Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Krieg und Frieden Übersicht

 

  Text in eigenem Fenster anzeigen    rtf-Datei herunterladen 

Mit Reiterhosen und Tropenhelmen in der Wüste

American Empire und die neue Imperialismusdebatte

Jens Wissel

Die Ereignisse des 11.September haben zwar nicht dazu geführt, dass über Nacht alles anders wurde in der Welt, sie haben aber dazu beigetragen, dass sich die Sicht auf die Welt rasant verschoben hat. Zwar wurde schon vor dem 11.9 zu Genüge darauf hingewiesen, dass Begriffe wie Global Governance, friedliche Regimebildung und internationale Kooperation zentrale Aspekte im internationalen System ausblenden, geholfen hat es wenig. Macht- und Gewaltverhältnisse schienen, mindestens in den europäischen Debatten, keinen besonderen Stellenwert mehr zu haben.

In den US-Amerikanischen Debatten hat sich das schon immer etwas anders verhalten. Die Position der USA im Weltsystem hat auch dazu geführt, dass ‘realistische Theorien’1 der internationalen Beziehungen eine wesentlich größere Beachtung genießen als etwa in Europa. In den amerikanischen Diskussionen war man sich daher von jeher bewusst, dass internationale Politik mindestens genauso viel mit Macht und Gewalt zu tun hat wie mit ‘Good Governance’, bzw. dass ersteres und letzteres in engem Zusammenhang stehen.

Es verwundert also nicht, dass die neue Imperialismusdebatte hier ihren Ausgang nahm. Schon vor dem 11.9. und der radikalen Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik sprachen nicht wenige in den USA vom ‘American empire’.

Im Folgenden wird ein Überblick über die Debatten in den USA und Europa gegeben. Im letzten Teil des Artikels wird der Verlauf der Diskussionen um den neuen Imperialismus aus kapitalismuskritischer Sicht nachgezeichnet und gezeigt, welche theoretischen Schwierigkeiten dabei auftreten.

Das humanitäre Imperium

Es vergeht kaum ein Tag in den USA, an dem nicht in den bedeutenden Zeitungen und den politischen Journals über das neue Imperium diskutiert würde. Der Terminus ist keineswegs kritisch gemeint, im Gegenteil: für viele Autoren ist das amerikanische Empire eines, das seiner historischen Rolle als Hüterin der Weltordnung gerade dann gerecht werden kann, wenn es sich zu seiner imperialen Struktur bekennt. Robert Kagan, der von 1984-1998 als Mitglied des Council on Forein Relations im Außenministerium der Vereinigten Staaten arbeitete, lässt keinen Zweifel daran, dass die USA ihre imperiale Macht nutzen müsse, um die Welt zu ordnen. Die europäische Abneigung gegenüber Machtpolitik sei logische Folge der eigenen Machtlosigkeit, die man nicht weiter ernst nehmen müsse, da Europa selbst von der imperialen Politik der USA profitiere (2003, 45 und 117). Der Direktor des Olin Institut for Strategic Studies in Harvard, Stephen Peter Rosen schreibt: „Unser Ziel ist nicht die Bekämpfung eines Rivalen – denn es gibt keinen -, sondern die Aufrechterhaltung unserer imperialen Position und die Wahrung der imperialen Ordnung“ (zitiert nach Golub 2002). Für Dinesh D´Souza, Forscher an der „Hoover Institution“, ist das „amerikanische Empire [...] die großmütigste imperiale Macht aller Zeiten“ (zitiert nach Mann 2003, 24). Sebastian Mallaby schreibt in der Zeitschrift Foreign Affairs, dass die Weltunordnung geradezu nach einer imperialen Politik der Vereinigten Staaten schreie. Alle nicht-imperialistischen Optionen haben sich für ihn als ineffizient erwiesen (2002). Auch liberale Autoren wie Michael Ignatieff, Professor für Menschenrechtspolitik an der Kennedy School of Government in Harvard, beziehen sich affirmativ auf den neuen Imperialismus. Ignatieff fordert in diesem Zusammenhang einen ‘weichen Imperialismus’, der über gezielte Luftschläge hinausgehen müsse, um die Ordnung in den entsprechenden Regionen wieder herzustellen.

Wo sich genaue gesellschaftliche und historische Analysen erübrigen, wird Imperialismus kurzerhand zur Voraussetzung von Demokratisierung. „Was 1945 für Deutschland und Japan galt und heute nicht weniger wahr ist, bildet das zentrale Paradox des Imperialismus. Er ist zur Vorbedingung für Demokratie geworden“ (Ignatieff 2003a, 28). Im Unterschied zum alten Imperialismus, der immer nur eine Hauptstadt kannte, die mit den anderen Imperien im Konflikt stand, funktioniere der neue humanitäre Imperialismus wesentlich gemütlicher, vergleichbar einer Hausgemeinschaft. Washington gebe den Ton an und London, Paris und Berlin folgten zögerlich (ebd., 22).

„Das Imperium des 21. Jahrhunderts ist ein Neuankömmling in den Annalen der politischen Wissenschaft. Es ist ein Empire lite – eine globale Hegemonie, deren Merkmale freie Märkte, Menschenrechte und Demokratie sind, durchgesetzt mit Hilfe der abschreckendsten Militärmacht, die es je gegeben hat. Es ist der Imperialismus eines Volkes, dem immer vor Augen steht, daß es die Unabhängigkeit erwarb, indem es gegen ein Empire revoltierte, eines Volkes, das sich als Freund der Freiheit in aller Welt versteht.“ (Ignatieff 2003b, 17)

Trotz der ‘realistischen’ Tradition in den amerikanischen Politikwissenschaften sind Begriffe wie Imperialismus, imperial oder Imperium als Selbstdefinition der USA durchaus neu, denn diese sah sich bisher als eine antiimperialistische Macht. Heute aber beschwört die Analogie zum Britischen Empire nicht mehr bei allen AmerikanerInnen „unangenehme historische Bilder von Rotröcken und Steuern herauf.“ (Mann 2003, 22). Der Wall-Street-Journal Redakteur Max Boot ist der Meinung, „Afghanistan und andere Länder in Schwierigkeiten rufen heutzutage nach der Art aufgeklärten Fremdverwaltung, die einst von selbstsicheren Engländern in Reiterhosen und Tropenhelmen ausgeübt wurde“ (zitiert nach Johnson 2003, 97).

Dennoch scheint es eine weit attraktivere Analogie zu geben, nicht zuletzt auch weil das Britische Empire bekanntlich nicht sehr lange vorhielt, also „besser schnell ein paar Jahrhunderte zurück, zum erhabensten Empire überhaupt, und schon reimt sich: pax romana, pax amerikana.“ (Mann 2003, 22)

Nicht alle Autoren, die vom Empire reden, sind Befürworter von imperialer Politik. Für Michael Mann entpuppt sich das „American Empire [...] als militärischer Riese, ökonomischer Trittbrettfahrer, politisch Schizophrener und ideologisches Phantom“ (ebd., 27). Für ihn haben wir es daher „mit einem ungeordneten Empire, mit einer ‘ohnmächtigen Supermacht’ zu tun, deren unerschütterlich selbstsicherer und hyperaktiver Militarismus sie schon bald zerstören wird.“ (ebd., 30). Ähnlich wie Immanuel Wallerstein, der von einem rasanten Abstieg der USA als Weltmacht ausgeht (Wallerstein 2003)2, glaubt Mann, dass die imperialistische Politik den USA selbst schaden, weil sie „einen weltweiten ‘Rückstoß’ produzieren, der auch Länder berührt, die für die Interessen der USA bedeutender sind als der Irak.“ (2003, 324).

Der Politikwissenschaftler Chalmers Johnson macht diese These schon 2000 zum Titel seines Buches (‘Blowback’ deutsch: Ein Imperium zerfällt). Für ihn ist Globalisierung gewissermaßen nur der emphatische Ausdruck für Imperialismus (2003, 341ff.). Das amerikanische Imperium werde in diesem Prozess unnötig überdehnt, was tödliche Folgen haben könne. Eine der Hauptursachen dieser Entwicklung liegt für ihn in der Macht des Militärisch-Industriellen Komplexes, dieser hat sich, so Johnson, „zu einem wahren Tummelplatz für ‘pensionierte’ hochrangige Offiziere entwickelt, ebenso wie im Gegenzug viele Manager von Rüstungsbetrieben vom Pentagon in hohe Ämter berufen werden. Diese ‘Zirkulation von Eliten’ hat die Fähigkeit des Kongresses untergraben, das Verteidigungsministerium oder die Rüstungsindustrie einer effektiven Kontrolle zu unterziehen, was wiederum dazu geführt hat, dass hinsichtlich der öffentlichen Rüstungsausgaben praktisch keine Rechenschaftspflicht mehr besteht.“ (Johnson 2003, 83). In diesem Prozess habe sich die USA von einer Republik in ein Imperium verwandelt. Wie für Michael Mann äußert sich der Imperialismus durch einen zunehmenden Militarismus, die Autoren bewegen sich damit in guter alter Tradition: Schon John A. Hobson betonte, „Imperialismus ... bedeutet Militarismus für die Gegenwart und ruinöse Kriege für die Zukunft“ (zitiert nach Kößler 2003, 530).

