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Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote Übersicht

 

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Potentialitäten situativ bestimmter Praktiken

Reflexionen zum veränderten Theoriebezug der Linken

von Andreas Donat

Der Diskurs ums Politische, der heute als 'links' angeboten wird, ist gekennzeichnet von einer in spezifischer Weise fortschreitenden Ersetzung des gesellschaftstheoretischen Bezugs. Wurde Gesellschaft in den in der 'Linken' hegemonial gewordenen Diskursen einst noch mit dem Bezug auf - in irgendeiner Weise - marxistische Theoreme analysiert und beschrieben, galt darüber hinaus die derzeitige Gesellschaft noch als 'Kapitalismus', der wesentlich durch das Verhältnis von Arbeit/Kapital bestimmt war, so ist für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen eine deutliche Veränderung diesbezüglich zu konstatieren. Der 'linke' Diskurs hat sich weitgehend von der marxistischen Terminologie emanzipiert. Der 'fordistischen' Gesellschaft wird noch zugestanden, durch den 'alten' Gegensatz von Arbeit und Kapital geprägt zu sein. Einer 'post-fordistischen' Gesellschaft wird dies zunehmend abgesprochen. Der einstige Hauptwiderspruch ist zum – bestenfalls - Nebenwiderspruch degradiert. Befreiungsversuche werden jenseits der Sphäre der 'Arbeit' verortet. Andere gesellschaftliche Auseinandersetzungen, andere Gesellschaftstheorien und Weltbilder sind ebenso wie andere 'revolutionäre Subjekte' im diskursiven Angebot. Ist diese Abkehr von dem immer schon heterogenen Konglomerat des Marxismus/Kommunismus ein Befreiungsakt der 'Linken'?

Für die Bundesrepublik lassen sich einige markante historische Etappen dieser 'Befreiung' nachzeichnen: Ausgangspunkt ist zunächst die erneute Rezeption Marxscher- und marxistischer Theorie in den 60er Jahren. Hier wurde auch in Opposition zum Marxismus-Leninismus der Oststaaten versucht an einen kritischen Marxismus anzuknüpfen. Es galt, sich an dessen philosophische Bezüge gerade auch zu Hegel zu erinnern. In welchem Verhältnis die Sturm und Drang – Phase der Studentenbewegung ab 1968 zu dieser Rezeptionsphase steht, wäre genauer zu untersuchen. Unbestritten stellt sie eine Popularisierung und Verbreitung marxistisch-leninistischer Theoreme dar. Ob - und wenn ja in welcher Hinsicht und in welchen Bereichen - sie auch zu einer qualitativen Vertiefung des Verständnisses der Theorien des Kommunismus geführt hat, ist nicht so eindeutig festzustellen. Steht am Ende jener Schulungskurse, die in dieser Zeit zum 'Massenphänomen' wurden, nicht vor allem ein Ökonomismus und ein dem stalinistischen Denken entlehnter Histomat und Diamat? Die 70er Jahre sind auf dieser Grundlage geprägt von politischen Organisationsversuchen, die von den K-Gruppen bis zur RAF reichen. Der 'linke' Aufbruch endet im Deutschen Herbst. Der neue Deutsche Frühling beginnt mit den 80er Jahren. Mit den sogenannten 'Neuen Sozialen Bewegungen' ist die Orientierung an Arbeiterbewegung und Marxismus im Prinzip bereits verlassen. Die 'linke' Phase bei den Grünen bleibt nur eine kurze Episode. Der 'Zusammenbruch' der Oststaaten 1989 bringt jene endgültig in Erklärungsnot, die immer noch meinten, dort gäbe es Sozialismus. Gleichzeitig ist damit die nächst Chance eröffnet, sich von dem 'Unsinn' der frühen Jahre zu distanzieren. Und wem diese Gelegenheit noch nicht ausreichte oder für die, die sie verpasst haben, inszenierte die westliche Wertegemeinschaft danach einen Krieg nach dem anderen. Entsprechende Identifikationszwänge produzierte die 'Linke', als folgte sie einem kruden Reiz-Reaktions-Schema.

