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Koatien, Fußball: Über nationalistische Verehrungskarusselle

Rudolf Walther

Fußball ist ein Sport und der Fernsehzuschauer ein Sitzsportler, also zumindest ein milder Selbstwiderspruch. Erhebliche Teile des Sportplatzpublikums samt seinen verbiesterten Ritualen sind in einigen Sparten zivilisatorisch längst nicht mehr vermittelbar. Ein Gemeinplatz – außer für die betriebsblinde hardcore-Sportberichterstattung, die als Durchlauferhitzer zur Aufwärmung nationalistisch-chauvinistischer Ressentiments fungiert und sich dabei auch noch gut fühlt. Das ist alles nicht neu. „Le monde“ riskierte bei den politisch Zurechnungsfähigen unter seinen Lesern den Ruf als ernstzunehmende Zeitung, als er am 17.7.2018 mit 16 (!) Sonderseiten zur Fußballweltmeisterschaft erschien. Das hat schon fast das Format von Martin Walsers 12-seitiger Eloge auf das „Tennis-Sternbild“ Becker/ Graf (1992) mit dem Schlusschoral: „Endlich eine Religion ohne doppelten Boden“. Im Namen der „millionenfachen Verehrergemeinschaft“ gestand Walser, bis zum Hals im Sitzsportler-Sumpf steckend, laut trötend: „Ich verehre gern, das gebe ich zu.“

An der Sport-Astrologie, die Erfolge und Niederlagen auf dem Rasen mit gesellschaftlich-politischen Zuständen und Entwicklungen kurzschließt, beteiligen sich nur noch wenige Journalisten und subalterne Politiker wie der Grüne Ex-Bundestagsabgeordnete Öczan Mutlu, der ernsthaft meinte, Frankreich beweise: „Einwanderungsgesellschaften sind erfolgreiche Gesellschaften und Weltmeister“.

Der kroatische Fascho-Rocker Marko Perkovic, der sich „Thompson“ nennt, fuhr zusammen mit den Spielern in achtstündiger Fahrt vom Flughafen „Franjo Tudman“ ins Zentrum Zagbrebs und trat hier auf Wunsch des Trainers und dank der Initiative des Mannschaftskapitäns bei der Siegesfeier aufs Podium. Alles nicht der Rede wert? „Keine Aggressivität, keine Randale, stattdessen friedliche Feiern im ganzen Land, (...) Kroatien kann der Welt eine Lektion darin erteilen, wie man würdevoll und heiter verliert“ (Michael Martens, FAZ vom 17. 7.2018). Auch Florian Hassel von der SZ sah bei der Feier keine „nationalistischen Symbole“ oder „Parteien“ (17.7.2018).

Wenn es um Sporterfolge geht, deponieren ziemlich viele Sportjournalisten und politische Journalisten in erheblicher Zahl ihren Verstand an der Garderobe. Natürlich ist vom Sport befeuerter Nationalismus keine kroatische Spezialität. Aber im Fall des kroatischen Nationalismus, einem der brutalsten und langlebigsten in Europa, wäre von Berichterstattern in den Medien ein wenig historische Sensibilität schon zu erwarten.

Aus gegebenem Anlass eine kleine Handreichung: In den Berichten über die Siegesfeier in Zagbreb findet sich sozusagen nirgends auch nur ein Wort zum Ort, wo die Feier stattgefunden hat: auf dem Ban Jelačič-Platz nämlich, benannt nach dem Vizekönig (Banus) Josip Jelačič (1801-1859), dem Schlächter der Revolution, der Wien im Oktober 1848 mit seiner hemmungsfreien kroatischen Soldateska mit Blut säuberte und sich 1849 als „Magyarenfresser“ (Friederich Engels) gegen ungarische Unabhängigkeitsbestrebungen profilierte. Als Jelačič am 8.4.1848 zum Vizekönig ernannt wurde, gab es auf dem Platz, der später seinen Namen erhielt, ein „Lieder- und Tanzfest, das die ganze Nacht dauerte“, wie ein Chronist schrieb. Es war die Geburtsstunde des christlich-kroatischen Nationalismus, der sich gleichermaßen gegen orthodoxe Serben wie gegen Juden und Roma richtete.