Für Mann war der neue Imperialismus schon in der grenzenlosen Macht angelegt, „die das amerikanische außenpolitische Establishment nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion“ zu haben glaubte (2003, 19). Es bedurfte aber noch dreier Auslöser, um dem neuen Imperialismus zum Durchbruch zu verhelfen (ebd., 20ff.).

Erstens ermöglichten die Verzerrungen im amerikanischen Wahlsystem, „die die kleineren, ländlichen und konservativen Staaten begünstigt,“ und die nicht nur in Florida üblichen (fehlerhaften) Wahlmaschinen, dass Bush die Wahl gewinnen konnte, obwohl er „nur die Unterstützung von weniger als einem Viertel der wahlberechtigten Amerikaner erhielt“ (ebd., 20).

Der zweite Grund lag im Einzug der „neokonservativen Etappenfalken“ ins Weiße Haus, die, beeinflusst durch christlich-fundamentalistischen Missionseifer auf Kriege gegen ‘das Böse’ aus waren.

Der dritte Auslöser war der 11.9.2001. „Osama bin Laden lieferte an diesem Tag die Macht zur Mobilisierung der Bevölkerung – und die Ziele. ‘Terroristen’ waren mit einem Schlag die Hauptfeinde, arme Länder (und das reiche Israel) mussten vor der Bedrohung durch ‘fundamentalistische’ Muslime und ‘Schurken’-Staaten gerettet werden“ (ebd., 21).

Im Unterschied zu den alten Imperialismen haben die neuen Imperialisten „nicht vor, permanent über fremde Länder zu herrschen. Das gegenwärtige Empire soll eine weitgehend indirekte und informelle Gestalt behalten, wenn dazu auch bisweilen Drohungen, Zwang oder die militärische Invasion fremder Gebiete notwendig sein werden, die man dann maßregelt und wieder verlässt“ (ebd., 27). Es ist diese informelle Form der Herrschaft, gepaart mit dem, in der Tradition von Woodrow Wilson stehenden, idealistischen Imperialismus, die eine Reformulierung des alten zivilisatorischen Anspruches der Imperialisten ermöglichte (Johnson 2003, 97). Sabah Allnaseri (2003) hat diese scheinbar neue Rhetorik der Herrschaft treffend ‘Befreiungsimperialismus’ genannt. Gerade diese Rhetorik ist aber verräterisch. Zurecht verweist Philip S. Golub in Le Monde diplomatique darauf, dass sich hinter der „ganze Semantik“ – dem ständigen „Gerede vom Kampf zwischen ‘Zivilisation’ und ‘Barbarei’, von ‘Befriedung’ der Barbaren – das klassische imperiale Denken“ verbirgt (2002).

Die Ursache dafür, dass dieses neue Empire scheitern wird, liegt für Mann, in der extrem ungleichen Verteilung der Machtressourcen. „Das führt nicht zum allgemeinen Zusammenbruch, sondern zu einem imperialen Ungleichgewicht und zum außenpolitischen Scheitern“ (2003: 27). Die „neuen Imperialisten“ überschätzen „die Stärke der USA“ permanent, „da sie sich einzig auf die militärische Macht konzentrieren. Sie vergessen dabei, dass die ökonomische Macht der USA irgendwie zerbrechlich ist, die politische Macht ignorieren sie ganz (was vor allem die Inkompetenz in der Planung des Angriffs auf den Irak gezeigt hat). Und den Grundlagen der ideologischen Macht der Vereinigten Staaten steht ihr Handeln diametral entgegen“ (ebd., 30). Die US-Hegemonie könne nur bewahrt werden, wenn die USA freiwillig auf ihr imperiales Projekt verzichte (ebd., 27).

Aber auch wenn sich die Vereinigten Staaten dieser Einsicht verweigern, werden sie früher oder später auf eine multilaterale Politik zurückkommen müssen.

„Die USA haben keine Ordnung in die Welt gebracht. Während der vergangenen zehn Jahre, als die USA Hegemonialmacht waren, gab es mehr Kriege, Bürgerkriege und Terrorismus als zuvor. Wie können angesichts dieser Tatsachen so viele Theoretiker den Hobbesschen Vorstellungen anhängen, dass die Welt eine souveräne Macht braucht, die alle bindet? Die Amerikaner müssen sich entscheiden, ob sie die Hegemonie wollen und sich dann an die Regeln halten. Doch wenn sie das Empire wollen und damit scheitern, werden sie auch die Hegemonie verlieren. Die Welt würde das wenig kümmern. Sie käme mit den multilateralen Folgen zurecht.“ (ebd., 331)

American Empire und der europäische Wille zum Frieden

Inspiriert von der angelsächsischen Debatte hat auch in Europa die Diskussion um den neuen Imperialismus an Fahrt gewonnen. Neben den Befürwortern eines amerikanischen Imperiums und denen, die es ablehnen, gesellt sich hier eine dritte Position von AutorInnen, die sich Europa als (mehr oder minder) friedliche Gegenmacht wünschen. Die Grenzen zwischen den letzten beiden Diskursen sind allerdings nicht immer klar zu ziehen, die Ablehnung des US-Empires und die Vorstellung von Europa als Friedensmacht fallen meist zusammen. Mitunter geht aber auch die Befürwortung des Empires mit der Forderung nach europäischer Friedenswacht einher.

Zu den prominentesten Vertretern der Empirethese gehört im deutschsprachigen Raum zweifellos der Politologe Herfried Münkler. Imperien weisen für ihn eine andere Logik auf als die üblichen Staaten, die eingebettet sind in die Staatenwelt. „In Territorialstaaten hat die Machtausübung an jedem Ort und zu jeder Zeit in gleicher Weise zu erfolgen, und das gilt umso mehr, je stärker die Staatsmacht Rechtsprinzipien unterworfen ist, der Staat sich also zum Rechts- und Verfassungsstaat fortentwickelt hat. Imperiale Machtausübung dagegen ist nach einem System von Kreisen und Ellipsen geordnet, die vom Zentrum zur Peripherie auseinander laufen“ (Münkler 2003b), dabei treten Imperien immer mit dem Anspruch des zivilisatorischen Fortschrittes auf. Hieraus resultiere auch, dass sich Imperien außerhalb von zwischenstaatlichen Anerkennungsverhältnissen bewegen (Münkler 2003d, 107).

Es sind diese grundlegenden Unterschiede und die daraus folgenden unterschiedlichen Perspektiven, die etwa in Konfliktfällen wie während des Irakkrieges zu Missverständnissen, bzw. Kommunikationsproblemen zwischen dem Imperium und den Staaten der inneren Peripherie führen können.

Staaten sind aufgrund ihrer Einbettung in der Staatenwelt für „Forderungen eines friedlichen Interessensausgleichs empfänglicher als Imperien, die sich in einer weitgehend als feindlich wahrgenommenen Umwelt behaupten zu müssen meinen.“ (ebd.). Die Bevorzugung nichtmilitärischer Konfliktlösungsstrategien resultiere aber, hier folgt Münkler Kagans Argumentation, auch aus dem simplen Fakt, dass Europa nicht die militärische Fähigkeit hat, Konflikte gewaltsam zu lösen. (Münkler 2003a, 148)

Das Imperium hingegen muss, der Ordnung halber, genau dieses immer wieder und an unterschiedlichen Orten der Welt tun. Im Falle des Irakkrieges, hier folgt Münkler der Argumentation von Sebastian Mallaby, war der „entscheidende Grund für die amerikanische Kriegspolitik am Golf [...] danach die Abwesenheit attraktiver Alternativen“ (Münkler 2003a, 46). Die Interessen die hinter dem Krieg im Irak stehen, liegen für ihn darin, „in der Golfregion nicht bloß ein seit langem vorhandenes Bedrohungspotenzial zum Verschwinden zu bringen, sondern hier ein stabiles Prosperitätsregime zu installieren, das auf die gesamte Region positiv ausstrahlt.“(ebd., 50) Das liest sich in der Tat, wie eine „Vision [...] aus einer Hochglanzbroschüre des Weißen Hauses abgeschrieben“, wie Volker Ulrich in der Zeit bemerkt (2003).

