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Globalisierung und Gesundheit – wenn aus Patienten Kunden werden

Andreas Wulf

Globalisierung ist in aller Munde – spätestens seit den großen Protesten anlässlich der WTO-Tagung in Seattle, USA im vorletzten Jahr, denen eine Reihe ähnlicher Zusammenstöße der bis dahin oft auch von den Regierungen gelobten Zivilgesellschaft mit den hochkarätigen Gesprächs- und Verhandlungsrunden von IWF, WTO, der G8 oder des Weltwirtschaftsgipfels in Davos folgten.

Hinter dem griffigen Schlagwort verbergen sich eine ganze Reihe von Entwicklungen, die an sich nicht neu sind, aber vor allem in den letzten zehn Jahren in ihrer Dynamik enorm zugenommen haben. Ich möchte mich vor allem auf die Einflüsse dieser Entwicklungen auf die Gesundheit und die Gesundheitssysteme in verschiedenen Regionen und Ländern konzentrieren.

Globalisierung im weiten Sinn ist der Fluss von Informationen, Waren, Kapital und Menschen über politische und ökonomische Grenzen hinweg. Schon daran wird deutlich, dass die Globalisierung keine Erfindung der letzten zehn Jahre, auch nicht des modernen kapitalistischen Wirtschaftssystems ist. Auch der weltweite Austausch von Ideen und Kulturen ist nicht neu und dieser Aspekt war oftmals positiv und bereichernd: für die Überwindung eben dieser Kolonialisierung ebenso wie er der internationalen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert Perspektiven jenseits eng begrenzter Verbesserungen von Arbeits- und Lebensbedingungen gab.

Neu sind dagegen das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Globalisierung. Die "Abschaffung der Entfernung” wurde ausgerufen, dank Satelliten und moderner Telekommunikation scheint jeder Ort der Welt jederzeit erreichbar geworden zu sein – und auch die physische Bewegung hat in einem enormen Ausmaß zugenommen: Gab es 1950 2 Millionen Flugpassagiere pro Jahr, so sind es heute jährlich 1,4 Milliarden.1 Auch die unfreiwillige Mobilität von Flüchtlingen hat enorm zugenommen – der UNHCR zählte im letzten Jahr mehr als 30 Millionen Flüchtlinge, die ihre Heimatländer verlassen mussten.

Noch weitergehender globalisiert haben sich Ideen, Kulturen und Werte – so dominieren nicht nur US-amerikanische und brasilianische Soap Operas die Unterhaltungskultur des Nord- und Südamerikanischen Kontinents, sondern auch die entsprechenden ägyptischen Produktionen den gesamten arabischsprachigen Raum Nordafrikas und des Mittleren Ostens.

Globalisierung steht heutzutage vor allem für eine ökonomische Strategie, die das möglichst ungehinderte Wirken des freien Handels und der Marktkräfte weltweit propagiert, um ein größtmögliches Wirtschaftswachstum und zugleich eine möglichst effiziente Organisation der Märkte zu sichern. In diesen sollen die Interessen der einzelnen Bürger als selbstbewusste Konsumenten nach günstigen und qualitativen Produkten durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage gesichert werden. Staatliche Kontrolle und Förderung der heimischen Märkte stehen dem ebenso entgegen wie Importzölle und Begrenzungen von Investitionen ausländischer Konzerne. Dieses sogenannte neoliberale Wirtschaftsmodell wurde in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Überwindung der langen Rezession in den reichen Industriestaaten vor allem in den anglophonen Staaten propagiert und als Reagonomics und Thatcherismus bekannt. Im Zuge der massiven Verschuldungskrise, in die die meisten Entwicklungs- und auch Schwellenländer in diesem Jahrzehnt gerieten, wurden ihnen vom Weltwährungsfonds und der Weltbank Strukturanpassungsmaßnahmen auferlegt, die mit den gleichen Rezepten arbeiteten: Privatisierung, Deregulierung der eigenen Märkte und Handelsliberalisierungen sollten nicht nur ihre eigene Wirtschaft weltmarkttauglich machen, sondern auch ausländische Investitionen ermöglichen und so eine eigene kapitalistische Entwicklungsperspektive bieten. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaften am Ende dieses Jahrzehnts schien sich die kapitalistische Marktwirtschaft als das überlegene Wirtschaftsprinzip endgültig bestätigt zu haben. Erst die durch kurzfristige Finanztransaktionen ausgelöste massive Wirtschaftskrise der asiatischen Tigerstaaten 1997-98, in deren Folge Malaysia, Südkorea, Thailand und Indonesien zwischen 20 und 35 Prozent ihres Bruttosozialproduktes einbüßten,2 ließ an der Stabilität des "Endes der Geschichte" das schon ausgerufen worden war, zweifeln.

Mein Thema ist die Frage nach den sozialen Folgen dieser Art von Globalisierung, die alle Bereiche der Gesellschaft in Märkte verwandeln will. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die "Liberalisierung der Märkte", die sich die Globalisierung auf die Fahne geschrieben hat, auch weiterhin die Machtverhältnisse in der Welt reflektiert; liberalisiert wird, was den schon Erfolgreichen nützt. In der WTO stehen die Abkommen zum Handel von Dienstleistungen, zu globalen Investitionen und Wettbewerbspolitik und das Abkommen zum Schutz der intellektuellen Rechte an erster Stelle, während die Bereiche, die von den reichen Staaten selbst am meisten geschützt sind – vor allem die Agrarproduktion und der Textilmarkt – und in denen die Entwicklungsländer Exportchancen hätten, weiterhin hart umkämpft sind.3 Die Weltbank schätzt die staatliche Förderung der heimischen Agrarmärkte der EU und der anderen Industriestaaten auf einen Betrag von 1 Milliarde Dollar täglich – der sechsfache Betrag, der als Entwicklungshilfe von ihnen geleistet wird.4

Wie also wirkt sich die Globalisierung auf die Gesundheit der Menschen und die Gesundheitssysteme der Staaten, die trotz aller Globalisierung immer noch eine zentrale politische Organisationsform sind, aus?