Die neuen Widersprüche und Subjekte

Dass die Arbeiterbewegung bereits als tot galt, kurz nachdem sie historisch in Erscheinung trat, ist politische Geschichte. Der Sozialdemokratie gilt spätestens mit der Sozialgesetzgebung des frühen 20. Jahrhunderts revolutionäre Veränderung aus der Perspektive der Arbeiterbewegung als obsolet. Mit der Entwicklung des Kapitalismus verstärkt sich der Eindruck, dass sich diese revolutionäre Umwälzung aus jener Perspektive überhaupt nicht mehr ergeben könne. Die nach-achtundsechziger Periode holte lediglich die Verkleidungen (die theoretischen wie stofflichen) einer traditionalen, sozialdemokratischen Arbeiterbewegung von den Dachböden. Kaum auf den weltgeschichtlichen Spielplan getreten, ist das Publikum enttäuscht von der Arbeiterbewegung, es identifiziert sie unmittelbar mit dem, was es unbegriffen das 'Proletariat' nennt. Der Akteur, so wird behauptet, sei für die Rolle des Übersubjekts der Geschichte engagiert und gescheitert. Die Heilsbotschaft, die mit ihm verkündet wird, wird alsbald als solche geschmäht. Die historischen Vorführungen misslingen. Als Dichter dieser traurigen Farce gilt Marx. Dessen kritische Theorie wird gleichgesetzt mit dem, was unter Verwendung seines Namens als Histomat und Diamat lange unhinterfragte dogmatische Aufführungspraxis war. Mit ihm auf das Niveau einer teleologischen Geschichts- und Gesellschafts-Mechanik heruntergebracht findet sich sein philosophischer Lehrer Hegel. Eifrige Soziologen entlarven dann den Weltgeist, das Kapital oder die Arbeiterklasse als Axiome eines geschichtsmetaphysischen und tendenziell totalitären Projekts. Wahrheit gilt als der Name des methodischen Impetus dieses Projekts. Die Individuen, Zuschauer und Darsteller zugleich, wehren sich gegen eine vorgeblich damit verbundene totalitäre Außenbestimmung. Es fällt nicht auf, dass sie oft das Inkriminierte an gleicher Stelle als den ontologisierten Wert oder die Macht selbst auftreten lassen. Die Widersprüche kapitalistischer Gesellschaft erscheinen nunmehr aufgeführt auf politischen Kampfplätzen, auf denen die Linke mit sich, ihrem selbstverordneten Nominalismus und Pluralismus und ein wenig mit dem politischen Gegner ringt. Ringt sie um etwas anderes als um das bessere Funktionieren unserer Gesellschaft? Errungen werden politische Geländegewinne, das Fußvolk dazu heißt heute 'Neue soziale Bewegung', die Besetzung variiert.

Vor dieser Kulisse ist jeder Rekurs auf Marx schon erstaunlich. In dem Papier "Kommunismus, Universalismus, Antirassismus" von Manuela Bojadzijev, Thomas Seibert und Vassilis Tsianos wird dieser Rekurs versucht. Geht es dabei um eine adäquate theoretische Rekonstruktion, darum sich die Rechte am Traditionsbestand zu sichern oder sich zu vergewissern, dass es richtig ist, endlich fahren zu lassen all' den überflüssigen Text?

Betrachten wir zunächst die 'neuen' Widersprüche, wie sie sich für die traditionelle Kritik am Arbeiterbewegungsmarxismus auftaten. Sie lagen: in der Spaltung von Arm und Reich, auf der politischen Erscheinungsebene des Imperialismus, in der 'Frauenfrage' und in der 'Ökologie'. Subjekte waren u.a. Marcuses Ausgestoßene, die 'Völker' der 'dritten Welt', die 'Frauen', die 'Natur'.

Die Marginalisierten erscheinen heute u.a. als MigrantInnen. Wird die Weltrevolution als Massenmigration gedacht, sind damit die MigrantInnen als das Subjekt der Revolution bestimmt.

