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Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote Übersicht

 

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Age of Empire?

Michael Hardt, Antonio Negri (2000): Empire, Harvard University Press. 480 Seiten.
Jetzt als Taschenbuch erhältlich bei der Missing Link Versandbuchhandlung zum Sonderpreis von 20,- Euro (inkl. Porto) für links-netz-LeserInnen. Bitte ausdrücklich auf dieses Angebot hinweisen.

von Jens Wissel und Sonja Buckel

"Once again in postmodernity we find ourselves in Francis's situation, posing against the misery of power the joy of being. This is a revolution that no power will control – because biopower and communism, cooperation and revolution remain together, in love, simplicity and also innocence. This is the irrepressible lightness and joy of being communist." (413)

Bücher, in denen "eine gewisse Sehnsucht nach dem Kommunismus" (Negri 2001a) vorrausgesetzt wird, sind in Zeiten, in denen der Kommunismus nicht mal mehr als Feindbild herhalten darf, nicht sonderlich üblich. Der offensive Umgang mit dem Begriff des Kommunismus macht das neue Buch von Hardt und Negri interessant. Für Slavoj Zizek ist "Empire" gar ein neues Kommunistisches Manifest.

Der Status des Buches ist auf den ersten Blick etwas unklar. Liest man es als den Versuch, die globalen kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse theoretisch zu analysieren, muss man enttäuscht werden, denn analytisch ist das Buch höchst ungenau und widersprüchlich. Man wird nicht ganz den Eindruck los, dass es sich um ein guinnessbuchverdächtiges Vorwort handelt. Dessen ungeachtet halten wir das Buch jedoch für eine wichtige politische Intervention. Während sich nämlich beispielsweise die theoretisch wesentlich fundiertere Regulationstheorie maßgeblich fragt, warum Kapitalismus sich trotz und wegen seiner Widersprüche stets erneut durchsetzt, nehmen die in der nietzeanischen Tradition stehenden Autoren eine andere verheißungsvolle Perspektive ein. Sie geben eine Fragestellung vor, von der es sich lohnt, sie einmal einzunehmen. Sie lamentiert nicht über die veränderte Welt, sondern empfängt diese mit "da capo!"-Rufen. Sie ist ein Befreiungsmodell aus dem Herrschaftsmodell heraus, das zeigen will, dass die vermeintliche Macht des Imperiums zugleich dessen Untergang sein könnte. Die eigene Dynamik der kapitalistischen Vergesellschaftung sei das Gefährlichste für sie selbst, daher müsse sie weitergetrieben werden, sie ist hiernach eben nicht nur die permanente stabile Reproduktion des Immergleichen. Die theoretische Position wäre nicht die des Boxers, sondern die des Judo-Kämpfers, der die Kraft des Anderen umkehrt.1 Dieser Standpunkt und die für deutsche Verhältnisse untypische Nonchalance, Kommunist zu sein, machen die Ausstrahlung des Buches aus. Unter dieser Perspektive wollen wir es besprechen. Unsere These lautet dabei, dass die "eigentliche Arbeit", diese Perspektive auch theoretisch zu verwirklichen, noch aussteht.

Der Begriff des "Empires"

Für Hardt und Negri haben die strukturellen Veränderungen in der Globalisierung zur Entstehung einer neuen Form von globaler Souveränität geführt und in der Folge zu einem neuen Begriff des Rechts. Der Nationalstaat sei verschwunden, oder im Verschwinden begriffen, bzw. spiele keine Rolle mehr, es gebe nur noch ein Empire, in dem ein Außen, wie einst im Nationalstaat, nicht mehr existiere. Politik im Empire sei daher per se Innenpolitik. Militärische Interventionen seien nicht mehr Kriege im traditionellen Sinne, sondern polizeiliche Interventionen, um die universellen "Werte" des Imperiums durchzusetzen. Empire sei die neue Ordnung des Gesamtkapitals, ohne Zentrum. Es habe aber mit der NATO die unangefochtene militärische Dominanz, mit dem Dollar das Weltgeld und mit der englischen Sprache eine lingua franca. Es sei gewissermaßen die Antwort auf die Frage, warum es in der Postmoderne noch eine Weltordnung gebe.

Eine der Stärken des Buches, das zwischen Golfkrieg II und Kosovokrieg entstanden ist, ist die Beschreibung einer neuen Form des Krieges, des Imperialen Krieges. In solchen Kriegen greife das Imperium in lokale Auseinandersetzungen ein. Imperiale Kriege seien also keine Kriege mehr zwischen souveränen Nationalstaaten, sondern Eingriffe, die von der Organisation und der Durchführung eher Polizeioperationen glichen. Das Versprechen, das dahinter stehe, sei, "to achieve the desired order and peace" (13). Die Interventionen der imperialen Armeen seien daher immer von mindestens einer der beteiligten Kriegsparteien angefordert. "What stands behind this intervention is not just a permanent state of emergency and exception, but a permanent state of emergency and exception justified by the appeal to essential values of justice. In other words, the right of the police is legitimated by universal values.” (18).

Die Legitimation der imperialen Kriege bzw. der gesamten "imperialen Maschine" werde maßgeblich in der "Kommunikationsindustrie" organisiert. Kommunikationsproduktion und die sprachliche Produktion von Realität, würden so zum entscheidenden Schlüssel, um die Gültigkeit, Effektivität und die Legitimation des imperialen Rechts zu verstehen (34). Die Macht des Imperiums bestehe also nicht nur in der Möglichkeit der militärischen Polizeioperation, als vielmehr in der Fähigkeit der moralischen Intervention, der symbolischen Konstruktion des Feindes. Diese werde durch eine Vielzahl von Institutionen vorgenommen, dazu gehören die neuen Medien, religiöse Organisationen und die sogenannten NGO`s. Die NGO's, die sich den Schutz der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben haben, gehören demnach zur wichtigsten Waffe der neuen Weltordnung (36). Der "gerechte Krieg" werde hier gewissermaßen moralisch vorbereitet.