Nichts anderes lässt sich von Dan Diner sagen, auch für ihn läuft die imperiale Politik Amerikas in der arabischen Welt auf „die Durchsetzung einer auf Freiheit und Prosperität beruhenden bürgerlichen Gesellschaft [hinaus].“ Das Ziel des Imperiums sei „die Beförderung von auf Demokratie und Pluralismus beruhenden Gemeinwesen“ (2003, 269). Wie konsequent Diner die reale Rolle der USA im Weltsystem ausblenden muss, um sich zum Fürsprecher des „demokratischen Empire“ machen zu können, zeigt seine Einschätzung des Kalten Krieges. Dieser war „ganz ohne Zweifel ein Weltbürgerkrieg der Werte zwischen Ost und West – zwischen dem Prinzip der Freiheit einerseits und dem einer behaupteten buchstäblichen Gleichheit andererseits“ (ebd., 264). An Chile und Vietnam zu erinnern, um nur zwei Beispiel zu nennen, in denen das ‘Prinzip der Freiheit’ zu verwirklichen versucht wurde, sollte sich eigentlich erübrigen. Nicht weniger absurd wäre es, die Sowjetunion als die Vertreterin des Prinzips ‘der freien Assoziation freier Individuen’ zu feiern.

Emanuel Todd, der am Institut National d`Etudes Démographiques in Frankreich arbeitet, gehört nicht zu den Befürwortern des amerikanischen Imperiums. Seine Position ist in mancherlei Hinsicht mit der von Michael Mann vergleichbar, auch wenn sein Buch mit einer ganzen Reihe ‘mentalitätssoziologischer’ Merkwürdigkeiten gespickt ist (siehe unten). Todd hält die USA nicht dazu in der Lage, ein Empire durchzusetzen. „Keine noch so intelligente Strategie erlaubt es Amerika, seine halb-imperiale Situation in ein Imperium de jure und de facto zu verwandeln. Amerika ist dafür wirtschaftlich, militärisch und ideologisch zu schwach.“ (2004, 239). Die entscheidenden Mächte der heutigen Welt könne die USA nicht kontrollieren, „mit Japan und Europa kann es wirtschaftlich nicht mithalten, Russland kann es als Atommacht nicht ausschalten“, um wenigstens den Anschein einer Weltmacht zu wahren, musste es, „außenpolitisch und militärisch gegenüber unbedeutenden Staaten aktiv werden: gegen die ‘Achse des Bösen’ und gegen die arabische Welt, zwei Sphären, deren Schnittmenge der Irak bildet“ (ebd, 240f.). Todd bezeichnet diesen auf die Außenwirkung zielenden Interventionismus gegen ausgewählt schwache Gegner als „theatralischen Militarismus“ (ebd., 242). Das Ergebnis war aber, so Todd, nicht das erwünschte.

„Der demonstrative Militarismus Amerikas, der dazu dienen soll, die militärische Unterlegenheit aller anderen Akteure weltweit vorzuführen, hat schließlich die wahren Mächte der Erde beunruhigt, und sie zur Annäherung veranlasst. Europa, Japan und Russland“ (ebd., 241). Enden wird diese Situation allerdings nicht in einer Ablösung der USA durch eine andere Macht, „weil alle beteiligten Mächte – nicht nur Amerika – grundlegende Schwächen aufweisen. Europa ist durch seine mangelnde Einigkeit und durch seine demographische Krise behindert, Russland durch seine wirtschaftliche und demographische Schwäche, Japan durch seine geographische Isolierung und ebenfalls durch seine demographische Situation. Deshalb wird die Partie nicht mit einem Matt enden, das heißt mit einem Sieg einer einzelnen Macht, sondern mit einem Patt, einer Situation, in der keiner mehr herrscht.“ (ebd., 244)

Die weltpolitische Analyse von Emanuel Todd geht einher mit dem Versuch, an der Herausbildung einer europäischen Identität mitzuarbeiten. Dies nimmt mitunter fast groteske Züge an, beispielsweise wenn er darlegt, warum die alte Welt nachhaltiger wirtschaftet als die USA. „Die europäischen Gesellschaften gingen aus der Knochenarbeit armer Bauern hervor, die jahrhundertelang unter der Kriegslust der herrschenden Schichten litten und denen Frieden und Wohlstand erst sehr spät beschieden waren. Neben den meisten Ländern der Alten Welt gilt dies auch für Japan. In all diesen Gesellschaften herrscht deswegen, wie durch einen genetischen Code bestimmt, noch immer ein instinktives Verständnis für ausgewogene Wirtschaftsweisen vor.“ (ebd., 220)

In dieser diskursiven Konstruktion europäischer Überlegenheit scheint ein Motiv auf, das in Europa, in Bezug auf europäische Friedenspolitik, den Sprung in die offizielle Politik geschafft hat. Europa habe ein besonderes Interesse an Frieden, weil es die bittere Erfahrung von zwei Weltkriegen hautnah gemacht habe, so die Argumentation. Neben Joschka Fischer und dem früheren französischen Außenminister Dominique de Villepin scheint auch vielen Intellektuellen diese Argumentation einzuleuchten. In der Duisburger Erklärung zur „Neugestaltung des transatlantischen Verhältnisses“ heißt es etwa: „Nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und mehrer Jahrhunderte des Blutvergießens in Europa durch skrupellose Machtpolitik einzelner Staaten oder Staatengruppen sollte der alte Kontinent gelernt haben, wie wichtig Mechanismen friedlicher Konfliktbeilegung im internationalen Rahmen sind. Die Bedeutung dieser historischen Erfahrung erkennen amerikanische Europakritiker wie Robert Kagan nicht.“ (Duisburger Erklärung 2004; siehe auch Habermas und Derrida 2003).

Hier wird offensichtlich am Gegenempire gearbeitet, zu dem auch das Bild des geläuterten und deshalb zivilisierteren gehört, denn Imperien sind bekanntlich immer im Auftrag der Zivilisation unterwegs. Ein Blick in die europäische Nachkriegsgeschichte hätte genügt um, eines Besseren zu belehren. Die Liste gewalttätiger und kriegerischer Auseinandersetzung mit europäischer Beteiligung wäre zu lang, um sie hier anzuführen. Auch scheint schon vergessen, dass der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien völkerrechtswidrig und gegen den UN Sicherheitsrat geführt wurde. Das erschreckendste Beispiel europäischen Friedenswillens der Nachkriegszeit bleibt aber zweifellos die (auch militärische) Kooperation Frankreichs mit der ruandischen Völkermordregierung, die selbst dann beibehalten wurde, als allgemein bekannt war, dass der Völkermord in Ruanda Dimensionen annahm, die ohne Beispiel in der Nachkriegsgeschichte sind (nachzulesen bei DesForges, 2003, 772ff.)3. Der konsequente Ausbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee lässt sich nur schwer als Beitrag zur friedlichen internationalen Kooperation umdeuten, auch wenn fleißig daran gearbeitet wird. Stefan Klingebiel und Katja Roehder vom deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), stellen beispielsweise „eine zunehmend engere zivilmilitärische Verknüpfung“ in der Entwicklungspolitik fest und sind der Meinung, dass „diese Berührungspunkte keineswegs immer und prinzipiell schwierig [seien]. Sie bieten vielfach erst die Vorraussetzung für ein abgestimmtes Handeln verschiedener Politiken.“ (Klingbiel/Roedher 2004).

Robert Cooper, ehemaliger Berater von Tony Blair, nennt die neue Aufgabe, der Europa gegenübersteht, beim Namen: „Die Herausforderung für die postmoderne Welt besteht [...] darin, sich an den Gedanken der Doppelmoral zu gewöhnen. [...] Im Umgang miteinander halten wir uns an Recht und Gesetz, doch wenn wir im Dschungel agieren, müssen wir uns nach den Gesetzen des Dschungels richten“ (zitiert nach Kagan 2003, 87)4.

Die europäischen Erfahrungen mit der ungeschminkten Dominanz des US-Imperiums scheint die europäische Sicht der Welt auch dahingehend zu verändern, dass nicht wenige zu dem Schluss gelangen, man brauche, um als ‘Friedensmacht’ ernst genommen zu werden, erst mal eine schlagfähige europäische Armee. M.a.W. man bekämpft den amerikanischen Militarismus durch die Militarisierung Europas. Hier wird eine gut organisierte und vor allem professionelle Angriffsarmee zur Voraussetzung von Friedenspolitik. George Orwell lässt grüßen.

Die vornehmste Variante dieser Art von Politikberatung findet sich wiederum bei Herfried Münkler, der die wehrhafte, aber friedliebende Athene als Vorbild für Europa auserkoren hat. Will Europa nicht zum untergeordneten Verbündeten der USA werden, muss es demnach ein „Mindestmaß an Fähigkeit zur militärischen Selbstbehauptung“ bereitstellen, „auch und gerade bei der Stabilisierung der europäischen Peripherie“ (Münkler 2003c). Anders formuliert, will Europa mehr, als „Straßen, Schulen, Kanalisation und Wasserversorgung“ im Kosovo und in Afghanistan bauen (Ignatieff 2003, 86), bzw. „Streifengänge in den Grenzgebieten“ (ebd. 23) des Empires machen, dann muss es in die Lage versetzt werden, seine Kriege selbst führen zu können.

