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Der Terror, die Medien, die Kunst

Die Berliner RAF-Ausstellung.

Rudolf Walther

Im Sommer 2003 planten die Berliner „KunstWerke“ unter dem Arbeitstitel „Mythos RAF“ eine Ausstellung. Aus dem Hauptstadtkulturfonds sollten 100.000 Euro Fördermittel fließen. Als das bekannt wurde, startete vor allem die Springer-Presse eine Hetzkampagne. Obwohl noch kein Mensch wusste, was in der Ausstellung gezeigt werden sollte, zog die Regierung die Subventionszusage zurück. Die finanziellen Mittel für die neue Ausstellung stammen aus einer Versteigerung von Arbeiten, die Künstler zur Verfügung stellten, die aber in der Ausstellung nicht vertreten sind.

Der neue Ausstellungstitel – „Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung“ – ist keine Kuratorenmarotte, sondern liegt in der Sache begründet: Klaus Biesenbach, Ellen Blumenstein und Felix Ensslin wollen nicht die Geschichte der RAF nacherzählen, sondern zeigen, wie Künstler, Staat und Gesellschaft auf Bilder von Terror und Terroristen reagiert haben. Und sie erzählen auch keine Familiengeschichte, trotz der Mitarbeit von Felix Ensslin, dem Sohn von Gudrun Ensslin, der bei Pflegeeltern aufwuchs. Von den seichten Versuchen, den RAF-Terror küchenpsychologisch-spekulativ als Teil eines Familienromans oder als Vatermord zu verkitschen, ist die Ausstellung, von zwei Essays im Katalog abgesehen, ebenso weit entfernt wie von einer historischen Dokumentation.

Vor ein paar Jahren war in einer Zeitung der Artikeltitel zu lesen: „Ruhepause im Terrorismus?“ Wenn man sich fragt, was das bedeutet, stößt man auf ein Bündel von Wirrnissen, die sich mit dem Begriff „Terrorismus“ verbinden. Ist oder war der Terrorismus eine politische Bewegung wie der Liberalismus oder eine religiöse wie der Katholizismus? Diese können eine Ruhepause einlegen. Und der Terrorismus? Der ist keine Bewegung, sondern eine Methode der Gewaltanwendung, deren Besonderheit darin besteht, dass sie nicht allein auf das Opfer zielt, sondern auch auf die Medien und das Publikum. Dessen Reaktionen, soweit sie von Künstlern stammen, sind das Thema der Ausstellung mit der erstaunlich hohen Zahl von fast hundert Werken, die einzeln schon öffentlich zu sehen waren, aber noch nie im Zusammenspiel.

Künstler reagieren auf Terror nicht unmittelbar, sondern sind – wie alle – auf die mediale Vermittlung der Taten angewiesen. Und die mediale Vermittlung ist für Terroristen genauso eine Waffe wie die Pistole. Die Ausstellung zeigt in ihrem dokumentarischen Teil anhand von 29 Schlüsseldaten zwischen der Tötung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten am 2.Juni 1967 und dem letzten RAF-Mord an Detlef Carsten Rohwedder am 1.April 1991, wie wichtige Zeitungen, Magazine und Fernsehen Taten und Täter, Opfer und Staatsorgane darstellten.

Seit etwa 130 Jahren stützen sich Individuen und Gruppen, die sich als revolutionär deklarieren, auch auf den Terror als Mittel, um die Staatsgewalt zu stürzen, wobei obendrein das zuschauende Publikum verunsichert und eingeschüchtert werden soll. Im Gegenzug kann die Staatsgewalt selbst zum Mittel des Terrors greifen, indem sie Attentäter mit gnadenlosen Urteilen bestraft. Solche Urteile sind insofern Terrorurteile, als mit ihnen das zuschauende Publikum von der Solidarisierung mit den Tätern abgeschreckt oder in Sicherheit gewiegt werden sollte.

Die Institution, die sich historisch erstmals systematisch des Terrors bediente, war eine Regierung. Überhaupt ist die Vorstellung, Terror sei vor allem das Werk finsterer Gestalten aus dem Untergrund ein medial erzeugter Mythos. Die letzten 200 Jahre sind auch Jahrhunderte des staatlich organisierten Terrors – beginnend 1793, als die französische Revolutionsregierung den Terror (la terreur, den Schrecken) zur Regierungsmaxime erklärte, um Regimegegner zu beseitigen und die Bürger in Schach zu halten.

Das Wechselspiel von terroristischer Gewalt und staatlicher Gewalt setzt eine Spirale der Gewalt in Gang, deren Resultate sichtbar werden, während die Antriebsdynamik den Zuschauern weitgehend verborgen bleibt. Klaus Biesenbachs Ausstellungskonzept setzt deshalb das Betrachten von „Bildern in Zeiten des Schreckens“ mit der Erfahrung des Angelus Novus von Paul Klee in Beziehung: Dessen Engel treibt eine unsichtbare Antriebskraft rückwärts in die Zukunft, während sein Blick auf die Trümmer und Toten der Vergangenheit blickt.