Hardt und Negri sind davon überzeugt, dass eine globale "biopolitische" Organisation der Herrschaftsverhältnisse entstanden sei. In Anlehnung an Foucault beschreiben sie hiermit die Verlagerung von Herrschaft in das Subjekt. Das transnational organisierte Kapital organisiere also nicht nur die transnationalisierte Warenproduktion, sondern es produziere auch die Produzenten, mit ihren Bedürfnissen, sozialen Beziehungen und Denkweisen.

Der von Hardt und Negri ausgemachte Strukturbruch, habe, so die These, zu einer neuen nachimperialistischen Form von globaler Herrschaft geführt. Hier unterscheidet sich die Analyse der Autoren von Immanuel Wallersteins Weltsystem. Während letzterer die Entstehung des Weltsystems im "langen 16. Jahrhundert" mit der Entstehung des Kapitalismus parallel setzt, entstand das Imperium mit seiner weltweiten Ausprägung erst mit der Verwirklichung des Weltmarktes, also mit dem Fall der Berliner Mauer. Demnach war das Kapital zwar schon immer auf die globale Sphäre hin angelegt, aber erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bildeten sich transnationale industrielle und finanzielle Kooperationen wirklich aus (31).

Wallerstein distanziert sich im Gegensatz dazu bewusst vom Imperiumsbegriff. Für ihn ist es gerade das besondere Geheimnis und die Stärke des Weltsystems, dass es 500 Jahre überdauert hat, ohne sich je in ein Weltreich zu verwandeln. In der Tat müssten die Autoren erklären, wo die Einheit der weltweiten Herrschaftsverhältnisse liegt, die den Begriff des Empires rechtfertigt. Die These, dass das kapitalistische System gerade deswegen 500 Jahre überdauert hat, weil es nicht die fragmentierten Teile in einem Reich einen musste, ist nicht so leicht zu entkräften, wie das bei Hardt und Negri den Anschein hat. Für Wallerstein ist diese "Besonderheit [dass kein Empire entstanden ist] die politische Seite der Form der Wirtschaftsorganisation, die Kapitalismus heißt. Der Kapitalismus hat gerade deshalb gedeihen können, weil die Wirtschaft in ihren Grenzen nicht ein politisches System, sondern deren viele enthält."2 (Wallerstein 1986: 518)

Der Begriff des Imperiums bleibt bei den Autoren merkwürdig unbestimmt. Versteht man Empire als das Ergebnis einer kulturellen Globalisierung, als den universellen Anspruch der westlichen Werte, so macht es durchaus Sinn danach zu fragen, wie es zu dieser >>transnationalen Hegemonie<< gekommen ist. Allerdings impliziert die Metapher mehr, nämlich die globale Vereinheitlichung der Herrschaftsverhältnisse, diese kann aber von den Autoren nicht nachgewiesen werden. Ihr Hinweis darauf, dass das Empire nicht einheitlich sei, kann diesen Einwand nicht wirklich entkräften. Zudem machen Hardt und Negri das Empire hier stärker als es tatsächlich ist, sodass die Brüche und Konflikte im globalen Kapitalismus nicht mehr angemessen wahrgenommen werden. Der Glaube, im Neoliberalismus würde der Nationalstaat entgültig verschwinden, ist nicht weniger illusorisch als der alte Glaube des Liberalismus' ohne den Staat auskommen zu können. Es gibt keinen "Gesamtkapitalisten". Das Kapital kann sich nicht selbst regulieren, da es in permanenter Konkurrenz zueinander steht.

Die internationale Ordnung der souveränen Staaten "is slowly dyving away" (35). Was das heißt, erfahren die LeserInnen allerdings nicht. Da das Imperium nicht die kooperative Hegemonie der Metropolen-Staaten verkörpert, denn diese seien mindestens im Verschwinden begriffen, bleibt die Frage, was es denn nun ist? Glauben die Autoren tatsächlich die politisch Form des Kapitalismus würde überwunden? Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wäre also keine Staatsregierung mehr, sondern eher das Machtzentrum eines lokalen >>Fürstentums<<. Die >>Schurkenstaaten<< wären die postmoderne Form des Raubrittertums. Lokale Fürstentümer genössen eine gewisse Autonomie innerhalb des Imperiums, ähnlich vielleicht wie manche Völker in der Spätphase des Römischen Reiches. Wenn lokale Autoritäten allerdings über die Stränge schlügen, müssten sie selbstverständlich zurechtgestutzt werden durch das Imperium. Ob die Autoren das Imperium so denken, bleibt Spekulation, m. a. W.: Hardt und Negri vermeiden es, zu sehr ins Detail zu gehen.

Empire wäre aber auch anders denkbar, nämlich als Ergänzung der Staatsform. Das Imperium würde die Nationalstaaten dann nicht ersetzen, vielmehr würden diese überlagert durch neue transnationale Herrschaftsverhältnisse. Empire wäre dann also die neue Form der Welthegemonie, die nicht mehr primär an einem hegemonialen Nationalstaat festgemacht werden kann. Solche Überlegungen finden sich mit anderen Begriffen beispielsweise bei Robert Cox und Stephen Gill oder auch bei Susan Strange.

Durch die globale Kommunikationsindustrie beanspruchen die westlichen Werte tatsächlich Universalität, doch reißen die Migrationsströme der "Multitude" keineswegs die Grenzen der Nationalstaaten nieder – wie dies Negri und Hardt nahe legen (dazu unten). Im Gegenteil, das Instrumentarium der Migrationskontrolle wird weltweit kontinuierlich von den Nationalstaaten ausgebaut. Dass diese Migration nicht wirklich verhindern kann, stellt kein Problem dar, das den globalen Kapitalismus gefährdet, sondern gehört vielmehr zur globalen Regulation wie die Wechselkursschwankungen des Währungssystems. Wenn es also so etwas wie einen grenzenlosen transnationalen Raum gibt, so besteht der nur für eine kleine Gruppe von Menschen. Robert Cox beschreibt diese Gruppe als "transnationale Managerklasse".

Dieser grenzenlose transnationale Raum scheint für die Autoren der "Nichtort" des Imperiums zu sein.