Egon Bahr wiederum kann sich mit dieser imperialen Arbeitsteilung anfreunden, vermag sich doch Europa in dieser Position als Friedensmacht zu profilieren. Die „europäischen Streitkräfte wären damit letztlich Träger der europäischen Idee, Konflikte durch Vernunft und Verträge zu lösen“ (2003, 130). Europa, so könnte man schlussfolgern, ist demnach Teil des Empire, kann aber die weniger vornehmen Arbeiten den Vereinigten Staaten überlassen.

Außer bei Hefried Münkler, der die Frage nach den Gründen für die imperiale Politik mit dem Hinweis auf die Funktion imperialer Politik umgeht, Dan Diner, der auf der Ebene des Diskurses bleibt und Michael Mann, der immerhin systematisch nach den Vorraussetzungen imperialer Politik fragt, ist in dieser Debatte, die weniger wissenschaftlich, als vielmehr politisch motiviert ist, ein handlungstheoretisches Übergewicht in der Argumentation zu beobachten. M.a.W. Imperialismus ist das Resultat von Strategien, wahlweise des Militärisch-Industriellen Komplexes, der Neokonservativen, der Neoliberalen oder aller drei Gruppen zusammen.

Das ist sicherlich nicht ganz falsch. Eine tiefergehende Reflexion über den neuen Imperialismus, die sich nicht damit zufrieden gibt, „daß es das Böse nun einmal gibt“ und Imperien daher notfalls mit Gewalt für Ordnung sorgen müssen (Boot 2003, 60), sollte aber auch nach den strukturellen Ursachen fragen, die es den Akteuren ermöglicht, ihre Strategien umzusetzen. Und es muss vor allem eine Erklärung gefunden werden, warum es im Kapitalismus immer wieder zu expansiven Phasen kommt, die in der Regel von imperialer Politik begleitet werden. Die bisher diskutierten Autoren geben hierauf keine Antworten.

Imperialismustheorien oder Macht, Kapital, Imperialismus?

In den durch die Marxsche Theorie inspirierten Diskussionen war der Imperialismusbegriff, nach dem Revival der Imperialismusdebatte in den 70er Jahren des letzten Jahrhundert, lange in der Versenkung verschwunden. In letzter Zeit zeichnet sich aber auch hier ein Aufleben der Debatte ab (Hardt/Negri 2002; Z. 52; Panitch/Leys 2003; Prokla 133; Zeller 2004; Alnasseri 2004; Görg 2004).

Leo Panitch und Sam Gindin weisen in ihrem Beitrag darauf hin, dass das zwischenzeitliche Verschwinden dieser Diskussionen hinter den alles dominierenden Globalisierungsdebatten durchaus auch Gründe in den theoretischen Ungenauigkeiten des Imperialismusbegriffs hatte (2004). Karl Kautzky machte auf dieses Problem schon vor 90 Jahren aufmerksam: „Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, was wir unter Imperialismus zu verstehen haben. Dieses Wort wird heute auf Schritt und Tritt gebraucht, aber je mehr man darüber spricht und diskutiert, desto unbestimmter wird es, was natürlich jede Verständigung erschwert“ (zitiert nach Panitch/Gindin 2004, 12).

Aber auch vermeintliche Klarheiten hatten den Begriff vorrübergehend diskreditiert. Allzu schnell wurde von ökonomischen Strukturen auf politisches Handeln geschlossen, ganz zu schweigen von den teleologischen Implikationen, die man von Lenin geerbt hatte.

„Die Linke“, so schlussfolgern Panitch und Gindin, „bedarf einer neuen Theoretisierung des Imperialismus – einer Theorie, die die Grenzen der alten marxistischen ‘Stufentheorie’ über die zwischenimperialistische Konkurrenz hinter sich lässt und genügend Raum für eine umfassende Würdigung der historischen Faktoren bietet, die zur Formierung eines einzigartigen amerikanischen informellen Imperiums geführt haben.“ (2004, 15f.).

Dass nicht unvermittelt an die Debatten der 70er angeschlossen werden kann, liegt auch daran, dass sich der globalisierte Kapitalismus seit dieser Zeit maßgeblich verändert hat. Die neoliberale Globalisierung hat dazu beigetragen, dass das traditionelle Bild vom Zentrum-Pheripherie-Verhältnis, „das darauf beruht hatte, dass die kapitalistischen Metropolen die Peripherie in ökonomisch-politischer Abhängigkeit halten und damit wesentlicher Entwicklungsmöglichkeiten berauben“, die Wirklichkeit nicht mehr angemessen trifft. „In Teilen der Peripherie entstehen weltmarktintegrierte Wachstumspole und zugleich nehmen auch innerhalb der Zentren sozial-räumliche Ungleichheiten zu. Auch dort breiten sich teilweise „Drittwelt“-Lebensbedingungen aus“ (Hirsch 2001, 34; zur Kritik der Dependenztheorie siehe auch Altvater 1987, 57ff.).

Der Begriff des Imperialismus liegt an der Schnittstelle von Politik und Ökonomie, das macht ihn so schwierig. Wird dies verkannt und die Eigenständigkeit von Politik in der allgemeinen Bewegung des Kapitals aufgelöst, wird der Begriff überflüssig. Eine zentrale staatstheoretische Erkenntnis würde damit ignoriert. „There can be neither capital accumulation nor imperialism without states, or without the uneven development and relations of domination between states within the world market“ (Albo 2003, 90).

Auch der Versuch, alle sozioökonomischen und politischen Entwicklungen im Kapitalismus unter dem Begriff des Imperialismus zu subsumieren, ist kontraproduktiv. Die Differenz zwischen Imperialismus und Kapitalismus geht dabei verloren. Diese Gefahr droht auch bei Wolf-Dieter Narrs Beitrag, die immer tiefer gehende kapitalistische Durchdringung der Gesellschaft als ‘introvertierten Imperialismus’ zu fassen (Narr 2003).

Wird andererseits jeder Zusammenhang von politischem Handeln und ökonomischen Strukturen geleugnet, landet man bei voluntaristischen Verschwörungstheorien.

Es gehr also darum, im Imperialismusbegriff die Vermittlung von Politik und Ökonomie zu denken. Phasen innerer Expansion sind dabei ebenso wenig imperialistisch wie Kapitalexport oder Produktionsauslagerung per se imperialistisch sind. Imperialistisch werden diese erst, wenn sich die Anleger oder Investoren nicht mehr mit dem hohen Risiko der Auslandsanlagen abfinden wollen und von ihren Regierungen verlangen, Sicherheit im Ausland herzustellen (vgl. Arendt 1975, 54f.), oder wenn die Expansion erst durch die politisch erzwungene Öffnung anderer Volkswirtschaften ermöglicht wird.

Geht man davon aus, dass es Phasen (dominanter) innerer Expansion gibt, wie beispielsweise im binnenmarktzentrierten Fordismus, dann heißt dies auch, dass es keineswegs eine ökonomische Zwangsläufigkeit gibt, die sich in Imperialismus übersetzt, wie dies etwa Lenin für die Phase des ‘Monopolkapitalismus’ annahm. Hier scheint Hobson ausgerechnet an der Stelle Recht zu behalten, die Lenin nicht von ihm übernommen hatte. Auch während des Fordismus ist der Imperialismus nicht verschwunden. Dies kann aber nicht auf ökonomische Notwendigkeiten reduziert werden. Zentral waren in diesem Zusammenhang vielmehr die geopolitischen Auseinandersetzungen im Rahmen des Ost-West Konfliktes.

Es ist nicht verwunderlich, dass in den neuen Diskussionen viele Autoren auf Rosa Luxemburg zurückgreifen, denn „alleine Rosa Luxemburg hatte versucht, den Imperialismus aus der grundlegenden Akkumulations- und Krisendynamik des Kapitalismus zu begründen“5 (Hirsch 2004; siehe auch Harvey 2003; Ahmad 2003; Alnasseri 2004).

Ausgehend von ihrer Unterkonsumtionstheorie versucht sie zu zeigen, dass die Kapitalreproduktion aus sich heraus nicht bestandsfähig ist und deshalb immer auf nichtkapitalistische Produktionsformen angewiesen bleibe. Für Luxemburg hat die Akkumulation des Kapitals aus diesem Grund zwei Seiten: Die eine ist die der Produktion des Mehrwerts als rein ökonomischer Prozess. „Die andere Seite der Kapitalakkumulation vollzieht sich zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen. Ihr Schauplatz ist die Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihensystem, Politik der Interessensphären, Krieg. Hier treten ganz unverblümt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden“ (Luxemburg 1966, 430f.).