Eine zentrale Frage ist die nach der Verteilung des Gewinns aus dem ökonomischen Wachstum, das die Globalisierung unzweifelhaft in einer ganzen Reihe von Staaten hat. Die Verteilung des Reichtums ist einer der stärksten Faktoren, der die Gesundheit nicht nur der/s Einzelnen, sondern der Bevölkerung als Ganze beeinflusst. Als drastisches Beispiel mag die durchschnittliche Lebenserwartung der männlichen Bewohner von Harlem, NYC gelten, die ebenso hoch (oder so niedrig) ist wie die der Männer in Bangladesh; sie liegt bei schätzungsweise 58 Jahren.5

Vor allem die im Rahmen von Globalisierungsmaßnahmen vorgenommenen Liberalisierung von Finanz- und Arbeitsmärkten hat einen negativen Einfluss auf die Verteilungsgerechtigkeit ebenso wie auf die Gesundheitsverhältnisse, weil in den entstehenden Sonderwirtschaftszonen gewerkschaftlich ausgehandelte Mindestlöhne und Höchstarbeitszeiten abgeschafft sind und Arbeitsschutzbestimmungen kaum noch eingehalten werden. Die Maquila-Industrien in Mittelamerika sind dafür ebenso charakteristisch wie die "Sweat shops" (die Schwitzbuden) in den USA, in denen oft illegalisierte Migranten für die Bekleidungsmultis schuften.

Am massivsten sind die gesundheitlichen Folgen in den Staaten der früheren Sowjetunion zu beobachten, die in den 90er Jahren mit einem starken ökonomischen Einbruch, steigenden Arbeitslosenzahlen und Zunahme der sozialen Ungleichheit konfrontiert waren. Individuelle und gesellschaftliche Folgen wie Depressionen, Alkoholismus, häusliche Gewalt, stress-bedingte Krankheiten und Tod durch Herzkreislauferkrankungen, Suizide und Gewalt trafen vor allem eine neu entstehende Schicht von "Transitionsverlierern" aus zumeist männlichen Arbeitern, Kollektivbauern und mittleren Parteifunktionären ohne weitergehende Ausbildung, oftmals arbeitslos geworden, und Migranten oder Angehörige ethnischer Minderheiten. Die Reprivatisierung der großen Staatsbetriebe brachte eine neue Elite hervor, deren Aneignungsstrategien oft mit Korruption und mafiösen Methoden einherging, was zusätzlich zu den realen materiellen Notlagen Gefühle von ohnmächtiger Wut, Hoffnungslosigkeit und Kränkung erzeugte, die an den sozialen und gesundheitlichen Verwerfungen beteiligt sind. Die nüchternen statistischen Zahlen bilden das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen nur unzureichend ab. Die Lebenserwartung fiel in Russland, Weißrussland, Kasachstan und der Ukraine für Männer um 3 bis 4,5 Jahre in den zehn Jahren von 89 bis 99, bei Frauen war dieser Verlust geringer (1,5 bis 2,5 Jahre). Schätzungsweise 4 Millionen zusätzliche Tote kommen auf das Konto dieser ökonomischen Krise in diesen Ländern.6

Auch in Ländern mit nur vorübergehenden ökonomischen Krisen in den "globalisierten" 90er Jahren sind gesundheitliche Folgen des plötzlichen Einkommensverlustes vieler Haushalte noch lange nach der Erholung der makroökonomischen Ziffern zu spüren. Untersuchungen der Weltbank über die Folgen der mexikanischen (1995) und thailändischen (1997-98) Finanzkrisen zeigten langfristige Verschlechterungen des Gesundheitsstatus von Kindern, die während der Finanzkrise die Schule verlassen und an gesundheitsgefährlichen Arbeitsplätzen zum Familieneinkommen beitragen mussten oder sogar unmittelbar dauerhafte geistige Leistungseinbußen durch akute Unterernährung erlitten.7

Ist dies quasi die katastrophische Seite der Globalisierung, wie sieht es dann im funktionierenden "Normalzustand" aus? Um das zu beschreiben, will ich etwas eingehender auf die Entwicklungen im Gesundheitswesen eingehen.

