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Proteste der Studierenden, von Wien bis Frankfurt

Heinz Steinert

Zur allgemeinen Verblüffung sind die Proteste an den Universitäten diesen Herbst von Wien ausgegangen: Seit Mitte November gibt es dort an der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz einen „Generalstreik“. Nur wenig später wurde das Auditorium Maximum im Hauptgebäude der Universität am Ring besetzt. Alle offiziellen Stellungnahmen dazu anerkannten die Legitimität der studentischen Forderungen und warnten pflichtgemäß vor Gewalt und sonstigen Exzessen. In der Presse bekamen die BesetzerInnen den freundlichen Namen „AudiMaxisten“. Intellektuelle von Robert Menasse bis Jean Ziegler solidarisierten sich und traten mit Vorträgen im AudiMax auf. Dass die Finanzierung der Universitäten mit der Zunahme der Studierenden schon seit Jahrzehnten nicht Schritt hält, lässt sich einfach nicht leugnen. Auch die Universitäts-Leitungen fordern seit langem Verbesserungen der Aufnahme-Kapazitäten und kommen damit bei der Politik nicht durch. Die Unruhe der Studierenden kommt auch ihnen gerade recht, um ihre Forderungen zu unterstreichen.

Die Polizei wurde nicht gerufen und hielt sich zurück. Als Anfang Dezember ein ÖVP-Politiker mit der Forderung vorpreschte, das AudiMax müsse nun endlich wieder seinem eigentlichen Zweck, dem Abhalten von Massen-Lehrveranstaltungen dienen können, wenn nötig mit Hilfe der Polizei, wies der Rektor der Universität das unmissverständlich zurück: Er ziehe es vor, mit seinen Studenten zu sprechen und zu verhandeln. Seiner Äußerung, die im Radio zu hören war, konnte man deutlich den Subtext entnehmen, dass er solche Zurufe aus der Politik, die die Universitäten so lang im Stich gelassen habe, nicht besonders schätze.

Es folgten seither einen Monat lang Streiks und Besetzungen von größerer und geringerer Intensität und Dauer an den meisten Universitäten der Bundesrepublik. An einigen Orten wurden Besetzungen ganz schnell durch Polizei-Einsätze beendet, an den meisten toleriert und über kurz oder lang von den Besetzern selbst beendet. Für die „bundesweite Bildungswoche“ Anfang Dezember mit Veranstaltungen und Diskussionen zur Universitätsmisere konnten sich auch zahlreiche Lehrende begeistern.

Die Politik reagierte inzwischen mit der Ankündigung von Geldgeschenken: Der österreichische Wissenschaftsminister fand plötzlich noch eine „Budget-Reserve“ von etlichen Millionen, die er zu mobilisieren versprach. Die deutsche Bundesministerin Schavan bot eine Erhöhung des Bafög-Satzes an. Alle Bildungs-Technokraten wissen plötzlich, dass die „handwerklichen Fehler“ der Bologna-Reform dringend beseitigt werden müssten – eine „Reform der Reform“ wird angekündigt. Der enorme Aufwand, den die Bologna-Reform an den Universitäten verursacht hat, wird also für einige weitere Jahre verlängert. Mehr oder weniger offen ist davon die Rede, dass man bei der Gelegenheit den BA auf vier Jahre anheben könnte; dass er fast überall auf drei Jahre angelegt wurde, sei ein Fehler gewesen. Auch hier sind die studentischen Proteste durchaus willkommen.

Die Forderungen der Studierenden waren freilich genauer als die einfache Forderung nach mehr Geld: Es geht gegen die Zerstörung von Freiraum für „Bildung“ in diesem Abschnitt von verlängerter Jugend durch die verschulende Studienreform unter der Marke „Bologna-Prozess“. Und es wird mitgeteilt, dass man diesen Vorgang als einen (kleinen) Teil des weltweiten Gesellschafts-Experiments von „Neoliberalismus“ und „Globalisierung“ verstehe und spätestens seit der Klimakatastrophe und aktuell der Finanzkrise davon genug habe. Daher gab es auch Erklärungen der Solidarität mit Verarmten und Prekarisierten hier und anderswo und hässliche Worte über Kapitalismus und seine Profiteure.

Nur in Frankfurt ist die Reaktion auf die studentischen Proteste entgleist. Statt wie üblich den verelendeten „Turm“ am Campus Bockenheim zu besetzen, zogen die Studierenden ins noble IG-Farben-Haus und besetzten dort den Festsaal im „Casino“. Als einige dort taten, was auch im Turm immer bei solchen Gelegenheiten getan wurde, nämlich die Wände durch Graffiti zu verzieren, sah der Präsident der Universität die Notwendigkeit, durch die Polizei räumen zu lassen. (Im „Turm“ hingegen konnte man „tolerant“ sein. Dort waren bis in die 1990er hinein die Parolen aus den 1970ern an den Wänden zu lesen.) Seither tobt der übliche Definitions-Kampf darum, ob der Präsident und die Polizei über-reagiert hätten, oder ob ihnen angesichts der Ungeheuerlichkeit der Provokation gar nichts anderes übrig blieb als ein Schlagstock-Einsatz – und dabei gibt es halt Gerangel und daher Verletzte.

