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Schwerpunktthema: Ende der Demokratie? Übersicht

 

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„Rechtsruck“ in Österreich

Heinz Steinert1

Das österreichische Nationalrats-Wahlergebnis vom 28. September 2008 brachte massive Verluste der beiden Großkoalitions-Parteien SPÖ und ÖVP. Besonders verlor die ÖVP, die SPÖ ging weniger zurück und blieb immerhin stärkste Partei. Die Grünen hielten sich annähernd konstant. Das „Liberale Forum“ verfehlte die 4%-Marke deutlicher, als die meisten erwartet hatten. Vor allem aber brachte die Wahl enorme Zugewinne von FPÖ und überraschend auch BZÖ. Die beiden „rechtspopulistischen“ Parteien zusammen wären fast genauso stark wie die „siegreiche“ SPÖ.

Auch wenn sich alle Meinungsforscher und neuerdings auch die Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft um die Interpretation bemühen, das sei kein „Rechtsruck“, sondern eine „Protestwahl“ gewesen, so ist das natürlich ein politischer Rechtsruck. Auch wenn viele Leute die Parteien der von der ÖVP blockierten und vorzeitig aufgekündigten großen Koalition nicht mehr wählen wollten, so haben sie ihren „Protest“ doch mit Kenntnis der beiden rechtsradikalen Parteien und ihrer fremdenfeindlichen, wohlstands-chauvinistischen Programmatik ausgedrückt. Wäre es einfach um „Protest“ gegen die unfähige Regierung gegangen, hätte man auch die Grünen oder die Kommunisten wählen können. Hat man aber nicht.2

Ein „Rechtsruck“ hat freilich schon im Wahlergebnis nur stattgefunden, wenn man die ÖVP nicht als rechts verrechnet (was die verloren hat, haben die zwei anderen rechten Parteien gewonnen), wofür es aber keinen zwingenden Grund gibt, besonders nicht, seit der Schüssel-Clan und damit der Wirtschaftsbund3 sie übernommen hat. Auch die Wählerwanderungen (deren Erhebung freilich methodisch problematisch genug ist) sind so, dass das BZÖ von den Schwarzen Stimmen abgezogen hat (die FPÖ allerdings von der SPÖ, aber niemand sagt, dass die nicht auch einen rechten Flügel hätte).

Zwischen dem Zustand der ÖVP und den Erfolgen der Rechtsradikalen besteht ein mehrfacher enger Zusammenhang: Schüssel, Exponent des Wirtschaftsbundes, hat seinerzeit Haider bundespolitisch respektabel gemacht,4 indem er 2000 die Wahlverlierer-Koalition mit ihm eingegangen ist. Die damalige Schutzbehauptung, durch Regierungsbeteiligung werde die FPÖ „zivilisiert“, hat sich nur zu einem Teil bewahrheitet: Haider selbst war zuletzt mit Aussagen zum NS vorsichtiger und insgesamt im Ton gelegentlich „staatstragend“ geworden. Aber die FPÖ als Partei hat das nicht mitgemacht, sich vielmehr gespalten: in das regierungs-affine BZÖ Haiders und die Protest-Partei der FPÖ Straches.5 Letztere blieb so rechts-provokant, wie sie es unter Haider anfangs gewesen war und wurde damit erfolgreich. Die Dominanz des Wirtschaftsbundes in der ÖVP hat aber auch die konsequent neoliberale Politik ermöglicht, die in Österreich seit 2000 gefahren wurde und für die Leute vor allem den Abbau der gesicherten Arbeitsverhältnisse zugunsten von Teilzeit- und Leiharbeit, von „Flexibilität“ und „Arbeitskraft-Unternehmertum“ brachte. Soziale Leistungen so spektakulär abzubauen, wie es in Deutschland mit Hartz IV gelang, war in Österreich nicht möglich.6 Die Arbeitslosigkeit blieb unter 5%. Aber es wurde viel von einer Krise der Sozialversicherung und des Gesundheitssystems geredet – die „Politik der Angst“ (um Renten, Arbeitslosengeld, Gesundheitsleistungen und zugleich vor „Sozialschmarotzern“, besonders „ausländischen“) blühte, wenn auch vielleicht mit weniger realem Hintergrund als in anderen westlichen Staaten Europas. Eine vom Bauernbund oder vom ÖAAB geführte ÖVP wäre ebenso konservativ, aber weniger neoliberal gewesen.