Die Befreiungsbewegungen der 'dritten Welt' sind seit langem Projektionsfläche für revolutionäre Hoffnungen in den imperialistischen Staaten. Oft nur noch romantischer Bezugspunkt, mit dem spätestens dann jegliche gesellschaftstheoretische Reflexion eingestellt ist, wenn die Bewegungen der dritten Welt zum Vorbild der Metropolenkämpfe gemacht oder sie als deren revolutionäres Ersatzsubjekt ausgebeutet werden. Waren die Vorbilder vieler 68er wie Mao, Che Guevara, Ho Tschi Min, Envar Hoxha und Lenin noch einem holzschnitthaften Marxismus verpflichtet, enttäuschen die heutigen Vorbilder, wenn sie sich nicht via Internet zu 'Freiheit und Democracie' bekennen. Die Hoffnung auf den Sprung aus den feudalen Verhältnissen in eine kommunistische Gesellschaft war jedoch spätestens seit der russischen Erfahrung problematisch.

Die Neuen sozialen Bewegungen haben die Spaltung der Welt in Männer und Frauen nachvollzogen. Der feministische Diskurs bewegt sich von biologistischen zur kulturalistischen Identifizierung seines Gegenstandes und zurück. Das antiemanzipatorische ist das Männliche, ob es nun vorgestellt wird als eine Funktion der Gene oder als Stempel aufgedrückter Rollen oder zugeschriebener Identitäten.

Die Natur schließlich wird selbst den Uneinsichtigsten lehren. Sie ist die Strafe fürs versagende 'Proletariat', die Diktatorin der Überlebensinteressen.
Konzentrieren wir uns auf das begehrte revolutionäre Subjekt. Es ist nicht mehr das eine gefährliche Tier, das an separaten dunklen Orten zu besichtigen ist. Heute scheint es, als bewegten sich die GesellschaftsforscherInnen durch einen Safaripark mit einer Vielzahl 'revolutionärer Subjekte' der unterschiedlichsten Arten. Dass diese Arten immer noch wie zuvor das alte Tier konkretistisch positiv und empiristisch bestimmt werden sollen, blieb dabei jedoch gleich. Es gilt das Subjekt festzustellen. Das Problem jenes bestimmenden und identifizierenden Denkens als positivistisches ist: Es selbst erzeugt die Arbeiter, Armen, Fremde, Deutschen, Frauen und die Natur, die es untersuchen und mit denen es sich identifizieren oder die es verstoßen kann. Die soziologisch handhabbare Gruppe gilt dann auch politisch als strategische Größe. Eine in historischen Zusammenhängen individuell oder gemeinschaftlich vollzogene Gegen-Identifikation der Unterdrückten ist verstehbar, im Theoretischen verbleibt dieser Akt jedoch im rein Identitären. Für Bojadzijev et. al. gehört es zur Heterogenität der Identitätspolitiken, dass sich auch der Widerstand gegen sie identitätspolitisch äußert. Identitäts-Theorie gleicht hier dem Streit ums Wasserglas – das, was den politischen Akteuren als das unmittelbar Gegebene erscheint, wird lediglich einer subjektiven Bewertung mit unterschiedlichem Ausgang unterzogen. Die Dekonstruktion geht den Schritt weiter zum skeptischen Sezieren solcher Identifikationen. Am Ende könnte die Feststellung stehen, wie leer doch die positive Objektivität ist. Doch fällt die Identitätspolitik hinter diese Einsicht zurück, um zu versuchen, jetzt auf der Grundlage ihres eigenen dogmatischen Pluralismus, ihrer Beliebigkeit festen Boden unter den Füßen zu finden.

