sehr günstig mit dem Zeitpunkt, zu dem die in der Reform der 1970er Jahre eingestellten erfahrenen ProfessorInnen in Pension gingen. In den Jahren der „Reform“ wurde etwa die Hälfte des Lehrpersonals ausgewechselt. Die neuen mussten und müssen, um den Job überhaupt zu bekommen, die neuen Bedingungen akzeptieren. Nur die, die das klaglos tun, werden aufgenommen.

Unfähige und schwierige Verwaltungen hatten Universitäten immer, auch als Kollegial-Organe. Die Bosheit unter KollegInnen kann auch beachtlich sein. In der Selbstverwaltung konnte freilich niemand autoritär auftreten, Präsidenten tun das durchaus. Manche pflegen eine byzantinische Hofhaltung, einen Politikstil des eingeforderten Wohlverhaltens und der demonstrativen Ehrerbietung, der für die, die dreißig Jahre Selbstverwaltung hinter sich haben, gewöhnungsbedürftig ist. Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, werden in Zukunft die meisten ProfessorInnen so wie höhere Angestellte in der Wirtschaft Intrige, Einschleimen und fingierte Unterwürfigkeit zu praktizieren lernen.

Für die Qualität der Wissenschaft, die an den Universitäten möglich gemacht wird, ist die „Reform“ wahrscheinlich fatal, zumindest in den Sozialwissenschaften, die von der Haltung derer abhängen, die sie praktizieren. Aber das wird gesellschaftlich nicht auffallen. Der wissenschaftliche „Erfolg“, der neuerdings gemessen wird an der Summe der „eingeworbenen Drittmittel“ und Kennziffern für Menge und interne „Anschlussfähigkeit“ von Publikationen, also an der Passform für den Wissenschaftsbetrieb, wird sich trotzdem darstellen lassen. Andere Qualitäten entziehen sich so oder so der bürokratischen Registrierung und Beurteilung, die in Zukunft allein zählt.

Die zukünftige Reform wird hier vielleicht einige Übertreibungen an Verwaltungs- und Präsidial-Macht zurücknehmen (dabei werden auch die Gerichte hilfreich sein können), ansonsten aber den erreichten Zustand der allseitigen Reduktion der ProfessorInnen konsolidieren.

Zu a/ und b/:

Die Verschulung des Studiums wird gemeinsam mit der Unbrauchbarkeit des BA-Abschlusses dazu führen, dass die ersten Jahre des Studiums als Verlängerung des Gymnasiums und Nachholen dessen, was dort nicht erreicht wurde, gesehen werden. Der neueste Plan, die Position des „Lektors“ wieder einzuführen, heißt ohnehin, dass es für diese Phase ein eigenes, dafür abgestelltes Lehrpersonal geben soll. (Alle ProfessorInnen werden das mit Handkuss akzeptieren und sich auf die höheren Semester spezialisieren. Kein/e Privatdozent/in wird es sich bei aller Überqualifikation leisten können, diese Position auszuschlagen.) Zugleich wird das Gymnasium vielerorts bereits um ein Jahr gekürzt. Es wird sich also ein Zustand einspielen, in dem der BA ein Verbindungsglied zwischen Gymnasium und Universität, tatsächlich eine Verlängerung des Gymnasiums ist. Man wird damit auch der Tatsache gerecht, dass man selbst mit dem abgeschlossenen BA auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr wird erreichen können als bis vor kurzem mit dem Abitur.

Aufgabe der nächsten Reform wird es wahrscheinlich sein, den BA auf zwei (statt jetzt gewöhnlich drei) Jahre zu reduzieren. Wenn es faktisch um eine Verlängerung des Gymnasiums geht, dessen letzte Jahre nun an der Universität absolviert werden, wird man sich per Saldo ein Jahr mehr schon leisten können, aber zwei Jahre mehr werden uns übertrieben scheinen. Diese zwei Jahre werden wir in einer eigenen College-Form von der eigentlichen Universität zunehmend abtrennen, besonders durch einen spezialisierten Lehrkörper mit einer gewissen, aber faktisch sehr begrenzten Durchlässigkeit nach oben. Die Universitäts-ProfessorInnen werden dort gelegentlich vorbeikommen und eine Einführungs-Vorlesung halten, nicht mehr.

Damit bekommen wir Luft für einen mindestens dreijährigen MA, der wieder zum ersten und eigentlichen Universitäts-Abschluss wird. Möglicherweise wird die nächste Reform ihn wieder auf vier Jahre verlängern, zunächst faktisch, später dann auch geplant.

Interessant wird die Frage der durch die modularisierten Studiengänge verringerten Kapazitäten. Soweit man es bisher beobachten kann, ist die Reaktion auf die Einsicht, dass die neuen Berechnungen sichtbar machen, wie sehr wir bisher über Kapazität gearbeitet haben, entweder Hochziehen des NC oder Hinausprüfen im ersten Jahr (oder beides). Manche Studiendekane träumen auch davon, diese Sichtbarkeit werde die Politik zwingen, neue, zusätzliche Stellen zu finanzieren. Andere (oder dieselben) träumen auch davon, damit würde nur die Zahl der Studienanfänger, nicht die der AbsolventInnen reduziert. Durch die Verschulung (und vermutlich eine erträumt treffsichere Auswahl der BewerberInnen) würden alle, die aufgenommen werden, auch abschließen. Für die Politiker wäre das die Lösung des Problems, dass wir in den OECD-Statistiken um die Akademiker-Quoten wetteifern, aber gleichzeitig an den Bildungsbudgets sparen möchten. Sie wird nicht zu hundert Perzent so aufgehen, aber vielleicht ist es möglich, den Andrang der Anfänger nicht nur auf andere Universitäten zu verschieben – was derzeit durch einen scharfen NC geschieht –, sondern tatsächlich Studierwillige daran zu hindern, es überhaupt an einer Universität oder Fachhochschule zu probieren. Falls darunter tatsächlich viele sind, die unter heutigen Bedingungen vorzeitig aufgegeben hätten, wäre es damit wieder gelungen, Kosten zu privatisieren: Die Zwischenzeit, bis diese jungen Leute den Job finden, der ihnen gefällt, müsste dann nur durch „Jobben“ (das viele Studenten genauso tun) überbrückt werden, ohne den Status „StudentIn“, der einige Absicherung gibt.

Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass die Verringerung der Kapazität der Universitäten zwar zu Enttäuschungen (und höheren Lebenshaltungs- und psychischen Kosten) bei den Abgewiesenen, aber durchaus nicht zu irgendwelchen auffälligen „Krisen“ führen wird. Erhöhung der Kapazitäten wird es allenfalls mittelfristig bei den „Lektoren“ geben.

Die nächste Reform wird sich um einen Neu-Aufbau des universitären Haupt-Studiums nach Reduktion und Abspaltung des BA und um die Wissenschaft und ihre Infrastruktur kümmern können und müssen. Es werden dann die Fachbereiche einen Vorteil haben, die es mit der Abschaffung der Magister- und Diplom-Ordnungen nicht ganz so eilig hatten, die besonders auf die Intaktheit ihrer Disziplin im Studium geachtet haben. Es werden dann Wege gefunden werden müssen, um nach dem Fehlschlag der Zweistufigkeit wieder zu einem soliden und auch entsprechend langen (etwa vierjährigen) Hauptfach-Studium zurückzufinden.

Wer es jetzt schafft, die laufende „Reform“ zu entschärfen oder gar zu überspringen, etwa indem das Diplom (eventuell in einer „übersetzten“ Form) beibehalten wird, hat dann, bei der nächsten Reform den Vorsprung.

© links-netz November 2006