In der Mediengeschichte ist „1968“ der Zeitpunkt, als relativ medien-geschickte Studenten mit Hilfe einer „liberalen Öffentlichkeit“ hilflose Universitäts- und Polizei-Präsidenten als „autoritär“ und jedenfalls über-reagierend vorführen konnten. Heute wird wieder bewundert, dass der Protest über das Netz koordiniert und verbreitet wird, dass Fotos und Videos gezeigt und ganze Vollversammlungen „gestreamt“ werden. (Die Wiener „AudiMaxisten“ haben für ihre Internet-Fertigkeiten viel öffentliche Anerkennung bekommen. Sogar von einer völlig neuen Qualität des internationalen Protests war die Rede.) Geändert hat sich, dass die andere Seite mithält: Heute kann sich ein Uni-Präsident auf seine Abteilung für „Marketing und Kommunikation“ verlassen, die professionell die Presse betreut und den Studierenden sogar mit Erfolg die Lufthoheit im Internet streitig macht. Eine „liberale Öffentlichkeit“, die es empörend fände, wenn junge Leute und Demonstranten von der Polizei geprügelt werden, gibt es schon lange nicht mehr.

Dementsprechend hat die Abteilung „Marketing und Kommunikation“ der Frankfurter Uni nach der Räumung sehr schnell

  • Fotos von den „Verwüstungen“ im Casino ins Netz gestellt,
  • anschließend Fotos, die belegen sollen, dass der Präsident „das Gespräch mit den Studierenden suchte“,
  • dazu hat sie Stellungnahmen von „ordentlichen“ Studierenden auf der Homepage der Uni dokumentiert, die sich von der Zerstörung „ihrer“ Uni „schockiert“ zeigen,
  • und schließlich vier Ex-Uni-Präsidenten mit einer Erklärung zitieren können, dass der Präsident angesichts der „Konfrontation um nahezu jeden Preis“ „wohl keine andere Wahl mehr hatte“ und die „schwere Entscheidung treffen“ musste, die Polizei zu rufen, um „dem Vandalismus Herr zu werden“. (alles abzurufen auf www.uni-frankfurt.de)

Die seit den 1970er Jahren durchgesetzte Norm, dass Proteste „gewaltfrei“ zu sein haben, „gegen Personen“ ohnehin, aber zunehmend ist auch „Gewalt gegen Sachen“ tabuiert; dass Gewalt monopolistisch dem Staat zustehe und von ihm sogar eingesetzt werden müsse, um die Ordnung zu erhalten, wurde wieder einmal bestätigt und bestärkt. Keine moderierende oder gar gegen den Polizei-Einsatz kritische Verlautbarung, die sich nicht zuerst von den „Zerstörungen“ distanzieren müsste. Die Geduld mit den Studierenden ist allmählich am Ende.

Andererseits hat der Frankfurter Uni-Präsident mit dem Polizei-Einsatz den Studenten einen beachtlichen Dienst erwiesen. Die Frankfurter waren ohnehin (zu) spät dran. Anderswo sind die Besetzungen längst durch. Die Streik-Homepages von diversen Unis sind nicht mehr so rasend interessant. Man konnte schon die Frage hören, was denn mit den Frankfurtern los sei, dass sich dort gar nichts rühre. Jetzt noch eine tolerierte Besetzung, das wäre über die Lokalnachrichten hinaus keine Meldung mehr wert gewesen. Mit der Räumung und den Bildern im Internet sind die Frankfurter doch noch Helden geworden. An anderen Unis kann man das Gerücht hören, in Frankfurt sei geräumt worden, weil die studentischen Forderungen dort so besonders radikal gewesen seien.

Was immer den Präsidenten zu dieser „schweren Entscheidung“ gebracht haben mag, er muss sie jetzt rechtfertigen, und zwar gar nicht in erster Linie den Studierenden und dem Personal der Universität gegenüber, sondern vor seinen Sponsoren und seinen Präsidial-KollegInnen in der ganzen Republik, die überwiegend ihre besetzten Hörsäle nicht räumen ließen. Für sie muss er den „Vandalismus“ als beträchtlich und verwerflich darstellen, für sie braucht er alle die (studentischen und alt-präsidialen) „testimonials“, die ihm bestätigen, dass er gar nicht anders konnte. Aber damit liefert seine Abteilung für „Marketing und Kommunikation“ zugleich das Material, das die Frankfurter Studierenden unter ihresgleichen zu Helden macht. Beide Seiten haben ihre Bezugsgruppen an den übrigen Unis der Republik, mit einander haben sie politisch kaum etwas zu reden.

