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Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
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Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote Übersicht

 

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Gutgemeint und voll daneben

"Empire" trägt zur Debatte, was Linke heute können, wollen und sollen nichts bei.

Rudolf Walther

Die lautstarke Beschwörung des "Endes der Meistererzählungen" wirkte in den 80er Jahren auf viele wie ein Fanal der Befreiung. Des Theoriegepäcks der Moderne entledigt, sollte der beschwingte Tanz der fröhlich gewordenen Sozialwissenschaften in die Idylle der Postmoderne beginnen. Jenseits großer gesellschaftstheoretischer und geschichtsphilosophischer Entwürfe war von nun an der Weg frei, um unbeschwert ins Offene hineinzudenken, Ballast abzuwerfen, fette Begriffe und hohe intellektuelle Ansprüche gleichermaßen zu verabschieden. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem darauf folgenden Zerfall des Warschauer Pakts und der Sowjetunion erhielt die postmoderne Wende eine politische Zuspitzung. Zumal von konservativer Seite hieß es nun, die Zeit für politische Alternativen und soziale Utopien sei endgültig vorbei und man habe sich – mangels besserer Konzepte – in dem einzurichten, was der Fall sei. Verschärft wurde die These in einem weltweit beachteten Aufsatz des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama unter dem Titel "Ende der Geschichte?" (1989). Darin verkündete er den unüberbietbaren Sieg des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus und zugleich das Ende jeden Streits zwischen konkurrierenden Weltbildern und Ideologien. Mit dem Untergang der Sowjetunion sei nicht nur die dort praktizierte Variante von Staatssozialismus untergegangen, sondern darüber hinaus "der Schlußpunkt aller ideologischen Entwicklung" erreicht.

Eine Zeitlang sah es ganz so aus, als wollten sich die westlichen Sieger und diejenigen, die sich als solche aufspielten, in der alternativenlos gewordenen Welt gemütlich einrichten. Indiz dafür war das Gerangel, das sich um die ominöse politische Mitte abspielte. Alles wollte plötzlich dazu gehören; oppositionelles und nonkonformistisches oder gar radikales Denken war weitherum verpönt und galt als Anachronismus, der in der Regel mit der wohlfeilen Chiffre "68" etikettiert wurde. Doch Kriege und Bürgerkriege in aller Welt, Hunger, Massenverelendung und unvorstellbare Gemetzel wie jenes in Ruanda 1994 mit etwa einer Million Opfern, weltwirtschaftliche Verwerfungen und zuletzt die terroristischen Anschläge in den USA ließen Zweifel und Verzweiflung an dieser neoliberalen Weltordnung ebenso aufkommen wie die schnell anwachsende Protestwelle gegen die Weltwirtschaftspolitik von Weltbank und Weltwährungsfonds. Protest und Widerstand hatten ihre Sprache plötzlich wiedergefunden.

Der weltweite Riesenerfolg des Buches von Michael Hardt und Antonio Negri, der eine amerikanischer Literaturwissenschaftler, der andere italienischer Rechtsphilosoph mit schillernder politischer Karriere, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Am griffigen Titel allein – "Empire. Die neue Weltordnung" – kann der Erfolg nicht liegen. Eine in der politischen Dimension irritierende Bandbreite von positiven Urteilen machte die Runde durch die Presse, noch bevor das Buch auf Deutsch vorlag. Für die "New York Times" füllt das Buch "eine Lücke in den Humanwissenschaften", für die FAZ setzt es "Marx' Erzählung der Weltgeschichte fort". Für den Philosophen Slavoj Zizek legt "Empire schlüssig dar, wie der globale Kapitalismus Widersprüche generiert, die schließlich zu seinem Ende führen." Andere sprechen von einer "grandiosen Analyse." Besonders begeistert äußern sich politisch autonome und linksradikale Zirkel, die das Buch in ihren Zeitschriften und auf ihren Internetseiten seit über einem Jahr intensiv diskutieren. Das vorwiegend affirmative Echo von den Konservativen bis zu den Linksradikalen dürfte damit zusammenhängen, dass das Buch ein Vakuum füllt, das in den letzten zehn Jahren entstanden ist. Die gebetsmühlenhaft wiederholte neoliberale Globalisierungs-Propaganda wird angesichts der tatsächlichen Zustände in der Welt nicht nur unglaubwürdig, sondern hat das Publikum wohl auch verunsichert. Darauf antworten die Autoren von "Empire" mit ebenso meinungsstarken wie handfesten Orientierungshilfen: Ein anderes Leben für alle ist möglich. So der sympathische Grundton des Buches.

