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Anglizismen – ein Ausdruck neoliberaler kultureller Hegemonie

Joachim Hirsch

Es ist erstaunlich, wie sich die Umgangssprache in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Sich ohne englische Worte und Begriffe zu verständigen ist fast unmöglich geworden. Mit der sogenannten Globalisierung hat das Angelsächsische eine bis dahin nicht gekannte kulturelle Hegemonie erlangt – und das interessanterweise zu einer Zeit, als nach dem Niedergang Großbritanniens als Weltmacht auch die ökonomische und politische Vorherrschaft der USA zunehmend in Frage steht. Aber schließlich entfaltete sich auch der Hellenismus erst, nachdem die Blütezeit der griechischen Stadtstaaten vorüber war. Politisch-ökonomische und kulturelle Hegemonie müssen also nicht deckungsgleich sein. Immer aber drücken sich in Sprachweisen auch spezifische Hegemonieverhältnisse aus.

Früher einmal hat das Französische eine ähnliche Rolle gespielt, wobei es aber vor allem um alltagspraktische oder auch zivilisatorische Begriffe ging, Croissant (das natürlich etwas ganz anderes ist als nur ein Hörnchen), Parfüm, Creme, Dessert, Gourmet, aber auch Trottoir, Portemonnaie (Portmonee genannt) oder Adieu. Oder die ganze Welt der Mode: Negligé, Dekolleté, Chic u.v.a. mehr. Beim Englischen heute sind es vor allem Ausdrücke, die aus dem Bereich der elektronischen Kommunikationstechnik und der Wirtschaft stammen. Mit der umfassenden Vernetzung der Welt vor allem über das Internet hat sich diese Sprache, die seit der Kolonialzeit als lingua franca fungiert, noch fester etabliert, ein Vorgang, bei dem das Silicon Valley und die weltumspannende Finanz- und Beratungsindustrie, aber auch z.B. das NGO-Milieu („non governmental organisations“) eine besondere Rolle spielen. Sie verbindet, was man als internationale Managerklasse bezeichnet. Dazu zählen SpitzenpolitikerInnen und -bürokratInnen ebenso wie KonzernmanagerInnen oder eben auch die VertreterInnen großer Nichtregierungsorganisationen, natürlich als „NGO“ abgekürzt. Im Wirtschaftsleben hat sich Englisch recht weitgehend etabliert: cash flow, overhead, benchmark (das zweifellos schicker und vor allem anspruchsvoller klingt als der schnöde Vergleich). Der Buchhalter kann sich als (möglicherweise „chief“-) „accountant“ aufgewertet fühlen, was Anlass zu weiterem „self improvement“ sein könnte. Und der Vorstandsvorsitzende einer AG darf sich CEO (chief executive officer) nennen, ebenso wie der Hausmeister sich als „facility manager“ fühlen darf. Allenthalben treiben diverse „consultants“ ihr Unwesen. Bei Investitionen und Geldanlagen wird oft von einer Win-Win-Situation gesprochen, was aber in Wirklichkeit heißt, dass einer über den Tisch gezogen wird. Wer selbst nicht mehr weiter weiß, braucht einen „coach“, wer umzieht, gibt sich nicht mehr mit einem Umzugsunternehmen ab, sondern beschäftigt „movers“. Hatte früher noch vor allem die Popmusik und auch der Jazz das Englische transportiert, so ist es heute die allgemeine IT-Sprache, die in der Geschäftswelt dominiert und tief in den Alltag eingedrungen ist. Wenn den IT-Experten etwas schiefgegangen ist und ein System völlig heruntergefahren werden muss, nennen sie das „downtime“, was jedoch keinesfalls bedeutet, dass es nun Zeit zum Niederlegen und Ausruhen gäbe. Alle hantieren mit Apps, aber wissen sie, dass das Anwendungsprogramm bedeutet? Oft dient der Gebrauch des Englischen einfach dazu, Banalitäten eine höhere Weihe zu erteilen. Das gehört zu der Aufschneiderei, die zum Bestandteil des Selbstvermarktungsstrebens moderner Menschen geworden ist.

Dabei wirken sich nicht nur ökonomische und technologische Machtverhältnisse aus, sondern auch der Umstand, dass Englisch in seiner trivialen Variante leicht zu erlernen ist. Inzwischen gibt es schon Vorschläge, Englisch als Unterrichtsfach an den Schulen überhaupt zu streichen, weil die SchülerInnen in dieser Sprache ohnehin schon bewandert seien. Das geht freilich etwas weit. Zwar gebrauchen viele englische Ausdrücke, ob sie sie allerdings auch verstehen oder in zusammenhängenden Sätzen anwenden können, steht auf einem anderen Blatt.

