WIENER DEKLARATION
WIENER deklaration
der Konferenz „ALTERNATIVER ECOFIN
Wirtschaftspolitik für ein anderes Europa“
Wien, 4.-6.April 2006
Europa
befindet sich unzweifelhaft in einer politischen, aber auch
ökonomischen Krise. Aufgrund der in den letzten Jahren praktizierten
Wirtschaftspolitik in der EU kam es zu einer Stagnation der
Binnennachfrage und infolgedessen von Wachstum und Beschäftigung. Die
Vermögens- und Einkommensverteilung wurde zunehmend ungleicher. Europa
erlebt neue Formen der Prekarisierung und sozialen Polarisierung und
entfernt sich immer weiter von ökologischer Nachhaltigkeit. Die
offiziell erklärten Ziele europäischer Politik (Lissabon-Agenda) sind
verfehlt worden. Daraus werden jedoch nicht die nahe liegenden Lehren
gezogen. Es wird weiter an einer restriktiven makroökonomischen Politik
festgehalten, die allein in Deregulierung und Liberalisierung, der
Flexibilisierung der Arbeitsmärkte sowie dem Abbau der sozialen
Sicherungssysteme ihr Heil sucht. Zu dieser verfehlten Politik gibt es
Alternativen. Diese müssen im Zusammenwirken von kritischer
Wissenschaft, sozialen Bewegungen und ArbeitnehmerInnenorganisationen
in einem offenen und demokratischen Prozess formuliert und
vorangetrieben werden. Eckpunkte eines alternativen Entwicklungstyps,
den wir anstreben, und konkrete Hauptforderungen sind:
1. Priorität für existenzsichernde Vollbeschäftigung
Alle
in der EU lebenden Menschen sollen eine Lohnarbeit annehmen können, die
ihren individuellen Qualifikationen und Bedürfnissen entspricht und
ihnen ein Einkommen verschafft, das ein selbständiges Leben ermöglicht.
Zur Vollbeschäftigung gehören angemessene Entlohnung, gute
Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung
der Arbeitenden. Die Wirtschaftspolitik muss dazu beitragen durch:
- Öffentliche Investitionsprogramme in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie Gesundheit und soziale Dienste
- Schrittweise Umsetzung einer Arbeitszeitverkürzung
- Stärkere
Koordinierung der europäischen Makropolitik und expansive,
wachstumsorientierte Ausrichtung der Budget-, Geld- und Strukturpolitik
statt ausschließlicher Fixierung auf Budgetausgleich, Preisstabilität
und Deregulierung; Einführung von Gender Budgeting in der
EU-Fiskalpolitik
- Förderung einer demokratischen
Diskussionskultur zu Fragen der Wirtschaftspolitik und Maßnahmen zur
Einbeziehung aller betroffenen Stakeholder in politische Entscheidungsprozesse; Implementierung von Gender Mainstreaming in wirtschaftspolitische Entscheidungen
2. Soziale Sicherheit ausbauen
Alle in der EU lebenden Menschen haben das unbedingte Recht, vor Armut
und materieller Hilflosigkeit bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder
Unfall, im Alter oder in sonstigen unglücklichen Umständen geschützt zu
sein. Soziale Sicherheit ist eine gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung, die weder durch Eigenverantwortung noch durch Privatisierung ersetzt werden kann.