Von der Schüssel-ÖVP wurde also die Haider-Rechte respektabel gemacht und von ihrer neoliberalen Politik wurden zugleich der FPÖ die Argumente geliefert: Es müsse mehr für die kleinen Leute, also die „Österreicher“ unter ihnen getan werden. Das wird mit der EU verbunden: Die Öffnung für die Billig-Konkurrenz der neuen Beitrittsländer im Osten (und Norden) von Österreich wird besonders gefürchtet. Das Gegenargument, Österreich habe besonders von diesen neuen Ländern profitiert, zieht nicht: Hier gibt es eine Grenze des Nationalismus, indem die Leute auf einmal doch unterscheiden können, dass die österreichischen Banken und Handelsketten gewonnen haben und nicht sie selbst.

Gesellschaftlich hat die Diagnose „Rechtsruck“ wenig Sinn: Mit den Leuten, die Haider und Strache gewählt haben, hat man auch schon vor diesem Sonntag gelebt, ausländerfeindlich und wohlstands-chauvinistisch waren sie auch vor dem Wahltag (das ist wie mit dem Geburtstag, an dem man auch nicht schlagartig älter wird) – und man kann nach wie vor annehmen, dass die Fraktion der Neo-Nazis (die Alt-Nazis sind allmählich doch fast ausgestorben) unter diesen Wählern klein ist und dass sie auch nicht größer geworden ist, dass der Zuwachs vielmehr aus anderem Rechtsradikalismus stammt (hauptsächlich Ausländerfeindschaft, die aber von allen Parteien außer den Grünen befördert wird). Das entspricht der qualitativen Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Selbst- und Fremd-Zuordnungen seit den 1980ern: Sie verschieben sich von „oben – unten“ zu „drinnen – draußen“, von Kategorien der Position in der gesellschaftlichen Arbeit zu kulturellen bis biologischen Merkmalen, von Interessen- zu Identitätspolitik.7

Um das Wahlergebnis und seine Interpretation als „Rechtsruck“ richtig einzuordnen, ist eine elementare Unterscheidung notwendig: 1/ Was ist in der herrschenden und speziell der politischen Klasse geschehen? Und 2/ wie verhalten sich die Wähler dazu?

Verschiebungen beim Personal der politischen Klasse

FPÖ und BZÖ beziehen einen Teil ihres Personals aus einer rechten Szene von Burschenschaftlern, Antisemiten und schlicht Dumpfköpfen, die Geld machen, schnelle Autos fahren und Parties feiern wollen – „Feschisten“ hat Armin Thurnher sie seinerzeit treffend genannt. Sie haben eine Neigung, Juristen und besonders Wirtschaftsanwälte zu sein, auch unter Betriebswirten kann man sie treffen. Das Geschichtsbild solcher Leute ist erstaunlich und widerspricht dem österreichischen Nachkriegs-Konsens: Wenn sie aus einem Nazi-Milieu stammen (wie Haider), sehen sie 1945 als Niederlage und pflegen ein Ressentiment vor allem gegen die Roten, die damals ihre Eltern oder Onkels „verfolgt“ hätten. Die Nazis und erst recht die österreichischen Angehörigen der Wehrmacht hätten damals heldenhaft die Heimat gegen die „roten Horden aus dem Osten“ verteidigt – die Haltung des Kalten Kriegs wird in die Nazi-Zeit zurückprojiziert. Die „Roten“ sind in guter Nazi-Tradition „das Weltjudentum“, das uns auch heute von „der Ostküste“ her bedroht (und dessen Schwierigkeiten in der Finanzmarkt-Krise sie derzeit nicht ohne Häme beobachten). Insofern sind sie auch gegen „das Finanzkapital“ und insofern anti-neoliberal.