Das Empire habe kein Zentrum, es sei also überall und nirgends "there is no place of Power" (190). Die Instrumentarien, mit denen nach Hardt und Negri die Imperiale Macht ausgeübt wird, haben aber durchaus Orte. Es müsste erklärt werden, warum die NATO mehr ist als ein militärisches Bündnis von Nationalstaaten. Der Dollar ist zwar Weltgeld, aber deshalb ist auch er nicht ortlos, es gibt einen Ort an dem er gedruckt wird und an dem sein Zinssatz festgelegt wird. Die USA konnten über die Weltgeldfunktion des Dollars unter anderem die Kosten der internationale Regulation externalisieren, und sie ist der einzige Gläubiger der Welt, der das Geld (legal) druckt, das er schuldet. Selbst die kulturelle Globalisierung ist nicht ortlos, auch die "Nichtorte" der Globalisierung haben ihren Ort in der lokalen Welt, in den Global Cities, in denen die Informationsverarbeitung stattfindet (vgl. Sassen 1994, 1).

Das "non-place" Empire mutet wie eine mythische Konstruktion an. Ähnlich wird sich im Christentum Gott (Empire) und die, im Teufel (Bios/Counter-Empire) personifizierte widergöttliche Macht vorgestellt. Beide haben sich aber als resistenter erwiesen, als das Empire bei den Autoren gedacht ist. Beide sind in ihrer religiösen Verbindung aufeinander angewiesen. Der Eine wird den Anderen nie los, zumindest nicht in der Immanenz, und das wäre doch schade.

An die Frage wo das Empire ist, schließt sich die Frage an, wer das Empire ist? Wenn das Imperium nun durch die transnationale (immaterielle?) Managerklasse bzw. "a network of powers and counterpowers" (166) verkörpert wird, besteht die Gefahr, dass hier ein verkürzter Herrschaftsbegriffs in Anschlag gebracht wird, eine derartige Personalisierung von Macht droht ins Verschwörungstheoretische abzugleiten.

Die These, dass sich Souveränität in der Globalisierung grundlegend verändert habe, ist durchaus interessant, aber es handelt sich um die Veränderung von staatlicher Souveränität. Wenn Hardt und Negri von staatlicher Souveränität reden, entsteht immer der Verdacht, dass sie einen Begriff von Souveränität zugrundelegen, der zwar in der politologischen Mainstream-Debatte gang und gebe ist, aber immer schon höchst fragwürdig war. Außen und Innen waren nie so klar getrennt, wie das die Autoren unterstellen. Mächtige Staaten haben schon immer in nachgeordnete Staaten hineinregiert.

Die Metapher >Imperium<, ist dennoch spannend, denn mit ihr kann die Verschiebung im Verhältnis von Territorialitat und Souveränität und die Entstehung von transnationalen Herrschaftsformen gefasst werden, ohne dass Machtbeziehungen ausgeblendet werden, wie im Begriff des >>Global Governance<<. Den Protagonisten dieser Debatte kann vielmehr entgegengehalten werden, dass sie Teil der moralischen Interventionsstrategie des Imperiums sind. Hardt und Negri sind allerdings nicht die ersten die mit dem Begriff arbeiten, Susan Strange sprach schon 1989 von einem "Transnational Empire", freilich in Bezug auf die USA. Hier liegt eine weitere Unklarheit in den Ausführungen der Autoren: die Gründe, warum das Imperium nicht eine neue Form der US-Hegemonie darstellt, sind nicht sonderlich überzeugend, zumal die Autoren selbst ausführen, dass sich im Imperium eine US-amerikanische Form von Souveränität durchsetze.

Wie auch immer, eigentliches Interesse von Hardt und Negri ist auch nicht das Imperium, sondern das "Counter-Empire", eine neue globale Vision, eine neue Lebensform (214). Die neuen Subjekte, die das bewerkstelligen sollen, werden, in klassischer Manier, vom Imperium selbst hervorgebracht. Problematisch ist das kaum verstecke teleologische Geschichtsbild, welches hier aus dem Buch spricht.

Was die Instabilität und die Krise der weltweiten Herrschaftsverhältnisse angeht, treffen sich Hardt und Negri dann auch wieder mit Immanuel Wallerstein. "Die kapitalistische Weltwirtschaft ist scheinbar auf ihrem Gipfelpunkt angelangt. Doch in Wahrheit steht sie vor einer strukturellen Krise", daher "nähern wir uns also einer der seltenen Phasen der Geschichte, in denen der freie Wille als entscheidender Faktor wieder zu seinem Recht kommt" (Wallerstein 2000). Was in der Empirethese handlungstheoretisch hergeleitet wird, begründet Wallerstein allerdings strukturtheoretisch. Beide vergessen gleichermaßen, dass die Schwäche des kapitalistischen Weltsystems zugleich auch seine Stärke ist, denn ohne Dynamik und permanente Veränderung hätte es nie so lange bestehen können.3 Die Frage, ob sich der Kapitalismus in einer Krise befindet, lässt sich theoretisch (zur Zeit) wahrscheinlich schwer beantworten, auf jeden Fall bleibt sie umstritten (vgl. beispielsweise Candeias 2000 und Hirsch 2000).

Für Hardt und Negri ist das Imperium keinesfalls als Rückschritt zu denken, wie der Begriff nahe legen könnte. Vielmehr sei das globale Imperium, in dem es kein Außen mehr gebe, gegenüber dem europäischen Imperialismus, der Expansion nur als Niederwerfung des "Anderen" kannte, ein Schritt in die richtige Richtung.

Bio-Politik

Empire ist also nicht nur ein Buch über die neue globale quasi-staatliche Ordnung, sondern auch ein Konzept der politischen Befreiung. Es soll die neue Form der Souveränität enthüllen, "[...] but this isn't what's really important.” Wichtig sei vielmehr das Counter-Empire (Negri&Hardt 2000).

"Das Empire schafft eine biopolitische Ordnung, weil die Produktion biopolitisch geworden ist" (Negri 2001a). Der Begriff der Biopolitik, der oben schon angedeutet wurde, ist der Zentralbegriff dieser Emanzipationsvorstellung, er durchzieht sämtliche Ebenen der Argumentation. Er ist selbst ein "Hybrid" (so einer von N&H's Lieblingsbegriffen) aus unterschiedlichen Theorieansätzen, die sie allesamt für unvollkommen halten und daher miteinander koppeln.

