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Libyen: Krieg und Bilder vom Krieg

Rudolf Walther

Krieg in Libyen – und seit sieben Wochen täglich die gleichen Bilder. Wild gestikulierende junge Männer mit umgehängten Kalaschnikows winken, die Finger zum Victory-Zeichen spreizend, in irgendwelche westlichen Kameras oder fahren in Toyota Pick-ups mit darauf montierten Maschinengewehren oder leichten Flugabwehrgeschützen in der Gegend herum. Gelegentlich sieht man auch Bilder von großen Menschenmengen, durch die ein Sarg getragen wird. Es sind beides Bilder von Aufständischen, die sich selbst ins Bild setzen. Darunter sind viele Bilder, von denen niemand weiß, wer sie wann und wo aufgenommen hat.

Bilder von der Gegenseite existieren nicht, weil sich dort keine westlichen Journalisten aufhalten. Dazwischen die NATO, die Bilder der Starts von Kampfflugzeugen verbreiten lässt, sowie Computerbilder von Kriegssimulatoren, die den Abschuss von Panzern aus der Luft fingieren. Außer Panzerwracks, so die Botschaft, verursacht dieser Luftkrieg zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung nach der UN-Resolution Nummer 1973 keine Schäden und schon gar keine Menschenopfer. Die Selbstheroisierung und Dramatisierung des Kampfes der Aufständischen geht einher mit professioneller und chirurgisch-präziser Maßarbeit der NATO-Piloten, die angeblich einen Krieg führen (fast) ohne Sachschäden und Blutvergießen. Ferngesteuerte Kampfdrohnen, die in Afghanistan bei 124 Angriffen 1184 Personen töteten, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, heißen zwar „Raubtier“ und verschießen Raketen mit dem Namen „Höllenfeuer“, richten aber in Libyen angeblich keine Schäden und schon gar keine „Hölle“ an. Die Bilderfolgen beider Seiten zeigen nicht den Krieg, sondern verabreichen den heimischen Fernsehzuschauern Pillen zur Beruhigung und Rechtfertigung des Bürgerkrieges, zur Verharmlosung der Kriegsfolgen und zur Legitimation der NATO-Intervention, weil – zumindest nach Hillary Clinton – „ein zweites Srebrenica“ drohte wie – nach Joschka Fischer – im Sommer 1995 im Kosovo „ein zweites Auschwitz“.

Der Frankfurter Friedensforscher Harald Müller sieht in der Weigerung der deutschen Bundesregierung, sich an diesem Krieg zu beteiligen, laut der „Süddeutschen Zeitung“ vom 29. April einen Bruch – so wörtlich – „mit bewährten Prinzipien deutscher Weltordnungspolitik“. „Weltordnungspolitik“ - diese Parole kommt aus dem Mund eines Friedensforschers im Kriegseinsatz.

In Frankreich, wo Präsident Nicolas Sarkozy eine Mehrheit hinter sich hat, die den Krieg befürwortet, macht die Presse schon offen Kriegspropaganda. Eine Reportage der seriösen Tageszeitung „Le Monde“ vom 14. April brachte einen Bericht unter dem Titel: „Frauen in Bengasi verlangen auch Waffen für den Aufstand.“ Der Bericht enthält kaum belastbare Informationen außer der Tatsache, dass bei einer Demonstration 10-jährige Kindern mit Plastikgewehren mit marschierten. Aber über dem Artikel steht ein starkes Foto. Es zeigt zwei sehr junge Frauen, fast noch Mädchen, die lächelnd ein echtes Sturmgewehr in die Kamera halten und es mit ihren kleinen Händen zärtlich zu streicheln scheinen, so wie dereinst ihre Kuscheltiere. Zur Vollendung des gemeingefährlichen Polit-Kitschs fehlte nur noch der Fernsehphilosoph Bernard-Henri Lévy, der den beiden Mädchen väterlich die Hände auf die Schulter legte und den Satz wiederholte, mit dem er im Text zitiert wird: „Das ist die philosophische Lektion!“

Die Geschichte der Kriege seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) lässt sich darstellen als eine Eskalation des Einsatzes von visuellen Mitteln. Während der britische Falklandkrieg (1982) praktisch unter Ausschluss freier Medien stattfand, entschloss sich das Pentagon seit dem ersten Golfkrieg von 1991 zur Akkreditierung „williger“ Journalisten. Das „Zeitalter der Zensur“ wurde von jenem der „Desinformation durch Überthematisierung“ abgelöst – so der Flensburger Historiker Gerhard Paul. Für den jüngsten Golfkrieg, der seit März 2003 bis heute andauert, obwohl ihn George W. Bush bereits im Mai 2003 für beendet erklärte, ließ das Pentagon ein „Bild-Management“ (perception management) entwerfen, denn mit der technologischen Entwicklung und der Etablierung konkurrierender Medien wie dem arabischen Sender Al Dschasira musste man sich auf eine neue Situation einstellen.

Die zunehmende Bedeutung von Bildern in der Kriegsführung bewirkte bei vielen Kommentatoren und Wissenschaftlern einen fatalen Denkfehler. Sie erfanden das Wort „Bilderkrieg“, aber das Wort führt völlig in die Irre. Hinter dem Propaganda-Krieg um Bilder und mit Bildern tobte und tobt der Krieg mit Waffen und realen Opfern und materiellen Schäden. Die Behauptung, „der postmoderne Krieg“ sei im Unterschied zum herkömmlichen „vor allem ein Anschlag auf die Wahrnehmung“, wie Gerhard Paul meint, oder „der Kampf mit Waffen“ werde durch „den Kampf mit Bildern konterkariert“ wie Herfried Münkler die These noch zuspitzt, stammt aus der Perspektive von Fernsehzuschauern, die noch ans postmoderne Gerede vom „virtuellen Krieg“ der französischen Modephilosophen Paul Virilio und Jean Baudrillard glauben. Zivilen und militärischen Kriegsbeteiligten dagegen ist der Unterschied zwischen dem, was Bilder und dem, was Waffen bewirken können, so klar wie der Unterschied zwischen Leben und Tod. An der Kriegsrealität hat die Instrumentalisierung der Bilder nichts geändert. Neu war dabei allerdings, dass sich das Verhältnis von Kriegsrealität und Medienrealität verschob: während kämpfende Soldaten wie zivile Opfer unsichtbarer wurden, drängten sich die Kriegsherren immer mehr auf die mediale Bühne. Man denke an die großformatigen Fernsehauftritte des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers „Dr.“ Karl Theodor zu Guttenberg als Warlord im Kampfanzug und mit Stahlhelm.

Bilder können den Krieg zum kitschigen und Opfer verhöhnenden Genrebildchen trivialisieren, aber sie machen aus ihm keinen „Bilderkrieg“. Das Wort „Bilderkrieg“ ist so leer wie die Phrase vom „asymmetrischen Krieg“. Asymmetrien gehören zu jedem Krieg und bestehen im aktuellen zumindest nach drei Seiten – zwischen Gaddafis Truppen und der NATO, zwischen den Aufständischen und Gaddafis Restarmee sowie zwischen der NATO und den Aufständischen, die es bislang noch nicht schafften, die NATO als „ihre“ Luftwaffe zu instrumentalisieren.

© links-netz Mai 2011