Der besondere Gebrauchswert englischer Ausdrücke liegt nicht nur in ihrer Eigenschaft als lingua franca, sondern auch darin, dass sich der Gebrauch halb verstandener fremdsprachiger Vokabeln hervorragend dazu eignet, Bedeutungen im Ungewissen zu lassen oder Banalitäten zu kaschieren. So z.B. wenn Orte als „locations“ oder Veranstaltungen als „events“ bezeichnet werden. Das klingt eben schicker und nicht so bürokratisch. „Flugblatt“ wirkt tatsächlich etwas altbacken und das Wort „flyer“ erscheint deutlich „cooler“ (was wohl so etwas wie „angesagt“ oder auch nur „gut“ bedeuten soll). Es heißt jedoch eigentlich schlicht „Flieger“. In der Welt der Literaturpreise spielt neuerdings die „short list“ eine Rolle, was übersetzt allerdings überhaupt nichts aussagt und wohl besser „Trostpreisliste“ genannt würde, weil im Wesentlichen die darauf stehen, die den Preis schließlich nicht bekommen. Darüber hinaus gibt es Ausdrücke, für die sich im Deutschen nur schwer eine Entsprechung finden lässt, z:B. Franchising (das im Übrigen ursprünglich aus dem Französischen stammt) oder Multiple Choice. Oft handelt es sich aber auch um Fremdworte, die benutzt werden, weil passende deutsche Ausdrücke nicht zur Verfügung stehen. „Internet“ ist so eines. Auch „play station“ hat sich durchgesetzt, obwohl man dazu auch Spielekonsole sagen kann. „Elektronische Post“ ist in der Tat etwas umständlicher als E-Mail. Natürlich klingt auch Laptop eleganter als „Schoßrechner“ und statt Smartphone müsste man etwas umständlich „schlaues Mobiltelefon“ sagen, was aber auch nicht viel sagt. Aus solchen Gründen sind immer schon Fremdworte in Sprachen eingebaut worden. Schade, dass mit der Ausbreitung der Smartphones der schöne Begriff „Handy“, der zwar englisch klingt, es aber nicht ist, auf der Strecke zu bleiben scheint. (Dem Vernehmen nach geht dieser Ausdruck auf einen früheren, aus dem Schwäbischen stammenden deutschen Außenminister zurück, der angesichts eines schnurlosen Telefons verwundert gefragt haben soll „hän die koa Schnur?“). „To do – Liste“ kommt etwas anspruchsvoller daher als Merkzettel und ist es auch, weil damit irgendwie eine Verpflichtung oder genauer: der Zwang zur Selbstoptimierung signalisiert wird. Ob allerdings „button“ praktischer ist als „Knopf“ oder man besser „downloaded“ statt „herunterlädt“ wäre eine Überlegung wert. Facebook-Nutzer (die natürlich eigentlich „User“ sind) „posten“, wo andere einfach etwas hineinstellen. „Liken“ klingt weniger emotionsgeladen als „mögen“ und drückt aus, dass es sich eher um einen technischen Vorgang handelt. Interessant ist, dass Facebook selbst das „liken“ mit „mögen“ übersetzt, aber das klingt den Usern vielleicht zu romantisch. „Fan“ bedeutet indessen etwas anderes als „Anhänger“ und signalisiert nun seinerseits Emotion und Begeisterung. Manchmal bedeuten englische Ausdrücke etwas ganz anderes als ihre deutsche Übersetzung. Güter „teilen“ hat etwas mit Wohltätigkeit zu tun, während die „share-economy“ ein neokapitalistisches Geschäftsmodell bezeichnet. Und „connected sein“ bedeutet noch lange nicht, persönliche Beziehungen zu haben. Aber diese verschwinden ohnehin in der schönen IT-Welt allmählich. Das Frankfurter Stalburg-Theater nennt übrigens seine Open Air-Veranstaltungen „offen Luft“, was aber wohl eher ironisch gemeint ist und weniger mit Deutschtümelei zu tun hat. Dass die auf die Reinheit der deutschen Sprache Achtenden zur Zeit eigentümlich leise sind, könnte daher rühren, dass sie inzwischen resigniert haben.

