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Mediensport

Rudolf Walther

Nach vier Wochen Fußball und über fünf Wochen Dauerberichterstattung ist eine Beschimpfung fällig – eine Mediensportbeschimpfung wohlverstanden. Über die Erfolgsaussichten einer solchen Beschimpfung muss man sich keine Illusionen machen – diese Aussichten sind etwa so groß wie das bäuerliche Beten gegen Hagelschlag oder das bischöfliche Segnen von Panzern und Kanonen.

Trotzdem ist es legitim, zunächst einmal zu fragen, mit welcher Gesellschaft man es zu tun hat, wenn sich ein großer Teil davon freiwillig und ausgesprochen energisch einen Monat lang ein mediales Sonderspektakel antut, mitmacht beim allgemeinen Fähnchenschwingen und sich zu Hunderttausenden bei 30 Grad im Schatten vor Großleinwänden pünktlich zum kollektiven Glotzen und Saufen einfindet. Sport ist eine feine Sache, für den Alltag des Autors eine unentbehrliche. Aber ist Fernseh-, Radio- und Zeitungssport, also Mediensport, überhaupt Sport?

Mediensport ist Unsport und der verhält sich zum Sport ungefähr so wie Pornographie zur Sexualität. Mediensport ist für den Körper, die Gefühle und das Denken bestenfalls Erfahrung aus dritter Hand, kurzum eine drittklassige Ersatzbefriedigung, medial vermittelter Ramsch. Einer, der selbst im Mediensportbetrieb tätig ist, verriet freiwillig dessen Betriebsgeheimnis: „Fußball ist, wenn wir alle reden.“ Wer das biedersinning mit Demokratie in Verbindung bringt, verwechselt diese allerdings mit Stammtischgerede und Biergartengeschwalle.

Mediensport wäre nur jämmerlich und obendrein vulgär, wenn dabei nicht Selbsterniedrigung und Selbstvertrottelung die Hauptrollen spielen würden. Was ist von mediensportlich imprägnierten Bürgern – und offenbar der Zahl nach zunehmend auch Bürgerinnen – zu erwarten? Menschen also, die der Erfahrung das Surrogat, dem Leben das Bilderfirlefanz, dem Wein das Wasser und dem Essen den Dosenfraß vorziehen? Schwer zu sagen. Aber wenn sie nur halb so werden, wie ihre medialen Vorbeter jetzt schon denken, reden und vor allem schreiben, kann es ziemlich ungemütlich werden.

Mit „Bild“ wurden „wir“ Papst, laut FAZ sind „wir“ jetzt „Weltmeister der Herzen“, und „deutsches Fußballvolk und Nationalmannschaft“ unterhalten „eine Liebesbeziehung“. Zugegeben, das ist etwas weniger monströs als die „Liebe zum Vaterland“, für das zu sterben „süß und ehrenvoll“ sei. Darauf antwortete Gustav Heinemann, der am meisten unterschätzte Bundespräsident, er liebe kein Land, sondern seine Frau. Nun also sind die Klinsmänner dran, massenhaft „geliebt“ zu werden. Das Gute an diesen Männern – im Vergleich zum Vaterland – ist, dass an und wegen ihnen niemand wirklich sterben muss. Intellektuelle und emotionale Selbstverstümmelung bildet jedoch allemal die solide Basis einer solchen „Liebesbeziehung“. Der Rest ist Privat- und Geschmacksache.

Wenn man allerdings sieht, wie das regierende Personal darauf erpicht ist, seine „Liebesbeziehung“ zu den verschwitzten Helden öffentlich zu zelebrieren und den Fernsehsport für sich zu instrumentalisieren, muss man schon sehr naiv sein, um noch zu sagen, das ganze schwarz-rot-goldene Ersatztheater habe politisch gar nichts zu bedeuten und sei nur der Ausdruck von fortschreitender „Normalisierung“. Die „Bild“-Zeitung brachte das aktuelle Geschehen auf den ultimativ-nationalen Imperativ: „Wir machen weiter! Schwarz-rot-geil“, womit die intime Beziehung von Fernsehsport und Pornographie von unbestrittenen Experten ebenso geadelt wie die Ansicht des „Philosophen Helmut Kohl“ bekräftigt wird, „der einmal sagte, dass wir nichts klar erkennen, wenn wir es nicht von hinten betrachten“ (Franz Josef Wagner, BILD). Von hinten sieht „Anna“ aus wie von vorn – arschgesichtig sozusagen – könnte man mit Tucholsky sagen. Was droht ist keine Wiederkehr des alten Nationalismus, sondern dessen Verwandlung in eine schmierige Farce – mit dem „Klinsmann-Deutschen“ in der Hauptrolle, der weiß, „was es heißt, Schicksale zu wenden“ (Frank Schirrmacher, FAZ v. 6.7.06).

