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Glaubenskriege

Kommentar zur Reaktion der Bahamasredaktion auf die Anschläge in den USA1

Jens Wissel

Bedrohliche Situationen scheinen einfache Interpretationen zu provozieren. Die terroristischen Anschläge in den USA haben nicht nur mehreren tausend Menschen das Leben gekostet, sie haben zweifellos auch zu einer Situation geführt die zu recht als bedrohlich empfunden wird. Von wem oder von was man sich allerdings bedroht fühlt, hängt nicht nur von dem diffusen Gefühl ab, das sich bei den meisten Menschen schon aufgrund der unglaublichen Bilder des 11.09.01 einstellte, sondern auch von der Interpretation des geschehenen. Während manche heimliche oder weniger heimliche Freude empfanden, dass der Terror nun auch die USA, den vermeintlich Schuldigen an den unhaltbaren Zuständen in der Welt, treffe, sehen (nicht nur) die westlichen Regierungschefs in dem Anschlag einen Angriff auf die gesamte zivilisierte Welt und fordern uneingeschränkte Solidarität mit den USA im Krieg gegen den Terror.

Die Reaktionen der Herrschenden sind nicht weiter verwunderlich, denn was uneingeschränkte Solidarität heißt, haben wir in den Wochen nach dem Anschlag gesehen. Im Gefolge der Anschläge lässt sich eine innere und äußere Aufrüstung in einem ungeahnten Tempo durchsetzen. Ganz nebenbei wird ohne nennenswerten Widerspruch der Erkennungsdienst demokratisiert und darüber diskutiert, welche Teile der Bundeswehr denn nun die Geeignetsten wären, um das Böse zu bekämpfen. Gebirgsjäger und KSK sind hoch im Kurs, aber immer noch viel zu wenig, um wirklich mitreden zu können. In jedem Fall war deutsche Solidarität noch nie so uneingeschränkt wie heute. Zwar mag es frei nach dem Kaiser angenehmer sein, nur noch Amerikaner zu kennen und nicht mehr nur noch Deutsche, dennoch sollte die uneingeschränkte Solidarität nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dabei natürlich auch um deutsche Interessen geht. Mittlerweile wissen wir es alle, nur wenn wir dabei sind, haben wir auch Einfluss. Darüber, worauf wir Einfluss haben, wenn wir dabei sind, erfährt man allerdings wenig.

Auch wenn Schröders Solidarität uneingeschränkt zu sein scheint und die Vokabel uneingeschränkt nicht mehr zu toppen ist, sollte Schröder nicht glauben das Unmögliche wäre nicht doch möglich. Die Krönung der uneingeschränkten Solidarität (also absolut total uneingeschränkte vorrauseilende praktische Solidarität) findet sich bei den VertreterInnen der Antideutschen deutschen Linken. Uneingeschränkter geht es nicht. Soviel uneingeschränkte Kriegslust macht einigermaßen sprachlos und erschwert die sachliche Auseinandersetzung. Wer, wie in der Erklärung der Bahamas-Redaktion zum 11.9.01, den Koran in einem Atemzug mit Hitlers "Mein Kampf" nennt und die Bombardierung islamischer Zentren fordert und ernsthaft im Islam den neuen Nationalsozialismus sieht, der übertrifft tatsächlich noch die Schröders und Scharpings, die seinerzeit Auschwitz in den Kosovo imaginierten, um eine Rechtfertigung für den Kosovokrieg zu finden. Wurde dies damals noch zu recht als Instrumentalisierung und Relativierung von Auschwitz kritisiert, so wird jetzt eben hierdurch zur Mobilmachung gegen den Islam geblasen. Wie damals erübrigt sich auch jetzt Differenzierung. Den USA und Israel, die hier nur als monolithische Blöcke wahrgenommen werden, muss beigestanden werden, gegen die Koalition aus islamischem Fundamentalismus und deutschem Antisemitismus, der unverkennbar in der Forderung nach Besonnenheit zum Ausdruck komme. Wer also die "Bombardierung von islamischen Zentren" ablehnt ist Antisemit, unabhängig von der Frage, was diese Bombardierungen überhaupt bewirken sollen. Das genaue Ziel der Bomben scheint dann auch eher zweitrangig, denn offensichtlich kann man da unten so oder so nur die Richtigen treffen. Auch die Frage, was denn nun islamische Zentren sind erübrigt sich und verwirrt unnötig – erst mal draufhalten.