Im marktorientierten Kontext der Globalisierung wurde der öffentliche Sektor als ineffizient angesehen, da es keine ökonomischen Anreize gab, sich effizient zu verhalten. Solche Anreize sollte vor allem der Wettbewerb schaffen. Privatisierung der vormals staatlichen Gesundheitssysteme war deshalb in den 80er und 90er Jahre weltweit das Patentrezept der Wirtschaftsstrategen. Der Staat sollte sich auf seine Rolle als Rahmensetzer zurückziehen; der Markt sollte eine größere Transparenz und bessere Kontrolle über das Leistungsangebot herstellen. Patienten sollten sich nicht mehr als dankbare HilfsempfängerInnen, sondern als KundInnen verstehen, die kompetent Gesundheitsdienstleistungen am Markt einkaufen. Krankenversicherungen, ÄrztInnen, TherapeutInnen und Pflegende sollen sich als AnbieterInnen solcher Leistungen definieren. Am radikalsten wurden diese Rezepte den hochverschuldeten Entwicklungsländern verordnet, die durch die Reduktion oder den kompletten Abbau der staatlich finanzierten öffentlichen Dienste, wie Gesundheit und Bildung, und weiterer öffentlicher Subventionen, etwa für Grundnahrungsmittel, ihre Ausgabenseite sanieren sollten. Aber auch in den Industriestaaten wurden die Konzepte von Wettbewerb und ökonomischen Anreizen zur Kosteneinsparung und Effizienzsteigerung der Gesundheitssysteme favorisiert. Die "health sector reform" war das Schlagwort des Jahrzehnts, mit dem ein "kontrollierter Wettbewerb" eingeführt wurde.8

Darüber hinaus sollen die Dienstleistungsmärkte auch der internationalen Konkurrenz geöffnet werden. Wie schon erwähnt ist dies Teil der WTO-Verhandlungen, genauer des GATS, des General Agreement on Trade in Services.

Besonders die Gesundheitsmärkte in den OECD-Ländern, nach aktuellen Schätzungen mit einem Jahresumsatz von 3 Billionen US$, sind dabei von privatwirtschaftlichem Interesse. Wachstumsprognosen sehen eine Steigerung in den nächsten fünf Jahren noch auf 4 Billionen US$,9 ein ordentlicher Kuchen, um den es sich zu streiten lohnt.

Neben den schon immer transnational arbeitenden Pharmaunternehmen sind die Interessenten große Krankenhauskonzerne, die eine Expansion über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus suchen, oder Versicherungsgesellschaften, die neue Kunden anwerben. Auch spezialisierte medizinische Dienstleistungsangebote lassen sich zunehmend über die Grenzen hinweg anbieten und wahrnehmen. Mit Hilfe der Telemedizin ist die physische Präsenz der ÄrztInnen bei PatientInnen für Diagnostik und Therapie nicht mehr erforderlich. Und auch Laborleistungen lassen sich, entsprechende Transportwege vorausgesetzt, globalisieren.

Welche Effekte haben diese Gesundheitsreformen? Wer profitiert davon, und wer kommt dabei zu kurz? Ein Blick in die Entwicklungsländer kann dabei Tendenzen aufzeigen, die sich bei uns erst andeuten, aber unter ähnlichen Vorgaben ebenfalls Realität werden können.

Public-private Mix: interner und externer Brain Drain

Eine schon lange existierende Form der Globalisierung im Gesundheitswesen ist die Arbeitsmigration von GesundheitsarbeiterInnen. Der überwiegende Teil findet als Süd-Nord-Migration statt, von Entwicklungs- (oder Schwellen-)ländern in die reichen Zentren der Welt. Typische "Export-Länder" sind Indien, die Philippinen und Südafrika, von wo aus ÄrztInnen, Pflege- und technisches Personal in den Mittleren Osten, die USA, Großbritannien und Australien emigrieren. Dies kann dramatische Ausmaße annehmen. 70 Prozent aller philippinischen Krankenschwestern arbeiten außerhalb des Landes; in Südafrika verlässt ein Drittel bis die Hälfte aller AbsolventInnen der medizinischen Fakultäten das Land kurz nach dem Examen.10 Die südafrikanische Gesundheitsministerin verhandelte vor kurzem mit der kanadischen Regierung, um das offensive Anwerben von kanadischen Krankenhäusern einzuschränken. Mit sich verschlechternden Arbeitsperspektiven im eigenen Land, sinkenden Löhnen im öffentlichen Sektor verschärft sich diese Tendenz, die individuell verständlich und gerechtfertigt ist, für das Versorgungssystem als Ganzes aber katastrophale Folgen hat, weil ein systematischer Abfluss von Fachwissen einsetzt, der in diesen Ländern dringend benötigt wird. Dieser externe Brain Drain wird verstärkt durch einen internen vom öffentlichen zum privaten System, da viele GesundheitsarbeiterInnen nicht mehr allein von den öffentlichen Löhnen leben können. Wenn sie nicht komplett privat arbeiten können, verschieben sie doch die Gewichte in diese Richtung, Dazu zählen offizielle und nicht offizielle Bezahlungen für ihre Dienste, die Vernachlässigung der Arbeit im öffentlichen Sektor oder die Rekrutierung von PrivatpatientInnen aus den öffentlichen Sprechstunden, die sie noch abhalten. Diese Überlebensstrategien der GesundheitsarbeiterInnen gefährden besonders den Zugang zu einer geregelten Gesundheitsversorgung für diejenigen, die nicht für solche teil- oder ganzprivatisierten Dienste aus der eigenen Tasche zahlen können, da vielfach staatliche Kompensationsmechanismen für Bedürftige nur unzureichend funktionieren. Auch verschärft sich die Diskrepanz in der Versorgung zwischen den Städten und den ländlichen Gebieten, da nur in den Städten GesundheitsarbeiterInnen genügend Gelegenheit zu solcher privater Praxis finden und diese deshalb ungern verlassen.