Seinen Ausgang nimmt die Vorstellung von Foucaults Machtanalyse: Eine neue Machtform, die Bio-Macht, sei im 17. Jahrhundert entstanden, deren Ziel es ist, das Leben zu verwalten, zu sichern, zu entwickeln und zu bewirtschaften (Lemke 1997: 135). "Diese Macht ist dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen, und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten" (Foucault 1998:163). Es ist eine Macht über das Leben, daher Bio-Macht, die es weniger mit Rechtssubjekten als mit Lebewesen zu tun hat, sie zielt auf die Regulierung der Bevölkerung (Lemke ebd.). Der "Gesellschafskörper" wird als eigenständige biologische Entität erfasst. Reguliert werden Geburten- und Sterblichkeitsraten, Gesundheitsniveau, Lebensdauer, Produktion und Zirkulation. Kontrolle und Gefahrenabwehr sind die präventiven Mittel, deren sich der Staat bedient, um eine Sicherheitstechnologie aufzubauen. Das Sexualitätsdispositiv nimmt dabei eine zentrale Funktion ein: zur Disziplinierung des Körpers sowohl als auch zur Regulierung der Zeugungseffekte (Lemke, 136 f.) .

Negri übernimmt von Foucault die aufgespürte Potentialität dieser "Lebenspolitik", das Empire verlange das "ganze Leben" , in all seinen Erscheinungsformen, nicht das reduzierte Subjekt (etwa in Form des abstrakten formal freien und gleichen Rechtssubjekts). Er kritisiert an Foucault jedoch, dass dieser aufgrund seines Strukturalismus' nicht erklären könne, wer das "bios" ist, wer das System antreibt. Die wirkliche Dynamik der Produktion könne er nicht fassen (28). Dieses "bios" wird Negri in guter alter (post)operaistischer Tradition natürlich später als die "Multitude" der immateriellen Arbeiter enthüllen.

Den Foucaultschen Bio-Machtbegriff lösen die Autoren voluntaristisch in einem ersten Schritt sowohl von seinem historischen Kontext4 als auch von seiner Bindung an die regulierende Macht, Biomacht ist als Konsequenz danach etwas, was auch und vor allem die Regulierten und "Bewirtschafteten" besitzen. Daraufhin wird dem Begriff eine kollektive, nichthierarchische und nichtzentrierte Netzwerkstruktur implantiert (299), für welche Deleuze & Guattari mit ihrer Rhizomkonzeption angeführt werden. Sie hätten die Produktivität der sozialen Reproduktion erkannt, seien aber zu unbestimmt geblieben (28).

Immaterielle Arbeit

Endlich wird das Konzept der Negri-Hardtschen Bio-Macht auf den entscheidenden Punkt zugespitzt: auf die von ihnen seit längerem favorisierte Theorie der immateriellen Arbeit. Diese im Produktionsbereich angesiedelten Veränderungen sind der materielle Kern des Bio-Machtbegriffes.

Nachdem die moderne Industriegesellschaft zuende gehe und die postmoderne "Informationsgesellschaft" angebrochen sei, veränderten sich auch die Arbeitsverhältnisse. Der Tertiäre Sektor mit seinen Dienstleistungsberufen nehme eine zentrale Rolle in der Produktion ein: Gesundheitsvorsorge, Erziehung, Finanz- und Transportwesen, Unterhaltung und Werbung. Diese Jobs seien zwar nicht neu, aber die Tatsache, dass sie "[...] grundsätzlich charakterisiert [sind] durch die zentrale Rolle, die Wissen, Information, Affekte und Kommunikation spielen", veränderte im Zeitalter der "Informationalisierung" ihre Bedeutung. Die Tertiarisierung in den Metropolen sowie die teilweise Verlagerung der "superfordistischen" (Haug) körperlichen Arbeit in Trikontländer wird dabei wohl zugrundegelegt. Selbst die IG-Metall als klassische Industriegewerkschaft schätzt, dass im nächsten Jahrzehnt 4/5 aller menschlichen Arbeiten aus dem Umgang mit Information bestehen werden: beraten, informieren, forschen, entwickeln, organisieren, vernetzen, managen, recherchieren, gestalten und präsentieren. "Intellektuelle Arbeit" sei die typische Form zukünftiger Arbeit (Klotz 2000). Naomi Klein beschreibt diese Entwicklung in ihrem aktuell gehypten Buch bezogen auf die Markenindustrie ähnlich: die "Unternehmen neuen Stils" seien davon ausgegangen, dass "[...] die Herstellung von Gütern nur ein zufälliger Bestandteil ihrer Operationen sei und sie dank der vor kurzem erfolgten Liberalisierung des Handels unter der Reform des Arbeitsrechts ihre Produkte von andere Unternehmen herstellen lassen könnten. [...] Die Unternehmen neuen Stils stellten nicht mehr in erster Linie Dinge her, sondern Markenimages. Ihre eigentliche Arbeit bestand nicht mehr in der Herstellung, sondern in der Vermarktung." "Brainware" heißt das neue Produkt (Klein 2001: 26).

Negri&Hardt betonen, dass die Industrielle Produktion nicht verschwindet, aber durch die informationelle Revolution transformiert werde zu einer hybriden Ökonomie, verteilt über den ganzen Globus (285).

Mit dieser Analyse sind die Autoren also tatsächlich in der Postmoderne, im Postfordismus – oder wie immer man dies Formation auch nennen will - angekommen. Die Grenze zwischen Zukunftsvision und Beschreibung der Verhältnisse verschwimmt allerdings, wenn sie behaupten, das Imperium sei Basis und Überbau in einem: "The superstructure is put to work, and the universe we live in is a universe of productive linguistic networks." (385) Das haut nur hin, wenn die immaterielle Arbeit verabsolutiert wird, denn die Welt in der wir leben ist keineswegs nur ein linguistisches Netzwerk.