Der Versuch von Bojadzijev et. al., mögliche Verbindungspunkte von Identitätspolitik und Marx/Engelsscher Theorie zu bezeichnen, lässt aufmerken. Als wesentlicher Verbindungspunkt erscheint dabei der im Kommunistischen Manifest und der Deutschen Ideologie formulierte Universalismus. Dabei unterläuft den AutorInnen jedoch sogleich ein hermeneutischer Fehler. Universalismus ist in der Deutschen Ideologie die Durchsetzung des universellen Verkehrs, der universellen Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit etc. Es ist der mit der Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse entstehende Universalismus, also zunächst bürgerlicher, kapitalistischer Universalismus. Dieser Prozess schafft "weltgeschichtlich, empirisch universelle Individuen" (MEW5/34ff), eine allseitige Abhängigkeit in Bezug auf die gesellschaftlichen Umwälzungen. Wenn in der Deutschen Ideologie gesagt wird, das Proletariat könne nur weltgeschichtlich existieren, ist die nationale Perspektive überschritten und der Weltmarkt vorausgesetzt. Bojadzijev et. al. machen daraus einen Universalismus mit "universal-historische[r] Geltung" und reden von einer "politische[n] Aktion einer universellen, weil weltgeschichtsmächtigen Subjektivität". Dabei verkürzen sie die kategoriale Bestimmung des Proletariats bei Marx und Engels zum Subjekt einer politischen Aktion. Die Entstehung des Universellen sowie die unmittelbare Verknüpfung der Individuen mit der Weltgeschichte wird bei ihnen zu Universalismus und Weltgeschichtsmächtigkeit. Beides identifizieren sie. Die theoretischen Selbstverständigungen der Jahre von 1845 bis 1848 werden anschlussfähig geklopft. Das Marxsche Projekt wird dabei – wie Derrida angibt, den Bojadzijev et. al. als Bestätigung zitieren – zu einer Verbindung von philosophisch-wissenschaftlichem Diskurs mit "Formen sozialer Organisation (einer Partei mit universaler Berufung, einer Arbeiterbewegung...)". Abgesehen von der problematischen Bezeichnung Marxscher Theorie als 'Diskurs' ist eine solche Verbindung von Theorie und sozialer Organisation nicht einzigartig, wie Derrida, Althusser wiederholend, meint.1 Fraglich ist auch, ob Marxsche Theorie sich mit jenen Formen sozialer Organisation trifft, die Derrida als "Partei mit universaler Berufung, Arbeiterbewegung" und "staatliche[..] Konföderation" begreift. Solche Organisation gibt für Bojadzijev et. al. dann auch noch die "Voraussetzung der gesuchten theoretischen Kritik" ab.

Die AutorInnen sehen das Scheitern des Realsozialismus in der Mangelhaftigkeit der Philosophie von Marx und Engels begründet.2 Trotzdem wollen sie an deren Versuch, "eine universelle theoretische Kritik mit ihren praktischen Voraussetzungen und Folgerungen in einem partikularen, d.h. parteilichen Universalismus zu verbinden" anknüpfen. Hier erscheint Marxsche (und Engelssche) Theorie in besonderer Weise zugerichtet. Sie sei "universelle theoretische Kritik", verbunden mit "parteilichem Universalismus". Ist die sehr spezifische Kritik von Marx damit zur universellen Methode degradiert, kommt notwendigerweise äußerlich eine universelle Parteilichkeit als leitendes Interesse hinzu. Ist "parteilicher Universalismus" Ersatz für ein identitär gedachtes Klassenbewusstsein der "weißen, männlichen Industriearbeiterschaft"? Soll mit diesem neuen Bewusstsein und seinem Subjekt der revolutionäre Sprung glücken?

Pluralistische Intention oder Dialektik?

Wurde in anderen Zusammenhängen jene transzendierende Verbindung von subjektiver Partikularität und objektiver Allgemeinheit noch mit einem Bezug auf Dialektik begründet entschlagen sich die AutorInnen der Begründungsproblematik. Wahrheit kann für sie letztlich nur als 'Metapher' gebraucht werden.3 Dialektik, so die AutorInnen, bringe "Entwicklung zu dem Ende, in dem der verlorene Ursprung wiederkehrt". Dialektik meine Entwicklung als "Archäo-Teleologie". Nichtdialektisch gedachtes Proletariat sei der "Kanakenstand". Nichtdialektische Aufhebung sei die "Sprengung des historischen Kontinuums".