Luxemburg geht also davon aus, dass der kapitalistische Reproduktionskreislauf auf den permanenten Rückgriff auf nichtkapitalistische Milieus angewiesen sei. Dies führe dazu, dass auf die inneren Expansion im Konkurrenzkapitalismus die imperialistische Phase folgte. In dieser Phase untergräbt der Imperialismus durch seine Vereinnahmung noch nicht kapitalistischer Regionen seine eigenen Bestandsbedingungen, sodass die Aufteilung und völlige Durchkapitalisierung der Welt auch das Ende des Kapitalismus impliziert (siehe Heinrich 2003, 289).

Problematisch an Rosa Luxemburgs Imperialismustheorie sind nicht nur die teleologischen Schlussfolgerungen. Auch die ökonomietheoretische Begründung der notwendigen Expansion ist fragwürdig (siehe Müller 2002).

David Harvey geht im Gegensatz zu Luxemburg nicht von einer Unterkonsumtionstheorie aus, sondern von einer Theorie der Überakkumulation (2003, 16). Harvey argumentiert, dass der Kapitalismus dazu tendiert, „Überakkumulationskrisen hervorzubringen. [...] Das Problem besteht in der Notwendigkeit, profitable Abflussmöglichkeiten für überschüssige Kapitale zu finden. Die offensichtliche Antwort auf dieses Problem liegt im Kapitalexport (von Geld, Waren oder Produktionskapazitäten) in profitträchtige Regionen (oder, und das läuft letztlich auf das selbe hinaus, in Kostensenkungen durch Import von Niedriglohnarbeitskräften und billigeren Rohstoffen“ (Harvey 2004, 39; ähnlich argumentiert auch Hirsch 2004). Hier liegt für Harvey der ökonomische Grund für die immer wieder auftretende Tendenz zum Imperialismus.

Politisch resultiere Imperialismus „daraus, dass Regierungen, die innenpolitisch unter Druck stehen, häufig bestrebt sind, ihre Probleme zu lösen, indem sie außenpolitische Abenteuer betreiben oder äußere Bedrohung konstruieren, um Loyalität und nationale ‘Solidarität’ herzustellen“ (2004, 40)

Aus der ökonomischen Tendenz zur Expansion resultiert keineswegs eine ökonomische Zwangsläufigkeit. So stellt Harvey fest, dass auf die erste Phase des Imperialismus zwischen 1884 und 1945 eine Phase globaler Herrschaft der Bourgeoisie folgte, die weitgehend durch den Kalten Krieg gekennzeichnet war. Die militärische und ökonomische Führerschaft der USA führte zu einem „‘Superimperialismus’, der eher politisch und militärisch begründet war, als dass er ein Ausdruck ökonomischer Notwendigkeit gewesen wäre“ (Harvey 2003, 21f.).

Nach dem Zusammenbruch dieses Systems versuchten die USA, so Harvey, ein neues zu errichten, „das auf einer Mischung aus neuen internationalen und finanzinstitutionellen Vereinbarungen basiert, um der ökonomischen Bedrohung durch Deutschland und Japan zu begegnen und die ökonomische Macht, in Gestalt des von der Wall Street aus operierenden Finanzkapitals, neu zu konzentrieren“ (ebd., 23). Ob dies gelinge, sei noch nicht abzusehen, da die ökonomische und politische Situation schon vor dem 11. September ausgesprochen labil war.

„Die Rezession, die im Frühjahr 2001 begann und durch den Schock am 11. September noch forciert wurde, wollte partout nicht verschwinden. Die Arbeitslosigkeit stieg und das Gefühl der ökonomischen Unsicherheit war mit den Händen greifbar. Skandale in den Konzernetagen und Bilanzfälschungen (sowie Fälle glatter Korruption) überschlugen sich; scheinbar solide Konzernimperien lösen sich buchstäblich über Nacht in Wohlgefallen auf“ (2004, 40).

Auch bezüglich der internationalen Kräftekonstellation befänden wir uns in einer Übergangssituation. Gestalt und Struktur des neuen Imperialismus sei daher noch offen.

Der 11. September habe aber eine Situation geschaffen in der durch den ‘Krieg gegen den Terror’ vorzüglich von den ausgesprochen konfliktreichen Verhältnissen und der ökonomischen Krise in den USA abgelenkt werden könne (ebd., 40).

Harveys Resümee bezüglich der USA klingt bekannt. „Die USA, deren Vorherrschaft sich in der unmittelbaren Nachkriegsperiode auf die Macht der Produktion, auf die finanzielle und militärische Macht stützte, haben ihre Überlegenheit in der Produktion nach 1970 eingebüßt und sind möglicherweise gerade dabei, auch die finanzielle Übermacht zu verlieren, so dass nur noch die militärische Stärke übrigbleibt“ (Harvey 2003, 31).

Michael Hardt und Antonio Negri, die die neue Debatte aus kapitalismuskritischer Sicht 2000 (deutsch 2002) mit ihrem Buch Empire eröffnet hatten, haben eine grundlegend andere Perspektive eingenommen. Sie differenzieren zwischen Imperialismus und Imperium. Im Unterschied zum Imperialismus, der aus der Zeit der Nationalstaaten stamme, stellt das Empire eine völlig neue Form der Souveränität dar. Diese neue Souveränität habe sich aus der amerikanischen Verfassung heraus entwickelt, in der ein anderes Konzept von Macht zum Ausdruck gekommen sei.

Den USA komme zwar eine privilegierte Stellung im Empire zu, dennoch bilden die USA keineswegs das Zentrum des Empire „und tatsächlich ist dazu heute kein Nationalstaat in der Lage. Der Imperialismus ist vorbei.“ (Hardt/Negri 2002, 12) Das von Hardt und Negri ausgemachte transnationale Empire ist also nicht zu verwechseln mit dem American empire.

Gegenüber dem Empire gibt es kein Außen mehr. Empire ist so gewissermaßen die Ordnung des Gesamtkapitals. In den neuen Kriegen des Empire gehe es nicht mehr um die Eroberung von Territorium, sondern vielmehr um Eingriffe in lokale Konflikte, die von der Organisation und Durchführung eher Polizeioperationen glichen. Hinter den Interventionen der imperialen Armeen „steht nicht einfach ein permanenter Notstand und Ausnahmezustand, sondern ein permanenter Notstand und Ausnahmenzustand, der unter Berufung auf essenzielle Gerechtigkeitswerte gerechtfertigt wird.“ (ebd., 33f.).

Der von Hardt und Negri ausgemachte Strukturbruch habe, so ihre These, zu einer nachimperialistischen Form globaler Herrschaft geführt. Die imperiale Herrschaftsform wird ohne Zentrum oder institutionelle Verdichtung gedacht, da es „keinen Ort der Macht“ (ebd., 202) gebe. Im Unterschied zu Münkler und Diner machen sich Hardt und Negri allerdings keine Illusionen über die zivilisatorische Rolle des neuen Empire. Seine Verknüpfung mit dem permanenten Frieden, hat für sie „das fortwährende Blutbad“, welches das Empire in der Praxis ist, zur Vorraussetzung (ebd., 13). Das Empire ist eine flexible transnationale Netzwerkmacht, vergleichbar mit dem, was unter dem Stichwort Global Governance diskutiert wurde, ohne dass die Machtverhältnisse angesprochen worden wären. Es handelt sich um eine Sphäre, in der es immer schwieriger wird, die Grenze zwischen Ökonomie und Politik zu ziehen. Hardt und Negri folgern daraus, dass diese beiden Kategorien in der Postmoderne tendenziell zusammenfallen (Negri/Hardt 1997, 20f.; Hardt/Negri 2002, 55, 247f. und 391f.).

Kapitalismustheoretisch liegt das zentrale Problem von Hardt und Negri darin, dass sie nicht mehr dazu in der Lage sind, Politik und Ökonomie zu unterscheiden. Indem sie immer wieder vorschnell von aktuellen Trends auf allgemeine Entwicklungen schließen, reproduzieren sie dabei eine Tendenz, die der Globalisierungsdebatte schon lange anhaftet. Das Fehlen eines Begriffs von der politischen Form des Kapitalismus führt dazu, dass die Relativierung der nationalstaatlichen Ebene überbewertet wird und ihr Imperium letztlich ein aus dem Primat der Produktivkräfte hervorgegangenes Hybrid aus Ökonomie und Politik ist. Die Autonomie des Politischen verschwindet und das internationale Staatensystem mit seinen inneren Konkurrenzen ist nur noch ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Hier schlägt ihr „voluntaristisches Manifest“ (Brand 2002) in Ökonomismus um (zur Empiredebatte siehe auch Das Argument 248). Die Autoren kommen zudem nicht umhin, angesichts der Ereignisse in der Folge des 11.9.2001 von einem „imperialistischen backlash im und gegen das Imperium“ (zitiert nach Haug 2003, 244) zu sprechen. Die Verabschiedung des Imperialismus war offensichtlich vorschnell.