"Weil die Produktion von Dienstleistungsergebnissen in keiner materiellen und dauerhaften Ware resultiert, definieren wir die Arbeit, welche in dieser Produktion involviert ist, als immaterielle Arbeit – das heißt, Arbeit, die immaterielle Güter produziert, solche wie einen Service, ein kulturelles Produkt, Wissen oder Kommunikation" lautet die aktuellste Definition immaterieller Arbeit bei Negri&Hardt (290). Sie schlagen diese nunmehr scheinbar vollständig dem Dienstleistungsbereich zu. Immaterielle Arbeit habe zwei Gesichter. Das erste bestehe in einem immer extensiveren Gebrauch von Computern. Die Vertrautheit im Umgang mit ihnen wird zur Primärqualifikation. Das gehe soweit, dass Maschinen "[...] eine neue Prothese [werden], integriert in unsere Körper und Gehirne [...]". Diese Subjektivitätsvorstellung als "Schnittstelle von Mensch und Maschine" bezeichneten die Autoren bereits 1997 als "Cyborg" (Negri/Hardt 1997: 19). Sie wollen damit die in den Marxschen Grundrissen aufgestellte These weiterentwickeln, dass Maschinen "von der menschlichen Hand geschaffene Organe des menschlichen Hirns" sind (Marx 1983: 602). Befremdlich, nicht nur von einem humanistischen Standpunkt, wirkt dies wenn die so bejubelte "Hybridisierung" stürmisch als Transformation zu einem Körper zelebriert wird, der sich dem Kommando nicht mehr fügen könne, einem Körper der unfähig sei, sich dem Familienleben, der Fabrikdisziplin, der Regulation eines traditionellen Sexlebens usw. anzupassen. Piercings, Tatoos und Geschlechtsumwandlungen werden als existierende Indizien für die Verwischung der Grenzen von Geschlechtern, Menschen, Maschinen und Tieren interpretiert, als Neuanfang und Selbstentwurf (215 f.). Nicht nur, dass hier jedwede Technikkritik als Old-School-Unsinn scheinbar überflüssig ist: die manchmal durchaus spannende, oft aber sehr zwanghafte Strategie, Veränderungen immer und überall als Chance zu begreifen, die das Werk durchzieht wie ein roter Faden, verliert Phänomene aus den Augen, die ebenfalls unter diese Körperkonzepte fallen, wie das Boomen der Schönheitschirurgie und Diätindustrie. Sie ignoriert kurzerhand die Kräfteverhältnisse, die es z.B. verhindern, dass Menschen in Würde altern können.5 Wenn es momentan eine Personifizierung dieser Cyborgs gibt, dann ist dies wohl eher Michael Jackson als Lara Croft.

Das "andere Gesicht" der immateriellen Arbeit ist weitaus spannender: die affektive Arbeit des menschlichen Kontakts und der Interaktion: Fürsorgende Arbeit findet sich sowohl in der Unterhaltungsindustrie als auch im Gesundheitssystem (292). Die Produkte sind nicht greifbar, eben immateriell: Gefühle der Behaglichkeit, Gut-Fühlen, Genugtuung, Erregung, Leidenschaft. Anstatt auf die Kommerzialisierung und kulturindustrielle Produktion abzustellen, legen die Autoren – und das zeigt wieder ihre Perspektive – den Schwerpunkt auf die implizierte Chance. Dass man sich beim Hören der neusten Madonna-CD "gut fühlen" kann, greift eben über die bloße Verdummungsfunktion der Musikindustrie hinaus. Die Autoren heben hervor, dass alles was Feministinnen immer schon über Frauenarbeit gesagt haben, nunmehr zu ökonomischer Relevanz gekommen ist. "Was affektive Arbeit produziert, sind soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaft, Biopower" (293). Die diskursive Strategie des Buches geht also noch weiter: linke Kritiken sind heute reale Bestandteile der kapitalistischen Reproduktion, auch ein Ergebnis der Immanenzperspektive.

Bio-Macht, so lässt sich zusammenfassen, wird also nicht mehr primär aus dem Blickwinkel der Herrschaft des Empires, sondern aus dem Potential des neuen revolutionären Subjekts, der "Multitude” betrachtet. Multitude meint "Macht der Kollektivität" (Negri&Hardt 1997: 10), in der jedoch das besondere Einzelne in seiner Besonderheit aufgehoben ist (weswegen nicht mehr von "Masse" die Rede ist). Biomacht umfasst das "ganze Leben" in seinem ganzen "ontologischen" Reichtum, mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten und vor allem Bedürfnissen, "[...] verstanden als physisches, körperliches Potential, das allein der abstrakten Gewalt revolutionärer Intellektualität Sinn und Inhalt geben kann" (Negri 2001b: 36). Die immaterielle Arbeit, die im postmodernen Kapitalismus verlangt wird - und das ist der Witz - schafft die Bedingungen einer kommunistischen Gesellschaft. Die Produktivkräfte sind schon kommunistisch, lediglich die Produktionsverhältnisse noch kapitalistisch - könnte man die Autoren interpretieren:

"Today productivity, wealth, and the creation of social surpluses take the form of cooperative interactivity through linguistic, communicational, and affective networks. In the expression of its own creative energies, immaterial labour thus seems to provide the potential for a kind of spontaneous and elementary communism.” (294). "Die Möglichkeiten sind groß, wo doch der Kapitalismus selbst hohe Formen der Kooperation entwickelt" (Negri 1996: 86 f.). Oder noch einmal anders: "I think it is reasonable to be communist today - today more than ever [...]” (Negri&Hardt 2000).

Das Counter-Empire - Mitternacht in der Nacht der Gespenster

Und hier kommen wir zur Motivation des Buches, die auch die systematischen und kategorialen Unzulänglichkeiten, die wir mehrfach angesprochen haben, erklären. Es geht vor allem nicht um eine "ordentliche" wissenschaftliche Analyse der "Globalisierung", sondern um ein politisches Projekt. So gelesen ist der Status des Buches nicht mehr offen. Das Projekt besteht darin, die "Klasse6 an sich" in die "Klasse für sich" zu transformieren, wie man dies in tradierten Kategorien ausdrücken könnte. "Empire" ist ein Manifest, es will die Multitude zur politischen Subjektwerdung auffordern.