Unterlegt sind dabei Vorstellungen von Dialektik, wie sie im strukturalistischen Traditionsbestand konstruiert und als Hegelsche identifiziert wurden. "Hegelsche Dialektik ist nämlich in ihrer Grundstruktur teleologisch; denn ihre entscheidende Struktur ist die der Negation der Negation: das Teleologische, mit der Dialektik Identische selbst".4 Selbst Stalin, jener "hellsichtige[..] marxistische[..] Philosoph", wie Althusser ihn in seiner Lenin-Apologie nennt, erkannte das. Deutet sich hier an, dass die AutorInnen dem traditionalen Bild des 'Marxismus' eher verhaftet sind, statt es zu 'dekonstruieren'?

Und weil im politischen Diskurs immer noch jeder Pudding ob seiner Tauglichkeit historisch geprüft werden muss, gilt es als Ausweg aus dem Dilemma des Essentialismus/Nominalismus, "historische Kriterien zur Beurteilung des Nutzens bestimmter Politiken [zu] entwickeln" (Bojadzijev/Tsianos).5 Es bekämpfen sich Praxen auf dem Feld des Identifizierens. Das Verständnis von Politik kommt nicht aus dem Diskurs des Identitären heraus, auch nicht in dem Versuch, "Ent-Identifizierung" als Ausweg anzubieten. Konsequent müsste diese an der Kritik der ideologischen Bestimmung des Politischen als Verfahren des subjektiven Identifizierens ansetzen, nicht es affirmieren. Es wäre zu zeigen, dass mit dem Wechsel von Identifikation und Gegen-Identifikation nichts begriffen und nicht kritisiert wird. Darin spiegelt sich die Oberfläche bürgerlicher Politik, das ideologische 'Wir' des Nationalismus, das Denken in Freund und Feind, das Mao und Carl Schmitt so virtuos beherrschten. Die einfache Negation der Identitätspolitik, die mit dem Begriff der Ent-Identifizierung angedacht wird, begreift sich selbst wiederum als solche. Hier scheint es sich zu rächen, dass Dialektik immer nur als Versöhnung von Affirmation und Negation begriffen wird. Der Rückgriff auf Althussers rollentheoretischer Auslassungen, seine Fassung von 'I and Me' und sein 'Über-Ich', das "große Subjekt" bestätigen das, sie bleiben ein Rückfall in Soziologie.6 Lenin bestimmt Dialektik als die Lehre, wie Gegensätze identisch sein können (LW 38/99). Bei Hegel ist jedoch dieses identifizierende Denken bereits Gegenstand der Kritik. Der Begriff der Identität ist in sich widersprüchlich bestimmt. Diese Widersprüchlichkeit ist in ihrer Entwicklung von Hegel verfolgt worden. Insofern wird dort noch argumentiert, nicht gesetzt.

Leitbild Widerstand

Auch dem politischen Diskurs von Bojadzijev et. al. ist die alte Trennung von 'Praxis' und 'Theorie' unterlegt, selbst wenn dabei "Theorie zuletzt selbst als Praxis des Widerstands" erscheint. Theorie ihrerseits stehe unter dem praktischen "Primat des Widerstands". Widerstand sei es auch, Theorien und ihre philosophischen Voraussetzungen zu "dekonstruieren". Auch wenn hier in revolutionärer Absicht Widerstand als das gesetzt ist, was Theorie legitimiert, müssen die AutorInnen sich fragen lassen: Vielleicht ist dies Widerstand, aber Widerstand gegen was? Die AutorInnen vergessen die Frage: Wer dekonstruiert die Dekonstruierenden? Der 'Primat des Widerstands' bleibt gesetzt von jenen, die die Einsicht voraus haben, und er bleibt unexpliziert. Die AutorInnen selbst wollen "kein letztes Ziel" voraussetzen, "allein dem Primat des Widerstands" folgen, einem "unaufhebbar singularisierten und deshalb immer pluralen Widerstand [..]". In der kanakistischen Perspektive transformiert sich der strukturalistische 'Prozess ohne Subjekt' zum "Exodus", zu dem, was "sich aus jeder polis davonmacht".