Die Kombination aus ökonomischer Notwendigkeit und Marktideologie, nach der sich jeder selbst der nächste ist, führt nicht nur zu einer radikalen Beschädigung des professionellen Ethos, das einer Catch-as-catch-can-Haltung weicht, sondern verstärkt auch die Entwicklung eines zweigeteilten Gesundheitssystem in ein schäbiges öffentliches mit unmotivierten, überarbeiteten und schlechter qualifiziertem Personal und einen Privatsektor, der qualifizierte Leistungen nur gegen Bezahlung bereitstellt und der keine Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung der ökonomisch Schwachen übernimmt.11

Sind dies auch Verhältnisse, wie sie hier in Kürze kaum zu erwarten sind, so liegen ihnen doch Strategien zugrunde, die auch in unserem Gesundheitssystem Wirkung zeigen. Die Verwandlung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in eine Geschäftsbeziehung nach der Logik der Dienstleistungsmärkte macht aus PatientInnen KundInnen, die Leistungen nachfragen und von den AnbieterInnen (ÄrztInnen, TherapeutInnen, Pflegenden) angeboten werden.

Konsumentenkonzept –mangelnde Nachfragemacht

Gegen das Patient-als-Konsumenten-Konzept sind wichtige Einschränkungen anzumerken: Der Informationsvorsprung der medizinischen ExpertInnen, besonders in seiner schichtspezifischen Wirkung, ist prinzipiell uneinholbar. Die Nachfrage der PatientInnen erfolgt in der Regel unspezifisch und wird erst durch die Fachkompetenz der AnbieterInnen (Arztes) zu einem Angebot konkreter Dienstleistungen. Auch ist Patientsein mit Ängsten, Schmerzen und Hilfsbedürftigkeit verbunden und macht eine vertrauensvolle Haltung gegenüber den HelferInnen erforderlich, die die Rolle der/s "souveränen KonsumentIn" schwächt. Schließlich tendiert das Marktmodell zur Ausweitung der durchgeführten Maßnahmen, unabhängig von ihrem Nutzen. Denn auch der Medizinbetrieb unterliegt wie die PatientInnen der für Warengesellschaften verständlichen Einschätzung, nachdem "mehr Medizin" automatisch besser für die Gesundheit und "teurere Medizin" besser als "billige Medizin" ist. Somit werden auch finanziell gutgestellte PatientInnen vielleicht wie "königliche KundInnen" bedient, aber nicht wie kranke Menschen behandelt.12

Wichtig bleibt daher nicht nur, die Seite der PatientInnen zu stärken, wie es im Bereich der chronischen Erkrankungen durch Selbsthilfegruppen geschieht, in denen PatientInnen zu ExpertInnen in eigener Sache werden, sondern generell ist das Konsumentenkonzept in Frage zu stellen, weil es die Eigenleistung der PatientInnen bei der Herstellung der eigenen Gesundheit systematisch ausblendet. Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen dem kranken Menschen und dem kaputten Auto, das man in die Reparatur gibt.

Zudem verdeckt das Konsumenten-Konzept auch die soziale Schichtspezifik dieser Abhängigkeit von den medizinischen ExpertInnen: Bessere Bildung ermöglicht mehr Handlungsspielräume ihnen gegenüber, und so gewinnen Mittel- und Oberklassen-Angehörige von den Wahlmöglichkeiten nach dem Konsumentenkonzept mehr als die niedrigerer Schichten.

Kommerzielle Präsens über Grenzen hinweg

Verschärft wird diese Tendenz durch eine weitere Form des Handels mit Gesundheitsdienstleistungen, der kommerziellen Präsenz von großen Krankenhauskonzernen, die mit Joint Ventures zusätzliche private Einrichtungen in anderen Ländern aufbauen, zum Teil um die niedrigeren Lohnkosten für einen "Behandlungstourismus" zu nutzen, aber auch, um das kaufkräftige Segment des jeweiligen Segmentes abzuschöpfen; "cream skimming" ist der passende Ausdruck dafür, denn mit der Konzentration auf High-Tech-Medizin im Gegensatz zu breiteren Dienstleistungen werden Ressourcen speziell auf diejenigen konzentriert, die dafür bezahlen können. Thailand ist ein Beispiel für eine solche Dynamik im Gesundheitsbereich. Ein interner Brain Drain setzte nach der Eröffnung solcher Joint-Venture-Krankenhäuser ein, der die höher qualifizierten Kräfte in den privaten Bereich zog und die Versorgung im öffentlichen Sektor und besonders in den ländlichen Gebieten weiter beeinträchtigte.13

Auch in Indien werden solche Joint Ventures benutzt, um kostengünstige Behandlungen im Vergleich zu den westlichen Industriestaaten anzubieten. So kosten dort Bypass-Operationen ein Zehntel des üblichen Preises in den USA.14 Sind es auch vor allem bisher regionale Schwerpunkte, die sich in diesem grenzüberschreitenden Handel mit Gesundheitsdiensten ausdrücken, so verzehnfachte sich der Betrag, den Patienten aus Bangladesh in Indien für spezialisierte Gesundheitsversorgung, zumeist für Krebs, Herz-und Nierenerkrankungen, ausgaben, von 1993/94 bis 1998/99.15 Eine ähnliche Rolle als regionale Zentren für High-Tech-Medizin für den Mittleren Osten spielen Jordanien und der Libanon.