Soviel Klarheit lässt nur den Schluss übrig, dass die Verhältnisse und die eigene Ohnmacht hier wohl doch verrückt gemacht haben.

Klammheimliche Freude über die Anschläge in den USA ist mindestens genauso fehl am Platz, wie besagte uneingeschränkte Solidarität. Dass es absurd ist, den Anschlägen ein emanzipatorisches Element anzudichten, dafür sprechen die Anschläge und die Toten selbst. Wem das nicht genügt, der/die sollte die Entwicklung seit den Anschlägen betrachten, um zu erkennen, dass sie nicht nur selber reaktionär waren, sondern auch einer reaktionären Entwicklung Vorschub leisten. Es ist auch Unsinn, die Toten von NY mit den Hungertoten oder den Toten von Belgrad oder Bagdad aufzurechnen. Dass die Regierungschefs der NATO-Staaten nicht für die Weltrevolution eintreten und die Verhältnisse nicht gerade emanzipatorisch sind, sollte bekannt sein. Hier kann also kein Maßstab gefunden werden, und die Toten von NY und Washington lassen sich durch die Toten von Bagdad nicht relativieren. Wer die USA jetzt zum Grundübel der Verhältnisse stempelt, zeigt nur, dass er/sie nicht verstanden hat, um was es geht. Es geht weder um die USA noch um irgendwelche besonders verwerflichen Schlächter auf welcher Seite auch immer. Es geht vielmehr um eine globale Struktur, in der das Leben für die meisten Menschen unerträglich geworden ist. An der Reproduktion dieser Struktur sind nicht nur die USA beteiligt, sondern auch Europa und führende Eliten in der ganzen Welt. Aber auch dies greift noch zu kurz, denn zumindest in den Metropolen reproduzieren wir alle diese Struktur. Dies heißt nicht, man könnte die "global herrschende(n) Klasse(n)" nicht mehr kritisieren, weil wir alle irgendwie schuld sind. Es heißt aber, dass sich die verschwörungstheoretische Projektion des "Übels" auf ein Kollektiv oder einzelne Personen verbietet.

Wenn die USA als mächtigster Staat der Erde nun mangels Alternative und aus Führungsschwäche (siehe: Globalisierung und Terror) versuchen, die Krise militärisch zu lösen, offenbart das auch die Hilflosigkeit des einstigen Hegemons, das merken sogar die Hobbystrategen vom Brennpunkt. Der Versuch, jede Kritik an dem Krieg in Afghanistan als antiamerikanisch zu delegitimieren, mag nicht weiter verwundern, wenn er von jenen kommt, die diesen Krieg führen. Für die Linke würde die Übernahme einer solch durchsichtigen Argumentation den Abschied von jeder Kritik an den herrschenden Verhältnissen bedeuten. Aus der notwendigen Kritik am traditionellen (deutschen) Antiamerikanismus, in dem nicht selten auch antisemitische Motive zum tragen kommen, ergibt sich in keiner Weise die Parteinahme für einen Krieg der "Zivilisierten Welt" gegen die "Barbarei". Vielmehr kann die Kritik am Antiamerikanismus nicht einer antideutschen Linken überlassen werden, die zum Krieg aufruft und sich selber die Möglichkeit zur Kritik am "Pax Americana" nimmt. Antiamerikanismus und Antiislamismus unterliegen der selben Logik. Beide Seiten projizieren das Böse der Welt in ein Äußeres und dekontextualisieren so die Destruktion, die aus dem innersten der kapitalistischen Rationalität entspringt, ohne von ihr abgeleitet werden zu können. Die Angelegenheit wird also zur Glaubenssache. Es gibt aber keine Position außerhalb der Immanenz, die Barbarei ist Teil der Zivilisation.

Es geht also nicht darum, "Amerika" zu kritisieren, die Kritik muss vielmehr auf den "hilflosen" Versuch der amerikanischen Regierung eine Krise mit kriegerischen Mitteln zu bewältigen und die Inszenierung eines fast religiösen Patriotismus zielen, und es gilt zu analysieren, warum Terror und Gegenterror keine isolierten Erscheinungen sind, sondern in weiten Teilen der Welt auf Verständnis stoßen. Letztendlich geht es darum, eine Lebens- und Produktionsweise zu kritisieren, die sozial und ökologisch für die meisten Menschen auf der Erde katastrophale Folgen hat.

Anmerkungen

  1. Die hierin vertretene Position beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Bahamasredaktion, wie man u. a. an der Jungle World vom 26.09.01 sehen kann. Zurück zur Textstelle
© links-netz Oktober 2001