Jüngere wie Strache haben eher mit Neo-Nazis und ihren Sauf- und Geländespielen zu tun. Sie sind international gut vernetzt. Das politische Projekt, so weit sich eines erkennen lässt, ist am ehesten das des „Wohlstands-Chauvinismus“: Die reichen Staaten, Regionen, Schichten setzen sich von den anderen, ärmeren ab und wollen von ihnen nichts hören und sehen. Es ist das Projekt eines Herrenmenschentums, das Solidarität nur unter Starken und Erfolgreichen unter Ausschluss alles „Fremden“ kennt. Es ist die Seilschaft der (schlagenden oder nur saufenden) Verbindung als Modell von Gesellschaft: Die in Männlichkeits-Ritualen (Suff und starke Sprüche über schnelle Autos und „scharfe Weiber“ spielen traditionell die Hauptrolle) verschworenen Verbindungsbrüder halten auf Gegenseitigkeit zusammen und bekämpfen alle anderen, die ebenfalls als in solchen Gangs organisiert verstanden werden. (Wenn man die gegnerische Gang nicht sehen kann, wird ein „Geheimbund“ unterstellt. Das Weltbild entspricht dem von jugendlichen Halbstarken.)

Diese Leute sind in der Oberschicht bestenfalls Parvenus. Wenn sie die Politik als Tätigkeitsfeld entdecken, benehmen sie sich auch dort schlecht, frech und renitent und für das politische Establishment unakzeptabel respektlos. Sie werden von der politischen Klasse ausgegrenzt und rächen sich durch gekonnte Medienpräsenz und Volksredner-Erfolge, die sie nutzen, um die Langeweile und auch Abgehobenheit der traditionellen Politik vorzuführen und sich über deren Personal lustig zu machen.

Aber auch die traditionelle Politik hat sich personell verändert. Früher dominiert von Beamten- und Funktionärs-Typen und gelegentlichen Intellektuellen mit historischer Perspektive, sind jetzt die Wirtschaftstreibenden selbst in die politische Klasse eingerückt. (Banker wie Vranitzky, Manager wie Grasser, schließlich Millionäre wie Bartenstein, Rauch-Kallat, dazu kommen die modernisierten Wirtschaftsberufe wie die BeraterInnen, nicht nur in der Bundesgeschäftsführung der ÖVP.

Die traditionelle wie die modernisierte politische Klasse kann mit dem Parvenu-Benehmen der „Feschisten“ zumindest öffentlich nichts anfangen und verurteilt sie als „populistisch“. Der traditionelle Politiker-Typ ist beleidigt von den launigen Angriffen und respektlosen Vorführungen und sieht das als Beweis der mangelnden Seriosität und damit „Regierungsfähigkeit“. Manche Politiker in ÖVP wie besonders SPÖ sind auch ernsthaft abgestoßen von dem Geschichtsbild dieser Leute, das zwar nicht dauernd, aber doch immer wieder sichtbar wird. Andererseits haben beide Parteien schon lange mit Ex-Nazis leben können, selbst als Minister, und sogar mit einem Ex-SS-Offizier als Chef der Partei, von der man sich unterstützen ließ.8 Möglicherweise ist der Unterschied, dass diese Ex-Nazis als „reformiert“ und „gute Demokraten“ auftraten, während die „Feschisten“ mit ihrem Populismus auftrumpfen und es besser wissen wollen als die traditionellen Politiker. Vielleicht ist es auch ärgerlich, dass sie bessere Öffentlichkeitsarbeiter sind und vor allem dabei vor keiner „Unseriosität“ zurückschrecken: Strache tritt im Wahlkampf mit einer Art Kabarettprogramm auf Kosten der traditionellen Politiker auf. Haider war ein Medien-Star, dem auch liberale Journalisten nicht gewachsen waren.