In der Tendenz sind solche Entwicklungen, die zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen den attraktiven Patienten, an denen sich verdienen lässt und den lästigen Armen, deren Gesundheitsprobleme sich betriebswirtschaftlich nicht lohnen, auch in den Strategien erkennbar, die aktuell in der Umgestaltung der Krankenhäuser in Deutschland wirksam sind

Krankenhausversorgung – Profitcenter

Die Kosten für die stationäre Versorgung sind der größte Einzelposten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dementsprechend groß war und ist das Interesse, hier durch verstärktes betriebswirtschaftliches Management Kosten einzusparen. Dazu gehören auf der Tagesordnung marktliberaler Gesundheitspolitik neben der Privatisierung von Krankenhäusern vor allem interne Umstrukturierungen, die aus Verwaltungseinheiten, Service-Bereichen, wie Wäscherei oder Küche, und klinischen Fach-Abteilungen sog. Profit-Center machen, die im Rahmen der Krankenhausgesamtplanung eigenständig wirtschaften. Sie orientieren ihre Angebote direkt an dem Bedarf ihrer "KundInnen" und nutzen Gewinne auch in gewissem Rahmen selbst zur Reinvestition oder Umsatzbeteiligung der MitarbeiterInnen.

Mögliche Vorteile dieser Konzepte liegen neben der größeren Transparenz und Optimierung von Abläufen innerhalb der Profit-Center in der stärkeren Motivation und Eigenverantwortlichkeit der MitarbeiterInnen. Diese können ohne Zweifel zu wichtigen und längst überfälligen Verbesserungen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Patienten-Freundlichkeit der Institution Krankenhaus führen.

Dem stehen gewichtige Risiken gegenüber. Gesundheitspolitische Zielvorstellungen, die einen Versorgungsauftrag formulieren, also an einer gesicherten Krankenhausversorgung für die Bevölkerung festhalten, lassen sich mit Profit-Center-Strukturen schwerlich vereinbaren. Durch die Bildung eigenverantwortlicher Substrukturen innerhalb des Krankenhauses (und auch durch das neue Finanzierungsinstrument der DRGs (Diagnosis Related Groups), mit der nicht mehr Krankenhaustagessätze von den Kassen finanziert werden, sondern festgelegte Entgelte für standardisierte Behandlungsfälle) fallen wichtige Möglichkeiten der Quersubventionierung weg. Schon wenige, besonders "teure" Behandlungsfälle können die betriebswirtschaftliche Rechnung des Profit-Centers aus der Bahn werfen. Systematisch wird so eine Vermeidung der Behandlung kostenintensiver PatientInnen gefördert. Schon jetzt zeigt sich die Tendenz in betriebswirtschaftlich streng geführten Krankenhäusern, solche PatientInen trotz offiziellem Versorgungsauftrag abzuwehren. Verdeckter findet eine solche Risikoabwehr statt, wenn bestimmte Behandlungen, die sich nicht ausreichend standardisieren lassen, nicht mehr angeboten werden.16

Am deutlichsten zu sehen ist das schon in den USA, und zwar in den Untersuchungen der US-amerikanischen Konsumentenorganisation Public Citizen. Sie dokumentieren in allen Teilen der USA solche illegalen Praktiken von Patienten-Dumping seitens der Krankenhäuser, sowohl von Häusern, die "for profit" als auch von solchen, die "non-for-profit" geführt werden.17 Damit wird die "strukturelle Logik" solcher Mechanismen auch gegen politisch anderslautende Vorgaben durchsetzt.

Zwei weitere Beispiele möchte ich anführen, die zeigen, wie Konkurrenz und Wettbewerb, die wesentlichen Stützen der neoliberalen Wirtschaftswelt, wichtige Ziele einer sozial orientierten Gesundheitspolitik, wie ein gesicherter Zugang zu notwendigen Gesundheitsdiensten, unterminieren können. Sie sind zu finden in der Erforschung und Vermarktung von Medikamenten und bei der zunehmenden Konkurrenz im Krankenversicherungswesen.

Medikamente für die Armen?

Ein wichtiger Teil des Gesundheitswesen ist die Arzneimittelproduktion.

Auch dieses Thema wurde in der WTO heiß debattiert, da sich die Transnationalen Pharmamultis ihre Erfindungen und Entdeckungen (oftmals auch nur die Entwicklung zur Marktfähigkeit oder die Vermarktung von Substanzen, die mit öffentlichen Forschungsgeldern entwickelt wurden) mit einem 20jährigen Patentschutz weltweit absichern lassen wollen und dabei vor allem von ihren Heimatländern, allen voran den USA unterstützt werden. Dieses Patentrecht sichert die Profite der Hersteller und verhindert für diesen langen Zeitraum eine effektive Produktkonkurrenz durch die Nachahmerpräparate (Generika). Die enormen Preisdifferenzen wurden in den beiden letzten Jahren vor allem am Beispiel der virushemmenden Medikamente zur Behandlung von AIDS diskutiert und führten zu einem unerwartet erfolgreichen Druck auf die Hersteller, relevante Nachlässe zuzulassen. Dabei ist die Tatsache, dass es eine medikamentöse Therapieoption für diese neue Gesundheitskatastrophe überhaupt gibt, in den Entwicklungsländern eher ein "glücklicher Zufall” zu nennen, wenn es sich angesichts des Ausmaßes nicht verbieten würde, von Glück zu sprechen. Denn die meisten der Gesundheitsprobleme der Habenichtse in diesen Ländern, soweit eine medikamentöse Therapie sinnvoll erscheint, sind in der Logik der Pharmakonzerne, ihrer Manager und Aktionäre im wahrsten Sinne des Wortes nichts wert, weil sie über keine Kaufkraft verfügen, die das Engagement für neue Medikamente oder Impfstoffe gegen Malaria, Tuberkulose oder Schlafkrankheit rentabel erscheinen lassen.18

Auf der Suche nach "block bustern", den großen Gewinnern im Kampf um die Marktprozente, konzentrieren sie sich auf die Probleme und Bedürfnisse der wohlhabenden Staaten: das nächste Antidepressivum, der neueste Blutdruck- oder Blutfettsenker und auch Viagra für Frauen ist in der Forschungspipeline. Kürzlich fand ich die Meldung aus den Gentech-Labors, dass jetzt endlich der Genort des männlichen Haarausfalls gefunden worden sei, so dass wir wahrscheinlich in Kürze mit dem ultimativen Medikament gegen diese vorletzte Hürde auf dem Weg zur ewigen Jugend rechnen können. Selbst ein Mittel gegen Heimweh von Haustieren ist in der Entwicklung bei einem Pharmamulti.