In guter alter hegelianischer Tradition wird dabei zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit unterschieden. Entgegen dem bekannten Anti-Globalisierungs-Diskurs heißt es offensiv: ">From our standpoint, however, the fact that against the old powers of Europe a new Empire has formed is only good news. Who wants to see any more of that pallid and parasitic European ruling class [...]". (376)

Sowohl die Bourgeoise als auch die ewig Alternativlosen verkennten die lebendige Macht der Multitude, das Potential der biopolitischen Ordnung (387). Denn: "Empire erzeugt ein größeres Potential für Revolutionen als moderne Machtregime dies taten, denn es präsentiert uns neben der Befehlsmaschine eine Alternative: den Kreis all der Ausgebeuteten und Unterjochten, eine Multitude, die sich dem Empire direkt widersetzt, ohne Vermittlung zwischen ihnen" (393).

Dies sei dem Paradox zu verdanken, dass Empire einerseits davon profitiert, dass in der Kooperation die Köper produktiver sind, und zugleich ihre kooperative Autonomie kontrollieren muss, um nicht von ihr zerstört zu werden (392). Hier haben die Autoren auch die Möglichkeit, ihre Position zurechtzurücken. André Gorz hatte ihnen unlängst vorgeworfen, sie würden in einem "theoretisierenden Delirium" davon ausgehen, dass die Autonomie in der Arbeit selbst die Forderung und die Fähigkeit der Arbeiter hervorbringt, alles zu beseitigen, was die Ausübung ihrer Autonomie begrenzt oder behindert. "Das ist aber offensichtlich gerade nicht der Fall: Die Autonomie in der Arbeit bewirkt wenig ohne eine sie fortsetzende kulturelle moralische und politische Autonomie" (Gorz 2000: 60). So gehe die potentielle Emanzipation der postfordistischen Arbeiter innerhalb ihrer Arbeit mit einer verstärkten sozialen Kontrolle einher. Nichts anderes sagen nunmehr auch Negri&Hardt. Deswegen ist es eben die vordringlichste Aufgabe, eine Politisierung zu erreichen.

Der kritische Punkt, an dem die Autoren sich ins Metaphorische retten, um dem seit Adorno gültigen "Bilderverbot" zu entgehen, lautet dann: "It is midnight in a night of specters. Both the new reign of Empire and the new immaterial and cooperative creativity of the multitude move in shadows, and nothing manages to illuminate our destiny ahead." Aber wir haben einen neuen Punkt erreicht: die Tatsache, dass Empire durch die Krise definiert wird, dass sein Niedergang immer schon begonnen hat, und dass konsequenterweise jede Linie des Antagonismus zum Ereignis führt. Ist es dann möglich, in dieser dunklen Nacht positiv eine Praxis des Ereignisses zu theoretisieren, fragen sich die beiden immateriellen Arbeiter (386).

Das politische Subjekt

Es geht um die "große Frage" wie die Multitude ein politisches Subjekt werden kann (394). Die Möglichkeit des Kommunismus' bestehe im Empire. Das einzige, worauf wir noch warten sei die eine mächtige Organisation, das Gerüst wurde bereits konstruiert.

Da es im Empire kein Außen mehr gibt, sollten wir "[...] ein für alle Mal aufhören, nach einem Außen zu suchen, nach einem Standpunkt, der eine Reinheit unserer Politiken imaginiert" (46).

Kämpfe im 19. und 20. Jahrhunderst sind der Ausgangspunkt, sie riefen das Imperium hervor. Charakteristisch an ihnen war, dass sie zyklisch waren, das heißt, sie bezogen sich aufeinander, sprachen eine gemeinsame Sprache (50). Die neuen Kämpfe hingegen sind unkommunizierbar. Neue machtvolle Ereignisse treten auf in der Weltszenerie – keine Frage (L.A-Riots, Chiapas, Streiks in Frankreich, Aufstände in Süd Korea). Aber sie werden nicht zu einer global expandierenden Kette der Revolution verbunden, weil ihre Bedürfnisse nicht in unterschiedliche Kontexte übersetzbar sind, daher sind sie nur von kurzer Dauer. "This is certainly one of the central and most urgent political paradoxes of our time: in our much celebrated age of communication, struggles have become all but incommunicable” (54)

Trotz dieser Schwäche hätten die Kämpfe jedoch an Intensität gewonnen. Die Autoren vermuten zaghaft, dass um so weiter sich das Kapital ausdehnt, um so mächtiger jeder singuläre Punkt der Revolte sein könnte. Die Kämpfe griffen die imperiale Ordnung direkt an. Da Empire eine oberflächliche Welt ist, in der das virtuelle Zentrum unmittelbar von jedem Punkt der Oberfläche aus angegriffen werden kann, gebe es keine bevorzugte geographische Region.

Die konstituierende Gegenmacht geht also aus dem Empire selbst hervor (59).

"Being-Against" ist das dazu notwendige subjektive Bewusstsein (210). Dies könne sich ausdrücken durch Desertion, Exodus und Nomadentum. Nach Deleuze und Guattari nutzten die Nomaden ihre Mobilität, um die "territorialisierte" Kontrolle des autoritären Staates zu vermeiden. Die Unterdrückten fliehen aus der Kontrolle des autoritären Staates in autonome Rhizome, die von den Sozialbewegungen gebildet werden (Barbrook 1998). Deleuze und Guattari verwandten die Nomadenmetapher im übertragenen Sinne, Negri und Hardt hingegen meinen sie darüber hinaus durchaus wörtlich. Die MigrantInnenbewegungen sei ein elementarer Angriff auf das Empire. Es wird zwar nicht verkannt, dass dies meist in Elend und Leid endet, ein positives Begehren wird jedoch hypostasiert, so dass die Unfreiwilligkeit der "Bewegung" unbemerkt ausgeblendet wird. Empire sei immer weniger in der Lage, die Bewegungen der Multitude zu regulieren. Die US Landwirtschaft und die Dienstleistungsindustrien seien ohne Mexikanische Migranten unvorstellbar (397). Massenmigration sei für die Produktion notwendig geworden und zwar in größerem Umfang den je. Empire reagiere dennoch mit Kriminalisierung. Dagegen müsse sich die erste politische Forderung richten, als Konkretisierung der bisher eher abstrakten Erläuterungen zur Politisierung. Die Forderung lautet "global citizenship". Das Kapital solle endlich rechtlich anerkennen, was es de facto schon ausnutze. In einem zweiten Schritt muss die Multitude selbst bestimmen können, wann, wohin und ob überhaupt sie sich bewegen will (400). Die Forderung ist richtig, aber die Begründung befremdlich. Da die Autoren eine immanente Kritik vornehmen wollen (es gibt kein Außen!) tun sie dies mit dem immer gleichen Argumentationsstil: weil es im Empire so und so ist, muss dies von ihm auch anerkannt werden. Perspektiven müssen sich legitimieren aus dem Empire heraus. Immanente Kritik schlägt hier um in Positivismus. Denn die Durchlässigkeit der amerikanisch-mexikanischen Grenze ist kein Unfall, sondern auch Regulierung. Die Illegalität der sans papiers ist Voraussetzung ihrer Mehrwertproduktion: nämlich die daraus folgenden Hungerlöhne in den sweatshops. Selbstverständlich ist dies auch auf ein Scheitern der Regulierung zurückzuführen aber nicht derart, dass sie in Frage gestellt würde. Die Forderung ans Kapital, die Nützlichkeit der Unerwünschten zu akzeptieren, ist eine ökonomistische Begründung, bei der nicht der/die Einzelne im Vordergrund steht, sondern ihre Verwertbarkeit.