Es gibt also innerhalb der politischen Klasse Schwierigkeiten mit der Integration der „Feschisten“, die aber schließlich in der parlamentarischen Arbeit doch immer wieder gelingt – wie man an Ausschüssen und gemeinsam beschlossenen Gesetzen sehen kann. Daraus kann die Idee entstehen, man könne diese Leute „zähmen“, indem man sie in die Regierung nimmt – was Schüssels Ausrede war, um sich mit ihrer Hilfe an die Macht zu bringen. Tatsächlich ist das rechtsextreme Lager, das in der Zeit der Mitregierung „seine Leute“ auch in bis dahin verschlossene Positionen brachte, dadurch in seinem gesellschaftlichen und politischen Einfluss gestärkt worden, und das auf Kosten beider bis dahin Großparteien, aber ironischerweise vor allem der ÖVP.

In der Demokratie müssen die Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse mit Hilfe von Anhängerschaften geführt werden

Der Klassenkompromiss der nachfaschistischen Zeit hat in Österreich die besonders sichtbare Form einer über Jahrzehnte stabilen „großen Koalition“ und einer mächtigen „Sozialpartnerschaft“ gefunden. Das „bürgerliche“ und das „sozialistische“ Lager wurden auch in der Bevölkerung als solide Milieus verstanden. Auf der „bürgerlichen“ Seite waren die stabile Anhängerschaft die Bauern und die (kleinen) Wirtschafttreibenden, dazu die Beamten und ein Teil der Angestellten. Die widersprechenden Interessen wurden unter dem populistischen Dach des mehr oder weniger politischen Katholizismus zu vereinigen gesucht. Auf der „sozialistischen“ Seite waren die stabile Anhängerschaft die Arbeiter und die Verwalter und Angestellten der Staats- und Kommunalbetriebe. Dabei spielten Reminiszenzen an das „Rote Wien“ und entsprechend eine scharfe Spaltung zwischen Wien und den ländlich-alpinen Bundesländern eine wichtige Rolle. (Die beiden Schwerindustrie-Regionen rund um den steirischen Erzberg und die Linzer VOEST waren „rote“ Einsprengsel.) Das populistische Dach war auf dieser Seite der „Wohlfahrtsstaat“ als Reminiszenz von „Sozialismus“.

Anti-Faschismus wurde und wird von beiden Seiten in Anspruch genommen, muss in Österreich aber strikt auf christlichen wie sozialistischen Anti-Nationalsozialismus zugespitzt werden. Der christliche österreichische Klerikal-Faschismus, die hauseigene Diktatur der Christlich-Sozialen,9 die dem NS 1933/34-38 voranging, muss dafür verleugnet werden, auch die Tatsache, dass Schuschnigg zunehmend Kompromisse mit den Nazis einging und den späteren Gauleiter Seiß-Inquart schon in sein Kabinett aufgenommen hatte. Die ÖVP macht Österreich zum „ersten Opfer“ der Nazis, indem sie den österreichischen Faschismus „nationalisiert“ und die bereits von ihm unterdrückte Hälfte der Bevölkerung und die Parteiverbote für Kommunisten und Sozialisten vernachlässigt. Der österreichische Bürgerkrieg, in dem das Bundesheer Gemeindebauten beschoss, der dem vorausging, muss ohnehin unter den Teppich gekehrt oder allenfalls als schreckliches Beispiel für eine Zuspitzung der Konflikte verwendet werden, die nie wieder eintreten darf. Der Nachkriegs-Kompromiss beruhte darauf, dass die Sozialdemokraten die Unterdrückung der austro-faschistischen Zeit „vergaßen“.10 Er wurde ursprünglich eingegangen, um eine „ÖDR“ und also die Spaltung des Landes zu verhindern. Der Fetisch „große Koalition“ und die besondere Scheu vor politischen Konflikten, die Österreich bis heute auszeichnen, gehen auf diese schwierige Konfliktgeschichte und die Verleugnungs-Leistungen zurück, die nötig waren, um sie nach 1945 nicht bruchlos fortzusetzen.