- Armutsbekämpfung
und soziale Absicherung als zentrale Ziele der Europäischen
Sozialagenda sind durch effektive Maßnahmen umzusetzen; Keine
Binnenmarktstrategie ohne soziale Standards auf hohem Niveau
- Schaffung
neuer und Verbesserung bestehender Mindeststandards, um auf diesem Weg
eine schrittweise Angleichung der sozialen Standards auf höchstem
Niveau zu erzielen, statt Absenkung durch die geplante Umsetzung des
Binnenmarkts für Dienstleistungen
- Demokratische
Restrukturierung der öffentlichen Dienste statt
Liberalisierung/Privatisierung: Anpassung an veränderte Bedürfnisse und
Förderung einer NutzerInnen-orientierten Betriebsführung, Stärkung der
demokratischen Kontrolle öffentlicher Unternehmen, aber keine
Ausrichtung am Gewinnprinzip; Keine weiteren
Liberalisierungen/Privatisierungen essenzieller öffentlicher
Dienstleistungen (z.B. Wasserversorgung, öffentlicher Verkehr,
Gesundheit und soziale Dienste), Rücknahme der
Liberalisierungsforderungen bei öffentlichen Diensten in den
GATS-Verhandlungen
- Stopp der Privatisierungskampagne bei den Pensionssystemen
3. Soziale Gerechtigkeit, regionale und soziale Kohäsion stärken
Gleichmäßigere Verteilung der Vorteile des europäischen Wirtschaftssystems durch:
- Unterbindung
des Steuerwettbewerbs: Schließung von Steueroasen; Einführung von
einheitlichen europaweiten Mindestkörperschaftssteuern für Unternehmen
auf harmonisierter Bemessungsgrundlage
- Etablierung eines
gender-sensitiven Verteilungs-Monitorings als wichtige Säule der
EU-Agenda (Entwicklung von Verteilungsindikatoren, Gender-Statistiken,
Distribution Impact Assessment)
- Umschichtung und mittelfristige
Erhöhung des EU-Haushalts, insbesondere zugunsten der Europäischen
Sozial-, Struktur- und Kohäsionsfonds, um soziale und regionale
Ungleichgewichte wirkungsvoller auszugleichen
4. Ökologische Nachhaltigkeitumsetzen
Das Bekenntnis der EU zu einer ökologisch nachhaltigen
Wirtschaftsentwicklung braucht jetzt effektive Maßnahmen, die den Umbau
des Wirtschaftssystems in diese Richtung stärken, insbesondere durch:
- Umstellung auf ein stärker dezentralisiertes Energiesystem mit Schwerpunkt Förderung erneuerbarer Energiequellen
- Förderung
umweltfreundlicher Mobilität, Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen
durch Umsetzung umfassender Kostenwahrheit im Verkehr
- Aktionsprogramm
zur Verbesserung der Öko-Effizienz in der Nutzung von natürlichen
Ressourcen (Ausbau der Fernwärme, öffentliche Förderprogramme zur
thermischen Sanierung von Altbauten und dem Bau von
Niedrigenergiehäusern)
- Verstärkte Unterstützung der Neuen Mitgliedsstaaten bei der ökologischen Restrukturierung ihrer Wirtschaft
5. Globalisierung aktiv gestalten
Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik der
Europäischen Union soll primär der Förderung friedlicher, fairer und
gleichberechtigter internationaler Wirtschaftsbeziehungen dienen. Eine
Politik, die darauf abzielt, die hausgemachten Probleme der EU durch
rücksichtslose Konkurrenz auf den internationalen Märkten zu lösen,
widerspricht der globalen Verantwortung der EU als größtem
Wirtschaftsraum für ein kooperatives Weltwirtschaftssystem. Dazu
schlagen wir eine Reihe von Maßnahmen vor:
- Erhöhung der Transparenz und demokratischen Teilhabe aller betroffenen Stakeholder in den internationalen Wirtschaftsinstitutionen IWF, Weltbank und WTO
- Kooperatives
Management des internationalen Währungssystems durch Maßnahmen zur
Erhöhung der Finanzmarktstabilität sowie zur Eindämmung der
kurzfristigen Finanz- und Devisenspekulation, insbesondere durch
Einführung einer Devisenumsatzsteuer
- Unterstützung fairer und
gleichberechtigter internationaler Handelsbeziehungen, insbesondere
durch stärkere Berücksichtigung von Sozial- und Umweltstandards im
Welthandel
- Bevorzugte Behandlung von Entwicklungsländern
innerhalb der WTO, insbesondere durch den Abbau von
entwicklungsschädigenden Exportsubventionen der Industrieländer
- Stärkere
Ausrichtung der Entwicklungshilfe auf die Beseitigung der Armut und des
Hungers sowie Förderung eigenständiger Entwicklungsstrategien
- Etablierung
verbindlicher internationaler Mindeststandards für
Unternehmensverhalten statt unverbindlicher Lippenbekenntnisse zur
„sozialen Verantwortung der Unternehmen“
Die „Wiener Deklaration“ wird unterstützt von:
ATTAC ÖSTERREICH
AMNESTY INTERNATIONAL
ARBEITERKAMMER WIEN
ARMUTSKONFERENZ
GREENPEACE
GEWERKSCHAFT DER PRIVATANGESTELLTEN
GEWERKSCHAFT DER EISENBAHNERINNEN
BERGBAUERN U. BERGBÄUERINNEN VEREINIGUNG
ÖSTERREICHISCHE HOCHSCHÜLERINNENSCHAFT .