Im zentralen Raum der „KunstWerke“ fand Hans-Peter Feldmann für die ästhetische Umsetzung des Konzepts eine schlüssige Lösung. In einem kapellenartigen, weißen Kubus zeigt er kommentarlos in einheitlichem Format schlichte Pressefotos von achtzig der über hundert Gewaltopfer. Opfer und Täter bleiben unterscheidbar und werden zugleich gezeigt, worin sie sich gleich sind – als Tote. Das ist keine platte Gleichsetzung von Opfern und Tätern, sondern eine Provokation zu einer notwendigen Debatte über Gewalt: sicht- und zählbar sind die Toten – Opfer wie Täter –, während Motoren und Konjunkturen, die die Gewaltspirale antreiben, verborgen bleiben.

Auf dem fundamentalen Doppelgesicht des Terrors beruht das Tryptichon „Nibelungen“ von Lutz Dammbeck. Er malte die Gesichtshälften von Gudrun Ensslin und Andreas Baaders und vernähte sie grobfädig mit Gesichtsdarstellungen pathetisch-heroisierter Figuren des Staatsbildhauers Arno Brekker. Reales, mediales und imaginäres Bild fließen ineinander. Die vermeintlich eindeutig identifizierte Person erweist sich als Schein und ihre „politische Identität“ – eine beliebte Floskel im RAF-Jargon – als trübe Mixtur aus revolutionären und kryptofaschistischen Bestandteilen.

Gerhard Richters berühmter Zyklus „18.Oktober 1977“ wird in Berlin nicht gezeigt, dafür acht Tafeln mit RAF-Porträts aus dessen Fotosammlung „Atlas“. Richters unscharfe Fotos verformen Gesichter und Körper bis zur Unkenntlichkeit und erzeugen einen suggestiven Sog des Nachdenkens und Eingedenkens. Richter „potenziert die Fragen“, sagte Jörg Immendorff einmal, der in der Ausstellung mit dem Bild „Parlament I“ (1981) aus dem „Café Deutschland“-Zyklus vertreten ist. Gleich am Anfang präsentiert die Ausstellung mit Wolf Vostels Ensemble „Yuste“ (1975) und Katharina Sieverdings düster-blutigem Großfoto „Schlachtfeld Deutschland XI“ (1978) präzis die später so genannte „bleierne Zeit“: Vostel montiert über die Fotografie des Bundestages eine Bleifolie, an der ein schwarzes Brikett baumelt.

Gegenüber Werken von diesem Rang haben es die Arbeiten Jüngerer nicht immer leicht. Aber die Ausstellung zeigt Werke jüngerer Künstler (Sue de Beer, Bettina Allamoda, Christoph Draeger), die bestehen können. Rudolf Herz‘ Installation „Entladung der Militanz“ stellt ein Dutzend massive quadratische Betonsäulen in Körperlänge in den Raum und versieht sie mit den Namen von RAF-Terroristen. Auf die Säulen, gleichsam als Kopf, setzt er Autobatterien ohne Anschluss: Der Weg der selbsternannten Avantgarde führte geradewegs in die politisch-moralische Versteinerung. Unter den zahlreichen Video-Arbeiten ragt „Hostage“ von Dara Birnbaum heraus. Sie benützt das Video, das die Schleyer-Entführer gemacht haben, als Ausgangsmaterial auf zwei Bildschirmen und verfremdet auf vier weiteren, simultan laufenden Bildschirmen archivalische Dokumente zur Entführung.

Für die FAZ war der Medienauftrieb im Vorfeld der Ausstellung und bei der Pressevorbesichtigung „fast maßlos“ – über zweihundert Journalisten und Dutzende von Radio- und Fernsehteams waren da. Die Konkurrenz der Medien um den schnellsten Schuss nimmt immer absurdere Züge an. Die Hamburger „Zeit“ wollte die Nase ganz vorn haben und publizierte ihre Besprechung einen Tag vor der Pressevorbesichtigung mit der Behauptung, in der Ausstellung werde „die Kunst vom Terror überwältigt“ und die Opfer verleugnet. Der Autor der „Zeit“ hat schlicht den dritten Stock der „KunstWerke“ übersehen, denn dort geht es fast nur um die Entführung, Erniedrigung und Ermordung Hanns-Martin Schleyers. Auf bloßem Ressentiment beruht die Unterstellung, Kunst und Künstler hätten sich in „die Geiselhaft der Terroristen“ begeben und spürten „eine Art Wesensverwandtschaft“ mit diesen. Diesem absurden Urteil, für das auch die Meinhof-Tochter Bettina Röhl die Trommel rührt, folgte keine große Zeitung. Selbst die „Welt“ befand: „Eine hochgelehrte, theoriegesättigte Veranstaltung ist diese RAF-Kunstausstellung. Von Agitprop trennen sie Welten.“ Den Kuratoren gelang eine intelligent konzipierte Ausstellung, ohne die Spur von Verharmlosung oder gar Rechtfertigung.

KunstWerke, Berlin. Bis 16. Mai 2005. Katalog, 2 Bände., 45 Euro.

© links-netz Februar 2005