Mit empirischen Details, wie die Globalisierung wirtschaftlich, politisch und militärisch funktioniert, geben sich Hardt und Negri nicht ab. Sie halten es mit den großen Begriffen und nicht mit Fakten und empirischen Evidenzen. Sie liefern erstens ein weit ausgreifendes geschichtsphilosophisches Tableau des Prozesses neoliberaler Globalisierung, den sie "Empire" nennen, und zweitens interpretierende Handreichungen, wie und warum diesem Prozess zu widerstehen ist – politisch, intellektuell und emotional.

Zunächst werden herkömmlicher Imperialismus und "Empire" voneinander unterschieden. Im Unterschied zum Imperialismus ist das "Empire" nicht auf Eroberungen aus. Es ist vielmehr eine Herrschaftsordnung, die über herkömmliche nationalstaatliche Territorialisierungen hinausgreift, ja diese teilweise untergräbt. Das "Empire" hat kein ökonomisches, politisches oder militärisches Zentrum, sondern zeichnet sich geradezu dadurch aus, dass es alle Bereiche vereinigt zu einem "Netzwerk", zu einer "Weltordnung". Zwar schuf sich diese "Weltordnung" auch einige rudimentäre Figuren "imperialen Rechts", aber im wesentlichen bedient es sich – sofern wirtschaftlicher und politischer Druck nicht ausreichen – "Polizeiaktionen", um seine Interessen im Namen "universeller Werte" durchzusetzen. Die Autoren umkreisen unentwegt den Prozess der Globalisierung und interpretieren ihn mit Analogien aus der abendländischen Philosophie von Aristoteles bis Derrida. Besonders erhellend sind diese anspruchsvollen kategorialen Dekorationen und Improvisationen nicht immer – so etwa wenn Franz von Assisi (1181/82–1226) als Opponent gegen den "aufkommenden Kapitalismus" oder Marsilius von Pauda (1275–1342) als Republikaner präsentiert werden. Was die begrifflichen Volten, Anleihen und Analogien betrifft, so weist "Empire" über weite Strecken imperiale Züge auf: Das Buch rüstet die gesamte philosophische Tradition für den politischen Hausgebrauch zu.

Das "Empire" ist – durchaus im Sinne der Marxschen Theorie, an die sich Hardt und Negri anlehnen und die sie spekulativ überbieten – ein neues Produktionsverhältnis. Die Autoren ergänzen Marx' ökonomisch-politische Analyse, durch eine "biopolitische" Komponente. Sie verstehen darunter die unauflösbare Einheit von Arbeit, Kommunikation und Affekten, in der sich alle "produktiven Möglichkeiten des Lebens" virtuell verdichten zum "sozialen Körper". Hier fallen wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Produktion zum großen "Gemeinsamen", zum alles bewegenden "Herrn der Welt", zum "Leben selbst" zusammen. Die spekulative Konstruktion beruht auf einer rustikalen Anwendung von philosophischen Überlegungen Spinozas. Für Spinoza war der Mensch wie die Natur ein Teil Gottes, und Gott galt ihm als "schaffende Natur" (natura naturans) – der Ursprung von allem. Gegenüber allen dualistischen Konzeptionen von Descartes bis Kant sehen Hardt und Negri in Spinozas Monismus die Grundlage der "Renaissancerevolution", deren innerweltliches und transzendenzfeindliches Pathos der Selbsterschaffung der Menschen sie wiederbeleben möchten. Materialistisch gewendet, möchten die Autoren die alles schaffende Natur bzw. Gott unmittelbar in der "menschlichen Macht" als einer "autonomen, kooperativen kollektiven Kraft" erkennen. In der Gesamtheit der Menschen, die dem "Empire" als "Menge" (multitude) gegenübertritt, schlummert "die absolut positive Kraft" einer unerschöpflichen "Innovationsmaschine". "Die Menge ist die wahre Produktivkraft der sozialen Welt, während das Empire ein Beuteapparat ist, der von der Lebenskraft der Menge lebt" und der "vampirmäßig das Blut der Lebenden saugt." Kurz – das "Empire" ist "ein Parasit". Pikanterweise stellen Hardt und Negri ihre Thesen unter das Vorzeichen "des Rechts auf Wiederaneignung" von etwas, was es zuvor noch gar nie gegeben hat – "die absolute Demokratie in Aktion."