Das heißt aber nicht, dass nicht beide Parteien, besonders aber die SPÖ als der „kleinere“ Partner, laufend versuchten, neues Terrain zu gewinnen. Die erste Möglichkeit dazu waren die Stimmen der Nazis: Sofern sie nicht in der Nazi-Auffang-Partei „VdU“ (gegründet 1949), später „FPÖ“ verschwanden, dürften sie sich halbwegs gleichmäßig auf die Koalitionsparteien aufgeteilt haben – jedenfalls hat sich damals an der Balance nichts verändert. Erst die Wende der SPÖ von der Arbeiter- zur Volkspartei in den 1960ern, um die Angestellten und die „wohlhabenden Arbeiter“ einzubeziehen, erzeugte die Situation des Kampfes um die „Mitte“ und zum ersten Mal die Möglichkeit, zur größten Partei zu werden. Kreisky schaffte es 1971-83 sogar zur Alleinregierung.

Er arbeitete dazu an der „Spaltung des bürgerlichen Lagers“ durch eine FPÖ, von der er sich die Entwicklung in Richtung auf eine liberale Partei erhoffte. Das ist dann ja für kurze Zeit (immerhin etwa zehn Jahre) in den späten 1970er Jahren auch tatsächlich eingetreten. 1986 putschte die „nationale“ Fraktion in der FPÖ gegen den liberalen Steger und brachte Haider an die Spitze der Partei. Der war damals aufgrund seiner familiären Herkunft gut im Ressentiment der „nach 45 verfolgten Nazis“ verankert, dazu ein begabter TV-Politiker, der mit diesen rechten Provokationen und allgemeiner Frechheit zu spielen verstand und damit überproportional journalistische Aufmerksamkeit gewann. Im Rahmen von „Politik zur Unterhaltung“ war er ein neuer und für einige Zeit unschlagbarer Star. Die Ex-Nazi- und deutschnationalen Ränder, die er bediente, waren freilich, das erkannte er schnell, keine dauerhafte Basis: Sie starben weg. In seinen zahlreichen Partei-Säuberungen trennte er sich davon allmählich und wurde österreich-national.

Offensichtlich ist der Zusammenhang seiner Anfangserfolge mit dem Rechtsruck der ÖVP in der „Waldheim-Affäre“. In diesem Präsidenten-Wahlkampf umwarb die ÖVP die Ehemaligen, die in der Nazi-Zeit „nur ihre Pflicht getan“ und „das Vaterland verteidigt“ hatten. Dazu machte Waldheim weniger den NS (diese Verstrickung versuchte er immerhin zu verbergen), als vielmehr den Austro-Faschismus wieder öffentlich akzeptabel: Er benutzte diese Zugehörigkeit seiner Familie als „Nachweis“, dass er kein Nazi, höchstens Opportunist gewesen sein konnte. Die Ressentiments, die damit erfolgreich mobilisiert wurden, waren wahrscheinlich die der „Opportunisten“ und die der „österreichischen Patrioten“, die damit nach dem oben genannten Muster NS-Vorwürfe, schon gar „aus dem Ausland“, zurückwiesen.11 Dieser Bruch des historischen Nachkriegs-Konsens ließ die SPÖ ziemlich hilflos und so reagieren, dass die NS-Vorwürfe und besonders die „aus dem Ausland“ verstärkt und ihr zugerechnet wurden. Waldheim wurde gewählt – der erste „schwarze“ Bundespräsident der Zweiten Republik. Ansonsten kam die Mobilisierung dieser Ressentiments, so kann man annehmen, der Haider-FPÖ zugute.

In beiden traditionellen Koalitionsparteien hatte außerdem die „Neoliberalisierung“ eingesetzt, in der ÖVP, indem der Wirtschaftsbund-Flügel an die Macht kam, in der SPÖ, indem die Manager und Banker in die Führungspositionen einrückten. Schon unter den sozialdemokratischen Bundeskanzlern Vranitzky und Klima wurde neoliberale Politik begonnen und zugleich Koalitions-Müdigkeit in der Bevölkerung erzeugt: Die FPÖ hatte ohnehin Interesse, das zu tun und war höchst erfolgreich darin, die Koalition als korrupt und handlungsunfähig erscheinen zu lassen. Aber auch die ÖVP, die nie einsah, warum sie der „kleinere“ Partner sein sollte, und in der maßgebliche Teile eine wirtschaftliche wie „geistig-moralische Wende“ wollten, tat alles, um die Koalition zumindest profillos zu machen. Das alles stärkte die FPÖ, zu einem nicht geringen Anteil auf Kosten der ÖVP. Nach der Wahl 2000 ließ Schüssel die Koalitionsgespräche platzen und ging die Koalition mit der um wenige Stimmen stärkeren Haider-FPÖ ein – es war aber klar, dass Haider selbst zu sehr diskreditiert war, um persönlich an der Regierung teilnehmen zu können.