Trotz dieser Schwächen und der Übertreibungen haben Hardt und Negri ein zentrales Problem der Imperialismustheorien angesprochen. David Harvey formuliert die entscheidende Frage so: „Was bedeutet die grenzenlose Kapitalakkumulation für die territorialen Logiken der Macht?“ (Harvey 2004, 37). Anders ausgedrückt, wie können die Transnationalisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte imperialismustheoretisch eingeholt werden? Eine zufriedenstellende Antwort konnten weder Hard und Negri noch Harvey formulieren, erstere weil sie die Transnationalisierungsprozesse verabsolutieren, letzterer weil er die Qualität der kapitalistischen Durchdringungsprozesse nicht erkennt und deshalb die Transformation des Staates zu wenig beachtet.

Leo Panitch und Sam Gindin versuchen unter Rückgriff auf Nicos Poulantzas eine Antwort zu formulieren (2004; siehe auch Albo 2003). Dieser hatte in den 70er Jahren eine neue Form des Imperialismus ausgemacht, die nicht mehr charakterisiert war durch direkte Herrschaft oder Einflussnahme eines Landes über andere, sondern vielmehr über die Interiorisierung von Herrschaft. Hervorgerufen durch amerikanische Kapitalinvestitionen und die Internationalisierung der Produktion vollzieht sich diese Interiorisierung von Herrschaft durch die Ausdehnung der US-amerikanischen Produktionsverhältnisse, insbesondere auf Europa. Für Poulantzas ist der neue Imperialismus gerade durch diese „induzierte Reproduktion“ des „amerikanischen Monopolkapitals im inneren der anderen Metropolen“ charakterisiert. (Poulantzas 2001, 28)

Auch Panitch und Gindin zweifeln nicht daran, dass diese Prozesse unter der eindeutigen Herrschaft des US-Kapitalismus ablaufen (Panitch/Gindin 2004, 42ff.).

Hier tun sich mindestens zwei Probleme auf. Erstens hat Poulantzas Schwierigkeiten, überzeugende Argumente dafür zu liefern, warum die Interiorisierung von internationalen Kräfteverhältnissen in den metropolitanen Staaten imperialistisch ist. Denn zunächst handelt es sich beim Kapitalexport oder auch bei der Errichtung von Produktionseinheiten um ökonomische Prozesse. Auch die Tatsache, dass diese die Kräfteverhältnisse in den betreffenden Nationalstaaten verändern, ist noch nicht imperialistisch. Hier scheint ein ökonomistischer Kurzschluss vorzuliegen, der mit Poulantzas Staatstheorie nur schwer zu vereinbaren ist. Zweitens können Panitch und Gindin nicht plausibel erklären, warum in Verhältnissen, in denen die Verstrickungen und Verknüpfungen in der transnationalisierten Ökonomie „die Vorstellung von unterschiedlichen nationalen Bourgeoisien zunehmend anachronistisch“ werden lassen (Panitch/Gindin 2004, 53), die USA noch so eindeutig als herrschendes Zentrum ausgemacht werden kann. Die Durchdringungsprozesse gehen keineswegs nur von einem „einzigen imperialen Staat“ (ebd., 24) aus und betreffen die USA nicht weniger als die anderen Staaten.

Niemand zweifelt an der unangefochtenen militärischen Dominanz der USA, Panitch und Gindin begründen ihre These aber gerade nicht mit der militärischen Überlegenheit der USA, sondern gehen nach wie vor von einer Dominanz auf allen gesellschaftlich relevanten Ebenen aus. Selbst das US-Amerikanische Außenhandelsdefizit deutet für die Autoren „eher auf den relativen Erfolg der US-Wirtschaft, denn auf deren Niedergang hin.6 [...] Kurzum, die letzten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts haben die beeindruckende Fähigkeit eines von den USA geführten Kapitalismus demonstriert, die Arbeitsmärkte zu flexibilisieren, die Produktivkräfte und die Kommunikationsmittel zu revolutionieren, die Welt räumlich zu integrieren, immer mehr Aspekte des täglichen Lebens zu kommodifizieren und im allgemeinen die Welt nach ‘seinem Bilde’ zu gestallten“ (Panitch/Gindin 2003, 136f.).

Innerimperialistische Konflikte, bzw. Widersprüche in der imperialen Ordnung verlagern sich für sie zunehmend ins Innere der Staaten, „wenn sie versuchen, die inneren Prozesse der Akkumulation, der Legitimation und der Klassenkämpfe zu verwalten“ (Panitch/Gindin 2004, 72). Panitch und Gindin beschreiben hier durchaus eine reale Tendenz, sie müsste allerdings mit den tatsächlich immer offener zutage tretenden Konflikten zwischen dem ‘alten Europa’ und der USA in Beziehung gesetzt werden. Diese führen zwar nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen, äußern sich aber neben den offensichtlichen machtpolitischen Konflikten in der UNO seit einigen Jahren in zunehmenden wirtschaftspolitischen Konfrontationen.7 Wie ist dieses Verhältnis von konkurrierender Kooperation zu fassen? Ebenso wie Poulantzas versäumen es die Autoren die Interiorisierung und damit die Dezentrierung von Machtverhältnissen auf die USA selbst zu beziehen. Klassentheoretisch hatte Poulantzas das entsprechende Instrumentarium geliefert. Mit der inneren Bourgeoisie hatte er eine Klassenfraktion in Europa ausgemacht, die zwar durch das in ihr eingelagerte amerikanische Kapital internationalisiert ist, gleichwohl aber immer auch Teil von nationalen Machtblöcken bleibt. Der Nationalstaat ist also auch für diese internationalisierte Bourgeoisie ein zentraler Bezugspunkt.

Es gibt keinen theoretischen Grund, warum die Kategorie der inneren Bourgeoisie nicht auf die USA selbst anwendbar wäre. Im Gegenteil, in den 80er Jahren ist massiv ‘ausländisches Kapital’ in die USA geflossen, sodass auch hier eine in sich transnationalisierte Klassenfraktion entstanden ist. Die innere Bourgeoisie lässt sich also nicht mehr ohne weiteres auf einen führenden Staat beziehen, sie ist vielmehr transnational geworden. Geht man davon aus, dass sich diese neue Klassenfraktion, vermittelt über die nationalen Machtblöcke, sowie inter- und transnationale Organisationen wie WTO, IWF u.s.w. und transnationale intellektuelle Netzwerke auch auf der transnationalen Ebene organisiert, dann heißt das, dass auch auf dieser Ebene ein Machtblock entstanden ist (Wissel 2002).

Das Verhältnis von Imperialismus und Transnationalisierung oder Imperialismus und Empire um es mit Hardt und Negri auszudrücken, lässt sich nur klären, wenn man die Transnationalisierung der Klassenverhältnisse mit staatstheoretischen Erkenntnissen in Beziehung setzt. Es gibt keine Staaten mehr, die nicht in sich transnationalisiert wären, gleichzeitig verschwinden aber ‘nationale Interessen’ nicht, sie kommen nur unter veränderten Konstellationen zustande. M.a.W., im Nationalstaat, als materieller Verdichtung von Kräfteverhältnissen, verdichten sich nun auch transnationale Kräfteverhältnisse.

Transnationalisiertes Kapital kann dabei durchaus auf nationalstaatliche Protektion setzen. Es wäre geradezu leichtfertig, Vorteile, „von Rüstungsaufträgen über Exportsubventionen bis hin zu Geheimdienstinformationen“, aufzugeben, nur weil das Unternehmen global operiert (Hack 2002, 670). Wenn die Beziehungen zu einem bestimmten Nationalstaat zum Nachteil werden (wie bei der Vergabe von Aufträgen zum Aufbau des Irak), wird allerdings gerne darauf verwiesen, dass man sich keineswegs etwa als deutsches oder französisches Unternehmen begreift.

Transnationalisierung heißt nicht der Imperialismus würde einfach verschwinden, aber er verändert seine Form, weil das für den klassischen Imperialismus charakteristische nationale Kapital an Bedeutung verloren hat. Aus dieser neuen Konstellation und dem Wissen, dass Krisen im Zeitalter der Transnationalisierung kaum mehr regional einzugrenzen sind, resultiert das widersprüchliche Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation zwischen den metropolitanen Staaten. Diese Widersprüche sind in der transnationalisierten inneren Bourgeoisie selbst eingelagert, die Beziehungen zu spezifischen nationalen oder regionalen Blöcken werden dabei zunehmend zur strategischen Option, keineswegs aber zu einer unauflösbaren Bindung. Eine Eskalation der Spannungen zwischen den unterschiedlichen kapitalistischen Blöcken verbietet sich schon wegen der unangefochtenen militärischen Dominanz der USA, aber auch die transnationalen Organisationsformen dieser neuen Klassenfraktion und das Netz inter– und transnationaler Organisationen tragen dazu bei, Konflikte frühzeitig zu entschärfen.

