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"Krieg gegen den Terrorismus", "Antiamerikanismus", "gerechter Krieg", "innere Sicherheit"

Zur aktuellen Kriegs- und Bürgerkriegspropaganda

Rudolf Walther

Mit der sog. Postmoderne kam in der politischen Publizistik auch ein etwas älterer rhetorischer Gestus wieder in Mode: der vom Abschied und vom Anfang. Zwar verstand sich fast alles, was sich postmodern nannte, immer auch als Absage an totalisierende Theorien, insbesondere aber auch an jede Art von Geschichtsphilosophie. Spekulationen über den Gang und das Ziel von Geschichte wurden prinzipiell verworfen. Die postmoderne Rhetorik des Verabschiedens und Anfangens übersah dabei, dass dieser Gestus erstens aus der Geschichtsphilosophie stammt und zweitens auch als Anti-Geschichtsphilosophie die erhebliche geschichtsphilosophische Ladung nicht verliert. Wer etwa nach 1989 großspurig "die alte Bundesrepublik" verabschiedete und über den Anfang der "Berliner Republik" schwadronierte, betrieb seine Analyse in einem spezifisch geschichtsphilosophischen Horizont. Der Abschied vom Alten lebt vom Ressentiment, das vom Alter auf Veraltetsein kurzschließt. Und der beschworene Anfang zehrt von der Spekulation, eine Ortsveränderung bedeute zwingend einen Anfang. Diese Spekulation nimmt das Folkloristisch-Lokale für das Substantielle.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September kamen die Redeweise, wonach fortan "nichts mehr so sein werde, wie es war" und das Gerede von "Krieg" und "Kriegszustand" in Mode. Der Bundeskanzler sprach leichtfertig von "einer Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt" wie 1914 die deutschen Professoren, als es angeblich darum ging, "die deutsche Kultur" gegen "russische Horden,... Mongolen und Neger" zu verteidigen. Besonders anpassungswillige deutsche Apologeten von Bushs militärischer Vergeltungspolitik wollten in den Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates, mit denen die als "Krieg" drapierte Strafaktion gegen Afghanistan legitimiert wurde, als völkerrechtlichen Neuanfang erkennen. Davon kann keine Rede sein. Dieser "Anfang" war schon eher eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert, ins Biedermeier von Metternichscher Machtpolitik. Die USA nutzten die UNO-Resolutionen einfach als politische Blankovollmacht – mit allen Risiken und Spätfolgen.

Die Reaktionen des Berliner Regierungspersonals und des angeschlossenen intellektuellen Milieus darauf waren und sind erbärmlich. Schröder und Fischer gaben nicht den Hauch eines Hinweises, wie eine selbstbewusste deutsche bzw. europäische Außen- und Sicherheitspolitik aussehen könnte – einer Politik also, die sich an den selbstauferlegten Standards von Freiheit, Gleichheit und Solidarität orientiert und nicht am Mitschwimmen im Windschatten imperialer Interessen. Die rot-grüne Koalition blieb der "Musterschüler" (Max Frisch) und devoteste Komplize der Weltmacht USA. Schröder und Fischer stehen nicht für eine eigenständige Außenpolitik der EU und eine Stärkung der UNO, sondern für deren schleichende Entmachtung. Schon Schröders freiwilliges Bekenntnis zur "uneingeschränkten Solidarität" mündete umgehend in den kriecherischen Hilfsdienst im "Krieg gegen den Terrorismus" in Afghanistan und anderswo. Für den amerikanischen Schriftsteller Gore Vidal gleicht das völkerrechtswidrige Unternehmen in Afghanistan einem Luftkrieg gegen Palermo und Sizilien, um die Mafia zu bekämpfen. Selbst als sich Bush mit einer pseudoreligiösen Eselei wie der "Achse des Bösen" profilierte und damit endgültig disqualifizierte, hörte man von Schröder keine Silbe der Distanzierung. Seine ebenso späte wie wohlfeile Wahlkampfrede vom "deutschen Weg" ist nicht glaubhaft und hat keine größere Bedeutung als die Beschwörung des "partnerschaftlichen Dialogs" durch den Riesenstaatsmann Wolfgang Gerhardt von der FDP.