Die Reaktion der SPÖ und der „Zivilgesellschaft“ war wieder so wie bei Waldheim: Sie beriefen sich auf einen historischen und europäischen Konsens, der gebrochen werde, indem Gruppen mit einem (zumindest in Aspekten) positiven Bezug zum NS in der Politik respektabel gemacht würden. Nach den Sanktionen der EU, die von den Rechten als „von den Roten bestellt“ definiert wurden, konnten wieder Ressentiments gegen „Einmischungen von außen“ und damit österreich-nationalistische Denkmuster verstärkt und benutzt werden. Der Rechtsruck, der damals, 1986, eingesetzt hatte, wurde weiter bestätigt. Herrenmenschentum, Wohlstands-Chauvinismus, Antisemitismus, Rassismus sind alles Bestandteile einer auftrumpfenden „Mir-san-mir“-Haltung, die die gesamte Rechte prägt und auch in die SPÖ und die Gewerkschaft hineinreicht, denen jedenfalls der Wohlstands-Chauvinismus nicht fremd ist. Dass die FPÖ sich spaltete, erwies sich langfristig als Glücksfall für die Rechten: Das Haider-BZÖ bediente bei der Wahl 2008 die WählerInnen, die auf Regierungsfähigkeit Wert legten, die Strache-FPÖ die ProtestwählerInnen, beide bedienten das Ressentiment gegen „die Ausländer“.

Der Rechtsruck in Österreich hat schon vor zwanzig Jahren stattgefunden und nicht am rechten Rand, sondern in der Mitte – dort wo alle Parteien populistisch wurden und die wohlstands-chauvinistischen, wenn nicht Herrenmenschen-Haltungen verstärkten und anschließend nutzen wollten – was den oppositionellen leichter und besser gelingt. Im Kampf um die Anhängerschaften ging es in diesen zwanzig Jahren in Österreich wie anderswo um die Durchsetzung von Neoliberalismus und darum, wer seine Kosten trägt.12 Diese Kosten bestehen erfahrbar in verschärfter Konkurrenz, in Bürokratie und Abgaben, in Angst um die Infrastruktur-Leistungen (Gesundheits-System, Sozialversicherung), die uns als gefährdet und „unbezahlbar“ dargestellt werden. Die Themen „Europa“ und „Zuwanderung“ werden als Teil-Aspekte davon verstanden und verhandelt. Beide machen sichtbar, dass es nicht möglich ist, Österreich als wohlstands-chauvinistische „Insel der Seligen“ von den weltwirtschaftlichen Unbillen abzukoppeln. Genau diese Abkoppelung versprechen Haider und Strache, indem sie „Heimat“, „Österreich(er) zuerst“, Abgrenzung gegen Europa und gegen „die Fremden“ betonen. Das mag alles in der Realität illusionär sein, aber es bestätigt die Überlegenheit und die Vorrechte der „Österreicher“.

Das ist im letzten Jahrzehnt zunehmend auf eine Klassenfrage hinausgelaufen: Sind nur Millionäre und Superreiche beachtenswert oder können auch „kleine Leute“ an dem teilnehmen, was uns als das gute Leben vorgestellt wird? Die „Feschisten“ führen vor und versprechen damit, dass man nicht superreich sein muss, um in Discos und in schnellen Autos in aufgedrehter Stimmung „erfolgreich“ sein zu können. Mit Frechheit und Renitenz kann man sich seine Beachtlichkeit bestätigen, mit Verstößen gegen den liberalen Konsens von Toleranz und höflicher Hinnahmebereitschaft Aufmerksamkeit gewinnen.