Das ist ohnehin das Problem dieser studentischen Streiks: Sie finden lokal statt und werden lokal beantwortet, aber die Politik, um die es geht, spielt auf Bundesebene. Die ProfessorInnen und selbst Präsidenten, die sich als Ansprechpartner für die Studierenden offerieren, haben auf diese Politik kaum, die Profs gar keinen Einfluss. Mit ihnen gibt es nichts zu verhandeln, im Zweifel sind sie ohnehin mit der „Bologna“-Reform ähnlich unzufrieden. Und das „Zugeständnis“ an die Streikenden ist bei den Bildungs-Technokraten auf Bundesebene, bei Wissenschaftsrat und Ministerium, offenbar längst beschlossene Sache: Der BA muss „entschult“ und möglichst auf vier Jahre verlängert werden.

Einen Ausbau der Kapazitäten gibt es nicht, mehr Geld nur im Rahmen der „Exzellenz-Initiative“ und hauptsächlich für die Forschung, nur zu einem ganz kleinen Teil für die Lehre. Dieses Geld wird nach dem Muster von DSDS im Wettbewerb der Universitäten verteilt und wird vor allem dazu dienen, die Spaltung zwischen wenigen („exzellenten“) „Forschungs-Universitäten“ und vielen „Normal-Unis“ mit lokalen und regionalen Versorgungs-Aufgaben auszubauen. Diese Konkurrenz setzt sich in die Unis hinein fort, in die Spaltung von („exzellenten“) Forschungs- und (gewöhnlichen) Lehr-Fachbereichen und natürlich zwischen („exzellenten“) Forschungs- und (durchschnittlichen) Lehr-Professuren. Darunter wird noch ein Lehr-Prekariat erzeugt, das mit schlechten Verträgen die studentischen Anfangs-Massen „versorgen“ muss, während die „Exzellenzen“ sich mit reduziertem Lehr-Deputat auf die MA- und Doktorats-Ausbildung zurückziehen.

„Bologna“ nachzubessern ist kein Problem, ist sogar erwünscht. Diese Reform wurde den Fachbereichen seinerzeit aufgezwungen und sie wurde von den Vorgaben der Akkreditierungs-Agenturen gesteuert. Die jetzt gern berufenen „handwerklichen Fehler“ gehen auf diese Vorgaben zurück, gegen die man sich nur mit dem (auch finanziellen) Risiko der Ablehnung wehren konnte, was viele nicht schafften. Jetzt kann man die von der verordneten Reform etwas ermüdeten Profs dazu zwingen, noch einmal damit anzusetzen. Aber die Spaltungen und geschürten Konkurrenzen zwischen „Exzellenz“-Unis, -Fachbereichen und -Profs und der großen Zahl derer, die auf allen drei Ebenen zu „Verlierern“ gemacht werden, das ist die Ebene von Uni-Politik, auf der die Zukunft der Universitäten entschieden wird. Von den studentischen Protesten wird diese Ebene der Politik leider gar nicht berührt.

Es wäre höchste Zeit, dass die ProfessorInnen und sogar die Uni-PräsidentInnen, die in diesen Spaltungen nicht zu den Gewinnern gehören werden, aus der individualisierten Konkurrenz aussteigen. Die Spaltung ist wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten. Sie wird politisch gewollt und die Instrumente, um sie herbeizuführen, sind beim Bund und seinen Technokraten vorhanden. Die Länder werden erstens durch Geld und zweitens dadurch zufriedengestellt werden, dass kein Land bei der „Exzellenz“ ganz leer ausgeht. (Dieser Fehler ist in der ersten „Exzellenz“-Runde passiert, das wird sich korrigieren lassen. Dazu legen die Länder ihre eigenen Exzellenz-Programme auf.) Aber die Spaltung müsste nicht als eine von „Gewinnern“ und „Verlierern“ gesehen werden. Es wäre nötig und möglich, ein Selbstbewusstsein und spezifische Aufgaben für kleine und regional zuständige Unis, für Lehr-Fachbereiche und für gewöhnliche Professuren zu entwickeln: Sie könnten vor allem den Drittmittel-Fetisch und die aufgeblasene Schein-Internationalität hinter sich lassen und stattdessen Forschung mit den Eigenmitteln der Universität (zu denen die Studierenden als Forscher gehören) und also bessere Wissenschaft betreiben, als sie in den Forschungs-Bürokratien der Drittmittel-Projekte möglich ist. Es sind diese Orte, wo Forschung und Lehre wieder zusammenkommen können.

© links-netz Dezember 2009