Ein kritischer Bezug auf Poulantzas, da haben Panitch und Gindin recht, ist zur Analyse des neuen Imperialismus unverzichtbar, weil Poulantzas Vorstellungen überwinden konnte, in denen Staaten als sich äußerlich gegenüberstehende Akteure gedacht werden. Poulantzas bestand darauf, „that the internationalisation of capital should not be understood as a quantitative relationship between two external entities – an integral state and an externally-imposed foreign capital seeking to exploit it“ (Albo 2003, 93). Begreift man den Staat, in diesem Sinne, als ein strategisches Feld, das von internationalen Kräfteverhältnissen durchzogen ist, kann untersucht werden, wie sich dieses Terrain verändert hat und was aus der Tatsache folgt, dass die Bindung von Kapital an bestimmte Staaten immer schwächer wird. Es geht also darum, die Transnationalisierung der Klassenstruktur in Beziehung zu setzen mit der politischen Form des Kapitalismus und den keineswegs verschwundenen Nationalstaaten. Die zunehmenden Interdependenzen und Durchdringungsprozesse und die Frage nach deren Bedeutung für die neue Form des Imperialismus sind meiner Ansicht nach von zentraler Bedeutung, um den neuen Imperialismus zu begreifen.

Die Frage nach der Position der USA in der Welt, wie der Rolle Europas, oder des Ost- und Südostasiatischen Machtblocks, der immer öfter als kommende ökonomische Weltmacht bezeichnet wird (Harvey 2004, 51; siehe auch Arrighi/Moor 2001, 56), muss in diesem Zusammenhang neu gestellt werden. Hierzu zählt auch die Analyse der Rolle und der Eigenständigkeit der Institutionen der inter- und transnationalen Regulation, wie beispielsweise WTO, IWF und Weltbank (vgl. Görg/Wissen 2003). Legt man Hardt und Negris Unterscheidung von Imperium und Imperialismus zugrunde, so muss auch geklärt werden, in welchem Verhältnis diese beiden Kategorien zueinander stehen.

Im Fortgang der Diskussionen müssen in den genannten Bereichen genauere Bestimmungen vorgenommen werde, und es muss sich darüber verständigt werden, wie die einzelnen Daten, beispielsweise das US Handelsbilanzdefizit, zu interpretieren sind.

Der Begriff des Imperialismus muss in jedem Fall klar getrennt werden von dem der Hegemonie, auch wenn beide Kategorien historisch oft gekoppelt auftreten. Die in den Vordergrund rückende imperialistische Politik kann gerade als Folge der schwindenden US Hegemonie gedeutet werden. „Wenn es den USA an ‘Welthegemonie’ fehlt, so ist der Grund für die Schwäche in ihrer Position der Stärke zu suchen. Die militärische Potenz der USA zur Überwältigung rivalisierender Mächte unterhöhlte das ‘Streben nach globaler Übereinkunft’“ (Haug 2003, 240). Hegemonie ist gerade ein Beispiel dafür, dass Herrschaft nicht gleichzusetzen ist mit Imperialismus und nicht jede Politik im kapitalistischen Weltsystem imperialistisch ist. Hegemonie gründet nicht auf Kanonenbooten, sondern auf asymmetrischen Kompromissen, bei denen die Möglichkeit offener Gewalt zwar präsent ist, aber in den Hintergrund tritt. Die Hegemonie Athens war vorbei, als Athen „aufhörte, ‘gleichgestellter Führer’ zu sein und ‘dafür die Knechtung der ‘Verbündeten’ betrieb (Thukydides[...])“. In dem Moment also, in dem Athen sich für die Option der Gewalt und des Kriegs entschied. (ebd., 259)

Nimmt man die ‘relative Autonomie8‘ politischer Prozesse ernst, dann heißt das zudem, dass imperialistische Politik nicht immer durch ökonomische Rationalität erklärt werden kann. Mitunter ist das Gegenteil der Fall, wie Hannah Arendt schon für die Phase des klassischen Imperialismus darlegte. „Als die imperialistische Politik die Bahnen der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten längst verlassen hatte und der ökonomische Faktor längst dem Imperialen zum Opfer gefallen war, mühten sozialistische Theoretiker sich immer noch damit, die ‘Gesetzmäßigkeiten’ des Imperialismus zu entdecken. An die unveräußerlichen Rechte der Profitrate glaubten außer einigen älteren Herren in den Kreisen der Hochfinanz nur noch Marxisten, nachdem in Südafrika selbst längst alle rationalen Profitberechnungen dem ‘Rassefaktor’ aufgeopfert waren.“ (1975, 57f.) Auch eine sich entfaltende Logik des Militarismus, wie sie zur Zeit zu beobachten ist, kann ökonomische Kalküle in den Hintergrund drängen.

Es bleibt viel Arbeit, um die neuen transnationalisierten Herrschaftsverhältnisse auf den Begriff zu bringen, auf eine Analyse des Imperialismus kann dabei nicht verzichtet werden. Damit die Imperialismusdebatte kein Zwischenspiel bleibt, das spätestens mit der Wahl des nächsten ‘demokratischen Präsidenten’ in den USA wieder verschwindet, muss der Imperialismusbegriff aber weiter an analytischer Schärfe gewinnen. Die aktuelle Debatte steht diesbezüglich noch am Anfang, hoffnungsvolle Ansätze dafür sind aber durchaus zu erkennen.

Literatur

Ahmad, Aijaz 2003: Imperialism of our time, in: Panitch, Leo/Leys, Colin 2003: THE IMPERIAL CHALLENGE. Socialist Register 2004, London, S. 43-62.

Albo, Gregory 2003: The old and New Economics of Imperialism, in: Panitch, Leo/Leys, Colin 2003: THE IMPERIAL CHALLENGE. Socialist Register 2004, London, S. 63—87.

Altvater, Elmar 1987: Sachzwang Weltmarkt. Verschuldungskrise, blockierte Industrialisierung, ökologische Gefährdung – der Fall Brasilien, Hamburg.

Altvater, Elmar 2003: Die Währung des schwarzen Goldes. Der Ölkrieg auch um die Vorherrschaft von Dollar und Euro geführt, AG Friedensforschung.

Alnasseri, Sabah 2003: Ende des Befreiungsimperialismus? Präzedenzfall(e) Irak I, in: links-netz .

Alnasseri, Sabah 2004: Periphere Regulation. Regulationstheoretische Konzepte zur Analyse von Entwicklungsstrategien im arabischen Raum, Münster.

Arendt, Hannah 1975: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Band 2, Imperialismus, Frankfurt-Berlin-Wien.

Arrighi, Giovanni/Moore, Jason W. 2001: Kapitalismus in welthistorischer Sicht, in: Das Argument 239, Jg.43, 43-58.

Bahr, Egon 2003: Der deutsche Weg, 3. Auflage, München.

Boot, Max 2003: Plädoyer für ein Empire, in: Speck, Ulrich/Szneider, Natan: EMPIRE AMERIKA. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München, S. 60-70.

Brand, Ulrich 2002: Die Revolution der globalisierungsfreundlichen Multitude. ‘Empire’ als voluntaristisches Manifest, in: Das Argument 245, S.209-220.

Brenner, Robert 2002: Boom & Bubble. Die USA in der Weltwirtschaft, Hamburg.

Johnson, Chalmers 2003: Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie, München.

Das Argument 248, Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften: Das Imperium des High-Tech-Kapitalismus, Hamburg.

Diner, Dan 2003: Das Prinzip Amerika, in: Speck, Ulrich/Szneider, Natan: EMPIRE AMERIKA. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München, S. 256-274.

DesForges, Alison 2003: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda, Hamburg.

Duisburger Erklärung 2004: Traum und Alptraum Amerika. Europa und die USA müssen ihr Verhältnis zueinander ohne ideologische Scheuklappen neu ordnen, in: Frankfurter Rundschau, 16.04.2004.

Golub, Philip S. 2002: Das Imperium Americanum als historisches Konzept. Die Säulen des Capitols, in: Le Monde diplomatique, September 2002, (Online bei GAIA)

Görg, Christoph 2004: Ein neuer Imperialismus? in: links-netz.

Görg, Christoph/Wissen, Markus 2003: National dominierte globale Herrschaft. Zum Verhältnis von Uni- und Multilateralismus in der „Neuen Weltordnung“, in: Prokla 133, 625-644.