Recht auf einen gesellschaftlichen Lohn

Mit ähnlichem "Abrakadabra" (Haug 2000: 183) wird ein gesellschaftlicher Lohn gefordert. Die Unmöglichkeit "Arbeit zu messen" (401), weil Kreativität und Kooperation nicht auf Messbarkeit reduziert werden könnten, führe zu einer Aufhebung der Trennung von Produktion und Reproduktion. Der gesellschaftliche Lohn solle daher jede Aktivität bezahlen, die für die Produktion des Kapitals notwendig ist. Die Forderung wird in linken Kreisen seit langem als Grundsicherung oder "Existenzgeld" (www.copyriot.com/diskus/, arranca.nadir.org) diskutiert (vgl. auch Gorz). Sie korrespondiert der Tatsache, dass postfordistische Arbeitsverhältnisse immer prekärer werden, dass Lohnarbeit immer weniger zur Reproduktion der Arbeitenden und Arbeitslosen angetan ist. Zu argumentieren, außerdem seien die kreativen und kommunikativen Tätigkeiten der "Multitude" allesamt produktiv und hätten einen Anspruch auf eine "gesellschaftliche" Entlohnung, kann ein zusätzliches Argument sein. Warum aber die vermeintliche Unmessbarkeit angeführt werden muss, ist unverständlich. Dass die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit nach wie vor tatsächlich das Maß des Wertes ist, und die auf dem Tauschwert beruhende Produktion noch nicht zusammengebrochen ist, wie Marx dies in den Grundrissen als Möglichkeit aufzeigte (Marx 1983: 601), widerspricht evident der saloppen Behauptung, immaterielle Arbeit könne darauf nicht reduziert werden: sie wird es.

Es gilt mit Haug: "Fragwürdig sind nicht die Ziele [der Postoperaisten], sondern die Illusion, sie seien schon erreicht." (Haug 2000: 201, Fußnote 23).

Die dritte Forderung ist schließlich das Recht der Wiederaneignung der Netzwerke der Kommunikation (405).

Fazit: The joy of being Communist

Positiv ist vor allem zu bewerten, dass die Autoren grundsätzlich keine ökonomistisch reduzierte Globalisierungstheorie aufstellen, wie dies sehr oft der Fall ist, sondern das Ganze im Blick behalten. Der Mangel an Empirie wäre allerdings nicht notwendig gewesen und erweist sich an vielen Punkten, da es um Plausibilität geht, als Schwachpunkt. Oftmals kommt man sich wie die Zuhörerin einer Predigt vor. So wird permanent auf eine neue Rechtsform verwiesen, ohne dass die Leserin je erführe, was sie sich darunter vorzustellen habe. "Es kann einen Weltmarkt nicht ohne eine Form rechtlicher Regulierung geben" (Negri 2001a), that's all; wie diese in concreto aussieht (vielleicht eine Art lex mercatoria als Privatregime oder eine supranationale Regulation durch Institutionen wie den EuGH) – man erfährt es nicht. Irgendwie muss man sich selbst zusammenbasteln, wie Luhmann und Rawls zusammenhängen (15).

Das Ganze mutet ein wenig wie eine handlungstheoretische Wendung der Weltsystemtheorie an, bzw. wie eine Reinterpretation der Weltsystemtheorie mit Blochs >Prinzip Hoffnung<. Das Empire ist supranational, global und total, aber es ist auch die Konsequenz der Kämpfe der "Multitude" und in diesem Sinne ist es das Ergebnis der Schwächen der alten Herrschaftsmechanismen. Das Imperium ist nur die Reaktion auf die erfolgreichen Klassenkämpfe der Vergangenheit.

Bleibt zu hoffen, dass sie auch in Zukunft so erfolgreich sind und die Sache nicht ins Stocken gerät. Vor allem aber noch einmal: Die konkrete Ausarbeitung eines wissenschaftlichen und auch politisch tragfähigen "Empire-Begriffs" steht noch aus. Zunächst wäre es schon ein großer Erfolg, in linken Zusammenhängen ungeniert und ohne Zynismus über grundlegende Gesellschaftsveränderung reden zu können.

Möglicherweise braucht eine Bewegung gerade eine gesunde Selbstüberschätzung. Eine Revolution der Depressiven hat die Welt wohl noch nicht gesehen. Ohne kollektive Selbstüberschätzung hätte sich wahrscheinlich nie jemand in Bewegung gesetzt um die Verhältnisse umzuschmeißen, bzw. "den ganzen alten Scheiß" (Marx) wegzufegen. Die 68er Bewegung ist hierfür ein gutes Beispiel. Adorno hatte mit seiner Kritik an der studentischen Revolte recht. Sie litt an rational nicht nachvollziehbarer Selbstüberschätzung. Der Glaube an eine nahe Revolution war 68 nur deshalb nicht so lächerlich wie heute, weil man damit nicht ganz alleine war (zumindest kannte man wahrscheinlich jemanden der/die auch jemanden kannte der/die auch daran glaubte). Der kollektiven Selbstüberschätzung geht aber die intellektuelle Selbstüberschätzung voraus. Wenn wir also wieder anfangen, uns kollektiv selbst zu überschätzen, dann erscheint das hier besprochene Buch vielleicht bald gar nicht mehr so komisch.