Der „Klinsmann-Deutsche“ ist Schirrmachers Klon des „Rembrandt-Deutschen“. Der Romancier August Julius Langbehn (1851-1907) schrieb 1890 einen Roman („Rembrandt als Erzieher“), in dem er den herrisch, stumpfdeutsch und vergleichsweise reich gewordenen wilhelminischen Kleinbürger porträtierte, der auch nur einen „Platz an der Sonne“ suchte wie die „Wir-sind-wieder-wer-Party-Patrioten“ mit geflaggtem Mittelklassewagen. Denen gab Oliver Bierhoff das Losungswort in stahlhartem Klinsmann-Deutsch: „Die Welt hat wieder Angst vor uns.“ Die Projektion hatte sprichwörtlich kurze Beine. Der wirkliche Klinsmann hat offensichtlich keine Lust mehr, Schirrmachers „Klinsmann-Deutschen“ zu spielen.

Wie normal alles schon geworden ist, hat Helmut Digel, Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes, nach dem Besuch eines Vorrundenspiels beschrieben. Das Fernsehen und fast alle Zeitungen haben darüber nichts berichtet: „‘Steh auf, wenn Du ein Deutscher bist!‘ ‘Sieg, Sieg, Sieg!‘, grölt die Masse. Wenige Minuten vor dem Anpfiff ereignet sich in der Ostkurve des Olympiastadions etwas äußerst Eigenartiges. Über eine Länge von mehr als hundert Metern wird ein Tuch entrollt, darauf ist zu lesen: ‘Auf des Adlers Schwingen werden wir den Sieg erringen.‘ Und plötzlich wird die gesamte Tribüne zu einem lebenden Motiv, ein schwarzer Adler.“ Bei der FAZ jedenfalls hofft man schon, aus dem „millionenfachen Dialog mit ihrer Klinsmannschaft“ erwachse dereinst „ein neues patriotisches Grundschwingen.“ Ob zwischen „des Adlers Schwingen“ von rechts und das erhoffte „Grundschwingen“ aus der Mitte mehr als ein paar Blatt Papier passen? 9000 Fußballfans wurden in den letzten vier Wochen verhaftet, 7000 Straftaten registriert. So viel zur aktuellen Verharmlosung der schweren chauvinistischen Walze, die durchs Land zieht.

Es kann ja sein, dass der „kraftmeierische und bierselig laute Pop- und Party-Patriotismus“ (NZZ) so schnell verraucht wie der Kater am Morgen danach. Was nicht so schnell vergessen werden sollte, ist die unnachahmlich deutsche – akademische wie journalistische – „Laber- und Interprationsindustrie in den Medien“ (Kurt Kister, SZ). Rund zwei Hundertschaften universitäre und journalistische Bierdeckel-Philosophen und Weißbier-Lyriker boten sich eine intellektuelle Unterbietungsschlacht. Bestritten wurde sie von Elchen aus den hinteren Reihen; sie würden gerne nach vorne – am liebsten ins Fernsehen – rücken, getreu der Devise: die schärfsten Kritiker der Elche wären gerne selber welche. Verglichen mit diesen Ego-Pirouetten bilden die Peinlichkeiten der Bären-Experten und Freizeit-Brunologen ein geistig hochstehendes Genre.

Alle großen Zeitungen, denen es wirtschaftlich schlecht geht, produzierten während der Weltmeisterschaft täglich acht bis zwölf Sonderseiten – macht zusammen zwischen 120 und 140 Seiten pro Zeitung. Einzelne Blätter sahen aus wie Fußballvereinspublikationen. Angesicht der desolaten wirtschaftlichen Lage der Zeitungen stellen sich ein paar Fragen. Was hat das ordinäre Fußball-Gelaber gekostet und wie viele Leserinnen und Leser fand es? Und wie sieht die Bilanz aus? Wie viele Neu-Abonnenten wurden gewonnen, wie viele zusätzliche Anzeigenkunden? Wenn es noch Redakteurinnen und Redakteure gibt, die nicht mediensportlich besoffen sind, sollten sie diese Fragen ihren Chefs und Geschäftsführern stellen. Die Aussichten, dass sie darauf seriöse Antworten kriegen, stehen genauso schlecht wie für die Steuerzahler zu erfahren, was der enorme Sicherheitsaufwand – 250.000 Polizisten waren im Einsatz – und der elektronische Großbildwahnsinn auf den Fan-Meilen, den sie bezahlt haben, gekostet hat.

Der Verlierer des Mediensportspektakels ist immer der Zuschauer. Und wie heißt der Sieger? „Klarer Sieg für Bier, Würstchen und Flaggen“ – schrieb die FAZ in einem lichten Moment und vergaß nur die Hauptgewinner – die weder einer Kontrolle, geschweige denn einer demokratischen Legitimation unterworfenen, global agierenden mafiosen Cliquen DFB und Fifa. Für Frau Merkel sprangen ein paar Freikarten heraus und für den geldmäßig schlauen Biedermann Blatter Sepp aus Zürich das Bundesverdienstkreuz. Dieses hat der vorgesehene Nachfolger Beckenbauer Franz schon gekriegt. Ersatzweise gibt’s dann wahrscheinlich eine über Steuern finanzierte Dienstvilla mit Fahrer, Gärtner, Koch und ein paar Dutzend Gorillas für die Bewachung von Frau(en) und Kindern.

© links-netz Juli 2006