Jürgen Habermas beklagte in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels westliche Selbstgewissheiten und die eindimensionale Modernisierung und warnte die anwesenden Regierenden: "Der 'Krieg gegen den Terrorismus' ist kein Krieg, und im Terrorismus äußert sich auch der verhängnisvolle Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der Terroristen wie der Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen." In "Berlin" kamen solche Töne nicht an. Da regierte die Sachzwanglogik, Kritik und Skepsis waren nicht gefragt. Die politische Elite verfiel einer idée fixe von Sicherheit, zusammengesetzt aus Verfassungsschutz, Nachrichtendiensten, Polizei, Datensätzen und ausufernden Gesetzesvorhaben. Schnell war "nichts mehr undenkbar", Tabus fielen reihenweise, Liberalität blieb auf der Strecke. Wer nachfragte, wurde zum Sicherheitsrisiko. Der liberale Burkhard Hirsch nannte Schilys "Sicherheitspaket" einen "Abschied vom Grundgesetz". Nur weil er aus dem Bundestag ausscheidet, riskierte Hirsch den Satz. Die konservative Presse hetzte gegen "Prediger der Besonnenheit" und die Trompeter der Normalität unter den Berliner Intellektuellen bliesen wieder einmal den alten Gassenhauer "Antiamerikanismus" gegen jeden, der sich einreihte. Seit den 50er Jahren werden Kritik und Misstrauen gegenüber einer ebenso fahrlässig wie selbstherrlich-imperial agierenden amerikanischen Regierung vom deutschen Stammtisch bis in die höheren Stände der FAZ-Leser mit dieser Parole belegt. Das dürftige Konstrukt "Antiamerikanismus" ist auch seit letztem Jahr wieder hoch im Kurs gegen das konformistische Einheitsdenken. Es ist gleichsam der letzte Rettungsring, nachdem das Feindbild Kommunismus und damit auch der Antikommunismus untergegangen sind. Statt Kritik und Alternativen gab es eine Orgie von Verabschiedungen und das Dabeisein beim vermeintlichen Neuanfang geriet über Nacht zum Wert an sich. Normalität und Normalisierung wurden zu Chiffren für Krieg und Kriegsbeteiligung.

Eine gespenstische Szenerie – unter dem Schutz von Nachrichtensperre und Zensur wurde und wird in Afghanistan ein Krieg geführt, von dem nur seine vehementesten Verteidiger glauben, dass er faktisch gewonnen und zu Ende sei. Gleichzeitig streiten sich amerikanische und deutsche Intellektuelle seit Februar über die moralische Berechtigung des "Krieges gegen den Terrorismus".

Der Streit zwischen den Intellektuellen diesseits und jenseits des Atlantiks begann schon im Februar 2002, als 60 amerikanische Wissenschaftler unter dem Titel "What we're fighting for" der Bush-Administration beisprangen und deren Krieg in Afghanistan als moralisch gebotenen "gerechten Krieg" verteidigten. Zu den Unterzeichnern gehörten umstrittene Autoren wie Francis Fukuyama und Samuel Huntington, aber auch hoch reputierte wie Amitai Etzioni und Michael Walzer. Der Philosoph Richard Rorty unterschrieb nicht, teilte jedoch zumindest den Grundtenor der Solidaritätsadresse.

Gegen diesen Aufruf protestierten zunächst 150 amerikanische Intellektuelle, indem sie sich mit einem offenen "Brief an unsere Freunde in Europa" wandten. Darin kritisierten sie energisch "das militärische Abenteuer der USA" und "die Apologeten der US-Kriegspolitik", denen sie "die Gleichsetzung der 'amerikanischen Werte'... mit der Ausübung von wirtschaftlicher und vor allem militärischer Macht der USA" vorwarfen. Zu den prominentesten Unterzeichnern des Briefes gehörten der Schriftsteller und Publizist Gore Vidal sowie der Physiker Alan Sokal.

Schließlich richteten deutsche Professoren und Autoren – darunter Walter Jens, Franz Alt, Hans-Peter Dürr und Carl Amery – eine im Ton moderate, aber in der Sache entschiedene Antwort an die 60 amerikanischen Kriegsfreunde. Sie warnten diese im Mai vor Fundamentalismen im eigenen Land und mahnten Besonnenheit und Kritik als intellektuelle Tugenden an.

