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Der französische Aufruf gegen den „Krieg der Regierung gegen Intelligenz und Wissen“

Rudolf Walther

Aufrufe zu unterzeichnen, gehört zum Alltag französischer Intellektueller. Der jüngste hat es jedoch in sich. Die Pariser Wochenzeitung „Les inrockuptibles“ publizierte am 18.2.04 den „Aufruf gegen die Kriegserklärung an die Intelligenz“, den schon über 8000 namhafte Wissenschaftler, Künstler, Intellektuelle und Politiker sowie dreimal so viele Bürger unterzeichnet haben. In der Liste finden sich illustre Namen wie Patrice Chéreau, Claude Lanzmann, Bertrand Tavernier, Jacques Derrida, Alain Touraine und Michel Rocard.

Bemerkenswert ist der Aufruf in mehrfacher Hinsicht. Er wirft der konservativen Regierung „einen neuen staatlichen Antiintellektualismus“ vor und versteht darunter die systematische, medial unterstützte „Politik der Verkürzung öffentlicher Debatten“ auf krude Alternativen: „Für oder gegen das Verbot von Schleiern in Schulen?“ „Für oder gegen Polizisten in Schulen?“ „Für linke Richter oder für strenge Polizisten?“ Der Protest gegen solche „Komplexitätsreduktion“ trifft in der Tat einen wunden Punkt der Regierung Raffarin. Sowohl dieser wie sein scharfmacherischer Innenminister Sarkozy lieben in ihren Interventionen die populistische Versimpelung von schwierigen sozialen Konflikten und Widersprüchen zu handlichen Formeln und wohlfeilen Rezepten. Das staatliche wie das private Fernsehen verstärken solche Vereinfachungen und tragen damit zur Verdünnung politischer Debatten bei. Der Aufruf liest sich, als hätten sich alle intellektuellen Fraktionen im Geiste Pierre Bourdieus vereinigt. Es verwundert deshalb nicht, dass die Schärfe der Kritik am politischen Betrieb hierzulande gar nicht mehr verstanden wird. Alex Rühle etwa vermag darin nur „selbstgerechte Schwarzmalerei“ und „hysterischen Klientelismus“ (SZ 20.2.04) zu erkennen.

Das Pathos des Aufrufs gegen den Angriff von Politik und Massenmedien auf „die Berufsgruppen des Wissens“ entspringt gerade nicht ständischer Dünkelhaftigkeit, sondern erinnert an die Tradition der Aufklärung. Dieser Tradition fühlen sich französische Intellektuelle quer durch die politischen „Familien“ mehr verpflichtet als dem Discours à la mode, den nicht einmal seine Autoren ernst nehmen. Deutsche Feuilletonsoziologie und Instant-Politikwissenschaft rechnen heute schon damit, daß morgen eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird. Der beliebteste Argumentationsgestus dieser Tanzbären im Medien- und Politbetrieb ist deshalb der, jeden Tag ein „Ende“ zu verkünden. Das reicht vom „Ende des Sozialstaats“ über das „Ende des Dosenpfands“ bis zum „Ende der Beratung“. Sie haben sich in zynischer Gemütlichkeit damit abgefunden hat, dass die Welt bleibt, „wie sie schon immer war“, wie sich der Soziologe Heinz Bude ausdrückt. Die Chiffren „Davos“ und „Seattle“ - neoliberale Modernisierung und grundsätzlicher Protest dagegen - stehen für das akademische juste milieu auf gleichem Niveau und sind ihm gleichermaßen gleichgültig.

Der Vorwurf der französischen Intellektuellen gegen den „staatlichen Antiintellektualismus“ zielt jedoch über das Prinzipielle hinaus direkt auf die Tagespolitik. Den unregelmäßig beschäftigten Künstlern in allen Sparten kürzte die Regierung die Zuschüsse zu deren Sozialversicherung so drastisch, dass die künstlerische Vielfalt des Landes beschädigt und viele Existenzen ruiniert werden. In der Schulpolitik sparte die Regierung das Geld ein für Hilfslehrer, Sozialarbeiter und sozial-medizinische Beratung. Und obwohl die französische Regierung wie viele andere auch die Parole von der „Wissensgesellschaft“ ausgegeben hat, strich sie die Budgets für Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen. Besonders betroffen davon sind die Wissenschaftler des „Centre National de la Recherche Scientifique“ (CNRS), denen allein im letzten Jahr 143 Millionen Euro zugesagte Mittel verweigert wurden. Vor wenigen Wochen drohten deshalb 3500 Nachwuchsforscher öffentlich damit, in die USA auszuwandern.

Auch im sozialen Bereich betreibe die Regierung – so der Aufruf – „eine konsequente Politik der Austrocknung und Verarmung aller Institutionen, die auf kurze Sicht als unproduktiv, nutzlos oder nonkonformistisch“ diffamiert werden. Als abschreckende Vorbilder zitieren die Protestierenden die sozialen Verhältnisse und die trostlosen Zustände des öffentlichen Dienstes in England und Italien nach den „Reformen“ der Regierungen von Margaret Thatcher bzw. Silvio Berlusconi. – Wenn die Unterzeichner mit der Drohung ernst machen, alle sozialen Bewegungen zu unterstützen, die sich gegen den „staatlichen Antiintellektualismus“ wenden, kann die Regierung mit einem heißen Sommer rechnen.

© links-netz März 2004