Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Deutsche Zustände

 

Deutschland sucht den Superpräsidenten!

Schafft zwei, drei, viele toll collects! So muss man das Leitmotto der Berliner Allparteienkoalition umschreiben. Ob aus einfachem Unvermögen oder aus purer Lust am Untergang – nach dem Mautdesaster, schon als „Maut 1“ paradigmatisch geworden, scheint man geradezu gierig die nächste Pleite zu planen. Egal ob Hartz-„Reformen“ oder Bildungskatastrophe – kafkaesk durch eine surreale Elitendiskussion untermalt –, mehr und mehr gerät jedes Unternehmen zu einer Imitation der tollen Sammler, deren Markennamen wiederum zum Inbegriff von „Made in Germany“ Anfang des 21. Jahrhunderts aufgestiegen ist.

Ein besonderes Stück aus dem toll-Haus lieferten Union und FDP jedoch anlässlich der verkorksten, von sich selber demontierenden Taktiken geprägten Kandidatenkür zur Wahl des Bundespräsidenten. Das Ergebnis könnte man schon für einen gelungenen Sponti-Gag halten, der das Land zur Kenntlichkeit demaskieren soll: ein blasser Bürokrat, völlig unbekannt und nur mit einem Vorteil behaftet, nämlich weit weg von Berlin zu arbeiten. Deutlicher kann man das Unvermögen der politischen Klasse nicht herausstellen, einen geeigneten Kandidaten und schon gar eine Kandidatin aus dem eigenen Lager zu benennen. Mehr noch: Denn der Kandidat symbolisiert auch noch die bedingungslose und freiwillige Selbstunterwerfung unter die Dogmen neoliberaler Ideologie. Als Chef einer der internationalen Institutionen (zur Erinnerung: auch beim IWF war er schon die „zweite Wahl“), die die Katastrophe neoliberaler Globalisierung in den letzten Jahrzehnten an zentraler Stelle zu verantworten hat, bedeutet die Nominierung Köhlers wie auch seine ersten Einlassungen, dass das Land in Zukunft nur eins zu erwarten hat: noch mehr von den Rezepturen, die seit 25 Jahren angewandt, den Patienten langsam zu Tode bringen. Wenn die Krise – im medizinischen Sprachgebrauch bekanntlich die Situation, wo sich die Alternative zwischen Besserung oder Untergang entscheidet – noch tiefer wird, gibt man einfach noch mehr von dem Giften, als da sind: Abbau der Staatsquote, Privatisierung und Wettbewerb. Dafür steht symbolisch die Person Horst Köhlers: Das nun auch im höchsten Staatsamt das pawlowsche Wiederkäuen von „mehr Reformen, mehr Deregulierung, mehr private Konkurrenz“ Einzug halten wird. Als ob uns das nicht sowieso schon tagtäglich in Presse, Funk und Fernsehen bei jeder neuen Horrorbotschaft um die Ohren gehauen wird, egal ob es um das psychotherapeutisch orientierte Beschwören der Konjunktur oder das Verschleiern der tatsächlichen Folgen der Arbeitslosigkeit geht.

Deutlicher kann man also gar nicht signalisieren, dass Deutschland eine fast schon perverse Lust am Untergang gepackt hat. Wo „Hau-Ruck-Herzog“ noch eine Aufbruchstimmung aus der Geschichte des „Wirtschaftswunders“ zu zitieren versuchte, und „Bruder Johannes“ wenigstens im Gesundbeten der Übel sich befleißigte – „Versöhnen statt spalten“ war schon immer seine Devise, und die passende Ideologie zur Verkleisterung der Folgen neoliberaler Politik – da bekräftigt die Nominierung eines hard-core-Neoliberalen den Willen, das Land mit aller Kraft in die Sch.... zu fahren. Ein Stück aus dem toll-Haus eben.

Doch muss das das letzte Wort sein? Links-netz sagt: Nein! Es gibt Alternativen! So viele zur Zeit beschäftigungslose Mitglieder der Elite stehen bereit, um dem Land beim Absturz unter die Arme zu greifen. Nehmen wir nur den als Fall selbstreferentieller Selbstzerstörung arbeitslos gewordenen Florian Gerster. Gegen Köhler kann er allemal den Vorteil geltend machen, schon eine Behörde ruiniert zu haben. Oder Hartmut Mehdorn. Sollte ihm der sich abzeichnende Korruptionsskandal nun doch den Kopf kosten (was nebenbei gesagt nicht sehr wahrscheinlich ist, scheint doch die Bundesregierung mit aller Kraft daran festhalten zu wollen, dass Mehdorn die Bahn endgültig ruiniert), wäre er mit seinen Erfahrungen in der „Sanierung“ eines Staatsbetriebs sicher ein idealer Kandidat. Mit Mehdorn an die Börse – und dann gleich in den Konkurs! Eine bessere Losung für das höchste Staatsamt ließe sich in heutigen Zeiten doch gar nicht mehr denken.