Konkurrenz der Versicherer

Eine begrenzte Konkurrenz der gesetzlichen Krankenkassen um Versicherte wurde 1992 mit der Gesundheitsreform eingeführt, um Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen und zur Beitragsstabilität, mithin der Lohnnebenkosten, das goldene Kalb der aktuellen Bundesregierung, beizutragen.

Zwar wurden interne Umverteilungsmechanismen zwischen den Versicherungen eingeführt, aber der Wettbewerb um die "besseren" Risiken gegen die "schlechteren" Risiken, also um diejenigen, die weniger Kosten verursachen als Beiträge zahlen, ist der wesentliche Mechanismus, der im Wettbewerb Erfolg verspricht. Dies richtet sich nicht nur gegen chronisch Kranke, sondern enthält eine spezifische Vergrößerung der sozialen Gräben, weil bekanntermaßen Angehörige der sog. unteren Schichten aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen stärker von Krankheit, Behinderung und vorzeitigem Tod bedroht sind und entsprechend häufig von solchen Entwicklungen betroffen sein werden.

Man muss nicht so weit wie nach Chile blicken, wo unter der Diktatur bereits vor über 20 Jahren begonnen wurde, systematisch eine private Krankenkassenkonkurrenz zur allgemeinen Sozialversicherung gemäß den wirtschaftsliberalen Vorgaben der Chicagoer Ökonomen zu fördern. Aber in diesem Extrem wird das Prinzip besonders deutlich:

Gezielt werben die privaten, profitorientierten Krankenversicherungen junge, gutverdienende KundInnen an, denen sie für ihre Einkommensklasse günstige Einstiegsprämien anbieten können, während ärmere, besonders kinderreiche Familien kaum bezahlbare Policen bei den Privaten finden und weiterhin auf die öffentliche Grundversicherung angewiesen sind, die wie die deutsche GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) lohnabhängige Beiträge kennt. Damit bedienen sie sich der Technik der Rosinenpickerei, da sie gezielt den sozial besser gestellten Teil der Gesellschaft versorgen, der auch im Durchschnitt geringere Erkrankungsrisiken trägt, die wie überall sozial ungleich verteilt sind.

Aber auch die Besserverdienenden werden allzu oft durch hohe Zuzahlungsregelungen bei schwerwiegenden und vor allem lang dauernden, chronischen Krankheitsverläufen in ihrer vermeintlich besseren Absicherung enttäuscht. Die wenigsten Versicherten wissen genau über ihren Versicherungsschutz Bescheid, den sie zudem in "gesunden Zeiten" abschließen, wenn eine umfassende Einschätzung möglicher Erkrankungssituationen für die Versicherten schwierig einzuschätzen ist.

Die von den Ökonomen erwünschte "Markttransparenz" stellt sich so nicht her, mit der Folge, dass insbesondere mit steigendem Alter, wenn die Versicherungsprämien auch für Besser- und Gutverdienende oft unbezahlbar werden, die Versicherten wieder auf die öffentliche Sozialversicherung angewiesen sind, just dann, wenn erfahrungsgemäß chronische Beschwerden und Erkrankungen zunehmen. So entlastet sich die private Versicherungsbranche zusätzlich von Kosten und schiebt die Einkommensschwächsten, die Kränkesten und Ältesten, die mit den höchsten Gesundheitsrisiken, dem öffentlichen Sektor zu.19

Die Diskussionen rund um die Reform der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland enthüllen ähnliche Strategien, insbesondere die Teilprivatisierung der Rentenversicherung. Auch die Diskussionen um Rückerstattungen von Krankenkassenbeiträgen für kostengünstig Versicherte (ähnlich wie beim unfallfreien Autofahren) zeigen bereits die Richtung an, in die gedacht wird. Noch ist das gesundheitspolitische Solidarprinzip, das sich der Unterstützung einer breiten Mehrheit in den Bevölkerungen der jeweiligen Länder erfreut, nicht aufgegeben und ermöglicht so Umverteilungen zwischen Jungen und Älteren, Familien und Singles, Männern und Frauen, Menschen mit höheren und niedrigeren Gesundheitsrisiken, Besser- und Schlechterverdienenden. Aber der Wettbewerb um die "guten Risiken" findet verdeckt schon statt. Gezielt werden zusätzliche Angebote gemacht, die neue Mitglieder werben sollen, die ein günstiges Risikoprofil aufweisen. Besonders die flexible, moderne, gutverdienende und gesundheitsbewusste Mittelschicht ist umworben. Sie wandert von den großen Kassen ab hin zu neuen, flexiblen nur noch per Telefon und E-Mail erreichbaren "virtuellen Betriebskrankenkassen". Diese zeigen sich im Gegenzug für den verringerten personalintensiven Service dann besonders großzügig bei der Bewilligung alternativer Therapieformen wie Akupunktur und Naturheilkunde.