Die Frage, wie aus der potentiellen und virtuellen Macht, die die "Menge" darstellt, eine wirkliche wird, beantworten Hardt und Negri, indem sie den "zentralen Untersuchungsgegenstand" von der Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse auf das Gebiet einer "Ontologie des Möglichen" verlegen – also in das Reich reiner Spekulation. Sie ziehen die Beschwörung von "Möglichkeitsräumen" und "Veränderungspotenzialen" der analytischen Durchdringung der gesellschaftlichen Realitäten vor. Und sie hoffen darauf, dass sich "die Virtualitäten akkumulieren und eine Schwelle der Realisierung erreichen, die ihrer Macht entspricht." Die kapitalistische Herrschaft erscheint in dieser spekulativen Perspektive lediglich als "Übergangszeit" und das Privateigentum als "eine längst verfaulte und tyrannische Sache von gestern." Dem als kräftig und mächtig beschriebenen "Empire" prophezeien die Autoren "das Zusammenbrechen" als "modus operandi": "Die imperiale Gesellschaft bricht immer und überall zusammen", wenn auch bislang nie vollständig... Ein geradezu grobianischer politischer Voluntarismus, dem "der Wille, dagegen zu sein" als Argument genügt, durchzieht das ganze Buch. Dieser hochfahrende Gestus wirkt lächerlich und selbst dann zumindest penetrant, wenn man die zum Teil scharfsinnigen gesellschafts- und globalisierungskritischen Einsichten der Autoren teilt.

Zum Ärgernis wird das Buch wegen seiner theoretischen Sorglosigkeit, die an Scharlatanerie grenzt. Einmal ist das "Empire" eine "Maschine" oder ein "System, das ein soziales Zusammenwirken" herstellt, "das Widerspruch ausräumt oder wirkungslos werden läßt." An anderer Stelle behaupten die Autoren jedoch, dass "imperiales Regierungshandeln" die Ansprüche und die Kraft "der Menge... lediglich stören und verlangsamen", aber weder dauerhaft unterbinden noch zerstören könne. Selbst den Umstand, dass jenes Handeln Wirkungen zeitigt, rechnen die Autoren dem "Widerstand der Menge" zu, wodurch das "Empire" überhaupt erst bewegt und vorangetrieben werde. Ein abgründiges Spiel betreiben Hardt und Negri mit Metaphern, etwa derjenigen der Maschine. Die wissenschaftlichen, kommunikativen und affektiven Kräfte "der Menge" bündeln sich ihnen zufolge unter der Herrschaft des "Empire" immer schneller zu einer geballten Ladung "kooperativer Subjektivität" oder "menschlicher Kollektivität in Aktion", wobei Menschen in diesem "schöpferischen Vorgang" mit den Maschinen verschmelzen und sich zur "Menschheit im Quadrat" steigern. Unterscheidungen wie die zwischen sachlichen Produktionsmitteln, Wissen und menschlicher Arbeitskraft werden obsolet, denn angeblich wandert "fixes Kapital" direkt in die "Köpfe und Körper" und macht aus Menschen "revolutionäre Maschinen", die "die alten Werte- und Ausbeutungssysteme" über Bord werfen. Zahlreiche Überlegungen in dieser Manier und jede Menge abstruser Sätze ("Produktion ist schlicht und einfach menschliche Reproduktion, die Macht der Erzeugung oder Generation (generatio)") lassen die Frage legitim erscheinen, wie viele von den 461 Seiten des Buches die zahlreichen Begeisterten unter den Rezensenten wohl gelesen haben.

Literatur

  • Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung. Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirtensohn, 461 S., Frankfurt 2002, Campus Verlag.
© links-netz Juni 2002