Nehmen wir noch einen anderen Kandidaten, der Erfahrung hat in der Zerstörung der sozialen Infrastruktur – Ron Sommer. Wer wie er die gute alte deutsche Post zu einem transnationalen Mediengiganten umgebaut und so nebenbei einen der größten Prozesse der Kapitalvernichtung durchgezogen hat, der bekommt den deutschen Staat doch auch noch klein. Überhaupt müsste man das Lager der erfolgreichen, aber derzeit „freigesetzten“ Starmanager noch mal durchgehen: vom ehemaligen Bauskandallöwen Jürgen („Peanuts“) Schneider über Klaus Esser (nur zur Erinnerung: das war der, der Mannesmann an Vodafon verschachert hat und für diese Arbeitsplatzvernichtung fürstlich belohnt wurde – so soll ein Vorbild heute sein!) und seine Komplizen Josef Ackermann von der Deutschen Bank (dito!; man sollte vielleicht auch Klaus Zwickel berücksichtigen – da könnte man doch gleich dem Sündenbock Gewerkschaften noch eins auswischen) bis zum „ex-1860-Manager“ Karl-Heinz Wildmoser und Sohn (Korruption lohnt sich doch!). Oder wenn das nicht hilft: Daniel Küblböck hat schon mal fast eine ähnliche Ausscheidung gewonnen. Allerdings war da die Konkurrenz härter.

Ach so: es soll ja eine Frau werden! Während Gesine Schwan als graue Karrieristin und zudem als Verkörperung einer sentimentalen SPD-Tradition sowieso nicht in Frage kommt (da müsste sie sich schon im Stile eines Westerwelle erst in den Dschungel versetzen lassen und sich dann mit einem herzzerreißenden „Holt mich hier raus“ in die Seelen schleichen), könnte man ja auf Sabine Christiansen zurückgreifen – mit ihrer medialen Schwatzbude repräsentiert und präsidiert sie das Land ja schon sowieso.

Auch der Blick über die Grenzen könnte helfen. Sollte die Bevölkerung Italiens mal genug haben von Silvio Berlusconi, hätte man vielleicht eine Chance, ihn für Deutschland zu gewinnen, jedenfalls dann, wenn man ihn mit einer neuen Herausforderung konfrontiert – der der Privatisierung des deutschen Staates. Die Ablösesumme dürfe nicht allzu hoch sein. José Maria Aznar wäre wahrscheinlich noch billiger zu bekommen. Der will aber wie ein kleiner Junge immer mit den Großen mitspielen; und, wie beim Irakkrieg zu sehen war, ist das manchmal zu peinlich. Warum sollte man eigentlich den Präsidenten nicht gleich ins billigere Ausland verlagern. Da würde sich gerade Osteuropa anbieten. Fachmann hierfür wäre in jedem Fall der DIHK-Präsident Ludwig Georg. Der könnte die Verlagerung natürlich nur als Übergangspräsident moderieren (viel zu hohe Lohnkosten, auf Dauer nicht tragbar) bis ein qualifizierter Billiglohnpräsident gefunden wird. In Zeiten leerer Kassen müsste das doch einleuchten. Die radikalste Version wäre natürlich: wegkürzen, das schafft bekanntlich Arbeitsplätze!

Alternativen sind also vorhanden. Links-netz fordert daher alle diejenigen, die mit der Nominierung Köhlers nicht einverstanden sind, auf, sich an der Suche nach geeigneten KandidatInnen zu beteiligen. Bis zur Wahl am 23. Mai besteht die Gelegenheit, unter den angegeben Kandidaten zu wählen oder auch neue – unter Angabe ihrer Qualifikation – vorzuschlagen. Wir werden diese dann ebenfalls auf der Homepage veröffentlichen. Am 23. Mai werden dann die glücklichen Gewinner im Rahmen des BUKO in Kassel der erstaunten Öffentlichkeit vorgestellt.

Hier geht’s zur Wahl!

Oder aber, wenn die Auswahl noch nicht zusagt, eine Nachricht mit dem Namen einer neuen KandidatIn an redaktion@links-netz.de schicken, in der ihre oder seine besonderen Qualifikationen kurz und prägnant vorgestellt werden.

Mehr zum Thema: "(K)eine Opposition?!" von Eva Maria Krampe

© links-netz März 2004