Geburtshelfer des neueren kroatischen Nationalismus, die das Erbe des alten –mit durchaus unterschiedlichen Methoden – vollstreckten, war in der ersten Hälfte Hitler und im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die deutsche Außenpolitik, zunächst unter Hans-Dietrich Genscher, dann unter Joschka Fischer.

Der Reihe nach: Ante Pavelič gründete 1929 die Ustaša (kroatisch: „Aufständischer“) gegen die monarchische Diktatur Alexanders I. Pavelič war Anhänger Mussolinis und des italienischen Faschismus. Paveličs Leute ermordeten den serbo-kroatischen König Alexander I. am 9. Oktorber 1934 in Marseille. Im Frühjahr 1941 geriet Kroatien als Protektorat unter italienisch-deutsche Oberherrschaft und Pavelič wurde Staatschef des formell unabhängigen Marionettenstaates mit dem Namen „Unabhängiger Staat Kroatien“, der mit der brutalen Verfolgung von orthodoxen Serben, Juden und Roma das Programm seiner politischen Oberherren exekutierte und auch die Erwartungen das Vatikans erfüllte. Bei Kriegsende floh Pavelič nach Argentinien, wie viele Faschisten und Nationalsozialisten auf der „Rattenlinie“, die unter höchster römisch-katholischer Protektion stand. Die amtierende Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović kommentierte das mit dem Satz: „Viele Kroaten haben nach dem Zweiten Weltkrieg in Argentinien die Freiheit gefunden“.

Der Eid der zunächst als Geheimbund agierenden Organisation „Ustascha“, wurde vor einem Kruzifix, einem Messer und einer Pistole geleistet und lautete: „Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und allem, was mir heilig ist, dass ich mich an die Prinzipien der Ustaschen halten, alle Vorschriften befolgen und alle Befehle des Poglavnik (oberster Führer) ausführen werde, dass ich jedes mir anvertraute Geheimnis aufs strengste bewahren und niemandem etwas verraten werde. Wenn ich mich, der vollen Verantwortung für meine Taten und Unterlassungen bewusst, gegen diesen Schwur vergehe, habe ich nach den Regeln der Ustaschen mit dem Tode bestraft zu werden. So wahr mir Gott helfe! Amen!“

Der 1941 proklamierte Staat stand bis zum Kriegsende auf der Seite Hitlers und des Nationalsozialismus und beteiligte sich mit Truppen am Krieg gegen die Sowjetunion. Er erließ Rassengesetze gegen Juden, Serben und Roma und internierte diese in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Die Zahl der Opfer ist umstritten, liegt aber bei mindestens 300 000 und maximal 750 000 ermordeten Menschen. Allein im Lager Jasenovac wurden rund 90 000 Menschen nicht industriell wie in deutschen Vernichtungslagern, sondern archaisch-manuell ermordet – zum Beispiel mit Vorschlaghämmern oder mit dem „Serbenschneider“, einem fingerlosen Handschuh mit einer scharfen Klinge am Handballen. Die Ustaschen brachten sogar Goebbels ins Staunen: „Sie führen ein Terrorregiment, das jeder Beschreibung spottet“.

„Die Saat des Hasses“ (Slavko Goldstein) ging erstmals nach Kriegsende auf. Die Partisanen-Verbände Titos rechneten nach 1945 mit den im Lande verbliebenen Ustascha-Angehörigen brutal ab, aber Tito konnte die nationalistische Strömungen in Slawonien und Dalmatien, die sich zur Teilrepublik Kroatien zusammenschlossen, nie kontrollieren, aber immerhin hieß der „Jelačič-Platz“ jetzt „Platz der Republik“.