Darauf replizierten jüngst die 60 amerikanischen Intellektuellen mit Thesen, die ins Grundsätzliche gehen, aber die Gründe, warum auf Terrorakte mit Krieg geantwortet werden muss, nicht deutlich machen. Die Amerikaner nennen vier "moralische und intellektuelle Einstellungen zum Thema Krieg": die pazifistische, die realistische, die radikal-religiöse und "die Theorie des gerechten Krieges", zu der sie sich vorbehaltlos bekennen. – Was die ersten drei Einstellungen betrifft, machen die Autoren kurzen Prozess. Sie basteln sich ihre Gegner so primitiv zurecht, dass sie mit einem Satz abzuschießen sind.

Pazifisten sind demnach Leute, für die "jeder Krieg verwerflich" ist. Doch ist ein so verstandener Pazifismus nichts weiter als ein ideologischer Pappkamerad oder ein Feindbild ganz alter Polizisten. Der politische oder aufgeklärte Pazifismus wendet sich im Unterschied zum religiösen nicht gegen jeden Krieg und beruft sich nicht auf das Dogma der Heiligkeit des Lebens. Absolute Ablehnung von Gewalt ist kein rational begründbarer moralischer Standpunkt. Wer dieses Dogma befolgt, gerät schon bei einem Angriff, der Notwehr nahe legt, in einen Selbstwiderspruch. Wenn er sich nicht mit angemessenen Mitteln wehrt, verwirkt er sein eigenes Leben und verstößt damit gegen seine moralische Maxime. Jede Form von ernstzunehmendem Pazifismus muß sich auf Begründungen und Strategien einlassen, um zu klären, welche Gewalt unter welchen Umständen für die Erreichung welcher Ziel als ultima ratio zulässig ist.

Als realistische Einstellung zum Krieg betrachten die Autoren die Auffassung, Krieg sei eine Sache von "Macht und Eigennutz" jenseits "moralischer Analysen". Genauso wie beim Pazifismus handelt es sich auch hier um eine grobianische Karikatur von "Realpolitik", die sich natürlich im Rahmen ihres Schemas von "Verantwortung" und "Gesinnung" durchaus moralische Fragen stellen kann und auch stellt. Und selbst wenn ein eiskalter Realpolitiker glaubt, jenseits aller Moral zu handeln, beansprucht er ein moralisches Prinzip – dasjenige nämlich, keine Moral zu haben. Insofern bleibt auch jede Amoral oder Unmoral Moral.

Die dritte Einstellung zum Krieg ist jene des "Heiligen Krieges", der sich auf Gott beruft, um die Tötung Ungläubiger zu rechtfertigen. Bei genauerem Hinsehen benötigen jedoch auch die wildesten christlichen Kreuzzügler und islamischen Fundamentalisten allerlei theologisch verbrämte, politisch-ideologische Winkelzüge, um ihr Tun zu begründen. Der bedingungslose "Heilige Krieg" ist eine Erfindung von fanatischen Sekten, nicht von Hochreligionen.

