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„Der Maidan“ und die Medien

Rudolf Walther

In den tonangebenden Zeitungen sowie im Fernsehen werden die Namen von Straßen und Plätzen in letzter Zeit so oft und so selbstverständlich genannt wie die Vornamen von Kindern und die Namen von Haustieren. Ob „Gezi“, „Taksim“, „Tahrir“ oder „Maidan“ – mit diesen Wörtern jonglieren Journalisten „angeberisch wie ein Kleinbürger-Tourist, der sich als Habitué aufspielen will“ (Max Frisch) – also als Weltenkenner, der sich überall auskennt wie in seinem Stadtviertel oder Dorf. Dieser zunächst nur lächerliche Sprachgebrauch verliert seine Harmlosigkeit, wenn man seine politischen Implikationen einbezieht.

Die Namen der genannten Plätze werden nämlich in der Berichterstattung zu Synonymen für komplexe politische Bewegungen und Prozesse sowie politisch handelnde Subjekte. Ruslana Lyschytschko, eine Schlagersängerin, die 2004 beim ästhetisch wie politisch gleichermaßen verblödenden Wettsingen im Rahmen des „European Song Contest“ gewonnen hat, brachte die Verwandlung eines Platznamens in ein hybrides politisches Willens- und Handlungssubjekt in einem Interview (taz 27.3.2014) auf den Punkt: „Der ‘Maidan’ ist eine Bewegung der Durchschnittsbürger, Studenten, Alten, Jungen, Familien – Menschen, die für eine bessere Zukunft ihres Landes eintreten.“ Gleichzeitig beteuerte das herzhaft unbedarfte Sternchen am Schlagerhimmel: „Ich bin ganz unpolitisch, und ebenso sind es die meisten Leute auf dem Maidan.“ Die Medien verhalfen der Schlagersängerin zu Terminen bei der EU in Brüssel und Straßburg, bei der OSZE in Wien, in den Staatskanzleien in Berlin, Warschau, Stockholm und Washington, wo sie von Joe Biden und Michelle Obama empfangen wurde: „Überall habe ich Pressekonferenzen gegeben, um Europa und Amerika die Wahrheit über die Situation in der Ukraine zu verdeutlichen.“

Die meisten Zeitungen sind zwar in ihrer Berichterstattung nicht ganz so einfältig und räumen zumindest ein, dass sich auf dem „Maidan“ eine heterogene Menge trifft, in der Ultranationalisten, Rechtsradikale, Antisemiten, und Kleinkriminelle ebenso mitmischen wie Schlagersängerinnen, Demokraten und verschiedene linke Gruppierungen. In den Medien genießt diese heterogene Menge – trotz ihrer politisch brisanten Komponenten – hohes Ansehen, obwohl einzelne Teilnehmer zu ihrem „friedlichen Protest“ mit Molotow-Cocktails, Benzinkanistern und Schusswaffen und in paramilitärischer Montur und Formation antreten. In dem Zusammenhang sollte man vielleicht den hierzulande herrschenden Medien-Kretinismus daran erinnern, das ihm sonst Wörter wie „passive Bewaffnung“ (dazu gehören Sonnenbrillen, Skibrillen, Motorradhelme und Schals) oder „Vermummungsverbot“ bei Demonstrationen ganz locker in die Schreibgeräte fließen. Aber Kiew ist ziemlich weit weg und da darf es schon mal etwas mehr sein, wenn es angeblich um die Einführung von Marktwirtschaft und Demokratie à l’ukranienne geht.

Der Boxer Vitali Klitschko rief im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz zur Bildung von Bürgerwehren auf, und die FAZ (3.2.2014) sprach prompt von einem „erfolgreichen Auftritt des ukrainischen Oppositionsführers“ auf dem „Münchner Mini-Maidan“.

Wenn man vom Schriftsteller Ingo Schulze absieht, der in der „Süddeutschen Zeitung“ (29./30.3.2014) mit der medialen Berichterstattung scharf abrechnete, gab es kaum Kritik an ganz neuen PR-Aktionen westlicher Politik. So wie „der Maidan“ die Schlagersängerin auf Promotion-Tour in alle Welt schickte, so machten sich westliche Politiker zu inoffiziellen Mitarbeitern „des Maidan“, ungeachtet dessen „Rechten Sektors“ von Dmitri Jarosch und der rechtsradikalen Swoboda-Partei, die sich selbst als „sozialnationalistisch“ versteht und Atomwaffen für die Ukraine fordert. Der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte schon im Dezember 2013, als „der Maidan“ noch für ein Abkommen mit der EU eintrat und nicht für einen Putsch gegen die legal gewählte Regierung und den Präsidenten Janukowitsch: „Wir sind in der Ukraine nicht Partei für eine Partei, sondern für die europäischen Werte.“ In Kooperation mit den hiesigen Medien hoben Merkel und Westerwelle den Boxer auf ihren Schild und erklärten ihn zusammen mit den Lautsprechern von BILD bis zur ARD zu ihrem Kandidaten. Die USA waren damit nicht glücklich, denn sie hatten seit 1991 fünf Milliarden Dollar in „die demokratische Entwicklung“ und „good government“ in der Ukraine investiert. Sie schickten schon vor Westerwelle ihre Vizeaußenministerin Victoria Nuland nach Kiew und sprachen sich für Arsenij Jazenjuk aus, der über gute Kontakte zu US-Konzernen verfügt. So sieht in der Perspektive von Gernot Erler (SPD), Russlandbeauftragter der Bundesregierung, ein großkoalitionär gebürsteter „erfolgreicher Regimewechsel von unten“ (taz 27.3.2014) aus. Die Kleinigkeit, dass in der Putsch-Regierung in Kiew vier Minister, ein Vizeminister und ein Generalstaatsanwalt aus der rechtsradikalen und xenophoben Swoboda-Partei sitzen, nimmt man billigend in Kauf. Demokratie und Markt haben halt ihren Preis.

Das alles taugt natürlich so wenig zur Rechtfertigung des Völkerrechtsbruchs, mit dem Putin die Krim nach Russland „heim holte“, wie die Tatsache, dass knapp 90 Prozent der Russen Putins Vorgehen billigen. Aber noch durchsichtiger apologetisch ist der Versuch, den von außen eingefädelten und fürsorglich betreuten Regimewechsel, vulgo Putsch, in Kiew und die Installierung einer rechtslastigen Regierung mit dem Hinweis schönzureden, Hitlers Krieg hätte vorwiegend in Weißrussland und in der Ukraine stattgefunden und die Millionen Toten seien folglich vorwiegend Weißrussen, Ukrainer und Juden gewesen und nicht Russen. Mit dieser schäbigen nachträglichen nationalen Kostümierung der Opfer steht der Autor (Jens Bisky, SZ 31.3.2014) in der Tradition ukrainischer Nationalisten, die – je nach politischer Großwetterlage – kommunistischer waren als die Kommunisten anderswo und nationalistischer als Nationalisten überall. Diese Tradition wird jetzt mit freiwilliger Hilfe westlicher Medien reanimiert.

© links-netz April 2014