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„Operation Achilles“
Rudolf Walther und Heinz Steinert
Nach seiner Rede auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz wird ein Grundzug von Steinmeiers Außenpolitik sichtbar. Er sprach darin von einem „zivil-militärischen Konzept“ und verlangte von der Außenpolitik „interkulturelle Kompetenz“ sowie „tieferes Wissen, Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe.“ Das schützt die Dialogpartner freilich nicht vor „militärischen Stabilisierungseinsätzen“, wie Steinmeier den Krieg und die Bombardierung von Zivilisten beschönigend nennt. Was die „interkulturelle Kompetenz“ der NATO-Kommandierenden und der mit involvierten Außenpolitiker betrifft, so liefern die beiden jetzt ein schlagendes Beispiel. Sie nennen ihre Frühjahrsoffensive in Afghanistan „Operation Achilles“.
Eine sehr feinfühlige Variante „interkultureller Kompetenz“: Achilles war einer der legendären Häuptlinge der Griechen im Trojanischen Krieg. Das Einzige, was man zu seinen Gunsten sagen kann, ist, dass er eine eher schwere Jugend gehabt haben soll. Die Mutter hat ihn, der Legende nach, über Nacht immer auf die noch glühenden Kohlen des Herdes gelegt, um ihn unsterblich und zum Gott zu machen. Beim Angriff auf Troja wurde Achilles‘ Liebhaber Patroklos von Hektor getötet. In einem regelrechten Blutrausch rächte sich Achilles an Hektor, tötete ihn, schleifte den Leichnam durch Sand und Dreck, bevor er ihn schändete. Auf dem Scheiterhaufen zur Verbrennung der Leiche des Patroklos ließ Achilles aus Rache zwölf junge Trojaner lebendigen Leibes verbrennen. Achilles‘ Versuch, sich der Amazone Penthesilea liebend zu nähern, überlebte diese nicht. Er galt den Griechen angeblich trotzdem als der schönste, der schnellste, der tapferste und der stärkste unter den Helden. In Christa Wolfs Erzählung „Kassandra“ (1983) bekam Achilles den trefflichen Namen „Achill, das Vieh“.
Die Ankündigung einer „Operation Achilles“ an die Welt und vor allem an die afghanische Bevölkerung hat eine lächerliche und eine ernstere Implikation:
Lächerlich ist, dass auch im hoch-technisierten Militär des 21. Jahrhunderts immer noch kindisch mit phantasievollen Decknamen gearbeitet wird. Mag sein, es hatte seinerzeit Geheimhaltungsgründe, statt vom Überfall auf die Sowjetunion unter Generalstäblern von einem „Unternehmen Barbarossa“ zu reden. Heute wird damit für alle verständlich und offen angekündigt, es werde demnächst in Afghanistan wieder mehr Luftangriffe, Raketeneinschläge, Schießereien, Festnahmen, kurz: Tod und Folter geben. Komisch ist auch, dass die Militärs wahrscheinlich auf den Namen verfielen, weil alle den Achilles als Brad Pitt aus dem Film „Troja“ (Wolfgang Petersen, 2004) kennen. Dort ist Achilles umkomponiert zu einem jugendlichen Rebellen gegen die alten Säcke von zynischen Politikern, der durch die Liebe zu einer trojanischen Prinzessin (Briseis) zu spät geläutert wird. Das wird mit der Bezeichnung der „Operation Achilles“ den angreifenden amerikanischen, englischen und deutschen Soldaten als harmlos-tragisches Selbstverständnis (nicht ganz so harmlos, weil man weiß, dass Achilles den Feldzug nicht überlebt hat) angeboten.
Weniger komisch sieht das von der anderen Seite aus:
Kriegs- und Völkerrecht wurden in Afghanistan teilweise suspendiert. Insofern war es ein Akt von luzider Selbsterkenntnis der geballten NATO-Intelligenz, die Frühjahrsoffensive nach einem ordinären Rächer und Schlächter aus der griechischen Mythologie zu benennen. Damit demonstriert man den Afghanen, wenn nicht „interkulturelle Kompetenz“, so wenigstens urwüchsig abendländisches Rächertum. Zumindest die afghanischen Leser von Homer wissen jetzt Bescheid darüber, was sie erwartet – und können hoffentlich noch rechtzeitig fliehen.
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