Für ihre eigene Position beanspruchen die amerikanischen Autoren "die Theorie des gerechten Krieges". Das ist eine ziemlich voraussetzungsreiche "Theorie". Vorgeformt ist sie beim Kirchenvater Augustinus (354 – 430), ihre klassische Form hat sie durch den spätmittelalterlichen Scholastiker Thomas von Aquin (1224/25 – 1274) erhalten. Um einen "gerechten Krieg" (bellum iustum) zu führen, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: es muss eine rechtmäßige Macht (auctoritas principis) vorhanden sein, die keiner Oberherrschaft unterliegt. Sie muss nach der Devise handeln, durch Krieg die gestörte Rechtsordnung und den Frieden wiederherzustellen (recta intentio), und sie muss aus "gerechtem Grund" (iusta causa) eingreifen. Diese "Theorie" erwies sich in der Praxis immer als undurchführbar und zwar schon deshalb, weil es für die Beurteilung des "gerechten Grundes" keine unparteiische Entscheidungsinstanz gibt. Gäbe es ein solche, wäre die erste Bedingung, wonach Krieg nur führen darf, wer keine Oberherrschaft über sich hat, nicht erfüllt. Im sich ausbildenden System konkurrierender souveräner Staaten galt zwar die erste Bedingung, aber gleichzeitig handhabte jeder Staat den Umgang mit den "gerechten Gründen" ganz pragmatisch, d.h. nach seinen eigenen Interessen und nach seiner Willkür. Selbst in der theologischen Literatur genügte bereits "erlittenes Unrecht" als "gerechter Grund" für den "gerechten Krieg". Selbstverständlich wären "gerechte Gründe" nur, wenn man eine Voraussetzung, die Thomas nicht expliziert, als realistisch und gegeben unterstellen könnte: Die Bedingung nämlich, dass alle politisch Herrschenden strikt dem gleichen religiösen Glauben anhingen sowie obendrein bereit wären, die Gründe für oder gegen den Krieg direkter Prüfung durch Gott zu unterwerfen. Überprüfbar wäre das freilich nicht.

Seit der Frühen Neuzeit beanspruchen alle souveränen Staaten für sich das Recht, Kriege zu führen und zwar unabhängig von der christlichen Triftigkeit der Gründe dafür. Einzig über die Regeln, nach denen Krieg zu führen sei, erzielten sie im Rahmen des Völkerrechts einen Katalog von rechtlichen Mindestanforderungen. Bis ins 20. Jahrhundert hatte jeder Staat ein autonomes Kriegesführungsrecht. Abgeschafft wurde dies erst durch den Briand-Kellogg-Pakt (1928) und die UN-Charta (1948), die die souveräne Gewaltanwendung der Einzelstaaten begrenzen bzw. verbieten.

Die "Theorie", auf die sich die amerikanischen Autoren berufen, spielte in der praktischen Politik keine Rolle – außer in einem Falle, und der hat es in sich, wie der Zürcher Historiker Jörg Fisch dargelegt hat. Im Zusammenhang mit Kolonialverträgen taucht auch die Formel vom "gerechten Krieg" auf, um Schuldzuschreibungen vornehmen zu können. Solche Verträge wie die gesamte Konstellation bei kolonialen Eroberungen sind geprägt von einem Machtgefälle und einer prinzipiellen Ungleichheit der Vertrags"partner": Der Eroberer anerkannte nämlich die Ansprüche der Eingeborenen nicht oder nicht als gleichwertig. Nachdem der Eroberer das Land besetzt hatte, beanspruchte er die Rolle des Selbst"verteidigers", der seine Ansprüche notfalls im "gerechten Krieg" gegen die Einheimischen "verteidigte" – faktisch freilich erst durchsetzte. Die Spanier untermauerten diesen Standpunkt theologisch, indem sie sich das Recht auf die Verbreitung des christlichen Glauben anmaßten. Die bekehrten Indianer galten als spanische Untertanen und waren zu Gehorsam verpflichtet. Diejenigen, die sich nicht bekehren ließen, wurden automatisch zu Rebellen bzw. Feinden. Sie sollten "das Christentum annehmen und sich unterwerfen, andernfalls müssten sie mit gerechtem Krieg, an dem sie auch noch schuld sind, überzogen werden" (Fisch).

Es wird nicht klar, was die amerikanischen Autoren meinen, wenn sie sich auf "die Tradition ... der Theorie des gerechten Krieges" berufen. Aber ihre deutschen Kontrahenten hatten sicher Recht, als sie jeden Rekurs auf diese Tradition als abwegig abkanzelten. Weder die theologisch-politische Konstruktion noch die politische Praxis aus der Zeit der spanischen Eroberungen in Amerika geben Argumente her, die in die Debatte über die politisch-moralische Beurteilung und Rechtfertigung des "Krieges gegen den Terrorismus" in Afghanistan gehören. Es sei denn, man möchte das Verhältnis der USA zum Rest der Welt als das einer kolonialen Konstellation interpretieren. Auf die Antwort der deutschen Intellektuellen darf man gespannt sein.

© links-netz August 2002