Die Umverteilungspotenziale werden so in den großen Kassen geringer, die bereits durch verringerte Einnahmen infolge der hohen Zahl von Arbeitslosen belastet sind, für die die staatlichen Stellen nur reduzierte Beiträge bezahlen.

Mit den vorliegenden Beispielen habe ich versucht darzustellen, wie durch die Einführung von Wettbewerb, Privatisierung und Konkurrenz die Kommerzialisierung der Gesundheitsversorgung vorangetrieben wird, und wie dadurch wichtige Ziele in der Gesundheitspolitik, wie Solidarität und gleicher Zugang zu einer qualitativen Gesundheitsversorgung, gefährdet werden kann. Die Profitinteressen, die das treibende Moment hinter den AnbieterInnen in einem kommerzialisierten System darstellen, seien es private ÄrztInnen, Krankenhäuser, Pharmafirmen oder Krankenkassen, nutzen nicht nur den AnbieterInnen selbst, sondern bevorzugen auch die, denen es schon besser geht, die sich eine bessere Marktübersicht verschaffen können und die sich um ihre Gesundheit in einer gewissen Weise kümmern können. Andere, die mehr angewiesen sind auf Umverteilungsmechanismen, auf gesellschaftliche Solidarität in sozialen Systemen, werden systematisch ausgeschlossen und weiter marginalisiert.

Für eine solche Orientierung auf einen gerechten, gesicherten Zugang zu Gesundheitsdiensten und darüber hinaus auf eine Perspektive, die die sozialen Ungleichheiten im Blick auf Krankheit und Tod verringern will, steht die Forderung nach dem Menschenrecht auf Gesundheit.

Natürlich ist mit dem Zugang zum Gesundheitssystem noch nicht Gesundheit hergestellt. Vielfach sind es viel grundlegendere Dinge als das Gesundheitswesen, die dazu beitragen, das Menschen besser, gesünder und länger leben können. So banale Dinge wie gute, ausreichende Nahrung, sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen, gute Wohnmöglichkeiten, ein sicheres Einkommen, stabile soziale Beziehungen, die Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Ausbeutung. Für diese Perspektive stand und steht die alte Strategie der Primären Gesundheitfürsorge (Primary Health Care), von der Weltgesundheitsorganisation 1978 verabschiedet,20 und bald darauf in den meisten Ländern unter die Räder der beginnenden marktwirtschaftlichen Orientierung der Strukturanpassungsmaßnahmen und des neoliberalen Misstrauens gegenüber staatlichen Gesundheitssystemen gekommen.

Vergessen wurde sie aber nicht, vor allem nicht von den Betroffenen selbst, denn das PHC-Konzept betonte nicht nur die Verantwortung des Staates zur Gewährleistung dieser Grundversorgung aller mit den notwendigen Diensten, sondern stellte die aktive Beteiligung der Menschen an der Planung und Durchführung "ihrer" Gesundheitsdienste heraus, so wie es des aktiven Beitrags jedes einzelnen an seiner/ihrer Gesundheit selbst bedarf.

Das Recht auf Gesundheit entsteht aus beidem, dem formulierten Rechtsanspruch und dem Aktivwerden der Menschen, ihn umzusetzen. Exemplarisch für diese Gesundheitsbewegung von unten ist in den letzen Monaten besonders die südafrikanische Treatment Action Campaign (www.tac.org.za) bekannt geworden, die sich aktiv für die Rechte der AIDS-Kranken auf Behandlung einsetzt und zugleich ein treibender Faktor in der Bekämpfung der Epidemie in diesem Land ist.21

Viele andere solcher Initiativen sind seit langem aktiv; einige hat medico international unterstützt; eine 20jährige Zusammenarbeit gibt es beispielsweise mit dem Netzwerk Health Action International (www.haiweb.org), in dem die beteiligten Gruppen und Einzelpersonen den Focus auf die Arzneimittelversorgung gelegt haben als einem wichtigen Baustein des PHC-Konzeptes. Die kritische Beobachtung der Medikamentenhersteller und der lokalen und internationalen Pharmageschäfte gehört ebenso dazu wie die Förderung des sinnvollen Einsatzes der bunten Pillen durch die VerschreiberInnen und der AnwenderInnen.22

Die Idee einer ganzen Weltgesundheitsversammlung von unten, wie sie schon lange von den GesundheitsaktivistInnen als Gegenstück zur jährlich stattfindenden Weltgesundheitsversammlung der staatlichen VertreterInnen geplant war, konnte im letzten Dezember in Bangladesch verwirklicht werden, nachdem ein ganzes Jahr lang Aktivitäten zur Vorbereitung in allen Teilen der Welt stattgefunden hatten. Die dabei vertieften Kontakte werden in den jeweiligen Kontinenten fortgeführt (www.phamovement.org).23

Im Zusammenhang mit den WTO-Verhandlungen ist vor allem das Abkommen über die intellektuellen Rechte, das Patentschutzabkommen und seine Folgen auf den Zugang zu Arzneimitteln, aber auch zu Saatgut, das die Begehrlichkeit der multinationalen Agrarkonzerne weckt, in die Kritik geraten, wie schon beschrieben. Aber auch die grundsätzlichere Frage nach der neoliberalen Logik, die jeden Lebensbereich in eine Warenwelt verwandeln will, ist wieder zurückgekehrt.

