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Reserveleutnant-Weisheiten

Rudolf Walther

Seit dem 11. September 2001 herrscht Konfusion. Diese drückt sich schlagend in zwei Begriffen aus – im Gerede vom „Krieg gegen den Terrorismus“ und in jenem vom „asymmetrischen Krieg“. – Die Proklamation des „Krieges gegen den Terrorismus“ ist erstens eine rhetorische Phrase, mit der verschleiert wird, welche politischen Ziele und wirtschaftlichen Interessen wirklich im Spiel sind. Und zweitens wird damit die Reserveleutnant-Weisheit überspielt, dass militärische Mittel gegen einen terroristischen – also verdeckt agierenden und im wesentlichen unbekannten – Gegner die ungeeignetsten sind, zu denen die Staatsgewalt greifen kann, wenn sie von Terroristen angegriffen wird. Um sich aus der politischen Verlegenheit und der militärischen Ungereimtheit zu befreien, wurde die Floskel vom „asymmetrischen Krieg“ erfunden. Damit meint man die neue Dimension von terroristischen Gewaltakten, die aber dadurch weder zum Krieg werden noch mit Aussicht auf Erfolg militärisch bekämpft werden können.

Die Verlegenheitsfloskel vom „asymmetrischen Krieg“ entsprang nicht dem luziden Kopf von Carl von Clausewitz, dem es nicht eingefallen wäre, den spanischen Guerillakrieg gegen Napoleons Armee als „asymmetrischen Krieg“ zu bezeichnen, sondern den dumpfen Phantasien einiger Freizeit-Clausewitze auf universitären Politiklehrstühlen. Von dort gelangte die Phrase schnell in die Publizistik, wo sie die Köpfe vollends verwirrt.

Die NZZ (22./23.7.2006) diagnostizierte: „Israel führt diesen Krieg gegen die Hizbullah bewusst mit asymmetrischer Härte.“ Für die FAZ (31.7.2006) dagegen gehört „zum gegenwärtigen asymmetrischen Krieg, dass die Hizbullah Zivilisten als Schutzschilde nimmt“. Ein Pfiffikus bei der „Tageszeitung“ (26.7.2006) rügte bei der „Süddeutschen Zeitung“ eine „asymmetrische Bildsprache“, weil sie die Kollateralschäden des völkerrechtswidrigen israelischen Angriffskrieges und die israelischen Propagandafilme – die das deutsche Fernsehen Abend für Abend als „Nachrichten“ sendet – drastisch bebilderte. Für den Züricher „Tages-Anzeiger“ schließlich besteht „die Asymmetrie“ darin, dass „in Israel die Mehrheit der Todesopfer Soldaten sind“, im Libanon dagegen „vorwiegend Zivilisten“. Die Floskel ist strapazierbar bis zur inhaltsfreien Plattheit. Sie deckt den Terror gegen Zivilisten in Kanan ab, wo der Bibel zufolge Jesus einst Wasser in Wein verwandelte und die israelische Luftwaffe jüngst Kinder in Kadaver, aber auch die Angriffe der Hizbullah auf israelische Städte und Dörfer.

Seit dem 17. Jahrhundert gibt es Bemühungen, das Kriegsgeschehen völkerrechtlich zu bändigen und zu regulieren. Alle diese Bemühungen zeitigten kaum mehr als Absichtserklärungen. Nirgends ist die „barbarische Freiheit der schon gestifteten Staaten“ (Kant) größer als im Krieg – das zeigt ein Blick auf die Geschichte der Luftkriegsführung, die von Guernica und Vietnam bis zum Irakkrieg funktioniert, weil eine Seite aus der Luft faktisch allein operierte, also partielle Asymmetrie herrschte.

Wie schon 1982 nahm die israelische Militärdemokratie auch jetzt einen Anlass zum Vorwand – damals die Ermordung eines israelischen Diplomaten, jetzt die Entführung von zwei israelischen Soldaten – für einen Angriffskrieg unter der Parole „Selbstverteidigung“. Dabei bediente sie sich hauptsächlich der Zombie-Strategie des Luftkriegs.

Bereits 1899 einigten sich die europäischen Staaten auf ein Verbot, Bomben aus „fliegenden Maschinen“ abzuwerfen. 1907 wollte die Mehrheit der Staaten das Verbot nicht mehr umfassend erneuern, sondern beschränkte es auf Angriffe gegen Unbewaffnete. Im gleichen Jahr schrieb der Schriftsteller und Pazifist H.G. Wells (1866-1946) seinen Roman „The War in the Air“, in dessen Mittelpunkt ein Flugzeugangriff auf New York stand.

Als Vater des Luftkriegs gilt der italienische General Giulio Douhet (1869-1930), der das strategische Konzept der Bombardierung von Städten 1921 in seiner Schrift „Il dominio dell’aria“ („Luftherrschaft“) entwickelte. In seiner Luftkriegslehre plädierte Douhet für den Einsatz von Bombern gegen Städte und Industrieanlagen. Die Kriegsentscheidung fiel Douhet zufolge nicht länger an der Front und auf den Schlachtfeldern. Mit der Zerstörung von Städten sollte nicht nur die Moral der Zivilbevölkerung und die Kampfbereitschaft der Soldaten gebrochen, sondern obendrein der Regierung die Legitimation entzogen werden. Zu Zielen dieser „Luftherrschaft“ wurden alle „Lebenszentren“, wobei Douhet „jede Unterscheidung zwischen Kriegführenden und Nichtkriegführenden“ ablehnte.

Lord Hugh Montague Trenchard, der Gründer der Royal Air Force, stellte schon im Januar 1918 fest, dass selbst jene Bomben, die Industrieanlagen verfehlen, „die Moral feindlicher Arbeiter beschädigen, weil sie deren Leben und Wohnung zerstören und die öffentlichen Dienstleistungen unterbrechen.“ Das „War Manual“ der Royal Air Force von 1935 empfahl unter dem Stichwort „moralische Wirkung“: „Zwar sollte die Bombardierung geeigneter Ziele dem Feind beträchtliche materielle Schäden und Verluste beibringen, doch wichtiger und weiter reichend ist die moralische Wirkung der Luftangriffe.“ Der amerikanische General Curtis Le May entwickelte die Strategie der Bombardierung der deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg. Diese Kriegsführung gegen Zivilisten ist politisch-moralisch korrupt, militärisch ambivalent und völkerrechtlich kriminell.

Die wirkliche Asymmetrie im Libanonkrieg zeigen die Opferbilanz von 1:10 und die Schadensbilanz von 1:100.000. Deshalb ist es zynisch, wenn die FAZ (31.7.2006) den Luftkrieg mit dem Hinweis rechtfertigt: „In der Welt von heute sind Raketen und raketenähnliche Wurfgeschosse das Machtmittel der Schwachen und Radikalen.“ Die waffentechnische Überlegenheit der USA in Afghanistan und im Irak sowie Israels in Palästina und im Libanon befördert die Barbarisierung des Krieges stärker als die eher primitive terroristische Gewalt.

© links-netz August 2006