Ein Beispiel für Verschleierung ist „Beyond Aid“, der Titel einer 2014 von der Hilfsorganisation medico international veranstalteten Tagung. Auch hier schlägt wieder die Bedeutung des Englischen in der NGO-Sprache durch. Dabei ging es um die Frage, ob es mit „Hilfe“ allein noch getan sei angesichts der Tatsache, dass diese angesichts sich häufender humanitärer Katastrophen immer mehr zu einer Reparatur von Schäden wird, die von den herrschenden ökonomischen und politischen Zuständen verursacht werden. Dass es also darum ginge, diese zu verändern. Das würde bedeuten, dass sich die Anstrengungen verstärken müssten, auf diese Einfluss zu nehmen, also Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und Lobbying (deutsch: Einflussnahme) bei Staaten und internationalen Organisationen zu betreiben. Die Frage bleibt, ob „Hilfe“ damit überhaupt aufgegeben werden soll, was den Charakter dieser Organisationen, ihre Arbeitsweise und ihre politische Bedeutung erheblich verändern würde. Statt Hilfe eben Lobbying bei Regierungen und internationalen Organisationen. Genau dies bleibt im Titel aber offen: „beyond“ lässt sich sowohl mit „jenseits“ also auch mit „darüber hinaus“ übersetzen.

Dass das Englische im Zuge der „Globalisierung“ an Dominanz gewonnen hat, deutet auf das hin, was ideologisch dahinter steht: die neoliberale Denkweise. Besonders deutlich wird das im Hochschulbereich, dessen neoliberale Ökonomisierung von einem ganzen Wust englischer Fachausdrücke begleitet wird, einer Sprachform, die quasi als natürlich erscheinen lässt, was aus diesen einst der Wissenschaft verpflichteten, nun aber zu Ausbildungsbetrieben und Forschungsunternehmen gemachten Institutionen geworden ist. Diplom und Magister wurden durch den „Master“ ersetzt, Kurzstudiengänge schließen nun mit dem „Bachelor“ ab (was aber keineswegs Junggeselle bedeuten soll). Studierende sammeln „credit points“ und ächzen unter „workloads“. Professoren bessern mit ihrer performance das Gehalt auf und an den Clusterbeauftragten lässt sich erkennen, dass Ökonomisierung viel mit Bürokratisierung zu tun hat.

Insgesamt ist die Sprache der Geschäftswelt und der internationalen Managerklasse tief in das Alltagsbewusstsein eingedrungen. Dass die Verwendung des Englischen heute als besonders chic gilt (z.B. bezeichnet eine Kulturbeauftragte ihre Künstler als „favourites“, statt das eingedeutsche Fremdwort „Favoriten“ zu benutzen) zeigt, wie gefestigt die neoliberale Hegemonie ist. Kein Wunder also, dass diese Sprache in der Werbung eine herausragende Rolle spielt, so wenn z.B. die Freizeitindustrie ihre Produkte als Werkzeuge (oder wohl besser: tools) fürs Stand Up Paddling, Geocashing oder Slacklining anpreist. Englisch signalisiert Weltläufigkeit und weist einen als Angehörigen des „globalen Dorfs“ aus – und das in einer Zeit, in der die Gesellschaften immer mehr auseinanderfallen und die soziale Apartheid (ausnahmsweise mal ein Begriff aus der südafrikanischen Burensprache) zunimmt. Dass diese Weltläufigkeit mit einem sich ausbreitenden Neo-Biedermeier einhergeht, in dem Hochzeitskutschen und Rüschenblüschen wieder beliebt sind, allenthalben Hergottszwiebeln die Frauenköpfe schmücken und Kochkurse der Sinnerfüllung dienen, ist nur scheinbar ein Widerspruch. Sie paart sich mit einem Rückzug in ein Privates, der die politischen MacherInnen tun lässt, was ihnen beliebt und das längst von Kommerzialisierung und Überwachung durchdrungen und bestimmt ist.

Sprachweisen haben also stark mit (kultureller) Hegemonie zu tun und sie unterliegen deren Konjunkturen. Auch die Dominanz des Englischen muss nicht ewig währen, zumal das ökonomische und politische Scheitern des Neoliberalismus immer offenkundiger wird. Mit eben diesem Scheitern verbindet sich eine starke Tendenz zur Ausweitung autoritärer Herrschaftsverhältnisse. Allmählich entwickelt sich China zu einer neuen Weltmacht mit ganz anderen ökonomischen und politischen Verhältnissen. Sollten diese einmal zum Modell werden? Mit Chinesisch würden wir uns allerdings erheblich schwerer tun, selbst wenn der Nachwuchs der neuen Kleinbourgeoisie hierzulande angeblich schon mit „Frühchinesisch“ malträtiert werden soll.

© links-netz Juli 2015