Wenn Gesundheit für alle mit Solidarität, Umverteilung und gemeinsamen Engagement zusammenhängt, dann ist das Marktmodell vielleicht wirklich nicht die beste aller möglichen Lösungen dafür. Welche anderen möglich wären und dafür in Frage kommen, sollten wir nicht ExpertInnen überlassen. Wie die People's Health Assembly sagte, ist es wichtig, von Opfern zu Protagonisten zu werden.24

Anmerkungen

  1. Nach Gill Walt: Globalisation and Health, paper 2000 (Medact meeting 13.05.00)Zurück zur Textstelle
  2. Cornia, Giovanni Andrea: Globalisation and Health: Results and Options, in: Bulletin of the WHO, Vol 79, No 9, 2001, S. 834-841, hier S. 837Zurück zur Textstelle
  3. Labonte, Ron, Marylin Wise: Trade and Health, Paper for the International Union for Health Promotion and Education and the Candian Public Health Association in Preparation for the Seattle Round of negotiations of the WTO, 2000: www.health.usyd.edu.au/achpZurück zur Textstelle
  4. Dembowski, Hans: Europäische Union zu harten Verhandlungen bereit, Frankfurter Rundschau 07.11.2001, S. 9Zurück zur Textstelle
  5. Woolhandler, S., Himmelstein, D.U., Young, Q. 1993. High Noon for US Healthcare Reform. Int. J Health Services 23: 193-211Zurück zur Textstelle
  6. Cornia, Giovanni Andrea: Globalisation and Health: Results and Options, in: Bulletin of the WHO, Vol 79, No 9, 2001, S. 839-840Zurück zur Textstelle
  7. ebd. S. 839Zurück zur Textstelle
  8. Segall, Malcolm: Human Development Challenges in Health Care Reform, in: Ferrinho, Paulo, van Lerberghe, Wim (Ed.): Providing health care under adverse conditions: Health personnel performance and individual coping strategies, p. 7-17, hier p.8f.Zurück zur Textstelle
  9. UNCTAD/WHO International Trade in Health Services: A Development Perspective, Zarilli S./C. Kinnon (Ed.) Geneva 1998, Chapter 3, p. 55Zurück zur Textstelle
  10. Cohen, R.: Brain Drain Migration, 1997, http://www.queensu.ca/samp/transform/cohen1.htm, auch: Caplan, D./Jean BaptisteMeyer/ M.brown: Brain Drain: New Data, New Options, 2000Zurück zur Textstelle
  11. vgl. Ferrinho, Paulo, van Lerberghe, Wim (Ed.): Providing health care under adverse conditions: Health personnel performance and individual coping strategies. Studies in Health Services Organisation & Policy, 16, 2000 (Antwerp)Zurück zur Textstelle
  12. Deppe, Hans-Ulrich: Nicht alles der blinden Macht des Marktes überlassen. Zur Kommerzialisierung des Menschenrechts Gesundheit, in: Soziale Medizin (Schweiz) 5/01, S. 37-42, hier S. 40, Referat auf dem IPPNW-Kongress "Medizin und Gewissen", Mai 2001 in ErlangenZurück zur Textstelle
  13. Chanda, Rupa: Trade in Health Services, CMH Working Paper No. WG4:5, June 2001, p. 19Zurück zur Textstelle
  14. ebd. S., 42f.Zurück zur Textstelle
  15. ebd. S. 43Zurück zur Textstelle
  16. vgl. Dahlgaard, Kurt/Kalle Jung/Wolfgang Schelter: Profit-Center-Strukturen im Krankenhaus. Potentiale, Risiken und (Neben-)wirkungen, Frankfurt/Main 2001Zurück zur Textstelle
  17. Public Citizen Report: Questionable Hospitals: Patient Dumping Report (2001), www.citizen.org/questionablehospitals/Zurück zur Textstelle
  18. verschiedene Organisationen arbeiten zur Zeit zu diesem Thema; neben Health Action International (s.u.) (www.haiweb.org), dem Consumer Project on Technology (www.cptech.org) und dem Third World Network (www.twnside.org.sg) sind in den letzten zwei Jahren die großen Nothilfe- und Entwicklungshilfeorganisationen Ärzte ohne Grenzen (accessmed-msf.org), OXFAM (www.oxfam.org.uk/cutthecost) und VSO (www.vso.org.uk) dazugekommenZurück zur Textstelle
  19. Holst, Jens: Das chilenische Gesundheitssystem. Soziale Verunsicherung statt absichernde Fürsorge, in: Solidaridad 215, Juli-August 2001, S. 11-16Zurück zur Textstelle
  20. WHO/UNICEF: Primary Health Care. Report of the International Conference on Primary Health Care, Alma Ata, USSR, 6-12 September 1978Zurück zur Textstelle
  21. Die Arbeit von TAC ist einsehbar auf der website www.tac.org.za , ihr elektronischer newsletter kann abboniert werden über subscribe@tac.org.zaZurück zur Textstelle
  22. website: www.haiweb.org , e-mail: hai@hai.antenna.nlZurück zur Textstelle
  23. website der People's Health Assembly: www.phamovement.org, hier finden sich auch weitere Materialien und Aufsätze zum Thema Globalisierung und Gesundheit.Zurück zur Textstelle
  24. People's Health Assembly: Health in the Era of Globalisation. From Victims to Protagonists. A discussion paper, prepared by the PHA drafting group, 2000, verfügbar auf www.phamovement.orgZurück zur Textstelle
© links-netz Dezember 2001