Wie plural kann Widerstand sein? Wogegen soll widerstanden werden? Wohin sollen wir uns aufmachen? Wenn die unterschiedlichen politisch-theoretischen 'Erzählungen' endlich in einer perspektivischen Ansprache dynamisiert und neubewertet werden sollen, fragt sich: in welche Richtung und nach welchen Kriterien? Und hier ist dann nicht nur der Punkt, um aus der rein appelativen Emanzipations-Rhetorik herauszukommen, hier stellt sich die Frage, von welcher theoretischen Position aus Einsortierungen, Bewertungen und Richtungsvorgaben vorgenommen werden. Die Nebeltöpfe des Pluralismus verhindern ein Nachvollziehen der Intentionen, und sie erzeugen mit dem Schein des Pluralen und Undogmatischen den Dogmatismus der Pluralität und den immunisierter Weltanschauung, der solche Theoreme unterliegen.

Der im Manifest formulierte Anspruch, stets das Interesse der Gesamtbewegung zu vertreten, wird als eine "totalisierend-totalitäre Anmaßung" abgelehnt, "weil niemand in exklusiver Weise ' theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus'" haben könne, wie es im Manifest heißt. Jenseits des unterschobenen Exklusivitätsanspruchs (wie soll der sich begründen?) erheben die Kommunisten im Manifest den Anspruch, der entschiedenste Teil – praktisch wie theoretisch – der Arbeiterbewegung zu sein. Was dies für die Kommunistische Partei in der historischen Situation vor der 48er Revolution bedeutet, wird im Manifest ausgeführt. An diesem Anspruch ist sie zu messen. Damit ist keine Aussage über Stellvertreterpolitik gemacht, und dies ist auch keine "totalisierend-totalitäre Anmaßung". Die Kommunisten definieren sich als einen Teil der Arbeiterbewegung, der weder nationalistisch noch partikularistisch agiert. Insofern formulieren sie ihr konsequentes Eintreten für die Gesamtbewegung. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.

Übrigens ist die politische Konsequenz unserer Auslassungen, dass Karthago zerstört werden muss!

Anmerkungen

  1. Jacques Derrida, Marx' Gespenster, Ffm 1996, S. 147f.; Louis Althusser: Über die Verbindung von Marx zu Hegel, in: Ders.: Lenin und die Philosophie, Reinbek 1974, S. 47Zurück zur Textstelle
  2. Es kann jedoch mit einem differenzierten Blick auf die Kommunisti-schen/Marxistischen Debatten und Theoriestränge nicht von einer Niederlage der Marxschen Theorie gesprochen werden, wenn damit der Untergang des Staatska-pitalismus gemeint ist. Diese Ineinssetzung war Kennzeichen des bürgerlichen An-tikommunismus wie der offiziellen staatssozialistischen Ideologie.Zurück zur Textstelle
  3. Begriffe wie Klasse, Proletariat und kommunistische Partei als "Metaphern" zu verwenden, schließt nicht aus, diese in naiv realistischer Identifizierung als sozio-logische Entitäten zu verstehen.Zurück zur Textstelle
  4. Louis Althusser: Über die Verbindung..., S. 62Zurück zur Textstelle
  5. Es soll hier nicht die sinnvolle Bemühung in Abrede gestellt werden, aus dem Di-lemma herauszukommen. Allein, dies über historische Kriterien für Politik zu leis-ten, handelt sich ganz andere Probleme ein. Was soll anhand ihrer überprüft wer-den, wer gibt sie, wie sollen sie begründet werden, wie entwickeln sie sich?Zurück zur Textstelle
  6. Vgl.: KultuRRevolution 5/84, S. 62. Vgl. auch Louis Althusser, Ideologie und ideo-logische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie. Hamburg/Westberlin 1977, S. 108ff.Zurück zur Textstelle
© links-netz August 2001