Die anderen Parteien hat speziell Haider vor sich hergetrieben, weil sie alle miteinander keine wirkliche Gegen-Position fanden, sondern seine Themen, besonders das der Zuwanderung, mehr oder weniger heimlich eh richtig fanden. Ihre Strategie war daher, ein wenig auch wie Haider zu sein, nur respektabler. Daher haben alle Parteien außer den Grünen das Thema „Zuwanderung“ bedient, die Schwarz-Orangen (mit Zustimmung der Roten) sogar besonders folgenreich, indem sie die entsprechenden Gesetze und die Verwaltungspraxis bestimmten. Keine dieser Parteien kann sich davon absentieren, den Wohlstands-Chauvinismus und den Rassismus bedient zu haben, mit denen tatsächlich möglichst wenig Zuwanderer ins Land gelassen und die vorhandenen behördlich schikaniert wurden. Mehr oder weniger heimlich waren sie alle der Meinung, dass „echte Österreicher“ doch bessere Menschen sind und Zuwanderer diesen Status allenfalls in ein paar Generationen von Wohlverhalten gewinnen können.

Darin besteht der gesellschaftliche Rechtsruck in Österreich. Er ist nicht erst gerade jetzt eingetreten.

Anmerkungen

  1. Ich danke der links-netz-Diskussionsrunde in Wien für Anregungen und besonders Roland Atzmüller und Uli Brand für konkrete Hinweise und Korrekturen einer früheren Fassung. Zurück zur Textstelle
  2. Für Protest und Denkzettel spricht, dass die ÖVP stärker „abgestraft“ wurde – ihre Blockadepolitik war zu offensichtlich und wurde durch die Beschlüsse, die nach Aufkündigung der Koalition auf einmal im Parlament mit wechselnd zusammengesetzten „freien“ Mehrheiten möglich waren, noch deutlicher gemacht. Aber der Denkzettel bestand im Votum für eine Bevorzugung der „echten Österreicher“, wenn nicht für eine Benachteiligung bis Entfernung von „Fremden“. Zurück zur TextstelleDer „echte Österreicher“ hat hierzulande einen Hintergrund: Im Nationalratswahlkampf 1970 wurde der ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus auf Plakaten als „echter Österreicher“ angepriesen. Der Gegenkandidat war Bruno Kreisky. Mit Antisemitismus hatte die Mitteilung natürlich nichts zu tun. Die SPÖ und Kreisky gewannen übrigens die Wahl. Der „echte Österreicher“ Klaus musste abtreten. Zurück zur Textstelle
  3. Die Österreichische Volkspartei besteht aus drei „Bünden“, die zugleich die wichtigen Interessenfraktionen darstellen: dem Bauernbund, dem Wirtschaftsbund und dem Arbeiter- und Angestellten-Bund. Neben den jeweiligen Interessen der Landwirtschaft, der Industrie (ein notorisches Vertretungs-Problem haben die vielen kleinen Selbständigen) und der abhängig Beschäftigten repräsentiert der erste den Grundbestand an Ideologie, der zweite bringt das Geld, der dritte die Wahlstimmen. Zustand und Aktionen dieser Volkspartei sind sehr gut zu verstehen, wenn man auf die Zugehörigkeit der Akteure zu diesen Bünden und auf die Konflikte und Machtverhältnisse zwischen ihnen achtet. In der SPÖ ist das um einiges unübersichtlicher: Leicht zu identifizieren ist dort die Gewerkschafts-Fraktion, die zwar (teils durch Selbst-Demontage) an Macht verliert, aber wichtig bleibt. Eng verbunden ist sie mit dem „Sozial-Kapital“ (nicht im Sinn Bourdieus) der Sozialversicherung. Besonders aber ist sie in Österreich per „Sozialpartnerschaft“ mit „der Wirtschaft“ verbunden, sowohl mit dem ÖVP-Wirtschaftsbund als auch mit der SPÖ-Wirtschaftsfraktion. Letztere bestand traditionell aus den Managern der verstaatlichen Industrie und der Banken. Seit der Ent-Staatlichung sind es immer noch die der staatsnahen Energiewirtschaft, der Großbanken, der ÖBB, also die von großen Kapitalen. Die Ideologie-Fraktion der Partei, die „Linke“, ist in Österreich kaum mehr zu bemerken. (Sie ist vermutlich in die Initiativen der „Zivilgesellschaft“ abgewandert.) Zurück zur Textstelle