Habermas, Jürgen/Derrida, Jacques 2003: Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.05. 2003.

Hardt, Michael/Negri, Antonio, 2002: Empire, Frankfurt/New York.

Harvey, David 2003: Der ‘neue’ Imperialismus: Akkumulation durch Enteignung, in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus 5/2003.

Harvey, David 2004: Von der Globalisierung zum neuen Imperialismus, in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus 3/2004, S. 34-51.

Haug, Wolfgang Fritz 2003: High-Tech-Kapitalismus. Analysen zu Produktionsweise, Arbeit, Sexualität, Krieg und Hegemonie, Hamburg.

Heinrich, Michael 2003: Imperialismustheorie, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Opladen, S. 279-308.

Hirsch, Joachim 2001: Vom Ultra zum Hyper. Das neue Gesicht des Imperialismus in: Blätter des IZ3W Nr. 251, S. 33-35.

Hirsch, Joachim 2004: Was ist eigentlich Imperialismus? in: links-netz.

Ignatieff, Michael 2003a: Empire lite. Die amerikanische Mission und die Grenzen der Macht, Hamburg.

Ignatieff, Michael 2003b: Empire Amerika? In: Speck, Ulrich/Szneider, Natan: EMPIRE AMERIKA. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München, S. 15-37.

Kagan, Robert 2003: Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung, Berlin.

Klingbiel, Stephan/Reodher, Katja 2004: Die Distanz schwindet. Zunehmend verschiebt sich die Grenzlinie zwischen Entwicklungspolitik und Militäreinsätzen, in: Frankfurter Rundschau 01.04.2004.

Kößler, Reinhart 2003: Imperialismus und Globalisierung. Anmerkungen zu zwei Theoriekomplexen, in: Prokla 133, S. 521-544.

Luxemburg, Rosa 1969: Die Akkumulation des Kapitals, Archiv sozialistischer Literatur 1, Frankfurt/M.

Mallaby, Sebastian 2002: The Reluctant Imperialist: Terrorism, Failed States, and the Case for American Empire, in: Foreign Affairs, March/April 2002, www.foreingnaffairs.org.

Mann, Michael 2003: Die ohnmächtige Supermacht, Frankfurt/New-York.

Müller, Eva 2002: Rosa Luxemburgs Beitrag zur Marxschen Reproduktionstheorie, in: Kinnen, Klaus/Seidl, Helmut (Hg.): Rosa Luxemburg. Historische und aktuelle Dimensionen ihres Werkes, Berlin, S. 86-100.

Münkler, Herfried 2003a: Der neue Golfkrieg, Reinbeck bei Hamburg.

Münkler, Herfried 2003b: Wie Imperien funktionieren. Die Handlungslogik und das Erstaunen ihrer Bewunderer, in: Frankfurter Rundschau, 12.02.2003.

Münkler, Herfried 2003c: Die Botschaft der Athene. Zivilisatorische Entwicklung und kriegerische Selbstbehauptung: Europa braucht einen weltpolitischen Gestaltungswillen, in: Frankfurter Rundschau, 27.12.2003.

Münkler, Herfried 2003d; Das Prinzip Empire, in: Speck, Ulrich/Szneider, Natan: EMPIRE AMERIKA. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München, 104-125.

Narr, Wolf-Dieter 2003: Introvertierte Imperialismen und ein angstgeplanter Hegemon. Für eine utopische Transzendenz der Globalisierungskritik, in: Prokla 133, S. 575-598.

Negri, Antonio/Hardt, Michael 1997: Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne, Berlin/Amsterdam.

Panitch, Leo/Gindin, Sam 2003: Euro-Kapitalismus und amerikanischer Imperialismus, in: Beckmann, Martin/Bieling, Hans-Jürgen/ Deppe, Frank: Euro-Kapitalismus und globale politische Ökonomie, Münster, S. 113-143.

Panitch, Leo/Gindin, Sam 2004: Globaler Kapitalismus und amerikanisches Imperium, Hamburg.

Panitch, Leo/Leys, Colin (editors) 2003: THE IMPERIAL CHALLENGE. Socialist Register 2004, London.

Poulantzas, Nicos 2001: Die Internationalisierung der kapitalistischen Verhältnisse und der Nationalstaat, in: Hirsch, Joachim/Jessop, Bob/Poulantzas, Nicos 2001: Die Zukunft des Staates, Hamburg.

Prokla 133, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft: Imperialistische Globalisierung, 33. Jahrgang 2003, Nr. 4.

Scherrer, Christoph 2000: Global Governance: Vom fordistischen Trilateralismus zum neoliberalen Konstitutionalismus, in: Prokla 118, 30. Jg., Nr.1, S. 13-38.

Serfati, Claude 2004: Militarismus: der bewaffnete Arm der Globalisierung, in: Zeller, Christian (Hg.) 2004: Die globale Enteignungsökonomie, Münster, S. 21-60.

Todd, Emmanuel 2004: Weltmacht USA. Ein Nachruf, 3. Auflage, München/Zürich.

Ulrich, Volker 2003: Ist der Sieger auch der Gewinner? Der zweite Irakkrieg hat sein erstes Buch: Herfried Münkler sucht nach Ursachen und weltpolitischen Folgen, in: Die Zeit , 10.04.2003, S. 56.

Wallerstein, Immanuel 2003: Auftakt zur globalen Anarchie, in: Prokla 133, S. 565-574.

Wissel, Jens 2002: ‘Naming the Beast’ Nicos Poulantzas und das Empire, in: Das Argument 248, 791-801.

Z. 52, Zeitschrift Marxistische Erneuerung 2002: Imperialismusdiskussion, Frankfurt/M.

Zeller, Christian (Hg.) 2004: Die globale Enteignungsökonomie, Münster.

Anmerkungen

  1. „Zu den Kernannahmen der ‚realistischen’ Schule zählt, dass (a) mangels einer zentralen Zwangsgewalt im internationalen System Anarchie herrscht, (b) Staaten die wichtigsten Akteure in diesem System sind, (c) die Außenpolitik eines Staates im wesentlichen durch das internationale System beeinflußt wird, und (d) zwischen den Staaten ein Nullsummenspiel um Macht, Einfluß und Ressourcen herrscht“ (Scherrer 2000: 14).Zurück zur Textstelle
  2. Im Unterschied zu den hier besprochenen Autoren, argumentiert Wallerstein, ausgehend von der Theorie der Langen Wellen des russischen Ökonomen Kontratieff, rein strukturtheoretisch. Der Abstieg der USA als Hegemonialmacht ist deshalb anders als etwa bei Mann unaufhaltsam, die „unilaterale und äußerst aggressive Außenpolitik“ (Wallerstein 2003, 572) beschleunigen diese Entwicklung lediglich. Zurück zur Textstelle
  3. In Bezug auf den Völkermord in Ruanda erklärte übrigens 2000 die „Kommission über Amerikas nationale Interessen“, der einflussreiche Kongressmitglieder ebenso angehörten wie etwa Condoleeza Rice, dass die Verhinderung solcher Völkermorde nicht zu den ‘vitalen Interessen’ der Vereinigten Staaten gehöre (Serfati 2004, 23f.). Zurück zur Textstelle
  4. Robert Kagan ist der Meinung, „dass Cooper im Grunde genommen nicht die Zukunft Europas, sondern die Gegenwart Amerikas beschreibt“ (2003, 88)Zurück zur Textstelle
  5. Im Unterschied etwa zu Lenin, bei dem der Imperialismus eine Erscheinung des Monopolkapitalismus ist, hält Luxemburg den Imperialismus für eine Form, die mit der kapitalistischen Akkumulationsdynamik im allgemeinen im Zusammenhang steht.Zurück zur Textstelle
  6. Im Unterschied zu den 60er und 70 Jahren in denen Handelsbilanzdefizite noch Zeichen von Schwäche waren, habe sich diese Situation nach der neoliberalen Wende, „mit dem erneuten Vertrauen in die politische Macht des amerikanischen Staates zu Hause und in der Welt“ verkehrt (Panitch/Gindin 2003, 136). Das Handelsbilanzdefizit habe sich zu einem Faktor globaler Stabilität gewandelt (Panitch/Gindin 2004, 70; im Gegensatz hierzu Brenner 2002, 36) Zurück zur Textstelle
  7. In diesem Zusammenhang muss es auch um die Frage nach der Konkurrenz von Dollar und Euro gehen (siehe Altvater 2003).Zurück zur Textstelle
  8. Dieser von Poulantzas geprägte Begriff ist nicht etwa mit ‘ein bisschen Autonomie’ zu übersetzen, vielmehr meint der Begriffe eine relationale Autonomie, also Autonomie einer gesellschaftlichen Sphäre in Relation zu anderen.Zurück zur Textstelle
© links-netz Dezember 2004