Wie auch immer, Adorno ist auch zuzustimmen in seinem Hinweis auf die Fatalität und die bürgerliche Immanenz der aktionistischen Selbstüberschätzung. Wo Selbstüberschätzung enden kann, wenn sie aus Selbstschutz in Affirmation umschlägt zeigt nicht nur der deutsche Außenminister. Die Erfahrung mit kollektiver Depression (bzw. aussichtsloser Aggression) oder kollektiver Affirmation nach dem Ausbleiben der gewünschten Revolution, muss dahingehend verarbeitet werde, dass die Linke (welche auch immer das sein wird) zu einer bewussten und deshalb produktiven Selbstüberschätzung gelangt, in der die Möglichkeit der Wirklichkeit wieder eine zentrale Rolle spielt. Wenn das Buch eine Debatte um ein neues emanzipatorisches (kommunistisches) Projekt, um Strategien des Widerstandes, anregen kann, hätte es seinen Beitrag dazu geleistet.

Anmerkungen

  1. Die Metapher "nicht Boxen, sondern Judo" äußerte Thomas Seibert in der Diskussion einer früheren Version dieses Artikels.Zurück zur Textstelle
  2. Hierin sind sich Weltsystemtheorie und Regulationstheorie einig, wenn auch die Regulationstheorie die Bedeutung der kulturellen und politischen Besonderheiten sehr viel entschiedener betont und sich, zu recht, gegen Wallersteins Annahme einer abstrakten weltweit wirkenden Kapitallogik wendet.Zurück zur Textstelle
  3. Das gilt auch für Robert Kurz, der ja schon länger auf den Zusammenbruch wartet und in einem 1999 veröffentlichten Aufsatz, trotz seines anderen theoretischen Hintergrundes, zu ganz ähnlichen Thesen gelangt wie Hardt und Negri. Bei Kurz klingt das Ganze natürlich etwas depressiver. Nach der Lektüre seiner Schriften bleibt immer das Gefühl zurück, man müsse das wenige Bargeld, das man hat, schnellstens loswerden und die Weinvorräte aufbessern, denn wer weiß, was es am Abend noch wert ist.Zurück zur Textstelle
  4. ...so dass man Ihnen durchaus den Vorwurf machen könnte, hier Begriffe ohne "Anschauung" zu produzieren. Allerdings ist dies Teil ihrer Strategie: der Umwertung und Aneignung aller Begriffe.Zurück zur Textstelle
  5. Unter dem Aspekt des Verschwindens der Grenze zwischen Mensch und Maschine kann auch die aktuelle Debatte um Sterbehilfe betrachtet werden. Selbstbestimmtes Sterben hieße dann, Einsicht in die eigene Unproduktivität und daraus folgende Demontage.Zurück zur Textstelle
  6. Wobei der von Hardt&Negri verwendete Begriff der "multitude" heterogener gemeint ist als der Klassenbegriff, was allerdings den Begriff auch sehr viel unbestimmter macht; so dass man darunter u.U. auch die bloße "Ansammlung von Kleinunternehmern" (Joachim Hirsch) verstehen könnte.Zurück zur Textstelle

Literatur

  1. Adorno, Theodor W. (1969): Marginalien zu Theorie und Praxis, in: Stichworte. Kritische Modelle 2, Frankfurt/M.
  2. Barbrook, Richard (1998): "Die heiligen Narren". In: Telepolis v. 22.12.1998 [www.telepolis.de]
  3. Candeias, Mario (2000): >>Der Neoliberalismus als neue Entwicklungsweise des Kapitalismus<<, in: Supplement zu Sozialismus, Heft 5/2000.
  4. Cox, Robert (1998): Weltordnung und Hegemonie – Grundlagen der Internationalen Politischen Ökonomie, FEG-Studie Nr. 11, Marburg.
  5. Foucault, Michel. (1998): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. 10. Aufl. Frankfurt am Main
  6. Gorz, André. (2000): Arbeit zwischen Misere und Utopie. Edition Zweite Moderne. Hrsg. v. Ulrich Beck. Frankfurt am Main.
  7. Haug, Wolfgang Fritz (2000): "'General intellect' und Massenintellektualität". In: Argument 235, S. 138 ff.
  8. Hirsch Joachim (2000): Postfordismus: Dimensionen einer neuen kapitalistischen Formation, Manuskript am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Frankfurt/M.
  9. Kurz, Robert (1999): Ökononie der Ausgrenzung. Der globale Kapitalismus und der Balkan, in: Jungle World 19/99.
  10. Lemke, Thomas (1997): Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität. Hamburg.
  11. Negri, Antonio. (2001a): "Empire - das höchste Stadium des Kapitalismus" . In: le monde diplomatique vom 12.01.01
  12. Ders. (2001b): "Was tun mit ‚Was tun?'". In: konkret 3/2001.
  13. Ders., Michael Hardt. (1997): Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne. Berlin – Amsterdam.
  14. Dies. Live Chat vom 01.05.00 zu Empire bn.com Live: Chat Transcripts [www.barnesandnoble.com]
  15. Klein, Naomi. (2001). No Logo. Rieman Verlag.
  16. Klotz, Ulrich. (2000): "Hierarchien sind die wahren Ideenkiller. Interview". In: Frankfurter Rundschau v. 03.04.00.
  17. Marx, Karl. (1983): MEW 42. Berlin.
  18. Sassen, Saskia (1994): Cities in a World Econemy . Thousand Oaks et al.
  19. Strange, Susan (1989): "Toward a Theorie of Transnational Empire". In: Czempiel/Rosenau. Global Changes and Theoretical Challenges: Approaches to World Politics for the 1990s, Toronto.
  20. Wallerstein, Immanuel. (1986): Das moderne Weltsystem Bd. 1 – Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert. Frankfurt am Main.
  21. Wallerstein, Immanuel (2000): Auf abschüssiger Strecke mit defekten Bremsen, in: Le Monde diplomatique August 11.8.00.
© links-netz Juni 2001