  4. Landespolitisch hatten das schon die Kärntner getan, die 1999 die FPÖ zur stärksten Partei wählten. Damit wurde Haider zum zweiten Mal Landeshauptmann (entspricht in Deutschland dem Ministerpräsidenten eines Landes) von Kärnten. Das erste Mal war er mit Unterstützung der ÖVP schon 1989 zum Kärntner LH gewählt worden und musste 1991 nach einem Misstrauensantrag von SPÖ und ÖVP wegen seiner Äußerung über die „ordentliche Arbeitsmarktpolitik im Dritten Reich“ dieses Amt wieder verlassen. Sein Fehler war, dass er diese Äußerung, die in seinen Kreisen vermutlich ganz gemäßigt ist, in einer Sitzung des Landtags getan hatte. Zurück zur Textstelle
  5. Vgl. Roland Atzmüller (2005) Zwischen Handschlagqualität und Faustrecht: Krise und Spaltung der FPÖ in Österreich, in: Sozialismus 32 (Heft 5).Zurück zur Textstelle
  6. Gegen die geplante Pensionsreform gab es 2003 immerhin in Österreich, dem Land der Sozialpartnerschaft, den größten Streik seit Jahrzehnten. Zurück zur Textstelle
  7. Diese Verschiebung wurde wesentlich politisch hergestellt und entspricht dem „strukturellen Populismus“ von Politik im Neoliberalismus: Es werden durch Politik der Angst und des Herrenmenschentums Gemeinsamkeiten über alle Interessengegensätze hinweg hergestellt. Hinter dieser populistischen Fassade können umso ungestörter Kapital-Interessen durchgesetzt werden. Vgl. dazu Heinz Steinert (1999) Kulturindustrielle Politik mit dem Großen & Ganzen: Populismus, Politik-Darsteller, ihr Publikum und seine Mobilisierung, in: Internationale Gesellschaft und Politik 4/1999: 402-413; auch in links-netz.Zurück zur Textstelle
  8. Friedrich Peter, Offizier einer SS-Einsatzgruppe im Angriff auf die Sowjetunion, Parteiobmann der FPÖ bis 1978, damals noch vor ihrer kurzen liberalen Phase, die Haider 1986 beendete. Zurück zur Textstelle
  9. Die ÖVP sieht sich in ungebrochener Kontinuität mit den Christlich-Sozialen unter Einschluss des (1897-1910) Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, der in rabiat antisemitischen Wahlkämpfen gewählt wurde, und des Kanzlers Engelbert Dollfuß, der 1933/34 die austro-faschistische Diktatur errichtete (und in einem Nazi-Putschversuch ermordet wurde, was Märtyrer-Status ermöglicht). Gelegentlich wird empört erinnert, dass sein Porträt bis heute den ÖVP-Parlamentsklub schmückt. Zurück zur Textstelle
  10. Politiker wie Kreisky, die schon von den Austro-Faschisten eingesperrt wurden und schon vor ihnen, nicht erst vor den Nazis ins Ausland flüchten mussten, taten sich mit diesem „Vergessen“ eher schwer. Zurück zur Textstelle
  11. Vgl. Heinz Steinert (1988) 1938, Waldheim, der Antisemitismus und die erzwungene österreichische Identität, in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart, Heft 3/1988: 27-38. Zurück zur Textstelle
  12. Letzteres ist tatsächlich nicht die Frage: Neoliberalismus ist eine Offensive der Eigner und Verwalter von großen Kapitalen, mit Hilfe von Ausweichmöglichkeiten ins Internationale und in die Finanzwirtschaft den Anteil der Arbeit am Erwirtschafteten zu verringern. Die Frage ist nur, ob es gelingt, das als entweder „unausweichlich“ oder gar als „im Interesse aller“ darzustellen. Zurück zur Textstelle
© links-netz November 2008