Nach den Wahlen von 1990 in Kroatien wurde der Nationalist Franjo Tudman Staatspräsident, worauf das Parlament am 30.5. 1990 eine Unabhängigkeitserklärung verabschiedete. Ein Jahr später, am 25.6.1991, erklärte Kroatien einseitig seine Unabhängigkeit. Das Schachbrettmuster im Wappen des „Unabhängigen Staates Kroatien“ wurde nach Beginn der Jugoslawienkrise 1990 wieder eingeführt und hat sich bis heute erhalten wie auch die alte Grußformel „Für die Heimat – bereit!“ Am 23.12.1991 anerkannte die deutsche Außenpolitik unter Hans-Dietrich Genscher im Alleingang die Unabhängigkeit Kroatiens und befeuerte damit den jahrelangen, blutigen Sezessionskrieg zwischen den jugoslawischen Teilrepubliken ganz entscheidend. Das entlastet die serbische Führung unter Milosevic nicht von der Hauptverantwortung für den Bürgerkrieg und für Kriegsverbrechen.

Und der alte Hass blühte wieder auf. Im Windschatten der serbischen Kriegsverbrechen, für die sich internationale Medien ebenso interessierten wie der deutsche Außenminister Joschka Fischer mit seinem Srebrenica-Auschwitz-Vergleich, wütete die kroatische Armee unter der autoritären Führung von Tudmann und ließ mit der „Operation Sturm“ 250 000 Serbenaus der Krajina vertreiben und Hunderte töten. Ustascha-Leute wurden nun rehabilitiert und in hohe Ämter gehievt, Straßen und Plätze umbenannt sowie antifaschistische Mahnmale zerstört. Der „Platz der Republik“ hieß wieder „Jelačič-Platz“ und aus dem „Platz der Opfer des Faschismus“ wurde der „Platz der Größe Kroatiens“. Für Tudman war Paveličs faschistischer Marionettenstaat „Ausdruck des Strebens des kroatischen Volkes nach Unabhängigkeit und Souveränität“.

Kriegsverbrechen begingen alle am Sezessionskrieg im ehemaligen Jugoslawien beteiligten Armeen und Freiwilligenverbände. Aber kroatische Nationalisten überboten nach dem Krieg selbst rabiate serbische Nationalisten darin, sich als Opfer und die eigenen Soldaten als Helden und „Verteidiger“ zu kostümieren. Ein Parlamentsbeschluss mit Verfassungsrang erklärte den Krieg von 1991-95 als „legitim und gerecht“ sowie als Krieg mit „Verteidigungs- und Befreiungscharakter“. In der kroatischen Öffentlichkeit gibt es kein Medium, das dieser vaterländisch-chauvinistischen Geschichtsklitterung entgegentritt. Diese gilt vielmehr als offiziöse historische Wahrheit.

Es gibt gar keinen Grund, den vom Erfolg kroatischer Fußballspieler gesteuerten nationalistischen Rausch großer Teile der kroatischen Bevölkerung für „normal“, „selbstverständlich“ oder gar „harmlos“ zu halten. Die riesige „Verehrergemeinschaft“ (Martin Walser) singt nun mit „Thompson“ das Lied „Bitteres Kraut auf bittere Wunden“. Die Zeile stammt von Ante Pavelič. Er rechtfertigte damit die kroatischen Massenmorde an Serben, Juden und Roma. Das Finale der Fußball-WM lief in den kroatischen Medien – in Anspielung auf die Vertreibung der Serben 1995 – unter der Parole „Sturm der Stürme“. Die Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović wollte sich im Fußball-Taumel nicht von der demokratiefeindlich-rassistischen Bürgerbewegung „narod odlučje“ („Das Volk entscheidet“) distanzieren. „Vestigia terrent“ („Die Spuren schrecken“).

© links-netz August 2018